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Autor Thema: Casus Belli  (Gelesen 83271 mal)

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Conrad Rosenstock

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Casus Belli
« Antwort #345 am: 05.07.2013, 23:08:45 »
Conrad schwitzte mittlerweile ziemlich, er wurde schwerfälliger und müder und brauchte dadurch länger, um sich zu irgendwelchen Worten durchzuringen. Doch noch hatte niemand etwas gesagt. Den Wechsel zu diesem Musikstück hielt Conrad für keinen Zufall, aber er ließ sich dadurch nicht in irgendeiner Form beirren. Der Student schaute dem vermeintlichen Herzog direkt in die Augen. Noch immer hatte sich Conrad nicht gesetzt und er trat vorsichtig ein paar Schritte näher in Richtungs Friedrichs, bevor er auch schon anhielt. Conrad begann etwas scherzhaft zu reden, sollte aber dann bald wieder ernster werden: "Diese Hitze hier drin, sorgt irgendwie für noch hitzigere Gemüter, kann man es hier drin bitte weniger heiß machen?

Aber es gibt sicherlich wichtigere Themen als die momentane Zimmertemperatur, das mag sein. Und ich entschuldige mich dafür, dass ich Herrn Nobel immer noch nicht zu Worte kommen lasse; aber werter Herr, bitte erlaubt einem einfachen Studenten ein paar offene Worte. Nehmen wir mal an, dass die Worte von Herrn Weissdorn ein großer Bluff waren und sie mit all den Dingen, die er genannt hat, rein gar nichts zu tun haben. Warum dann diese große Aufregung, die Ihr gezeigt habt? Warum trafen Euch die Worte eines Wildfremden so dermaßen stark, dass es zu solchen Worten und einem Wutausbruch kommen musste? Das kommt mir seltsam vor. Mein Herz hofft trotzdem, dass Ihr nichts mit diesen Söldnern zu tun habt. Sie sind in meinen Augen feige Attentäter und Abschaum, wenn ich ganz ehrlich sein darf. Aber darf ich einmal zwischendrin zwei philosophische Frage in den Raum stellen: Wie extrem dürfen die Mittel sein, um noble Ziele zu erreichen? Ist ehrenhaftes Verhalten etwas, dass einfach so ignoriert werden kann und der Lug und Trug leichtfertig Tür und Tor geöffnet werden kann?

Und eine Sache ist noch sehr wichtig: Wenn mir als einfachem Studenten schon gewisse Zweifel an der Echtheit der Urkunde kommen, wie mag es dann einem Experten oder einer Persönlichkeit von hohem Rang ergehen, die zum Beispiel von Siegeln auf einer Urkunde mehr Ahnung hat? Mein Wort als einfacher Mann ist nicht viel wert im politischen Geplänkel von Kräften hohen Ranges, aber Herr Major von Stiehle weiß um so manchen Zweifel bezüglich der Urkunde, diese wird er auch melden. Aber selbst wenn er keine Meldung machen würde, könnte eine Fälschung trotzdem durchschaut werden.

Vor mir werter Herr braucht Ihr keinerlei Rechenschaft ablegen. Aber wenn Ihr wirklich mit diesen blutrünstigen Söldnern irgendetwas zu schaffen gehabt habt, den Vertrag habt fälschen lassen, um über Schleswig-Holstein zu herrschen und bei Verhandlungen bei solchen Worten wie denen von Herrn Weissdorn so die Fassung verliert, weiß ich nicht, ob man das so gut heißen kann. Diplomatischer kann ich es wohl nicht ausdrücken, es tut mir leid.

