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Autor Thema: Das liederliche Spiel  (Gelesen 85008 mal)

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Xū Dǎnshí

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Das liederliche Spiel
« Antwort #315 am: 10.12.2011, 22:57:53 »
Danshi stand auf und fasste den betrunkenen Bu Cao fest ins Auge. "Nein, Ihr seid der Höfling, Bu Cao, nicht ich. Auch Ihr spielt nur eine Rolle im himmlischen Theater: Ihr tragt uns Gedichte und Flötenspiel vor und sprecht in Rätseln. Ihr nehmt mich nicht ernst und vergeudet meine kostbare Zeit. Ihr braucht Euch nicht zu wundern, dass ich an Eurem Possenspiel nicht partizipiere. Wenn Ihr noch nicht völlig vom Hof eingenommen seid, wenn Ihr auch keine Erfüllung in unserer Situation seht, dann sagt es jetzt und tragt bei.", sagte er schneidend und drehte dem alten Mann den Rücken. " Doch ich bezweifle es. Ihr habt Euch zu gut mit der Situation arrangiert", fügte er hinzu[1]. Dann wartete er einige Momente auf die Reaktion des alten Mannes, bevor er sich wieder dem Waschraum zuwenden würde.
 1. Bluff: 20 - Danshi will den Höfling reize und aus der Reserve locken.
« Letzte Änderung: 10.12.2011, 22:58:43 von Xū Dǎnshí »

Menthir

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Das liederliche Spiel
« Antwort #316 am: 11.12.2011, 15:46:09 »
05.01.1042 - Tag des Pandas - Früher Morgen

Bu Cao biss sich auf die Lippen, als Xū Dǎnshí ihn weiter bearbeitete mit Worten, welche Bu Cao mehr als beleidigend empfand und so als völligen Affront gegen sich auf nahm, dennoch wich nicht die angetrunkene Note aus seiner Sprache und seinen Bewegungen. "Davon habe ich geredet, Xū Dǎnshí. Ihr seid so dermaßen ein Teil der Kultur, der ihr opponieren wollt, dass ihr verdammt seid, ihr nicht entfliehen zu können. Ihr seid evasiv und versucht eure Unwissenheit durch euer Ausweichen zu überdecken. Ihr lenkt die Aufmerksamkeit stets auf Dinge, die für den Moment nicht von Bedeutung sind. Wir beide wissen, dass wir nicht hier sind, um über den Hof zu diskutieren." Aus seinem Ärmel rutschte etwas, was aussah wie ein improvisiertes Messer. Manche bezeichneten einen solchen Gegenstand als Shiv[1]. Ein Holzstock, welches mit gewachsten Garn umbunden und dessen Spitze mit einer langen, scharfkantigen Muschel besetzt war, entpuppte sich als mögliches Werkzeug der Gewalt. Er umfasste es mit seiner rechten Hand. "Alle lachen sie nur über den alten Bu Cao. Weil er ihren Vorstellungen nicht entspricht und jene, die nicht deswegen über ihn lachen, lachen, weil er eine Marionette des Hofes sein soll. Bu Cao....Ich bin so viel mehr als das, Dǎnshí.", polterte der Betrunkene und fuchtelte probehalber mit seinem Shiv rum. Er bewegte sich in den westlichen Teil des Raumes, und stand zwischen Ausgang und Waschraum und blickte sich mit glasigem Blick zwischen den Gefangenen umher, er hatte jedes Rätsel und jede Floskel fallen lassen. "Ich bin der Tod.", wiederholte er, seine Worte klangen diesmal wie ein unheilvolles Flüstern[2].

Danshi hatte bewusst provoziert und mit vielem gerechnet - auch mit einem Angriff. Doch trotzdem war er überrascht worden von der Schnelligkeit des betrunkenen Bu Cao. Er hatte es mitnichten mit einem geringen Gegner zu tun, das war Danshi klar. Bu Cao war kampfbereit, er hatte sein Shiv gezogen und hielt einen Wurfpfeil in seiner Hand versteckt. Wieder schmückte er sich mit dem Tod - mit Sicherheit waren beide Waffen vergiftet. Und dennoch zögerte er. Ein Umstand, der zeigte, dass es noch die Möglichkeit gab, die Situation neu auszuhandeln.

"Nun, Cu Bao, inwiefern ist es für Euch von Bedeutung, ob ich ein Höfling bin? Legitimiert es Euch mehr oder Weniger einer zu sein, ob ich es bin oder auch nicht? Nein, für Eure eigene Bewertung ist es von keiner Relevanz, ob ich ein Höfling bin. Euer eigenes Handeln ist es, dass Euch erhöht oder erniedrigt. Wie sagt Mengzi? 'Folge dem Großen in Dir und Du wirst groß. Folge dem Kleinen in Dir und Du wirst klein.'"

Danshi verlagerte etwas sein Gewicht und streckte die Hände seitlich von sich weg, sodass die Handflächen zu Cu Bao wiesen. "Ihr habt Euch offen gezeigt und zögert, uns anzugreifen. Ich glaube, dass Ihr wisst, dass es Euch nur Schwächer macht, uns zu töten. Ich nehme Euch jetzt ernst, doch erklärt mir Eure Hintergründe.[3]"

Sūn Ai überraschte der Situationswechsel mehr als Danshi. Allerdings schränkte sie dies nur bedingt in ihrer Handlung ein. Immerhin war sie schon mehrmals in unerwarteten Situationen gewesen und wusste daher damit umzugehen. Zu vor war sie sich nicht sicher, was Bu Cao mit dem Tod meinte, aber der Besuch schien jetzt eine eindeutige Richtung an zu nehmen. Wie aber sollte sie reagieren. Sie war sich selbst unschlüssig. Die Bedrohung auf so engen Raum, machte sie nur noch um so größer. Viele Fragen schossen ihr durch den Kopf. 'Wie fähig zum Kampf war dieser Mann noch? War er der Tod für sie alle? Wen wollte er angreifen? Was würden wohl die Wachen tun? Musste überhaupt gekämpft werden?' Sun Ai stand auf und wich von den anderen leicht weg. Ruhig sprach sie Dabei auf den Bu Cao ein. "Bevor ihr uns tötet, wollt ihr uns nicht vielleicht erstmal den Grund nennen? Vielleicht gibt es ja sogar einen anderen weg.[4]"

"Nun denn Tod, wenn ihr es seit müsstest ihr wissen, dass ihr zu früh seid. Wir sollen einen Mörder unter uns ausfindig machen, aber wie es scheint ist nun ein Mörder unter uns. Seid wann lässt sich der Tod von Streitigkeiten reizen?"[5] fragte Lu Chieng der unwillkürlich einen Schritt nach hinten machte. Sein Griff ging wie von selbst an seine Hüfte, wo normalerweise ein verzierter Dolch hing: "Mist." fluchte er innerlich.

