Eine unheimliche Stille hatte sich über den vom hellen Vollmond gespenstisch erleuchteten Salzsumpf gelegt. Nicht einmal der Ruf einer Eule oder das Flattern einer Fledermaus durchbrachen die Ruhe; wo andernorts für viele Tiere der Tag erst mit Einbruch der Dunkelheit begann, schienen sie diesen Ort zu meiden, als würden sie von einer unsichtbaren Kraft von hier ferngehalten.
Ein menschlicher Beobachter, der die Szenerie betrachtete, hätte sich wohl gefragt, ob er in einem obskuren Albtraum gefangen wäre - doch ein solcher war nirgends zu erahnen. Plötzlich jedoch schnelle Schritte! Das Knacken von Zweigen, als jemand - etwas? - durch den Sumpf huschte, nur ein Schatten hier und dort. Dann durchbrach ein Schrei die Nacht, das Schluchzen einer weiblichen Stimme, die niemand vernahm. Dann wieder: Stille.
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Es war ein früher Herbstmorgen, als
Erich Janina Graustein die Straße von Leimbach nach Norden in Richtung Pösen entlang ritt. Der Begriff
Straße wäre für einen ausländischen Besucher wohl irreführend gewesen, denn seit dem Ende des Krieges glich sie eher einem Trampelpfad, und der Regen des gestrigen Tages hatte den Boden schwer gemacht, so dass das Vorkommen dem Pferd alle Mühe abverlangte. Erich konnte und wollte es sich jedoch nicht leisten, seine Reise auf einen anderen Tag zu verschieben - sein Kontaktmann bei den Kreuzrittern hatte ihm einen Auftrag gegeben, und Erich pflegte nicht zu trödeln, wenn er ein Ziel erreichen wollte. Heute noch wollte er Hallstein erreichen, einen kleinen Ort in der Nähe des Salzsumpfes, um dort den Gerüchten um einen Schrecken nachzugehen, der im Sumpf sein Unwesen treiben sollte.
Ein Zufall war es, der
Friedrich von Dent, einen alten Gewährsmann Erichs, am gleichen Tag auf die gleiche Straße führte, wenn er auch in gegensätzlicher Richtung unterwegs war. An diesem Morgen war er vom
Gasthaus an der Südstraße aufgebrochen, und noch vor Mittag erblickte er auf der spärlich frequentierten Straße einen alten Bekannten auf sich zukommen.
Finnegan O'Dougal war sich sicher, dass er dem Dieb auf der Spur war. Von Inismore aus war er dem Mann bis Pösen gefolgt, doch immer war er einen Schritt zu spät, um ihn dingfest zu machen. Als Ernst Himmlein war der Übeltäter zum Gut der O'Dougals gekommen, um sich dort unter falschen Vorwänden die Gastfreundschaft der Familie zu erschleichen. Gedankt hatte er sie mit dem Diebstahl eines wertvollen Familienerbstückes, und seit dieser entdeckt worden war, war Finnegan ihm auf den Fersen. In Dunkeen musste er ernüchtert feststellen, dass der Mann sich bereits eingeschifft hatte, doch ein echter O'Dougal ließ sich von einem solchen Rückschlag nicht entmutigen, machte das Ziel des Schiffes ausfindig und folgte ihm mit dem nächsten verfügbaren Schiff nach Pösen - was ihn allerdings wertvolle Zeit kostete.
In den Eisenlanden angekommen, begann er sofort erneut mit den Nachforschungen, und seine Beschreibungen fruchteten schließlich, als er die Auskunft erhielt, dass sein Ziel, nun unter dem Namen Bernhard Wagner, sich einige Tage zuvor auf den Weg gen Süden gemacht hatte. Von Gasthaus zu Weiler zu Bauernhof fragte Finnegan sich durch, und längst hatte er von weiteren Untaten erfahren, die der Übeltäter unterwegs begangen hatte. Am heutigen Tag führte sein Weg ihn zu einer kleinen Siedlung, die scheinbar erst vor wenigen Jahren gegründet worden war, wenn man den Zustand der Häuser betrachtete.
Nouvelle Charouse tat ein Schild außerhalb des Dorfes dessen Namen kund, und Finnegan war nicht wenig überrascht, dass er hier, mitten in den Eisenlanden, offenbar eine Siedlung von Montaignern vorfand.
Diese hatte auch
Louis de Fromage Puant wenige Momente vor ihm betreten. Er, den außergewöhnliche Umstände in die weite Welt Théahs vertrieben hatten, hatte auf seinen Reisen in den Eisenlanden von einer Siedlung von Landsleuten gehört, die sich in seiner Nähe befinden sollte, und sogleich beschlossen, ihnen einen Besuch abzustatten. Scheinbar waren ausländische Siedler hier nichts ungewöhnliches, denn Elsa von Pösen warb geradezu um diese, damit sie halfen, das vom Krieg gebeutelte Land wieder aufzubauen. Zu viele Söhne und Töchter des Eisens waren gefallen, und mindestens genauso viele in den Jahren nach dem Krieg vor Hunger und Elend geflohen oder ihnen zum Opfer gefallen. Doch eines hatten die Eisenlande nach wie vor zu bieten: Gold! Und mach ausländischer Siedler war dem Lockruf des gelben Metalls gefolgt, um in der Fremde sein Glück zu finden - so mancher hatte es bereut. Eine ganze Siedlung jedoch war etwas Ungewöhnliches, und so fand sich Louis, nachdem er mühsam der Wildnis geraubte Äcker und Weiden durchquert hatte, in einem kleinen, doch nicht unfeinen Dorf wieder, als er hinter sich die Schritte eines weiteren Pferdes vernahm und einen Mann erblickte, der definitiv nicht in diese Gegend passte.
[1] Don Tristan de Simon de la Verde verstand die Welt nicht mehr. An irgendeiner Stelle musste er wohl falsch abgebogen sein, denn die Straße verdiente weniger und weniger diesen Namen, und nichts deutete hier darauf hin, dass er sich weiterhin auf dem Weg nach Freiburg befand. Stattdessen wurde der Boden morastiger, und Don Tristan dachte gerade darüber nach umzukehren, als er am Horizont ein Haus erblickte - sicherlich gehörte es zu einem Bauernhof, wo er nach dem Wege fragen und womöglich eine warme Mahlzeit in den Magen bekommen konnte.