Ich zerstöre mir hier mit meinen eigenen Worten einen großen Traum und stoße mir selbst den Dolch ins Herz, denn Ihr wollt ein geeintes Schleswig-Holstein, eine liberale Verfassung und das Verhindern eines Krieges. Letztendlich sind all das noble Ziele. Doch seid Ihr werter Herr ganz sicher der richtige Mann, den ich mir im tiefsten Inneren an der Spitze wünschen würde? Euer Verhalten Herrn Weissdorn gegenüber hat mich daran zweifeln lassen. Es sind nicht einmal hauptsächlich die vagen Vermutungen gewesen, dass Ihr reintheoretisch mit diesen Söldnern zusammenarbeiten könntet oder der Vertrag gefälscht sein könnte, sondern die Art wie Ihr Euch habt gehen lassen gegenüber Herrn Weissdorn. Sogar Beleidigungen von Eurer Seite her gab es. Ein komplettes Ausrasten in heiklen Situationen ist einfach nicht gut. Ich kann nicht für ganz Schleswig-Holstein sprechen, aber mir wäre ein Staatsoberhaupt wichtig, das auch in den schwierigsten Momenten die Fassung bewahren kann. Ich weiß, dass ich mich teilweise etwas wiederholt habe, aber das war mir so wichtig, dass es eine Wiederholung wert war.

Wollt Ihr denn unter allen Umständen Herzog von ganz Schleswig-Holstein werden? Können Euch die Worte von Herrn Major von Stiehle wirklich nicht überzeugen? Ich kann nur sagen, dass ich Major von Stiehle nicht für eine schlimme oder niederträchtige Person oder so etwas in der Art halte. Preußen ist auch nicht der Teufel und auch nicht Herr Major von Stiehle."


Auch wenn man es Conrads reinen Worten vielleicht nicht immer anmerkte, wurde er doch immer etwas unsicherer, vor allem zum Schluss. Er bemühte sich sehr nicht etwas vor sich hinzustottern- oder zu stammeln. Mittlerweile hatte er einen ziemlich trockenen Mund und die Hitze machte ihm durchaus zu schaffen. Doch er hielt den Augenkontakt mit Friedrich. Würde er jetzt auch zornig auf ihn reagieren?
« Letzte Änderung: 05.07.2013, 23:25:32 von Conrad Rosenstock »

Alfred Nobel

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Casus Belli
« Antwort #346 am: 06.07.2013, 17:09:28 »
Ohne selbst ein Wort zu verlieren ließ Alfred den emotionalen Ausbruch des Herzogs über sich ergehen, behielt den Tobenden jedoch beständig im Blick. Unglücklich kniff er die Augenbrauen zusammen, während die heisere Stimme Friedrichs durch das Arbeitszimmer peitschte, und erschrocken zuckte Alfred zusammen, als der Herzog im Affekt auf die Tischplatte schlug. Der Schweiß perlte auf der blanken Stirn des Schweden. Mit einem geistesabwesenden Griff in die Brusttasche seiner Weste suchte Alfred sein eigenes Taschentuch, doch erst, als er es nicht fand und Alfred einen Blick zu seinen Begleitern riskierte, wurde ihm klar, dass der Schweiß nicht allein ein Zeichen der Nervosität sein konnte. Sowohl Conrad als auch Carl wirkten, als ob die Hitze in diesem Raum ihnen schwer zu schaffen machte. Kurz schnaubte Alfred auf, als er verstand, dass der brennende Kamin ein misslungener Trick des Herzogs gewesen sein musste, schließlich schien Friedrich unter der stickigen Hitze am meisten zu leiden. Skeptisch blieb Alfreds Blick auf Friedrich ruhen.

So gefährlich Samuels Vorstellung auch war, und so undurchsichtig dessen Absichten für Alfred auch waren, sie schienen immerhin eines erreicht zu haben: Im Affekt wählte Friedrich wohl Worte, die er sich in einem ruhigen Gedanken nicht hätte leisten können. Seine Formulierungen waren merkwürdig, als wären die Handlungen des Herzogs ihm eine Bürde. Doch wenn die Behauptungen Friedrichs wahr waren, wenn der Vertrag eine ehrliche Angelegenheit Dänemarks und Holsteins war, welche Lasten hätte der Herzog denn dann noch auf sich nehmen können, über die er nun klagte? Obwohl Alfred nicht mit Gewissheit sagen konnte, was es war, und er der Vermutung, dass der Vertrag eine Fälschung Friedrichs sein könnte, den Vorteil des Zweifels gönnte, war deutlich, dass Friedrich etwas verschwieg.