Mako war leicht überrascht, dass Bu Cao so empfindlich auf die Provokation reagierte. Wenn seine Mitgefangenen mit Worten nicht weiterkämen, würde es gefährlich werden, Bu Cao war nicht zu unterschätzen.
Der Barde spielte die einfache Melodie von vorhin erneut an, machte sie aber etwas komplexer und nicht ganz so gefällig. Wenn Bu Cao tatsächlich in den Angriff überging, würde Mako handeln.
 1. Shiv
 2. Weiter gehts im Herausforderungsthread!
 3. Diplomatie 25
 4. Diplomatie 19
 5. Diplomatie 22
« Letzte Änderung: 13.12.2011, 14:33:13 von Menthir »
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Menthir

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Das liederliche Spiel
« Antwort #317 am: 13.12.2011, 14:34:25 »
05.01.1042 - Tag des Pandas - Früher Morgen

"Mich einen einfachen Mörder zu nennen, das mag euch Selbstzufriedenheit geben. Aber war es denn nicht absehbar, dass der Tod seinem Werk nachkommen muss, wenn die Denunzianten, wie sie auch genannt werden, ihrer Selbstverteidigungspflicht nicht nachkommen?", säuselte der alte Mann trunken und blickte in die Richtung von Lu Chieng. "Spart euch euren Spott, Lu Chieng, Maskenmann. Ich brauche euren Spott nicht. Ihr seid auch nicht besser als alle anderen. Aber das ist doch sowas von normal. Jeder verdrängt den Tod und veralbert ihn, so er sich voll des Lebens wähnt, nicht merkend, dass der Tod immer jener ist, der die Tür zum Schluss zumacht." Sein unsteter Blick musterte die einzige Frau im Gewahrsam. "Denunzianten. Habt ihr über dieses Wort überhaupt einmal nachgedacht? Habt ihr nur einen Gedanken daran verloren, warum man euch so nennt? Ich wette, dass nicht." Er lachte bitter auf und wich einen Schritt zurück, so sehr schüttelte ihn das Lachen. "Welch Witz dies alles doch ist. Der Tod mag darüber lachen, doch sein Urteil ist rechtskräftig. Der Tod braucht nur einen Grund, Sūn Ai. Er muss nur sehen, dass die Sanduhr des Lebens einer Person abgelaufen ist und dann holt er das Netz hervor und sammelt dessen Seele, ehe der Dieb oder der Kalte erscheint.[1]"

Erst dann blickte er Xū Dǎnshí an, und lächelte dumpf. War es eine Drohung? Es war schwer einzuschätzen. "Mich schwächer? Mich stärker? Was interessiert mich das, Xū. Als wäre der Einzelne von derselben Bedeutung wie das Ganze. Er gehört ihm untergeordnet. Der Tod ist nur ein Aspekt des Lebens, was juckt es ihn da, ob er Herr oder Knecht ist, wenn er erkannt hat, dass er nie mehr und nie weniger als ein Teil sein kann. Ich lasse euch sprechen, ich würde euch sogar eine Henkersmahlzeit vorsetzen, wenn ihr wolltet. Denn meine Hintergründe sind nicht von Bedeutung. Was mich bewegt und dazu bringt, ist unwichtig. Was ihr als Einzelner fühlt oder nicht, das ist nur für euch und für die euch Nächsten von Bedeutung, aber nicht für das Reich. Eure Gedanken haben ihre Performanz in jenem Moment verloren, in dem ihr ein Denunziant geworden seid. Aber beruhigt euch, alter Mann, eure Sanduhr läuft nicht an diesem Tag aus. Aber einem anderen mag dämmern, warum der Tod hier ist. Dem größten aller Denunzianten von euch gilt diese Ehre." Sein Blick gewann nicht an Klarheit, seine Bewegungen gewannen nicht an Stabilität. War er einfach nur ein Betrunkener, ein Wahnsinniger oder meinte er dies alles gar ernst?

Von der Fäkalgrube noch immer geschwächt verlor Hong die Geduld mit dem Verrückten. "Der Tod war schon hier. Zwei mal. Heute hat er nur einen Blick hineingeworfen. Euer Gestank hat ihn wohl vertrieben, denn vor kurzem habe ich ihn erblickt. Jetzt ist er nicht hier." Verachtung drängte sich auf Hongs Gesicht. "Ihr habt nur den roten Schleier von Raiva in den trunkenen Augen. Doch die Nacht ist vorbei und so auch ihr Griff um den Verstand. Da der Tod hier tatsächlich vorbei kam, können wir euch ein Bett anbieten, indem ihr euch ausnüchtern könnt. Legt eure Werkzeuge weg und geht schlafen! Vergesst nicht, wir sind die Denunzianten und entscheiden wen wir als Schuldig sehen. Die Reime, das Auftreten, die Aussagen. Stirnrunzelnt überlegte Hong, ob der Tod den Narren mimen wollte und in so beschuldigen will. Wenn ihr uns vortragen wollt, dass Shǎzi schuldig ist, dann macht das mit klaren Worten und klarem Kopf. Unsere Gedanken haben im Gegenteil an Perfomanz gewonnen. Wir benennen den Schuldigen am Tod des Kaisers. Der Richter entscheidet über unser Urteil." Doch das Hagere ausgemergelte Gesicht. Hong dachte sich innerlich weisse Schminke drauf. Konnte es sein, dass der Narr als normaler Mensch verkleidet vor ihm stand?
Hong's Augen weiteten sich. Seine Lippen formten ein tonloses "Shǎzi". Anklagend hebt Hong die Hand und richtet den Zeigefinger auf Bu Cao. "Der Narr! Er nennt sich Tod, weil er denkt den Kaiser umgebracht zu haben! Er denunziert sich selbst." Der Blickt huscht auf das Shiv und den Wurfpfeil in der Hand. Keine weitere Zhào Làn, kein weiterer Oda Zektau. Raschen Schrittes bewegt Hong sich auf den Narren zu um ihm die Instrumente des Todes zu entreissen sollte er versuchen sich etwas anzutun.

"Nun wer jemanden Anderem das Leben nimmt den nennen wir Mörder oder Soldat." bei diesem Gedanken grinste Lu Chieng breit. "Und den Mörder der jedes Leben beendet Tod. Wenn der Tod sich durch menschliche Maßstäbe angegriffen fühlt war dies nicht meine Absicht." Lu Chieng hob beschwichtigend die Hände[2].

