"Eine trostlose Gegend ist das, mein kleiner Freund."
Das angesprochene Tier, Wiesels neuer Freund, antwortete natürlich nicht, sondern betrachtete von der Schulter des Elfen aus neugierig die Umgebung.
Was mag im Kopf des Tieres jetzt vorgehen? wunderte sich Wiesel. Wahrscheinlich war es noch damit beschäftigt, damit klarzukommen, jetzt plötzlich zu existieren. Oder wurde das Tier auf magische Weise von einem fremden Ort zu ihm teleportiert? Der alte Mann hätte es ihm vielleicht sagen können, aber Wiesel hatte nie daran gedacht, ihn zu fragen, als das noch möglich gewesen war. Und nun hatte er diesen Beutel von ihm geerbt, ohne eine Ahnung davon zu haben, wie er funktionierte.
"Ich vermute, du verstehst ohnehin kein Wort von dem, was ich sage. Macht aber nichts, weißt du? Manchmal braucht man einfach jemanden, mit dem man reden kann - und manchmal ist es sogar angenehmer, wenn derjenige nichts erwidert oder einen verurteilt für das, was man getan hat. Insofern, denke ich, bist du ein guter Gesprächspartner - besser als die meisten, die ich in meinem Leben getroffen habe.
Wieso ich hier halbnackt und ohne irgendein Hab und Gut durch den Wald laufe, fragst du? Eine exzellente Frage, denn vor ein paar Stunden sah das noch anders aus. Aber da hatte ich Lanica noch nicht getroffen.
Es schien einfach zu sein: Ich hatte Geld, sie schien davon angetan, und ehrlich gesagt wirkte sie nicht so, als würde sie das nicht häufiger machen. Du musst wissen, solche Frauen sehen mich normalerweise nicht einmal mit ihrer entzückenden Pobacke an, und wer hätte da an meiner Stelle schon widerstanden?
Konnte ich etwa ahnen, dass sie die Frau des Schultheiß war? Und war es etwa meine Schuld? Nicht einmal mein Geld hat er mir zurückgegeben ob des unvollendeten Geschäftes. Stattdessen hat er mir einen Haufen Lumpen hingeworfen, die ich mir notdürftig überstreifen durfte, und mich mit Schimpf und Schande aus der Stadt gejagt.
Naja, wahrscheinlich hatte ich noch Glück, mit dem Leben davongekommen zu sein. Und deinen Beutel, den hat er mich mitnehmen lassen, Idiot der er ist. Und einen kleinen Trick habe ich vielleicht auch noch auf Lager."
Lächelnd drehte er den Kopf zu dem Wiesel auf seiner Schulter und zwinkerte diesem verschwörerisch zu.
In diesem Augenblick jedoch hörte er einen Schrei und stand mit einem Mal völlig regungslos und still da - auch das Wiesel spürte wohl, dass Gefahr drohte, und schnupperte mit seiner kleinen Schnauze hin und her.
Es war ein Hilferuf, darin war er sich sicher, und so vorsichtig er auch war; wenn ein unschuldiges Leben in Gefahr war, musste er ihm helfen.
Langsam, um möglichst nicht entdeckt zu werden, näherte er sich dem Ursprungsort des Rufes und hörte nun weitere Stimmen. Endlich hatte er sich soweit genähert, dass er, versteckt hinter einem Baum, die Situation überblicken konnte. Es war offenbar ein Fremder, wenn man die Farbe von Haut und Haaren als Indiz heranzog, und er hatte das getan, was Fremde so tun, wenn sie die Gegebenheiten des Landes nicht kannten - er hatte sich in die Scheiße geritten, oder besser gesagt, war im Morast versunken. Die beiden Frauen, die ihn vor ihm gefunden hatten, schienen ihm allerdings zu helfen, was ihn beruhigte. Es wäre nicht das erste Opfer gewesen, dass noch ausgeraubt wurde, während es im Moor versank.
Als er das Treiben eine Weile beobachtet hatte und sich relativ sicher war, dass keine der drei Reisenden ihm wohl direkt ein Messer in den Rücken rammen würde (was war bei ihm auch zu holen?), trat er hinter dem Baum hervor und erhob seine Stimme, während er sich den Dreien mit nach vorne gestreckten Handflächen näherte.
"Heho, ihr Reisenden! Keine Angst, ich will euch nichts Böses und euch auch nicht berauben, auch wenn ich womöglich nicht den besten Eindruck mache. Mein Name ist Wiesel, und das hier ist mein Freund, das Wiesel, dem ich bisher noch keinen Namen gegeben habe. Ähnlichkeiten sind rein zufällig. Ich war auf der Durchreise und habe Hilferufe gehört. Glücklicherweise konnte ich feststellen, dass Hilfe bereits auf dem Weg ist. Falls ihr jedoch noch weitere Unterstützung benötigt, um euren Freund aus dem Moor zu ziehen, bin ich gerne bereit zu helfen. Wie ihr meiner Kleidung entnehmen könnt, habe ich keine Angst, mich dabei schmutzig zu machen."
Inzwischen, sofern niemand ihn aufgehalten hatte, war er auf wenige Schritte an die beiden Frauen herangetreten. Sie sahen zweifelsfrei einen Elfen, dessen langes, mittelbraunes Haar in einem losen Zopf nach hinten gebunden war. Seine Kleidung machte in der Tat alles andere als einen guten Eindruck; eher wirkte es, als hätte er sie aus dem Karren eines Lumpensammlers geklaubt und hastig übergestreift. Durch die zahlreichen Löcher in der Kleidung war ein schlanker, sehniger Körper zu erahnen, und an einigen Stellen blitzten fremdländische Tätowierungen durch. Außer einem unscheinbaren Beutel schien er nichts bei sich zu haben mit Ausnahme seines Begleiters, der tatsächlich ein Wiesel zu sein schien. Das Tier saß zahm auf der Schulter des Reisenden, musterte seine Umgebung aufmerksam und schnupperte dabei immer wieder in unterschiedliche Richtungen.