Vorsichtig sammelte Alfred seine Gedanken um endlich selbst zu sprechen, bis er sah, dass Friedrich wohl noch etwas zu sagen, doch Stiehle riss die Unterhaltung an sich. Und seine Worte waren mit einer solchen Selbstgewissheit gesprochen, dass Alfred einige Momente benötigte, um dessen Implikationen zu verstehen. Selbst als Conrad seine Bitte und Hoffnungen an Friedrich richtete, war Alfred noch mit gesenktem Kopf dabei, die Absichten Stiehles in seinen Gedanken zu verknüpfen. Erst als Conrads Stimme in stolzer Verzweiflung an den Herzog apellierte, blickte Alfred endlich auf. Der Major war in der Tat ein gerissener Mann.

Für einen Augenblick sah Alfred dem Herzog in die Augen, und gab ihm die Zeit, die Worte Conrads zu verstehen, jedoch nicht, darauf zu antworten. Alfred streckte seinen Hals, griff mit einem Zeigefinger in den Kragen seines Hemdes und zog ihn in die Weite, eher er mit einem Räuspern die Aufmerksamkeit Friedrichs auf sich zog.

"Euer Durchlaucht," begann Alfred vorsichtig mit erstickten Worten, ehe er sich wieder Räuspern musste, um seine Stimme zu finden, "Euer Durchlaucht, es schmerzt mich ebenfalls, dass Holstein die Familie Nobel auf diese Art und Weise begrüßt. Und trotz der fortgeschrittenen Untersprechung, bitte, gestatten Sie mir, von vorne zu beginnen. Dies, an meiner Seite, ist mein Bruder Emil Oskar, mein Name lautet Alfred Bernhard Nobel. Im Moment stehen wir unter Anklage des Diebstahls eines Dokumentes, das Ihnen gehört. Dieses Dokument befindet sich in meinem Besitz, doch von Diebstahl kann nicht gesprochen werden."

Für einen Moment schwieg Alfred, als wollte er den Nachdruck wirken lassen, dass das Objekt der Begierde sich mittlerweile dort befinde, wo es für Friedrich fast schon greifbar wäre.

"Insofern kann ich den Haftbefehl nicht gutheißen und muss ihn vehement ablehnen, Euer Durchlaucht," begann Alfred plötzlich, das Gespräch von vorne aufzurollen; scheinbar meinte der Schwede es ernst, die Unterhaltung von vorne zu beginnen,"auch wenn meine Zustimmung zu einer Verhaftung meiner und meines Bruders Person eine Zusprache meinerseits gewesen sein mag, war sie keineswegs ein Zugeständnis. Euer Durchlaucht, Eure Methode, mich und meinen Bruder nach Gut Emkendorf zu befördern war zweifelerregend und fragwürdig. Sie werden verstehen, wenn ich alles in meiner Hand liegende versuchte, um Ihnen zu entgehen. Vor allem, seien Sie sich dessen Gewiss, war es unter den gegebenen Umständen auf keinen Fall möglich, Vertrauen in Ihrem Gesandten zu finden. Der schwarze Braunschweiger mag Ihr Freund sein, wie Sie ihn bezeichnen, doch für uns ist er wohl ein schwarzes Buch mit sieben Siegeln. Sie sprachen davon, sich Ihrer Verantwortung zu stellen. Ich bin in Gewissheit, dass Sie Ihrem Wort treu bleiben wollen, daher möchte ich meine erste Bitte formulieren. Bitte, klären Sie uns auf: Was hat es mit dem schwarzen Braunschweiger auf sich? Wie kommt es, dass eine Relique der Schwarzen Schar für die Sache Schleswigs-Holsteins arbeitet?"

Alfreds Ton blieb höflich, aber bestimmt. In bester Vorsicht versuchte er, anprangernde Worte zu vermeiden, aber dennoch auf das Angebot des Herzogs zu bestehen. Es würde sich zeigen, wie die Bereitschaft Friedrichs stand. Tief atmete Alfred ein und griff mit einer vorsichtigen Geste in die Innenseite seines Mantels. Langsam beförderte er den gefalteten Verlag hervor. Er hatte sich in den Eingangsräumen des Herrenhauses nicht die Mühe gemacht, es erneut in seiner Labortasche zu verstecken. Mit zittrigen Finger entfaltete Alfred das Dokument, in besonderer Vorsicht, keinen Schweiß von seiner Stirn auf das Papier tropfen zu lassen. Einen Moment lang besah Alfred das Papier stumm, ehe er seinen Blick wieder zu Friedrich hob.