Danshi zog vor Erstaunen die Augenbrauen nach oben und betrachtete noch einmal genauer den gedungenen Mörder. Die kühne Vermutung Hongsans löste geradezu eine Kaskade von Spekulationen in Danshi aus. Doch da waren noch zu viele Unbekannten, um eine Vermutung auch auszusprechen - sicher war nur, dass sie getäuscht wurden. "In diesem Spiel - es geht doch gar nicht darum, den Mörder des Kaisers zu finden. Warum also erscheint 'der Tod'? Wenn will er aus dem Spiel entfernen? Die Enttäuschung oder den, der alles auffliegen lässt?", sprach Danshi aus und erwartete, wie der Greis auf Hongsans Anschuldigung reagieren mochte.

Sūn Ai war erleichtert, dass Bu Cao nicht zum Angriff übergegangen ist. Kurz verarbeitet sie die Worte von Allen. Die Anschuldigungen von Hong klangen sehr interessant ihrer Meinung nach und sie war gespannt, wie der Betrunkene darauf reagieren würde. Dennoch war für sie die unmittelbare Gefahr nicht gebannt. Hastig schaute sie durch den Raum. Wer war der größte in der Runde und blieb bei Lu Chieng hängen. 'Kann man den Worten des Todes vertrauen? Oder handelte es sich wieder nur um ein Bild?' Ai war sich nicht sicher, ob Bu Cao es wirklich auf Lu Chieng abgesehen hatte, aber sie fühlte sich selbst etwas sicherer immerhin.
 1. 
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 2. Diplomatie 20
« Letzte Änderung: 18.12.2011, 15:55:45 von Menthir »
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Menthir

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Das liederliche Spiel
« Antwort #318 am: 18.12.2011, 16:53:37 »
05.01.1042 - Tag des Pandas - Früher Morgen

Der betrunkene Mann zog eine Schnute, als Hong Gil-Dong auf ihn zu ging, augenscheinlich in der Absicht Bu Cao zu entwaffnen. Kurz blitzte Häme im Blick des Betrunkenen auf, als er über die Schulter des herannahenden Hongs die anderen Denunzianten betrachtete, dann wich die Häme Bitterkeit und bevor Hong ihn erreichte, ließ er Wurfpfeil und Shiv fallen. Fast tonlos landeten sie auf dem Teppich. Das Seufzen des Flüsterns war lang und ausgedehnt. "Ich...bin...überrascht.", sagte der betrunkene Mann deutlich verwundert und erstaunt. Bu Cao blickte fast beschämt auf den Boden. "Seit...seit knapp fünf Jahren. Seit fünf langen Jahren spiele ich dieses Spiel. Kämpfe gegen diesen verdammten Fluch. Seit fünf Jahren versuche ich allen den Mörder zu zeigen. Soll es so sein? Ich...ich spüre keine Ketten mehr. Ich...spüre keine Bürde, keine Maske mehr." Die glasigen Augen des alten Mannes waren nun nicht nur vom Alkohol glasig, es schien sogar so als würden sich Tränen in seine Augen mischen. Er zitterte jetzt am ganzen Körper und ließ sich neben seinen vergifteten Waffen nieder. "Ich habe heute morgen das erste Mal geweint. Man weint nicht, weil man das Gesicht nicht verlieren darf, das sind die Regeln unserer Kultur. Als ich weinen sollte, habe ich es verweigert und ich bekam ein neues Gesicht. Heute morgen, diesen Morgen, diesen wundervollen Morgen, gewann ich mein Gesicht zurück, weil ich weinte. Was bedeutet das?
Er sackte weiter zu Boden, ließ die Knie angewickelt, setzte die Füße flach ab und ließ sich auf dem Rücken fallen, die Tränen liefen jetzt frei an ihm herab. "Ich weiß, was es bedeutet. Ich weiß es! Das erste Mal seit dem schicksalsschwangeren Tag, das erste Mal seit diesem Tag, das alle erste Mal seit diesem Tag aller Tage erwachte ich ohne Maske. Ich wusste, dass dies eine Bedeutung haben musste. Deswegen kam ich gleich zu euch, auch wenn ich keine Hoffnung hatte. Selbst jetzt kann ich es kaum begreifen. Ich kann es kaum fassen, ich will es irgendwie auch nicht fassen und doch ist es geschehen. Einfach geschehen."
Er weinte jetzt überschwänglich und ließ seinen Emotionen freien Lauf, schwer gezeichnet murmelte er zwischendrin immer wieder weiter.
"Ich...seit dem Jahr des Gläsernen Drachen[1]...trug ich diese Maske und den Fluch des Gläsernen Drachen. Seitdem trug ich die Maske, die Maske, welche alle an diesem Hof Shǎzi nannten. Ich bin nicht der erste Shǎzi, aber der Letzte. Ich habe den Fluch des Gläsernen Drachen besiegt." Es fiel Bu Cao äußerst schwer, klare Gedanken zu fassen und klare Worte für das zu finden, was er gerade erlebte. Er weinte sich aus. Zehn Minuten oder eine Stunde mochte vergangen sein, in der er nur fortwährend und so stark weinte, vor Glück, vor Trauer, vor Beschämung, vor Hochgefühl. Alle Denunzianten konnten sich in dieser Zeit kaum von diesem Anblick lösen, so bannend war sein hemmungsloses Weinen. "Und das am Tag des Pandas!", schrie er auf einmal auf. Rotz und Tränen liefen ihm aus der Nase. Er lachte dabei. "Der Tag, der Tapferkeit bedeutet. Und tapfer seid ihr gewesen und nicht so tollpatschig, wie alle anderen, die an eurer Stelle standen. Ihr ward wahre Pandas, ihr seid wahre Pandas!"
Er stand wieder auf, und seine Tränen liefen weiter.
"Sechsunddreißig Wochen hat ein Jahr, der Fluch wirkte auf mir seit dem ersten Tag des gleichnamigen Jahres. Bis zum heutigen Tag sind einhundertachtzig Wochen vergangen. Jede Woche musste ich dieses Spiel aufs Neue führen. Ich suchte die ganze Woche nach intelligenten Wesen, die eine Verbindung zum Kaiserhof hatten. Ich suchte die ganze Woche danach, während alle des Hofes rauszufinden versuchten, was mit dem Kaiser passiert war. Ich wusste, was mit dem Kaiser passiert war, aber das war der Fluch! Der gläserne Fluch ist ein Fluch der Klarheit. Man weiß alles, doch man kann es nicht sagen! MAN KANN ES NICHT SAGEN!" Seine lachenden Worte gingen in Schmerzens- und Wutschreie über. "Man kann nicht, ehe er gebrochen ist, sagen: ICH WEIß ES! ICH WAR ES! ICH HABE DEN KAISER BENEIDET UND GEFÜRCHTET! ICH HABE IHN GETÖTET! ICH WOLLTE DEN GARTEN! ICH WOLLTE DAS REICH DAMIT RETTEN!" Er weinte wieder hemmungsloser, er versuchte sich zu sammeln, zu diszilinieren. Er schlug sich in die Magengegend, und ging in die Knie. Er drückte die Tränen weg, um zu sprechen. "Das war der Fluch. Er verfluchte mich und ließ mich die Klarheit spüren. Jeden Tag wusste ich um meine Tat, jeden Tag musste ich damit leben, dass ich es keinem Sagen konnte und dieser Narr wurde. Shǎzi heißt er. Es hat viele Narren gegeben. Jeder, der in den Bann des gläsernen Drachen gelang, wurde zu Shǎzi. Jeder Shǎzi ist der Inbegriff von Qi. Qi ist der gläserner Drache, der sich aus sich selbst ernährt. Ich wollte das Reich retten, deswegen.... deswegen musste Chuang Di sterben, aber es war eine Falle! Eine Falle des gläsernen Drachen, der sich aus sich selbst ernährt. Als der Kaiser gestorben war, erschien mir Qi, nannte mir seine Prophezeiung und setzte mir eine Maske auf. Ich konnte diese Maske nicht mehr abnehmen, ich war ein Shǎzi[2]. Der Fluch ließ mich die Wahrheit nicht aussprechen, nachdem ich gelernt hatte, welche Konsequenzen mein Handeln hat, welch Konsequenzen mein Handeln hat. Deswegen verschwand Bu Cao vor fünf Jahren vom Hof, als der Kaiser tot war, denn es gab Bu Cao bis heute Morgen nicht mehr, es gab nur noch Shǎzi. Und da ich wusste, was passieren würde, wusste Qi, dass ich es verhindern wollte. Deswegen konnte ich nicht sagen: Ich war es, der Chuang Di mit dem Schal seiner Lieblingskonkubine erdrosselte. Ich konnte es nicht sagen, bevor mein Rätsel nicht gelöst war. Der Narr, Shǎzi, Bu Cao, ich, ich begann Spiele zu spielen. Jede Woche lud ich Männer und Frauen, die leichte oder schwere Straftaten gegangen hatte, welche eine Geschichte mit dem Hof hatten, an diesen Hof. Ich klagte sie alle des Kaisermordes an und spielte Spiele, die ihnen zeigen sollten, dass ich der Mörder war. Aber ich konnte es nicht sagen, ich konnte nur indirekte Hinweise geben, deswegen mussten sie als Mörder angeklagt und gleichzeitig Denunzianten sein. Keiner dachte darüber nach und doch hoffte ich, dass ihr Lebenserhaltungstrieb ihren Geist öffnete; niemand schaffte es bis hierhin. Aber ihr habt es erkannt. Jede Woche gab es sieben Gefangene, die zehn Tage Zeit hatten, denn mehr ließ der Hof nicht zu. Der Hof, se waren meine Spiele leid, alle am Hof, aber sie konnten mich auch nicht töten, denn solange der Fluch lastete, war ich nicht zu töten. Und so versuchten sie, und bekamen Angst, als ich nicht starb, trotz ihrer Messer, trotz ihrer Beile, trotz ihres Feuers, ihrer Säure und ihren Niedertracht und da Shǎzi nicht starb, bekamen sie Angst und spielten dieses Spiel mit. So waren es jede Woche sieben Gefangene, es waren einhundertachtzig Wochen und diese angebrochene Woche. Das sind tausendzweihundertsechzig Männer und Frauen, die hier starben, weil sie nicht sahen, weil ich ihnen keine Klarheit verschaffen konnte. Jetzt mit dieser Woche sind es tausendzweihundertzweiundsechzig Männer und Frauen, die gestorben sind, welche jener, welcher Klarheit hatte, diese nicht vermitteln konnte. Die anderen Gefangenen versuchten zu fliehen und wurde erschlagen, sie versuchten andere zu beschuldigen, aber lösten dadurch den Fall nicht. Selbst jene, die sich für andere opferten, auch wenn es davon nur drei gab, hatten ihr Opfer völlig umsonst getan, weil sie nicht die Klarheit hatten, die ich hatte. Und nun, am 1805. Tag nach dem Mord an dem Kaiser, habt ihr es endlich erkannt..." Er stockte und zählte nochmal nach, wie viele Wesen für möglichen Kaisermord hingerichtet worden waren. "Wie viele Männer und Frauen mussten dafür sterben, für eine Klarheit, die was genau bringt?" Ihm dämmerte scheinbar ein neuer Fehler. "Sagt mir, dass das Finden der Klarheit mir etwas bringt!", seine Stimme wurde urplötzlich flehend. "Sagt mir, dass ich nicht wieder ein Shǎzi war!"

