Hintergrund (Anzeigen)
Die Kanalisation hatte in zahlreichen Schlachten Schutz für Tausende geboten. Mittlerweile durfte sie nur noch auf strengster Anweisung der Stadt betreten werden, da sie mit den Jahren immer einsturzgefährdeter und gefährlicher wurde. Trotzdem war es ein blühender Marktplatz für Schwarzhändler und Ganoven. Und mitten drin stand er – Demrix. Lässig kaute er an seiner Zigarette und starrte in den silbrigen Schleier. Er verabscheute den Nebel, er konnte dadurch nie genug sehen um mit seinem Colt das richtige Ziel zu treffen, wodurch er so gut wie schutzlos war. Er war zwar ein begabter Runenschreiber, aber ein so durchzogenes Gebiet vom Nebel zu befreien, dass überstieg seine Fähigkeiten bei weitem. Ein Flappern ertönte und etwas kleines Leichtes nahm auf seiner Schulter platz. „Na Kleiner, läuft alles nach Plan?“ wisperte er seiner Eule zu, welche ihn mit großen orangen Augen musterte und leise schuhute.
In der Dunkelheit der Gänge rannten nun panisch verschiedene Wesen durch die Gegend und suchten nach Möglichkeiten ihre Leiber zu schützen. Im Licht seiner Fackel warfen sie abstrakte Schatten an die Nebelwände, in denen man die Schatten der Frauen und die außerordentlich langen Ohren Demrix erkennen konnte. Er war ein Kobold, und zwar ein knallharter. Es war seine Schuld, dass die Nymphenfrauen nun vertrieben werden, immerhin hatte er lange genug mit ihnen an einer Seite gelebt und mittlerweile reichte es ihm. „Pff… rottet sie aus!“ brüllte er in den Schatten und plötzlich wurde ein Hagel an Speeren vorgeschickt, der wie ein gefährlicher Windstoß einen nach dem anderen traf.
Eine Nymphe rannte geradewegs in die Richtung seines Verstecks. In Ihren Armen lag ein kleines Knäul aus Stoff, aus dem ein angsterfülltes Wimmern drang. Ein erneutes Zischen war zu hören und die Mutter stürzte zu Boden. Aus ihrem Rücken ragte ein Speer, der sie regelrecht an den kalten, nassen Boden der Kanalisation nagelte. Das Kind fiel ihr aus der Hand und kullerte noch einige Schritte weiter, bevor es zum erliegen kam. Das Baby, nun der scheinbaren Sicherheit der Mutter beraubt, schrie noch lauter. Die Nymphe streckte und wand sich und selbst der enorme Schmerz der sich in ihren Augen abzeichnete konnte sie nicht davon abhalten sich nach vorne zu robben. Doch dann verklärte sich ihr Blick und sie brach tot zusammen. Demrix beobachtete den leblosen Körper der kaum 15 Schritte von ihm entfernt lag, empfand allerdings viel weniger Mitleid für die tote Mutter und ihr schreiendes Kind als eigentlich normal gewesen wäre. Er hatte schon mehr als einen Überfall der Nymphen miterlebt und er wusste, dass alles was noch kommen würde, weit über die Schmerzgrenze jedes Lebewesens hinausging. Langsamen Schrittes bewegte er sich auf die Leiche zu nur um sie verächtlich mit dem Fuß in die Seite zu treten. „Nun zu dir du Scheißer…“
Gerade als er dem Balg seinen Colt an die Stirn drückte, bemerkte er dass etwas anders war als an seiner Mutter. „Diese Hure… Kindsentführung! Verdammt was mache ich jetzt…“ Er starrte erbost auf das kleine menschliche Wesen, welches sich unter dem kalten Lauf der Waffe wand und schrie. Bis er neben sich eine Bewegung vernahm. Bakum war von der Jagd zurückgekehrt, auf seiner Stirn zeichnete sich allerdings kaum Schweiß ab. „Das wars dann wohl, die Schlampen sind tot, wie du uns befohlen hast. War ein lustiges Schauspiel die nackten Weiber wie die Hühner rumlaufen zu lassen, aber wie du siehst hat ja jeder Speer sein Ziel getroffen.“ Sein Blick fiel auf das Kind. „Was ist mit dem? Sag nicht du bist plötzlich weich geworden, los, erschieß ihn und dann gehen wir zwei einen heben. Na was sagst du?“