"Ich sagte es bereits, Euer Durchlaucht, dieses Dokument befindet sich in meinem Besitz, wie Sie unschwer erkennen. Ganz unabhängig des Objektes, ist ihr Ärger nur verständlich, wenn ihr persönlicher Besitz einem Diebstahl unterliegt. Und glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, dass ich wünschte, dieser Gegenständ hätte nie den Weg zu meinem Bruder und mir gefunden. Doch erlauben mir, angesichts der Umstände, eine zweite Frage zu formulieren; auch wenn Herr Weissdorn sie implizit in seiner eigenen Art schon zu Gespräch brachte. Sehen Sie, in seiner - von mir als solche vermutete - Funktion als Staatsvertrag ist dieses Dokument unvollständig, und demnach ungültig. Eine Verzichtserklärung von Seiten Dänemarks ohne die rechtmäßige Unterzeichnung Dänemarks wird von keiner politischen Seite akzeptiert werden, sofern mein bescheidenes Verständnis in dieser Sache greift. Verstehen Sie meine Frage bitte als Zeichen meiner Neugier, aber wodurch formuliert sich die Bedeutung dieses unvollständigen Vertrages?"

Mit hochgezogenen Augenbrauen und gesenktem Kopf schielte Alfred den Herzog an. So direkt Samuel und Conrad gewesen sein mochten, so unbereitwillig zeigte der Schwede sich, aus seinem unvollständigen Bild eine Entscheidung treffen zu wollen, in welcher Richtung das Ziel ihres Gespräches liegen mochte.

"Denn wenn ich richtig verstehe, Euer Durchlaucht, ist Ihre höchste Absicht, den Frieden zu wahren." Alfred nickte zustimmend bei dieser Feststellung, ehe er weitersprach, "Vielleicht fragen Sie sich, welche Wünsche ich in dieser Sache hege. Sehen Sie, Euer Durchlaucht," begann Alfred, und lehnte sich in seinem Sessel zurück, ohne den Blick vom Herzog abzuwenden, "ich bin kein Deutscher - kein Holsteiner, kein Schleswiger, kein Preuße - ebensowenig, wie ich kein Däne bin. Ich bin geboren in Schweden, wuchs auf im Zarenreich, lernte in Frankreich und arbeitete in den Staaten. So sehr ich nachvollziehen mag, dass der Stolz einer Nation in den Herzen eines Volkes greifen mag, ist mir ein solches Gefühl fremd. Aber Frieden, Euer Durchlaucht, Frieden alleine kann der Nährboden für eine gesunde wachsende Gesellschaft, die Selbstfindung der Völker und der Motor für Wohlstand und Reichtum sein. Ich verstehe mich nicht als Staats-, ich bin ein Weltenbürger, dessen Wunsch es ist, auf einem solchen Boden seine Existenz zu verwirklichen. Insofern lehne ich Ihr Angebot strikt ab, Euer Durchlaucht. Das Geld und das Land, das Ihr mir bietet, ist nicht Eure Schuld zu begleichen; die Position nicht meine anzunehmen. Meine einzige Forderung kann nur der Frieden sein, Euer Durchlaucht."

Mit einem unverständnisvollen Blick fixierte Alfred nun den Herzog. In seinen Augen flimmerte ein Wunsch, dass Friedrich eine Antwort wusste, die eben diese Frage nach dem Frieden unzweifelhaft beantworten konnte, doch insgeheim fürchtete Alfred schon, dass es diese Antwort nicht gäbe.

"Aber auf dem Fundament dieses Dokumentes sehe ich den Frieden nicht, Euer Durchlaucht. Es ist, wie der Herr Major sagt: Allein die Rechtmäßigkeit des Vertrages kann die Grundlage für ein Vermeiden des Krieges sein. Aber wie gedenken Euer Durchlaucht die Rechtmäßigkeit zu etablieren? Denn schließlich hängt nun alles davon ab, nicht wahr? "

Mit seiner letzten Frage faltete Alfred das Dokument zusammen. Die Geste wirkte fast symbolisch.
« Letzte Änderung: 07.07.2013, 17:23:29 von Alfred Nobel »
But I have learned to study Nature’s book
And comprehend its pages, and extract
From their deep love a solace for my grief.