Er ließ sich wieder auf den Rücken sinken und weinte jetzt nicht mehr erfreut und erleichtert, sondern verbittert und niedergeschlagen. Es war augenscheinlich, dass Bu Cao ein gebrochener Mann war. "Ich...das Reich wird fallen. Qi zeigte mir, dass mein Mord am Kaiser das Reich in die Knie gezwungen habe und jeder Tag, an dem es keinen Nachfolger gab, der Mord nicht geklärt war, der Körper des Kaisers nicht gefunden war, sein Ableben dadurch nicht gesichert war, würde dem Selbstverschlinger helfen, dass Reich zu brechen.", flüsterte er nun. "Das kann ich nicht mehr verhindern. Aber der gläserne Drache, es muss verhindert werden, dass der Drache, der sich aus sich selbst ernährt, den Garten gewinnt. Dann werden wir alle Shǎzis. Dann...werden...wir...alle...Shǎzis! Wir müssen...", seine Stimme wurde leiser, als würde sie etwas lähmen. Die Tränen übermannten ihn wieder. "Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht mehr. Ich habe alle Klarheit verloren. Ich sehe nicht mehr, was zu tun wäre. Ich weiß es nicht mehr!", flüsterte er aufgeregt und bedrückt. "Was muss getan werden? Eben wusste ich, dass ich als Tod kommen musste, um mich selbst zu bedrohen, in der Hoffnung, dass es die Augen öffnete. Ich weiß nicht, ob das der Auslöser war, aber ich wusste, dass ich es tun musste. Ich wusste es! Aber jetzt weiß ich nichts mehr, die Unendlichkeit der Möglichkeiten, sie zerdrückt meine Orientierung, meinen Willen, mein zielgerichtetes Denken. Ich habe immer nur an eine Lösung gedacht, wie ich die Klarheit äußern kann und jetzt...ist SIE WEG!"
Er begann wieder zu weinen. "Ich kann nicht mehr...Ich kann nicht mehr..." Diese Worte murmelte er wieder und wieder...
 1. Das ist das Jahr 1037
 2. Shǎzi bedeutet nichts anderes als Narr in Form von Dummkopf und Tor.
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Xū Dǎnshí

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Das liederliche Spiel
« Antwort #319 am: 20.12.2011, 11:03:17 »
Danshi nahm den Wurfpfeil und das Shiv auf und drehte dem weinenden Narr den Rücken, um einige Schritte in den Raum zu tun. Die Selbstbeschuldigungen und die Frage nach dem Sinn hallten in Danshi wieder. "Mu!"[1], murmelte er, zuckte mit den Schultern und drehte sich wieder zu dem Mann.

