"Einfaltspinsel habe ich nie behauptet", widersprach Fischer. "Auch das Schachbrett hast allein du ins Spiel gebracht. Ich sagte lediglich, dass die Götter ihre eigenen Ziele verfolgen und sich dabei einen Dreck um unser Wohl scheren. Überhaupt halte ich es für wenig sinnvoll, ihnen menschliche Züge anzudichten. Mitleid! Das wünschten wir uns wohl. Aber ich denke, da schließt du von dir auf andere. Mit sich selbst beschäftigt sind die Götter, so darfst du mich zitieren. Selbstsüchtig und blind gegenüber dem Leid, das sie anrichten. Mitleid haben sie mit uns so viel wie wir mit der Ameise, die uns schuldlos unter die Stiefelsohle gerät. Wahrscheinlich bemerken sie es nicht einmal, wenn sie ein paar hundert von uns zertreten."
Pünktlich zum Ende seiner Rede hatte er die Straße erreicht und geriet zunehmens außer Hörweite, als der Rest der Gruppe hinter ihm zurückblieb. Eine kurze Weile beschäftigte das vergangene Gespräch wohl noch seine Gedanken. Einerseits wurmte es ihn, sich überhaupt darauf eingelassen zu haben, andererseits ließen die naiven Worte des Halblings ihn auch jetzt noch ungläubig den Kopf schütteln. Mitleid! Was für ein behütetes Leben musste der Halbling bislang geführt haben. Wir glauben an die guten Götter... gesprochen voll kindlichem Ernst, voll kindlichem Vertrauen. Mitleid. Nein. Die Götter kannten kein Mitleid.
"Mitleid", sprach er zu dem jungen Wolf. "Glaubst du das auch? Dass Mitleid der Grund war, warum ich dich aufgepäppelt habe, statt dich verrecken zu lassen? Mir vom Mund abgespart habe, was ich dir, vorgekaut, in deinen steckte? Ha, ich hoffe, so naiv bist du nicht. Du warst das einzige Lebendige in der Nähe und ich ertrug einfach den Gedanken nicht, völlig allein zu krepieren, mitten im Nirgendwo, unbemerkt und unbetrauert von einer anderen Seele. Wie hätte ich ahnen können, dass ich überleben würde? Danach sah es nicht aus. Aber weißt du, irgendwie ahnte ich, dass wir entweder beide krepieren oder beide überleben würden, deswegen habe ich es wohl getan. Und weißt du, um deinetwillen bin ich froh, dass wir es geschafft haben. Mir wäre die Alternative sonst ebenso recht gewesen. Großmütig kam ich mir dabei vor, wie wir da sterbend beisammen lagen. Wenigstens einem Feind hatte ich verziehen. Meine letzte Tat im Leben... Aber auch darin sah ich kein Mitleid, sondern..."
Er überlegte. "Edelmut? Nein. Mildtätigkeit? Hmpf. Aber halt, jetzt hab ich's: Erlösung. Von mir selbst. Dem Monster, das ich geworden war. Das der Krieg aus mir gemacht hat. 'Siehst du?' sprach ich mir damit selbst zu. 'Du bist doch noch fähig, einem Mitgeschöpf Güte zu zeigen. Einem Leben Wert beizumessen. Eine Funke Vergebung glimmt wohl noch in deinem schwarzen Herzen, dass du den Feindesspross nicht nur verschonst, sondern gar rettest! Noch bist du also nicht ganz verloren.' Wie du siehst, dachte ich nur an mich selbst dabei. Mitleid! Sei froh, dass ich keines mit dir hatte. Mitleid hätte mich die Klinge zücken und dir über die Kehle fahren lassen. Mitleid hätte mir geboten, dein Leid zu beenden. Jetzt sag selbst: Hättest du mir das gedankt? Dacht' ich mir doch. Mitleid. Als ob es darauf ankäme. Was zählt, sind Taten. An seinen Taten allein wird man gemessen. Sag, ein Mann tut aus Mitleid das falsche, ein anderer aus Eigennutz das richtige, welcher ist dir lieber? Ha, das seh' ich genauso! Hm. Dann hat der Halbling vielleicht sogar recht, was meinst du? Dann haben die Götter wohl bloß Mitleid gehabt mit den meinen. Dann wollten sie bloß, aus lauter Mitleid, ihr Leid beenden? Dann kann ich bloß sagen: wehe dem, den das Mitleid der Götter trifft!"
Von diesen vielen Worten erschöpft, verfiel Fischer für den Rest des Tagesritts in dumpfes Schweigen.