 - A Riddle, 1851

Samuel Weissdorn

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Casus Belli
« Antwort #347 am: 06.07.2013, 19:49:46 »
So sehr er zu Beginn nach vorne geprescht war, so schweigsam  blieb Samuel nun. Er hatte den Stein ins Rollen gebracht, und auch,wenn der Herzog sich noch nicht ganz offenbart hatte, hatte er genug gesagt. Er war als Mann an der Spitze ungeeignet, sowohl moralisch, als auch, weil er sich in einer solch kritischen Situation  nicht unter Kontrolle hatte. Nun hieß es beobachten, lernen - nicht nur über Friedrich, sondern auch über den Anführer der Preußen. Ganz sicher war er sich dessen Absichten noch nicht.

Samuels Blick blieb unnachgiebig, scheinbar ungerührt, und er schien auf den richtigen Moment für eine Reaktion zu warten. In Wahrheit würde er aber erst wieder sprechen, wenn ihm noch weitere Informationen vorlagen. Gleichzeitig dachte er darüber nach, wer im Nebenzimmer saß und lauschte  - ein weiterer Intrigant, ein Leibwächter oder einer der Mörder?

Carl von Lütjenburg

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Casus Belli
« Antwort #348 am: 07.07.2013, 02:36:58 »
Carl blickte unschlüssig den Männern hinterher, die Wittmaack wegbrachten. Alfred Nobel, Major von Stiehle und er selbst hatten ihr Möglichstes getan und nun lag es in den Händen dieses Dr. Hasen, dass diese Anstrengungen nicht vergebens gewesen sein sollten. Alle schienen nur vom Frieden reden zu wollen, was Carl zu einem gewissen Maße zu ärgern begann. Wie konnte man nur, wo doch schon die ersten für ihre Länder gefallen waren? Für Wittmaack war dieser Krieg jedenfalls schon vorbei und an Kienast mochte Carl im Augenblick lieber gar nicht denken...

Eher unbewusst war er den anderen gefolgt und wachte erst aus seinen Gedanken auf, als er Emils Worte über de Meza und das Siegel vernahm. Aus dem Augenwinkel beobachtete er die beiden Schweden kurzzeitig, sagte aber nichts. Die Zeit des Pläneschmiedens war nur vorüber und von einem gewissen Standpunkt aus musste gleich jeder für sich kämpfen. Zwar waren sich wohl alle mehr oder weniger einig, dass der Vertrag gefälscht war aber dennoch ging wohl jeder mit seinen ganz eigenen Absichten zum Herzog. Für den Wahlpreußen war es undenkbar einen falschen Vertrag zu nutzen, um an irgendein Ziel zu gelangen. Die Bundesexekution sollte durchgeführt werden und nachdem man die Dänen ein für alle Mal in ihre Schranken gewiesen hätte, könnte man ein einiges Schleswig-Holstein unter dem Dach des Deutschen Bundes formen. Eine Volksvertretung war Carl jedoch ein Graus. Seine Vorstellung von Demokratie glich einem Raum mit vielen Menschen, die miteinander sprachen. Zwar konnte jeder reden, doch kaum einer konnte gehört werden. Sobald es jedoch einen König in so einem Raum gab, konnten immer noch alle sprechen, würden jedoch verstummen, sobald der König sprechen würde.

Als Carl den Raum des Herzogs betrat fühlte er für einen kurzen Augenblick wohlige Wärme, die nach seinen gefrorenen Gliedern tastete, nur um dann über ihn hinein zu brechen, wie eine große Brandungswelle. Es war hier drinnen zu erdrückend warm, wie es draußen kalt war und Carl, der eigentlich in guter körperlicher Verfassung war, fühlte, wie diese Extreme seinem Kreislauf zusetzten und ihm schwindlig wurde. Gern hätte er sich gesetzt, doch zwang er sich stehen zu bleiben und den Anderen die Sitzgelegenheiten zu überlassen. Auch wenn er etwas benommen war, erkannte Carl sogleich, dass all dies nur aus des Herzogs Wunsch heraus geschah, das Schlachtfeld ein wenig mehr zu seinen Gunsten zu gestalten. Carl positionierte sich etwas abseits der anderen hinter den bereitgestellten Stühlen und lehnte sich dort etwas legere mit verschränkten Armen gegen die Wand. Was nun?, fragte er sich, diese Hitze war offensichtlich auch für den Augustenburger strapazierend und würde auch seinen Geist benebeln. Er will Zeit schinden. Erwartet er Verstärkungen? Ein weiterer Angriff vielleicht?, Carl wandte sich der Tür zu, warf aber auch einen prüfenden Blick in Richtung der Vorhänge[1].