Er betrachtete ihn und da war nur Erstaunen über das, was er gesagt hatte, doch für die Gestalt hatte er keine Wut, kein Ekel und auch kein Bedauern.

Er selbst fühlte keine Erleichterung, keine Dankbarkeit und keine Freude.

Für ihn war der Raum mit einem Mal für alle vor lauter Möglichkeiten offen und daher leer. Er spürte kein Bedürfnis, sich weiter für das Geschehen einzusetzen, wie es auch schon davor gewesen war.

Er war wehmütig und müde und wollte nur nach Hause zurückkehren.

Allenfalls nur damit jemand etwas sagte, fragte er: "So viele Spiele - und doch: Dieses muss besonders gewesen sein und alle wußten das von Anfang an, oder? Obgleich möglich, erscheint es mir unwahrscheinlich, dass nach so langer Zeit noch die Emotionen hochkochen, jede Woche der Kaiser des Ostens aus dem Krieg heimkehrt und jede Woche Tŭsama den Denunzianten erscheint. Etwas steht unmittelbar bevor, nicht wahr?"

Danshi dachte für einen Moment nach. Er hatte wirklich nur noch das Bedürfnis heimzukehren - zu den Menschen und dem Land, die er liebte[2]. Ihm fiel eine Aphorismus von einem Gelehrten am Hofe ein: "Jede Bewegung die ein Mensch macht, ist letztlich darauf ausgerichtet, nach Hause zu gehen."[3].

Und doch war er Teil dieser Welt und trug Verantwortung für sie.

Schweren Mutes fasste sich Danshi ein Herz und sagte traurig: "Ich will mit dem gläsernen Drachen sprechen. Wo ist er?"
 1. Mu
 2. Wenn Ihr einen Eindruck von der Stimmung in Danshi bekommen wollt: Wir sind Helden - Bring mich nach Hause
 3. Sinngemäß und ich weiß den Urheber nicht.
« Letzte Änderung: 20.12.2011, 11:11:43 von Xū Dǎnshí »

Lu Chieng

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Das liederliche Spiel
« Antwort #320 am: 22.12.2011, 11:14:00 »
"Ist der Tod ein Narr oder ein Narr der Tod?" murmelt Lu Chieng vor sich hin.  Es schien eher so als wäre ein Narr der Tod von mehr als tausend Menschen und diese Scharade weswegen?

"Was bedeutet nicht der erste Shǎzi?" fragte er verwirrt. "Es gab schon vor dir Verfluchte?" Die Situation schien Lu Chieng zu überfordern. Er machte einen Schritt nach hinten und lehnte sich an der Wand an. Sein Blick ging starr an die gegenüberliegende Wand: "Wer hat die Macht einen solchen Fluch auszusprechen und das Leben tausender zu gefährden?" murmelte er vor sich hin. Über eine nahezu unendlich große Anzahl an Fragen schien er nicht hinaus zu kommen.

"Was wollte ein Narr mit dem Garten erreichen, dass ein himmlischer Herrscher nicht schaffte?"
« Letzte Änderung: 24.12.2011, 19:59:51 von Menthir »
"Furchtlosigkeit ist die Tugend der Narren. Sie entsteht nicht aus Mut, sondern aus mangelnder Vorstellungskraft. Der Weise fürchtet sich und lässt sich trotzdem nicht von seinem Weg abbringen. Er wird nur vorsichtig."

Mako Jinsei

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Das liederliche Spiel
« Antwort #321 am: 22.12.2011, 17:24:40 »
Nach Hongs Anschuldigung hörte Mako augenblicklich zu spielen auf. Als er die Reaktion Bu Caos sah wusste er, dass es zu keinem Kampf kommen würde.
Bu Cao ist der Narr und der Narr ist der Mörder? Wenn man die Lücken schließt könnte es tatsächlich Sinn ergeben.
Aber wie konnten alle Prinzen und die anderen Gäste so überzeugend spielen. Was ist die letzten Jahre hinter diesen Mauern geschehen?

Verschiedene Gedanken gingen Mako durch den Kopf. Er legte die Yueqin bei Seite. Jetzt war nicht die Zeit für Musik.
Sie hatten das Rätsel zum großen Teil gelöst. Aber noch fehlten die Antworten auf Xus Fragen.
"An einem edlen Pferd schätzt man nicht seine Kraft, sondern seinen Charakter." -Konfuzius

Hong Gil-dong

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Das liederliche Spiel
« Antwort #322 am: 22.12.2011, 20:20:38 »
Hongs Mitleid mit dem Haufen Elend vor seinen Füssen wandelte sich in Wut. "Eintausendzweihundertsechzig. Pah!" Er spuckte auf den liegenden Bu Cao. "Du Mörder hast so viele getötet, dass du sie nicht zählen kannst. Was kümmerte dich der Tod von Zhào Làn. Eintausendzweihunderteinundsechzig. Was schert dich das Ableben von Oda Zektau. Eintausendzweihunderzweiundsechzig. Was hätten dich unser Tod gekümmert? Nur so viel, wie es dir zur Klarheit verhelfen soll. Pha!" Aus dem Mund entfloh ein Schauer von feinen Tröpfchen der Verachtung, die Hong im Herzen gegenüber der Gestalt trug.
"Du bist ein Wesen von Menthir[1]. Von Anfang an strebtest du nach Macht, getrieben von Neid, so konnte dir der Gläserne seine Maske aufzwingen, denn du warst schon die Täuschung. Schon immer ein Shǎzi. Du bist in die Fänge von Qi gelaufen. Dem gläsernen Drachen. Dem der sich von sich selbst ernährt. Dem Urintrinker. Dem Ourouboros. Niemand soll den Garten besitzen. Nimmermehr. "zitierte Hong die Prophezeihung. "Du konntest ihn nich für dich beanspruchen. Zu Glas wurdest du und bist daran wie Glas zerbrochen.[2] Auch du dachtest mehr an dich. An das Reich. Nicht an den Kontinent.
Hong wandte sich zu Xū Dǎnshí zurück. Merkt euch meine Worte Xū. Vor uns liegt einer der aus langjähriger Gewohnheit lügt und mordet. Glaubt ihm nicht zu viel. Erinnert euch viel lieber an die Forderung von Erde. Fragt nach dem Schlüssel. Erlangt Bedeutung.[3] Dann werdet ihr auch Qi sprechen. Doch euer Verlangen ist nicht das des Kaisers, nicht das Bu Caos. Tŭsama kam nur zu uns. Weil wir den Garten nicht begehren.
 1. Hong meint diesen Menthir, auch wenn dieser hier zutreffender ist
 2. 
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 3. 
« Letzte Änderung: 22.12.2011, 20:37:56 von Hong Gil-dong »
Bitterer Tee, mit Wohlwollen dargeboten, schmeckt süßer als Tee, den man mit saurer Miene reicht.