Demrix haderte. Sämtliche Gehirnwindungen ratterten auf Hochtouren, als er überlegte. „Spinnst du, das Balg ist ein Mensch, wenn wir ihn töten sind wir dran. Unser Auftrag lautete bloß die Nymphenweiber zu vertreiben, es ist schon genug dass wir sie alle getötet haben. Aber wir dürfen dieses Kind nicht töten, es wäre unser Untergang. Ich hab keine Ahnung was ich mit dem Scheiß Ding machen soll, ob ich es den Gentlemen übergebe oder es einfach hier liegen lassen soll……“ Demrix starrte in das Gesicht des Babys, welches sich bei dem Anblick des Koboldes etwas beruhigt hatte. Sogar ein Grinsen blitzte auf seinen kleinen Lippen auf. Demrix begann zu lachen. „Der kleine Hosenscheißer gefällt mir, der scheint was drauf zu haben, siehst du er lacht sogar bei meinem Anblick.“ „Da ist nichts verwerfliches dran Demrix, jeder lacht wenn er dich sieht…“ entfuhr es Bakum. Doch Demrix schien es nicht gehört zu haben, sein Blick galt einzig dem Kind. „Ich nehm es mit, kann ja nicht schaden sich ein Haustier groß zu ziehen, wer weiß, vielleicht kann es mir ein paar Jahren ja noch ganz nützlich sein.“ Mit diesen Worten hob er das Bündel hoch und hielt es in seinem Arm. Das wuschelige blonde Haar, war blutsverschmiert und die grasgrünen Augen musterten ihn aufgeweckt. „Weißte was du Scheißer, ich nenn dich Vic. Mein Urgroßvater mütterlicherseits hieß Victor und es kann sicherlich nicht schaden wenn du einen menschlichen Namen annimmst. Und so kann ich wenigstens so tun als würdest du nicht zu mir gehören wenn du mich mal in Schwierigkeiten bringen solltest.“ Er lachte laut auf und versuchte an seiner bereits verglommenen Zigarette zu ziehen. „Los Bakum, lass uns gehen, ich brauch neue Kippen und außerdem hab ich Durst wien Kamel. Lass uns saufen!“
Victor, das Adoptivkind eines verschrobenen Koboldes wuchs weder behütet auf noch lernte er jemals das Licht der Sonne kennen. Seinen Alltag verbrachte er in der Kanalisation Mechanikas und spielte mit alten Maschinenteilen die er von seinen Kollegen klaute. Eigentlich wäre ein guter Schmuggler oder Dieb aus ihm geworden, aber wie es Menschen so an sich haben, träumten sie von unerreichbaren Dingen und malten sich ihr Schicksal gedanklich zu bunt aus. Victor träumte davon ein Barde zu werden. Bereits früh begann er zu singen, schrieb seine Werke nieder und trommelte auf sämtlichen Gegenständen. Bis ihm Demrix eines Tages von seinen Raubzügen eine Geige mitbrachte. „Hier Kleiner, spiel darauf, aber bitte weitab von uns und unserem Versteck, ich kann dieses Gedudel nicht mehr ertragen.“ seufzte er und wuschelte Victor durch die langen blonden Haare. Demrix war immer noch knallhart, aber in den Jahren hatte sich so etwas wie ein väterliches Gefühl für den Jungen entwickelt, welches er kaum noch verbergen konnte.
Die Jahre vergingen, Victor wuchs und es wurde ein stattlicher Mann aus ihm. Schnell und flink wie ein Wiesel, ward es nun an der Zeit für ihn in die wirklich raue Welt geschickt zu werden. Er würde nie die Nacht vergessen, in der er das erste Mal die Kanalisation verlassen hatte um mit seinem Ziehvater über die Dächer zu ziehen. Der Mond schien hell über die Straßen der Stadt, die hell erleuchtet war und ihn fast blendete. Die nächtlichen Raubzüge begannen und sein Ruf wuchs in Windeseile nach oben. Seinen Traum des Barden hatte er lange vergessen, nun nutzte er sein Gerät nur noch um sich in einsamen Stunden an den wohligen Klängen zu erfreuen. Nun träumte er davon, sein ganzes Leben lang über die Dächer Mechanikas zu ziehen.
Bis der Tag kam, der sein Schicksal jäh auf die Probe stellen sollte. Demrix rannte mit blutverschmiertem Gesicht auf ihn zu, doch er nahm es kaum wahr. Er starrte nur auf die Schatten, die durch die dichten Nebelwände kamen. Sie trugen lange wallende Mäntel und Zylinder auf ihren Köpfen. Hielten schwere Waffen in ihren Armen. Er konnte ihre Gesichter nicht erkennen, spürte aber den Hass der auf ihren Augen lag. „Los, Gentlemen, nehmt sie fest! Sie alle sind abtrünniger Abschaum, die hier nichts verloren haben. Es ist verboten in der Kanalisation zu leben, los Männer, schnappt sie!“
Victor wollte gerade seine Waffe ziehen, als er einen dumpfen Schlag in seinem Nacken verspürte, der es ihm schwarz vor Augen werden ließ. Demrix hatte ihm mit seinem Colt eins übergezogen, sodass er schweren Körpers zusammenbrach. „Tut mir Leid Junge, aber es gibt jetzt wichtigeres zu tun…“ Demrix schliff den leblosen Körper seines Ziehsohnes in einen dunklen Spalt. Er war froh, dass der Nebel zu dicht war, als dass die Gentlemen sie sehen konnten und begann sogar die dichten Schleier zu mögen. „Cepheus, du hörst mir jetzt gut zu“ flüsterte er zu seiner Eule.