Als der Herzog zu reden begann wurde Carl sogleich hellhörig. Friedrich beteuerte nicht hinter den Angriffen zu stecken und es klang für Carl sogar aufrichtig. Doch nach der momentanen Informationslage mussten die Söldner für den Herzog arbeiten. Was konnte das bedeuten?
Doch das darauf folgende Angebot an Alfred holte Carl aus seinen Überlegungen ins Hier und Jetzt zurück. Er wollte die Nobels kaufen, anders konnte man es nicht ausdrücken. Ländereien, Geld, Handelspatente und politischer Einfluss... Nur wenige würden solche Großzügigkeiten ablehnen können, doch Alfred Nobel war sicherlich kein Mann mit einem schwachen Gedächtnis. Der Herzog hatte gerade eine komplette Kehrtwendung in seinem Verhalten gegenüber den Nobels vollzogen von der Peitsche zurück zum Zuckerbrot[2]. War dies schon das letzte Aufgebot des Herzogs? Sein letztes Ass im Ärmel, mit dem er sich erhoffte Alfred - und damit den Vertrag - auf seine Seite zu ziehen?
Doch bevor Alfred antworten konnte schaffte es dieser merkwürdige Herr Weissdorn, den Herzog auf heftigste zu reizen, so dass dieser einmal mehr einem Wutanfall erlag. Der letzte dieser Art war Carl noch so lebendig in Gedanken verblieben, dass er schon beinahe den Raum verlassen wollte, wie auch schon beim Anfall zuvor. Samuels Alleingang hatte ein hohes Risiko in sich geborgen und auch, wenn er mehr als nur gut ausgegangen war, würde Carl sich stets in Erinnerung halten, dass er es bei Samuel Weissdorn mit einem Hasardeur erster Klasse zu tun hatte. Finten, Waffengewalt, Lügen und auch anrührende Entschuldigungen schienen von dem Mann mit einer unglaublichen Leichtfertigkeit eingesetzt zu werden. Auch wenn Carl mit Conrad gut befreundet war und diesen sehr schätzte, so brachte Samuel den jungen Offizier dazu seine Haltung überdenken, dass es eine gute Sache war, die Universitäten auch für das reiche Bürgertum zu öffnen.

Friedrich spie Gift in seiner Wut und nährte Carls Ärger mit seinen ungerechtfertigten Worten gegen die Preußen. Er öffnete den Mund, um den Anschuldigungen entgegenzutreten, schloss ihn aber wieder und bemühte sich darum Haltung zu bewahren.  Es spielte nur eine geringe Rolle, was der Herzog von den Preußen hielt, solang die anderen Anwesenden seine Meinung nicht teilten und dafür hatte Carl durch seine eigenen Taten zumindest ein wenig vorgesorgt. Etwas gelassener beobachtete er Friedrich dabei, wie dieser seine Wut am Schreibtisch ausließ und sich zu fangen suchte. Doch Major von Stiehle kam ihm zuvor. Der Schachzug des Majors war klug und Carl war froh, nicht augenblicklich für Preußen in die Bresche gesprungen zu sein. Nun wollte Carl sehen, wie er den Major am besten unterstützen konnte. Der Herzog musste aus der Gleichung genommen werden und wenn er freiwillig das Feld räumen würde, wäre dies die beste Option. Und auch die Söldner würden noch von sich hören lassen, wenn nichts gegen sie unternommen werden würde.

