Perchta schien über Erichs Begeisterung zu schmunzeln. "Soso, Valgerd ist ihr Name. Mir hat sie ihn nicht verraten, sie scheint dich zu mögen." Dann jedoch wandte sie sich reihum den anderen zu.
Sie begann bei Friedrich, dem sie seine Zwiegespaltenheit anzusehen schien. Ihre nächsten Worte jedoch fuhren ihm durch Mark und Bein - konnte sie Gedanken lesen? Oder war nur ihre Menschenkenntnis ausserordentlich?
"Hab keine Angst: Viele Wege stehen euch offen, und euren eigenen müsst ihr finden. Doch ich sehe die Gefahr, der ihr euch stellen müsst, wollt ihr das Land und die Magie des Landes retten. Deshalb gestatte es einer alten Frau, wenn sie versucht, euch ein wenig in eine Richtung zu leiten, die mir gefällig ist. Doch mehr sagen kann ich euch nicht, denn es ist euer Weg, den ihr finden müsst, um am Ende erfolgreich zu sein - nicht meiner!
Du suchst Wissen, doch mein eigenes Wissen kann ich dir nicht geben. Aber warte!"
Sie rief eines der Kinder zu sich und schickte es ins Haus, um etwas zu holen: "Du kennst doch das Buch, mit dem ich das abgebrochene Tischbein ausgleiche. Hol es her!"
Während der Junge unterwegs war, sprach Perchta wieder zu Friedrich. "Vor einiger Zeit war ein junger Mann bei mir zu Besuch, aus dem Land, das heute Avalon genannt wird. Er hat mich bei einigen Dingen um Rat gefragt, doch das tut nichts zur Sache. Wie hieß er noch gleich, ich kann mir Namen so schlecht merken. Es begann mit M, glaube ich. Auf jeden Fall, er hat an einem Buch geschrieben und es bei seiner Abreise hier liegen lassen. Seitdem hat es mir gute Dienste geleistet, mein Tisch ist stabil wie nie.
Ah, da ist es ja. Hier, nimm es, vielleicht leistet es dir noch bessere Dienste als mir. Ich glaube, er sagte, es würde sich in größter Not immer an der Stelle öffnen, an der ein passender Ratschlag zu lesen ist. Auch wenn dieser zuweilen schwer verständlich sein könnte. Nun ja, nehmt es, ich brauche es nicht mehr."
Neugierig nahm Friedrich das Buch von dem Jungen entgegen und war erschrocken, als er tatsächlich den deutlichen Eindruck eines Tischbeines auf der Rückseite erkennen konnte. Etwas enttäuscht, dass er nun ein Stück Unterlegholz bekommen sollte, während Erich ein flammendes Schwert sein Eigen nannte, drehte er den schweren Wälzer um - und konnte gerade noch verhindern, dass das Buch ihm aus seinen Fingern glitt, während ihm die Luft wegblieb.
Auf dem ledernen Einband las er in einer Sprache, die eindeutig ein Vorläufer des modernen avalonisch war, die Worte "Myne gesammelt Wishit - Myrddin av Emrys". Myrddin? Friedrich sagte der Name etwas, aus alten Sagen, die heute kaum jemand glauben mochte: Myrddin der Magier, der Gelehrte, eine der schillerndsten Gestalten der avalonischen Sage, der, wenn er je gelebt haben mochte, gut und gerne schon tausend Jahre tot sein musste. Dieser Myrddin soll hier gewesen sein?
Mit einem Mal wurde ihm schwindlig, als ihm bewusst wurde, was dies bedeuten würde - wie alt war Perchta eigentlich? Und was war sie?
Vielleicht war auch alles nur ein Streich, den die Alte ihm spielte, doch hier und jetzt fiel es Friedrich schwer, seine Gedanken zu sortieren. Daher bekam er auch nur am Rande mit, als Perchta ihn erneut ansprach: "Was dein anderes Anliegen betrifft; lass die Kräuter hier, ich habe Mittel und Wege, sie zu ihrem Ziel zu bringen. Es wäre schade, wenn sie unterwegs vertrocknen würden."
Als nächstes wandte sie sich Finnegan zu, doch dieser wartete gar nicht erst ab, sondern beeilte sich zu sagen: "Ich möchte hierbleiben, geehrte Perchta! Ich spüre, dass hier eine tiefere Wahrheit für mich verborgen liegt - doch es wird Zeit brauchen, um sie zu finden." Entschuldigend sah er zum Baron. "Ich weiß, dass ich versprochen habe, Euch zu folgen. Doch seit ich hier bin, spüre ich, dass ich unvollständig bin. In mir drin war schon immer diese Lücke, doch bisher habe ich dies nie so deutlich gespürt wie hier. Und noch mehr spüre ich, dass ich diese Lücke hier schließen kann, wenn ich mir genügend Zeit nehme. Es sind unterwegs andere zu uns gestoßen, die sich Euch angeschlossen haben, und ich bin mir sicher, dass ihr gemeinsam Euer Ziel erreichen könnt. Doch für mich endet die Reise vorerst hier.
Doch habt keine Sorge, ich werde Euer Geheimnis niemals verraten; zumindest nicht, solange Ihr es nicht selbst tut. Und wer weiß? Vielleicht treffen wir uns eines Tages wieder."
Als Louis an die Reihe kam, hatte sich langsam eine gewisse Nervosität beim Montaigner eingestellt. War die Alte nur bei Eisenländern zu großzügig? Noch bevor er einen Wunsch äußern konnte, sprach Perchta zu ihm.
"Die Eleganz, jawohl! Für dich, mein junger Freund, wäre eine solche Klinge nichts. Zu schwer, zu direkt. Du brauchst die Klinge einer Frau!"
Womöglich konnte der eine oder andere der Versammelten diese Worte als beleidigend empfinden, doch der Ausdruck in ihrer Stimme ließ in keiner Weise den Eindruck erwecken, sie wolle sich über Louis lustig machen.
"Ich glaube, ich habe etwas passendes für dich, junger Louis de Fromage Puant. Ein graziler Degen, der einst auf Umwegen in mein Haus gelangt ist. Ich kann mich schon gar nicht mehr erinnern, aber ich glaube, ich habe ein Weinrebe daran angebunden, die hinter dem Haus wächst. Geh am besten selbst nachsehen, ob ich mich richtig erinnere. Du kannst ihn nehmen, die Rebe ist inzwischen alt genug."
Don Tristan und Juan äußerten sich ähnlich wie Finnegan - auch sie wollten noch eine Weile bei Perchta bleiben, und sie gewährte ihnen den Wunsch.
Schließlich blickte Perchta die Frauen an. "In euch sehe ich etwas Besonderes." eröffnete sie Jelena und Hannah. "Ihr habt euch der Magie geöffnet, die euch umfließt. Es ist gut zu sehen, dass immer noch Menschen wie ihr existieren; auch wenn die Welt die Magie langsam vergisst.
Dies hier ist ein Zufluchtsort der Magie, und solange ich bin, wird auch die Magie in diesem Wald bewahrt sein. Doch irgendwann werde auch ich schwinden, und mit mir die Magie des Waldes. Noch ist es aber nicht so weit."