Menthir

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Das liederliche Spiel
« Antwort #323 am: 24.12.2011, 20:20:54 »
05.01.1042 - Tag des Pandas - Früher Morgen

Hongs Worte stachen wie ein Messer zu. Er war immer ein Shǎzi gewesen, just in diesem Moment war er immer noch ein Shǎzi und wahrscheinlich war es sein Schicksal, immer ein Shǎzi zu bleiben. Es war das Unausweichliche, das Unvermeidbare, das Unabwendbare in seinem Sein. Und wohl mochte er tatsächlich ein Wesen Menthirs sein, denn was passte mehr? Das Symbol, welches man mit dem Gott der Intrigen verband, war der schwarze Baum mit den purpurnen Früchten. Die Verlockung, welcher kaum jemand widerstand, führte zur Erkenntnis, eine sehr bittere Erkenntnis[1], welche einem die eigene Fehlbarkeit und Dummheit vor Augen hielt. Und nun war es eben jener Baum, in Form eines Gartens, welcher seine Frucht, die Macht über einen Kontinent zu besitzen, anbot und Shǎzis Erkenntnis war eine bittere gewesen. Er erkannte, dass seine Dummheit unausweichlich war. Jedes Attribut, welches man ihm zuschrieben, war eine Farce, welche seine Hybris[2] nur nährte. Jeder sprach vom Narr als wäre er ein Weiser, als wäre er ein Wesen durchdrungen vom Geiste der Genialität und doch war der Geist, der ihn durchdrang - jeder Gefangene roch dies - lediglich Alkohol. Dieses scheinbar undurchschaubare Spiel entpuppte sich in jenem Moment, in dem Hong Gil-dong feststellte, was Bu Cao, der Shǎzi, getan hatte, als so große Narretei, die eines Shǎzi mehr als würdig war. Diese Erkenntnis war der Geschmack der purpurnen Frucht, welche Bu Cao empfangen hatte. Ja, wahrscheinlich hatte er Zugang zum Garten erhalten, aber vielleicht war er schon in dem Versuch, ihn zu erreichen, zerbrochen. Wer wusste, wie unbarmherzig der Garten oder Menthir[3] war?

Shǎzis Tränen versiegten langsam, seine Seufzen und Heulen ließ in gleicher Weise nach, schwarzgallig wurde er und still. Er blieb ermattet auf dem Teppich liegen, sein Gesicht verweint. Die Emotionen waren durch den Alkohol noch hemmungsloser hervorgebrochen, nur langsam fand er zurück in eine Stille. War es eine neue Maske oder nur die entwaffnete Gleichgültigkeit eines Verurteilten? Er ließ die Worte über sie ergehen, er konnte nichts mehr daran ändern. Die Geschmack der Erkenntnis lag noch immer bitter in seinem Mund. Langsam begann er zu sprechen, seine Stimme klang kraftlos, zermatert. "Nicht jede Woche erschien jeder Kaisersohn. Ob wer erschien, das lag an der Bedeutung der Gefangenen und welche Hoffnungen man an die Gefangenen stellte. Ich hatte sie alle von Hand ausgewählt, aber das reichte nicht, um immer alle an jeden Gefangenen zu binden. Wenn einer der Kaisersöhne zu seiner Armee musste, ging er zu seiner Armee. Manche waren das erste Mal seit einem Jahr wieder bei einem Gefangenen. Auch sprecht ihr von der Prophezeiung? Ich kenne keinen, der sie auch kennt, außer meiner Person. Nein, nicht immer war unter allen Gefangenen alles gleich und nun ihr wart am Ende die Denunzianten." Seine Stimme blieb gedrückt. "Aber ja, es steht etwas bevor. Das Reich liegt in Agonie darnieder und wartet auf den Todesstoß. Der Gläserne Drache wird demnach nicht mit euch sprechen, wie Hong Gil-dong es beschrieben hat. Aber auch die Erde hat zu euch gesprochen?" Etwas Neid war in seinen letzten Worten zu hören. "Dies ist ein Hort der Erde, ein Inkarnationspunkt.", säuselte er fast vor Bewunderung und fuhr mit einer Hand über den kalten Marmorboden. "Eine Zauberformel liegt auf diesem Gemäuer, und wer sie erkennt und versteht, der wird Erde Aug in Aug gegenübertreten können, heißt es. Ich habe sie nicht gefunden, ich habe sie nicht verstanden.", musste er aber niedergeschlagen zugeben.
Nur kurz währte sein Exkurs, ehe er sich wieder den Erkenntnissen der Denunzianten stellte. Er atmete schwer, blieb liegen und schaute nicht einmal in die Nähe der Gefangenen. Er starrte an die Decke.
"Qi hat keine Armeen, die Chuang zerstören. Er hat mich als Waffe benutzt. Das Letzte, was ich halte, das ist der Schlüssel zum Garten." Eine schwere Pause, doch Bu Cao regte sich nicht weiter. "Es ist nicht das Blut, welches der Schlüssel der Kaiser war. Es war ihr Blut, welches einen den Garten erkennen ließ. Ihr Blut half ihnen verstehen, doch um in den Garten zu gelangen, dazu bedurfte es einen Schlüssel. Es half nicht zu wissen, wo der Garten war, denn der Garten ist nirgends und überall. Es half nicht zu verstehen, welche Bedeutung der Garten haben könnte."
Er richtete sich auf, noch immer standen Tränen in seinen Augen, aber er hatte sich unter Kontrolle.
"Jeder Kaiser Chuangs braucht Chuangs Herz. Das Herz ist der Schlüssel." Bu Cao hatte blitzschnell ein Amulett gezogen. Das Amulett hatte die grobe Form eines Herzen und war aus einer tiefschwarzen Schuppe gefertigt. Nur leicht waren die rituellen Skarifizierungen auf der handtellergroßen Schuppe zu erkennen. War dies etwa eine Drachenschuppe? "Nur wer dieses Herz besitzt, kann Kaiser Chuangs sein, denn das Kaisertum Chuangs ist nicht nur an das Blut, sondern an das Herz gebunden. Solange die Kaisersöhne nicht wussten, wo der Leib des toten Kaisers war, solange konnten sie das Herz nicht haben. Solange keiner das Herz hatte, konnte keiner Kaiser sein. Sie konnten ein Imitat herstellen lassen, doch es war nicht dasselbe, es hätte keiner der anderen Söhne anerkannt. Er hätte ein Geschenk des Gartens schenken müssen, um die Wahrheit zu sagen. Ich..."
Bu Cao hustete und wischte sich den Rotz aus dem Gesicht.
"Ich wusste, dass die Kaisersöhne erst Krieg gegeneinander führen würden, wenn sie dies hier finden würden. Sie konnten es nicht finden, weil sie den Kaiser nicht fanden. Sie hatten nicht geahnt, dass ich das Herz Chuangs trug. Und doch hatte ich nicht das Blut. Ich...habe gar mir das Blut besorgt, aber es war nicht mein Blut. Es half nichts...", spuckte er niedergeschlagen aus.
"Chuang lebte weiter, wenn ein Kaiser dieses Amulett an einen Sohn gab. Ich habe diesen...Fortgang...diesen Fluss umgeleitet und es..." Es war, als fiel es ihm schwer, das, was er dachte, auszusprechen.
"Der Tod holte den alten und geliebten Kaiser,
der Mörder war leider nur halb ein Weiser,
war er zwar in der Lage, mit Taten zu lügen,
so konnte er nicht alles und jeden betrügen,