Inzwischen hatte Conrad zu reden begonnen und Carl brach seine Überlegungen ab um seinem Freund zuzuhören und was er hörte tat ihm leid. Carl war ebenso wie Conrad gebürtiger Holsteiner, doch im Gegensatz zu Conrad, hatte er sich Preußen zur Heimat gemacht und so war es keine schwere Entscheidung gewesen Preußen loyal zu bleiben, als sich die Ereignisse zu überschlagen begannen. Doch für Conrad war es schwieriger, er musste sich entscheiden, ob er das, was er sich wünschte schnell in die Tat umgesetzt sehen wollte, aber das auf Kosten seiner Ideale oder ob er es zuließ, dass diese Ideale ihm den Weg zu seinem Traum verbauten. Carl wollte nicht in Conrads Haut stecken, doch alleine lassen wollte er seinen Freund auch nicht. Ruhig stellte er sich an dessen Seite und legte ihm die Hand mit sanftem Druck auf die Schulter, nickte ihm zu. "Wenige sind so aufrecht wie Du, Conrad. Aber vergiss nicht, dass Dir noch andere Möglichkeiten für deine Träume bleiben.[3]" Flüsterte Carl, leicht Conrad hinzu gewandt. Allerdings sprach er laut genug, als dass alle in der Nähe Stehenden seine Worte durchaus verstehen können würden. Natürlich waren seine Worte und der Wunsch seinem Freund Mut zu geben aufrichtig, aber Carl hatte sich dazu entschieden, mit dieser Klappe noch eine zweite Fliege zu schlagen. Es war gewiss nicht verkehrt allen Anwesenden noch einmal ins Gedächtnis zu rufen, dass Preußen nicht zwangsläufig gegen ein geeintes, liberales Schleswig-Holstein stehen würde, solang dies über den Deutschen Bund abgewickelt werden würde. Lediglich der selbsternannte Herzog konnte nicht wissen, um was für ein Angebot es sich dabei handeln würde und Carl beobachtete ihn genau, um aus seiner Reaktion lesen zu können[4]

Nun begann endlich Herr Nobel zusprechen, der - obwohl er direkt vom Herzog angesprochen war - bis jetzt geschwiegen hatte. Carl hatte sich in dem Schweden nicht getäuscht, den Haftbefehl hatte der Mann natürlich nicht vergessen und das ließ er den Herzog auch sehr deutlich wissen. Doch Alfred eröffnete auch gleichzeitig eine neue Front, in dem er nach dem Braunschweiger fragte. Wahrscheinlich wollte Nobel damit auf die Söldner hinaus und an sich war der Braunschweiger auch eine Sache, die Carl noch nicht so recht zu deuten wusste. Dass der geheimnisvolle Mann zu den Söldnern gehörte schien nicht so recht zu passen. Gewiss er hatte im Kampf mit den Söldnern nur den Herzog beschützt aber erst zum Schluss selbst die Söldner attackiert und er war einfach ein grässlicher Mitmensch. Doch gerade letzteres ließ Carl seiner eigenen Theorie gegenüber skeptisch bleiben. Würde ein getarnter Söldner nicht eher versuchen sie alle in Sicherheit zu wiegen und weniger unausstehlich sein? Außerdem wusste Carl, dass die Geschichten, die er über den Braunschweiger kannte, stets betonten, dass der Mann absolut deutsch gesinnt war. Das passte nicht so recht zusammen. Der Braunschweiger aus den Geschichten müsste viel eher gegen den Herzog und die Söldner arbeiten und sich auf Carls Seite befinden. Dieser Gedanke bereitete Carl augenblicklich großen Unbehagen. Bei solchen Freunden bräuchte man tatsächlich keine Feinde mehr...