„Cepheus ich möchte dass du bei ihm bleibst. Es hat keinen Sinn mehr, es sind einfach zu viele und ich bin längst nicht mehr so cool und zuversichtlich wie damals. Vielleicht hat mich auch einfach nur der Junge weich gemacht. Aber dem sei so. Pass gut auf ihn auf Kleiner…“ Demrix konnte nicht umhin, einige Tränen aus seinen Augenwinkeln laufen zu lassen. Er hatte den Jungen so sehr ins Herz geschlossen, er wollte nicht dass sein Leben jäh beendet wurde. Demrix kroch aus dem Spalt, bäumte sich vor dem kleinen Durchgang auf und brüllte mit aller Leibeskraft. „Hey ihr Schweine, wenn ihr mich sucht, ich bin hier drüben! Versucht doch mich zu kriegen!“ Er zündete sich wohl seine letzte Zigarette an und zog so genüsslich wie noch nie an ihr. Packte mit hartem Griff seinen Colt und lief in die entgegengesetzte Richtung des Spaltes davon. Schreie und schnelle Schritte folgten ihm, bis es still wurde.
Erst verschwommen, dann klarer werdend, kehrte das Bewusstsein Victors zurück. Die Eule saß aufgeregt fiepsend auf seiner Brust und hüpfte von einem Bein zum anderen. „Oh.. was ist passiert… Cepheus? Wo sind wir, was ist los…?“ Er stemmte seinen Körper hoch und versuchte etwas zu erkennen. Langsam und behände kroch er aus dem Spalt, wobei der Schock der ihn durchfuhr ihn beinahe zu einem Aufschrei bewegt hätte, den er nur mit Mühe unterdrücken konnte. Tränen liefen seine geschwärzten Wangen hinab, als er auf die toten Körper seiner ehemals Freunde blickte. Er brach zusammen und weinte minutenlang stille Tränen des Verlustes, als er erstmals bemerkte, dass ein Leichnam fehlte. „Demrix, verdammt du bist nicht hier! Was ist hier bloß passiert? Ich kann mich nicht erinnern, da waren nur die Gentlemen, sie feuerten auf uns und dann war ich weg. Aber verdammt Demrix, sag bloß du lebst noch?“
Ein kleiner Hoffnungsschimmer bahnte sich auf sein Gesicht und entschlossenen Mutes stand er auf um sich einiges an Ausrüstung zusammen zu suchen. Er fand sogar eine Schachtel der Lieblingszigaretten seines Vaters. Obwohl er noch nie geraucht hatte, zündete er sich einen Glimmstängel an und zog daran. Er hustete laut auf als der Rauch seine Lungen füllte, mochte aber auch den Geschmack des Tabaks, weswegen er noch ein paar weitere Züge nahm und die Packung einsteckte. Er sammelte einiges an Geld zusammen und fand auch seine Geige, die er kurzerhand in seine Tasche stopfte. Bevor er ging, wandte er sich noch mal seinen Freunden zu. Er sang ein leises Lied für die Toten, welches auch einen Teil seiner Trauer nahm. Für zahlreiche Gräber fehlte ihm einfach die Zeit, es war nun an ihm, Demrix zu finden um rauszufinden was passiert war. Und er dachte, dass er das wohl am ehesten rausfinden würde, wenn er sich seinen verdrießlichen Feinden anschließen würde.
„Mein Name ist Victor, nach meinem Urgroßvater, Integrus Mc. Wybrandt.“ Das war der erste Name der ihm auf die Schnelle einfiel als er das Antragsformular ausfüllte. Es war nicht schwer für ihn, eine fiktive Vergangenheit zu erfinden. Er war ein einfacher Schneiderssohn aus Downtown und hatte sich die letzten Jahre mit einigen Auftritten in verschiedenen Orchestern über Wasser gehalten und sich damit einen halbwegs annehmbaren Namen gemacht. Doch sein Traum war natürlich immer schon, für das Rechtschaffen Gute zu arbeiten und seine Talente in die Dienste der Stadt zu stellen. Natürlich nur mit der Bedingung seinen tierischen Begleiter mitnehmen zu können.
Hoffnungsvoll blickte er in die Gesichter seiner Kameraden, als er endlich seine neue Uniform anziehen konnte. Ein neues Leben begann, ein Leben welches von Stolz und Regeln nur so durchzogen waren, aber er tat es für ihn. Für Demrix.
Mit diesem Tag begann seine Karriere als Gentlemen und zeitgleich die Suche nach seinem Vatern.