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« am: 14.12.2010, 10:31:33 »
Yekare ist nicht sonderlich angetan von den Geschichten des Käpt’ns, besonders nach den Ereignissen der Nacht vor ihrer Abreise. Sie hält ihn für einen alten, engstirnigen, nichtsnutzigen Sack. Sie selbst hingegen ist eine weitgereiste und erfahrene Händlerin, die schon einige Wunder dieser Welt mit ihren eigenen Augen sehen durfte, wofür sie Nethys von ganzem Herzen dankbar ist. Sie sollte es eigentlich sein, die Mabon Weisheiten mit auf den Weg gibt – nach ihrer Meinung kann er sie nämlich besser gebrauchen als jeder Andere auf diesem Schiff.
Teilweise geht der Zorn der Hexenmeisterin gar so weit, dass sie sich mit einem Finsteren Lächeln bei düsteren Gedanken erwischt. Dies gipfelt eines Tages in der Vorstellung, Mabon mit Fluten aus Feuer und Blitzen für sein desaströses Verhalten zu bestrafen. Als Yekare erkennt, welch bösartiges Gedankengut sich in ihren Geist schleicht, schlägt sie ihre Hand auf die Brust und atmet plötzlich und stöhnend ein. Sie eilt in ihre Kajüte, denn sie kann die Anwesenheit der anderen Abenteurern nicht mehr ertragen, sie erdrückt sie förmlich. In ihrem Zimmer stützt sie sich auf ihr Bett, schnaufend, und Schwärze hüllt sie ein…
Ihre Lungen sind voller Rauch, sie kann kaum atmen, so drückend und brennend fühlt sich die Luft in ihr an. Ihre Stirn ist benetzt von Nässe, Tropfen rollen ihr Gesicht herab, als sie aufwacht. Hinab? Oder…hinauf? Ihr Haar ist klitschnass, noch sie spürt es nicht auf ihrem Gesicht oder ihren Wangen, höchstens in ihrem Nacken. Als sie die Augen aufschlägt erkennt sie – sie hängt! An den Füßen wurde sie an ein Seil gebunden, und sie hängt an einem der Mammutbäume! Es ist heiß, unerträgliche Hitze umhüllt sie. Sie hört knisterndes Holz…unter ihr! Ihr Blick wandert hinab, und ein Schrei des Entsetzens entfährt ich…Ein Scheiterhaufen! Die Flammen schlagen immer höher, versengen ihre goldenen Locken! Sie schlägt mit den Händen um sich, in grenzenloser Panik!
„Da siehst du, wie dumm sie sind!“
Die Stimme…sie ist wieder da. Dunkel, abscheulich, wunderschön.
„Sie sind Idioten, sie verdienen nur den Tod!“
Sie sieht sie. Einige wütende Barbaren, nichtsnutzig, einfältig, dumpf. Sie grölen und schreien von Glückseligkeit. Sie sind glücklich über ihren baldigen Tod, sie, die Hexe, die Teufelin.
„Töte sie! Richte sie hin!“
Als Yekare wieder erwacht, schreckt sie auf, und ihre Kehle ist trocken. Sie hustet, will den Qualm herausspucken – was war das? Ein weiterer Erinnerungsfetzen aus ihrer Vergangenheit? Sie schnappt nach Luft, und die Panik steigt erneut in ihr auf. Sie eilt hinaus an Deck, stolpert dabei fast, ihr Haar ist ein einziges Chaos, ihr Gesicht von Schweiß bedeckt. Sie rennt gegen Akio, den sie keuchend zur Seite stößt, und stützt sich auf der Reling ab. Die salzige Luft tut ihr gut. Langsam beruhigt sie sich wieder, atmet langsam und tief. Sie schließt die Augen und spürt ihren Herzschlag, der sich verlangsamt. Ein letztes Mal atmet sie pfeifend aus, als sie die Augen öffnet, und…
„Was…“, sagt sie, verständnislos, und ihr Herz beginnt erneut zu rasen. In nicht allzugroßer Entfernung, vielleicht siebzig Meter, entdeckt sie einen merkwürdigen Strudel, der über die Wasseroberfläche peitscht. „Akio? Akio!“, schreit sie, und ihre schrille Stimme überschlägt sich, sie dreht sich um und hält Ausschau nach Mabon. „Mabon! Dort!“, schreit sie, und weist hektisch in Richtung des Strudels. Als sie sich erneut umdreht, erhebt er sich bereits zu einem Wall, einer unerbittlich rollenden Welle, die genau auf das Boot zusteuert.