Skorpa verbleibt einige Stunden in ihrem kleinen Gemach, wo sie zunächst an dem eigentlichen Lied arbeitet und es dann übt, unterschiedliche Betonungen ausprobiert und sich am rhythmischen Tropfen des Regenwassers vom Dach des Gasthauses orientiert.
Nachdem sie das neue Werk endgültig fertig gestellt hat, flechtet sie sich den Zopf neu und steigt hinunter in den Schankraum. Zum Auftritt trägt sie natürlich kein Kettenhemd, sondern ein weinrotes Hemd, das perfekt zu ihrem ebenso weinroten Rock passt.
Unten angekommen, stellt die Gnomin fest, dass bereits einige Gäste hinzugekommen sind, darunter ein junger Mensch mit einem schicken Hut.
Schöner Hut, denkt sich die Bardin,
und sein Träger ist auch nicht gerade uninteressant. Für einen Menschen sieht er ganz und gar ansehnlich aus. Aber ganz schön müde und ratlos.Wissend Angos zunickend, und sich der vielen Blicke seitens der zahlreichend Bewunderer ihrer Kunst bewusst, betritt Skorpa die dreieckige Bühne in der Ecke gegenüber der Theke. Sie ist zwar etwas aufgeregt vor dem Auftritt, jedoch solche Situationen bereits gewohnt, sodass sie sich nichts daraus macht und alles so wie geplant, beginnt.
Die Sängerin intoniert melodisch einige Silben und wirft ein kleines Knötchen Leuchtmoos, welches sie zuvor unbemerkt in der Hand gehalten hat, gegen den Deckenbalken direkt über ihr; der Balken strömt daraufhin sanftes, weißes Licht aus, das die Bühne mitsamt der daraufstehenden Gnomin günstig erleuchtet.
Verehrte Gäste! Verehrter Herr Wirt! beginnt sie.
Ihr habt euch sicherlich bereits gefragt, wie oft ich euch noch mit meinen alten Liedern langweilen werde...Aber bitte, Madam Stormurgald! unterbricht ein Gast Skorpa, die leicht schmunzeln muss.
Wir lieben doch Eure Lieder, und würden uns jeden Abend gerne alles anhören was Ihr zu bieten habt, selbst zum tausendsten mal!Nungut, aber ich möchte mich gewiss nicht tausend mal wiederholen, setzt die Bardin unbeirrt fort,
heute, als ich vor der Stadt am Ufer des Mondsees vor mich her sann, hat mir der Regen die Worte eines neuen Liedes zugeraunt. Sie macht eine Kunstpause, um die Spannung zu steigern. Im Schankraum ist es so still geworden, dass man Kellerasseln schleichen hören könnte.
Ich nannte das neue Werk... "Das Geisterschiff!"Beifall ertönt von mehreren Tischen aus, doch Skorpa macht eine beschwichtigende Geste, und klatscht, sobald sich der Lärm legt, in die Hände, worauf, wie vorhin am Strand, ein leiser Donnerschlag ertönt.
Dann beginnt sie mit dem Lied, das wie folgt geht:
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In stürmischen Nächten und bei rauher See,
Wurde es schon oft gesichtet,
Ein schemenhafter Umriss,
Mehr ein Schatten der Gestalt,
Läuft querab zu Küste
Zu den Riffen und macht halt...
Es war in einer Sturmnacht,
Als die Wellen hoch wie Häuser,
Die Glocken schlugen wild Alarm,
Ein Schiff zu dicht ans Ufer kam;
Wir hatten falsches Licht entzündet,
Es zu leiten in die Riffe,
Es zu plündern ohne Gnade,
Wenn es dort sein Ende findet;
Segel rissen, Balken ächzten,
Mast und Schote brachen laut,
Männer schrien lang um Hilfe,
Bis sie sich das Wasser nahm...
Der nächste Morgen lag im Nebel,
Wir am Strand, der Beute wegen,
Doch es war sehr sonderbar,
Kein Schiff, kein Strandgut,
Keine Beute, es lag die See
Nur ruhig da...
In stürmischen Nächten und bei rauher See,
Wurde es schon oft gesichtet,
Ein schemenhafter Umriss,
Mehr ein Schatten der Gestalt,
Läuft querab zu Küste
Zu den Riffen und macht halt...
Dann,
Ein Feuer in der Nacht,
Das Schiff in Flammen - lichterloh!
"Seht - es ist erneut erwacht,
Ein Mahnmal, eine Wanung wohl!"
Es leuchtet hell, es leuchtet weit,
Es ist nicht zu überseh'n,
Und kein and'rer Kapitän
Sah sein Boot seitdem zugrunde geh'n.
Man hört die alten Fischer sagen,
Dass der Schoner seit den Tagen,
Seit der unheilvollen Nacht
So manchem Braven Glück gebracht;
Ich steh da draußen
An den Riffen,
Eine inn're Macht zieht Nacht für Nacht
Mich an den Ort der schlimmen Sühne,
Werde noch lange büßen müssen -
Dem Geisterschiff bald folgen müssen...
In stürmischen Nächten und bei rauher See,
Wurde es schon oft gesichtet,
Ein schemenhafter Umriss,
Mehr ein Schatten der Gestalt,
Läuft querab zu Küste
Zu den Riffen und macht halt...
Dann,
Ein Feuer in der Nacht,
Das Schiff in Flammen - lichterloh!
"Seht - es ist erneut erwacht,
Ein Mahnmal, eine Wanung wohl!"
Es leuchtet hell, es leuchtet weit,
Es ist nicht zu überseh'n,
Und kein and'rer Kapitän
Sah sein Boot seitdem zugrunde geh'n.
Ich steh da draußen
An den Riffen,
Eine inn're Macht zieht Nacht für Nacht
Mich an den Ort der schlimmen Sühne,
Werde noch lange büßen müssen -
Dem Geisterschiff bald folgen müssen...
© Schandmaul, 2004, Album "Wie Pech und Schwefel"
Sobald ihre bezaubernde Stimme verstummt, erfüllt der laute Beifall den Raum. Skorpa verbeugt sich grazil, lässt mit einem Fingerschnippen das magische Licht wieder erlöschen und geht zur Theke, um das Glas Wein an sich zu nehmen, welches ihr der Wirt bereits hingestellt hat.