Werner schlich näher an die offene Tür, doch an den Geräuschen merkte er, dass die Diskussion wohl beendet war. Vorsichtig lugte er in den Raum und sah dort nur noch eine Person: einen gut gekleideten, beleibten Mann, wenn auch nicht von der Körperfülle von Steins und auch etwas jünger als dieser. Werners erste Vermutung war, dass es sich um den Sohn ihres Gastgebers handelte, doch dazu schien er eigentlich etwas zu alt zu sein.
Wer er auch war, er wirkte niedergeschlagen und saß etwas bedröppelt in einem Sessel, ohne der Tür und damit Werner Aufmerksamkeit zu schenken.
Louis drehte in der Zwischenzeit auf und setzte von Stein weiter unter Druck, der irgendwann beruhigend - oder schützend? - die Hände vor sich hielt.
"Doucement, doucement! Gemach, gemach!" entgegnete er dem Montaigner in dessen Heimatsprache. "Nehmen wir einmal an, ich würde Eurer Argumentation folgen. Was erwartet Ihr nun von mir? Soll ich öffentlich Reue bekunden? Das würde den Mob, den Ihr impliziert, ja erst recht auf den Plan rufen. Oder soll ich Euch hier und jetzt schwören, dass ich diesen Spielen in Zukunft den Rücken zuwende? Das würde aber nicht dazu führen, dass sie aufhören, soviel sollte Euch bewusst sein. Denn die Welt zu ändern, das ist weder mir noch Euch noch einer anderen Person möglich."
"Ihr könntet wenigstens Eure Schläger von mir fernhalten!" kam es plötzlich von Ratjoff, der bisher sehr zurückhaltend und ängstlich gewirkt hatte, und dessen Stimme auch jetzt alles andere als fest wirkte. Als er merkte, wie die Blicke der anderen sich auf ihn richteten, stieg ihm die Röte ins Gesicht.
"Was schaut ihr so? Ihr verlasst Freiburg bald wieder, aber ich will hier leben, und keine Angst um mein Leben haben müssen."
Von Stein blickte den Halbfinalisten des gestrigen Turniers entgeistert an, und schien nicht zu verstehen, was der von ihm wollte. Dann hellte sich seine Miene auf und schien sogar ein wenig amüsiert zu sein:
"Meine Schläger? Warum sollte ich Euch etwas antun wollen, Herr Ratjoff? Natürlich wäre es mir lieber gewesen, Ihr hättet das Geschenk angenommen, dass ich Euch beschert habe. Aber wir hatten keine Absprache, daher habt Ihr auch keine gebrochen. Weshalb sollte ich Euch also böse sein?
Was ich von Euch wissen wollte, war nur, welcher meiner Konkurrenten Euch überreden konnte. Und woher er wusste, an wen er sich wenden musste. Hat der Kampfrichter geredet?
War es Bibra? Friesen? Fahrenbach?"
Nun war es an Ratjoff, verwundert zu sein. "Konkurrent? Nein, niemand hat mich bestochen, falls Ihr das annehmt. Als ich merkte, dass die Richter wiederholt klare Fehlentscheidungen zu meinen Gunsten fällten, war mir klar, dass etwas nicht stimmte. Ich gewinne gerne, doch ich bin auch ein Ehrenmann, und wenn ich nicht fair gewinnen kann, dann akzeptiere ich meine Niederlage."
Von Stein nickte nachdenklich. "Offenbar habe ich Euch unterschätzt. Nun gut, dann war es so. Wie gesagt, Ihr müsst Euch keine Sorgen machen. Ich bin vielleicht nicht unfehlbar, doch ich bin kein Unmensch."
Er wandte sich noch einmal Katharina zu. "Was Eure Frage betrifft: Ihr mögt es nicht nachvollziehen können, doch Geld bedeutet mir nicht viel. Das ist sicherlich der Luxus eines Mannes, der mehr davon hat, als er ausgeben kann, und dazu keine Erben. Doch es geht vor allem um den Nervenkitzel, um das Spiel selbst. Die Einsätze sind zweitrangig, doch natürlich geht es immer auch um Einfluss. Und letztendlich geht es um die Bande, die geschaffen werden. Alle, die an einem solchen Spiel beteiligt sind, hüten ein gemeinsames Geheimnis. Das verbindet, und stärkt Bande, die bereits vorhanden sind."