Zwar konnte dieser Schuft sich verdrücken,
sich zwischen viele hängende Hälse bücken,
doch entkam er dem Himmel nicht ganz und gar,
wird sich nun hoffentlich der Gefahr gewahr,
dass er nun sitzt mit jenen, die nur Kleines taten,
und alsbald nun auf ihre Freiheit warten.

So ist es aller Aufgabe gemein,
zu finden das list'ge Schwein.
Doch die Zeit will einem die längsten Beine machen,
der General euren Kopf am Tag des Drachen,
darum flehe ich euch bitterlich,
findet den Mörder nicht nur für mich,
sondern rettet auch euch, die unschuldig sind,
und führt zur Schlachtbank das kranke Rind."

Er zitterte. "Es ist an mich gebunden. Ich kann es nicht weitergeben. Ich will...es...kann nicht.", sagte er unter Schmerzen. "Ich habe es an mich gebunden, an mein Leben gebunden, damit kein Kaisersohn es...es mir nehmen kann! Seht, als Shǎzi konnte nicht sterben, also band ich es an mein Leben. Solange nicht nicht sterben konnte, konnte ich das Amulett nicht verlieren. Der Garten war mein, so dachte ich, doch war nur der Zugang der meine, der Garten....er entzog sich mir. Er entzieht sich mir. Ich...habe...mein...Reich...zerstör...t"
Seine Lippen bebten wieder, Tränen rannen wieder wild über sein Gesicht. Er blickte zwischen allen Denunzianten hin und her und schaffte es doch nicht auch nur einem Blick zu begegnen, bis auf Lu Chiengs.
"Qi hat die Macht, Qi ist der Gläserne Drache, welche die Alben Ouroboros nennen. Er hat unendliche Macht, so scheint es, wenn man nur ein Mensch ist. Er hat viele in Chuang verflucht. Seid er in den Kirsch- und Pfirsichgärten die Uneinigkeit zu strafen schwor, ließ der Augenlose, der stets auf sich selbst schwor, Männer aus Chuang zu Shǎzis werden. Jede Generation hatte ihren Shǎzi, der am Hof diente. Ein Fluch, welches ein Mahnmal für den bevorstehenden Untergang sein sollte. Ein Flucht, der vergessen wurde und ein Hofamt wurde, hinter dem niemand mehr den Untergang erwartete. Nicht einmal ich, als ich vor fünf Jahren ein Shǎzi im Amt wurde, und wohl schon vorher einer war..."
Er blickte auf das Shiv in Xū Dǎnshís Hand. Sein Lippen bebten, sein Blick war flehend.
 1. Das ist natürlich das christliche Motiv des Baumes der Erkenntnis, welches bei Menthir eine Rolle spielt.
 2. Hybris
 3. Eine Einführung in mein Gedankenexperiment Menthir gibt es hier und da.
« Letzte Änderung: 24.12.2011, 23:10:54 von Menthir »
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Xū Dǎnshí

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Das liederliche Spiel
« Antwort #324 am: 03.01.2012, 16:34:19 »
Danshi seufzte schwer aus. Sein Körper schien nun Millionen von Pfund zu wiegen und der Drang, sich einfach nur fallen zu lassen und die Welt ihr Schicksal alleine bestimmen zu lassen, war groß. Er schüttelte den Kopf und warf die verhassten Waffen hinter sich zu Boden. "In welche Lage Du uns abermals bringst, Narr! Du spieltest Dein Spiel mit uns und hätten wir nicht die Prophezeiung gehört und hätte die Erde nicht selbst mit uns gesprochen, ich wäre versucht, Dir zu unterstellen, dass Du schon wieder mit uns spielst. Hoffnungslos scheint unsere Lage und Du weißt um unsere geringen Möglichkeiten. Ist der sardonische Spott nun Dein Ansinnen? Oder weißt Du um eine Möglichkeit, unser aller Heil zu erlangen? Gib mir eine Antwort, doch glaube lange nicht, dass ich Dir vorbehaltslos vertraue.", sagte er kraftlos und sah den Narren mit müden Augen an. Wenn es eine Möglichkeit gäbe, würde er sie ergreifen. Doch nur, um wieder nach Hause zu kommen. Die Schicksale der Welt - sie interessierten ihn nun nicht.

Mako Jinsei

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Das liederliche Spiel
« Antwort #325 am: 08.01.2012, 20:07:12 »
"Lass uns gehen!", fordete Mako den Narren Bu Cao auf, nachdem er etwas nachgedacht hatte.
"Du hast gestanden den Kaiser ermordet zu haben und weißt, dass wir unschuldig sind, zumindest in diesem Punkt. Du wirst dich irgendwann öffentlich stellen müssen, das Volk will die Wahrheit erfahren. Wo ist die Leiche? Sie soll aufgebahrt werden.
Die Prinzen werden eine Möglichkeit finden ohne Krieg den neuen Kaiser zu bestimmen.
Aber wir sind keine Mörder, erst recht nicht die des Kaisers, viele von uns haben nicht einmal etwas mit Politik am Hut. Wir waren nur die Denunzianten und haben dich zum gestehen gebracht, nun lass uns frei!"
"An einem edlen Pferd schätzt man nicht seine Kraft, sondern seinen Charakter." -Konfuzius

Lu Chieng

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Das liederliche Spiel
« Antwort #326 am: 09.01.2012, 08:50:05 »
"So wird dem Narren wohl nur die Möglichkeit geben sein Verbrechen zu gestehen und zu sterben. Wenn nur so der Schlüssel deinen Händen entgleiten kann. Nicht das du den Tod nicht mehr als tausendfach verdient hättet. Selten gab es solch einen Wahnsinn würde ich sagen." Lu Chieng stand immer noch kopfschüttelnd an der Wand.

"So muss der Schlüssel an den Träger kaiserlichen Blutes übergehen, sonst scheint der Garten verloren zu sein. Aber darüber können sich klügere Köpfe Gedanken machen, mir dürstet es nur nach frischer Luft, Licht und etwas Wind auf meiner Haut."
"Furchtlosigkeit ist die Tugend der Narren. Sie entsteht nicht aus Mut, sondern aus mangelnder Vorstellungskraft. Der Weise fürchtet sich und lässt sich trotzdem nicht von seinem Weg abbringen. Er wird nur vorsichtig."

Menthir

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Das liederliche Spiel
« Antwort #327 am: 11.01.2012, 20:34:43 »
05.01.1042 - Tag des Pandas - Früher Morgen

Shǎzi blickte verwirrt drein, als sie ihn ansprachen. Er hielt mit allem inne, mit dem Seufzen, den Tränen, den lethargischen Bewegungen der Selbstbeweinung. "PAH! Ich mag ein Narr sein, doch erhebt euch deswegen nicht über mich, sonst macht auch der Gläserne Drache auch zu Shǎzis! HÖRT IHR!", preschte er nun empört nach vorne und blickt mit einem kurzen, wilden Blick zwischen Mako, Lu und Xū hin und her. "Und hört mir richtig zu, wenn ich mit euch rede. Ich habe euch bei meinen ersten Worten gesagt, was zu tun ist, ich habe auch eben gesagt, was zu tun ist. Mir ist nicht danach, mir die ganze Zeit auf die Nase binden zu lassen, dass ich Narr war, ein Narr bin und immer ein Dummkopf bleiben werde.". Bu Cao verschränkte die Arme und das erste Mal passte das Verhalten wieder zu jenem Verhalten, welches Shǎzi zugesprochen wurde. Er schien ernsthaft verletzt durch die Worte der drei und setze sich in einen stabilen Lotossitz, nur um doch dann mit Leichtigkeit aufzustehen, obgleich seine Alkoholfahne die Atemluft hart schnitt.

"Findet den Kaiser und die Reste selbst. Wenn ihr nicht versteht, wie ihr frei werdet, dann sterbt halt mit mir.", pustete der Narr nun emport in den Raum, sein wahres Gesicht schien langsam wieder zu verschwinden, als würde von Geisterhand mit Kaolin geweißt, mit Kohle seine Augenränder geschwärzt. "Ich habe mich getäuscht.", begann er gackernd, während er auf die Tür zuhopste. "Es gibt nur einen oder zwei Gewiefte, Gewitzte, Gerissene unter euch. Der Rest wäre gestorben, wie das ganze törrichte Geziefer vor euch. Jener oder jene beiden, sie werden verstehen, was ich von Ihnen will. Sie werden verstehen, welchen Schritt es noch braucht. Aber ihr anderen! Ihr könnt meinen Strick teilen, in ihm ist genug Platz für eure dürren Hälse!"
Die Kleidung Bu Caos änderte sich auf wundersame Weise und Shǎzi stand wieder in alter Pracht vor euch. "Ich bin der Narr!", gackerte er. "Doch die meisten sind seine Puppen!"

Er wollte gerade zur Tür springen, mit einem Salto aus dem Handstand, als die Fassade des Narren zusammenbrach und wieder Bu Caos schmerzhaft auf dem Boden aufschlug. Mühsam wuchtete er seinen Oberkörper nach oben und blickte Lu an. "Nein, ich erkenne es, ihr seid kein Narr. Ihr habt es gesagt, was passieren muss. Ihr habt es tatsächlich gesagt!", wieder traten Tränen in die Augen Bu Caos, schmerzhafte Tränen der Gewissheit. Doch in den Tränen ließ er offen, ob er damit das Sterben oder die Übergabe des Schlüssels an einen Kaiserlichen oder gar beides meinte.
« Letzte Änderung: 11.01.2012, 20:35:01 von Menthir »
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Xū Dǎnshí

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Das liederliche Spiel
« Antwort #328 am: 12.01.2012, 18:31:52 »
Danshi kniff die Augen zusammen. "Du kannst uns nicht beleidigen, Bu Cao!", sagte er bestimmt. "Der Fluch ist gebrochen und Du bist ganz tief gefallen und noch immer spielst Du Deine Spielchen mit uns. Du bist völlig wahnsinnig. Du denkst nur noch daran, was dieser oder jener verdient hat, und lenkst dabei nur von Deinen eigenen Taten ab, die Dir wohl von kaum jemandem auf diesem Erkreis vergeben werden. Von mir schon - oder vielmehr gönne ich Dir ein freies Leben, wenn ich die Welt retten kann, die ich liebe, und in ihr leben darf."

Er atmete tief durch und trat zwischen den Narren und die Tür. "Gehe ich recht in der Annahme, dass das Amulett, das Du an dich bandest, nur mit Hilfe des Leichnams des Kaisers gelöst werden kann? Und da Du davon ausgehst, dass wir ihn bergen können, gibt es nur wenige Orte, an denen er sein könnte, sodass wir ihn fänden." Er starrte ihm in die Augen und seine Stimme klang dunkel und fast drohend: "Bu Cao, ist der Kaiser in der Kloake?"

Er suchte den Augenkontakt zu den anderen Denunzianten und hoffte, ihnen signalisieren zu können, ihm beizustehen, wenn der Narr ihn angreifen würde[1].
 1. Ready Action: Alter Self, wenn er angegriffen wird.
« Letzte Änderung: 12.01.2012, 18:32:56 von Xū Dǎnshí »

Hong Gil-dong

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Das liederliche Spiel
« Antwort #329 am: 12.01.2012, 22:19:10 »
"Sag es!" bellte Hong den Narren an. Er bleckte seine Lippen und knurrte zwischen den Zähnen hervor "Danach bringen wir das Rind zur Schlachtbank und reissen ihm das Herz raus. Dann bist du erlöst."
Bitterer Tee, mit Wohlwollen dargeboten, schmeckt süßer als Tee, den man mit saurer Miene reicht.

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