Inzwischen hatte Alfred die Fakten auf den Tisch gelegt und war direkt auf den Vertrag gekommen, hatte ihn sogar hervor geholt. Fast befürchtete Carl, dass der Herzog nach der Urkunde greifen würde, doch die Gefahr diesen letzten Strohhalm, an dem wohl alle seine Hoffnungen hingen, dabei zu beschädigen wäre sicherlich zu groß gewesen. Mit dem Aufzeigen der Ungültigkeit des Vertrages war aber auch gleichzeitig ihr letztes Pulver verschossen, zumindest wenn es um harte Beweise ging. Doch dieses Pulver hatte bis hierhin gute Wirkung gezeigt. Samuels Einsatz hatte ihnen die Initiative gesichert und es schien, dass die Worte Major von Stiehles dafür gesorgt hatten, dass der Herzog diese sobald auch nicht wieder zurückerlangen würde. Anfangs hatte er noch versucht das Gespräch zu lenken und Angebote gemacht, inzwischen musste er sich anhören was seine Gäste ihm anboten und darauf reagieren. Conrad hatte den alten Mann vermutlich beinahe den Rest gegeben und nun den Vertrag von Alfred Nobel unter die Nase gehalten zu bekommen, musste wie Salz in einer Wunde sein. Er glich einer sturmreif geschossenen Festung und jetzt kam es darauf an, wer diese Festung zuerst einnehmen würde. Carl befürchtete ein wenig, dass die Professorenschaft doch noch ein Eigenleben entwickeln würde und sich auf die Seite des Herzogs schlagen könnten, um noch das "Beste aus der vertrackten Situation zu machen". So würde man wohl begründen, wenn man ein Land auf Lügen aufbauen wollte. Also konnte es wohl nicht schaden vorsichtshalber einen Keil zwischen die Herren von der Universität und den Herzog zu treiben.

"Euer Durchlaucht, wenn ich auch etwas dazu sagen dürfte?", begann Carl höflich und freundlich "Ich möchte Ihnen zunächst versichern, dass ich Ihren Mut und Einsatz für Schleswig und Holstein respektiere und ich denke, dass er Sie durchaus auszeichnet, wenn ich das sagen darf. Ich kann Ihnen das Gesagte deshalb also auch nicht übel nehmen und ich denke, dass die Professorenschaft Ihnen die -" Carl räusperte sich, anscheinend etwas verlegen die Schmähung zu wiederholen, "- Ihnen die "bescheuerten Elfenturmbewohner" ebenso nachsehen werden. Nicht wahr, meine Herren?" Carl sah die Professoren an und hoffte, dass sie so auch ja nicht vergessen würden, was der Herzog von Akademikern zu halten schien.

"Aber sehen Sie, Herr Nobel hat Recht, der Vertrag kann in dieser Form nicht gültig sein und es wirft auch für mich Fragen auf, da Sie ja selbst zugesichert hatten, er hätte schon zur Kopie vorgelegen, als man ihn entwendete. Und es ist nicht so, dass ich ein geeintes Schleswig-Holstein im Deutschen Bund nicht begrüßen würde, doch gehe ich völlig mit der Auffassung Herrn Rosenstocks d'accord. Ich bezweifle, dass man ein Ansinnen - und sei es so nobel, wie das Ihre, euer Durchlaucht- mit allen Mitteln, die einem zur Verfügung stehen, zu erreichen versuchen darf.
Sie haben nun aber bezweifelt, dass Politik auf allein Ehrlichkeit und Wahrheit beruhen könnte. Gut, bitteschön. Ich bin nun kein Politiker, aber vom Kriege verstehe ich ein wenig. Und wenn sich herausstellte, dass man auf einmal gar nicht mehr für das kämpft, für das man ursprünglich zu kämpfen dachte, dann senkt das die Moral der eigenen Truppen augenblicklich und das gehörig. Gleichzeitig bedeutet das auch immer einen Vorteil für den Feind. Und wenn wir jetzt einen Schritt weiter gehen und uns ein Söldnerheer aus vergangener Zeit denken, dann ist dieser Vorteil des Feindes durchaus ein greifbarer, denn die Männer würden wahrscheinlich zu einem nicht unerheblichen Teil zu ihm überlaufen, oder zumindest die Waffen niederlegen. Und ich glaube das die Völker Schleswigs und Holsteins - Dänen, Deutsche und Friesen - in dieser Hinsicht durchaus als Söldnerheer verstanden werden können, ohne damit eine Beleidigung aussprechen zu wollen, versteht sich. Sie haben mehrmals betont, dass dieses Land nicht nur für Dänen oder für Deutsche sein soll, aber wie würden die Menschen es aufnehmen, wenn das Fundament dieses Landes auf einem Vertrag basiert, der im besten Falle ungültig war? Würde das nicht den Dänen und dänisch Gesinnten in die Hände spielen, während der Wille, für die eigene Verwaltung einzustehen, doch stark gebrochen sein würde? Möchten Sie dieses Risiko eingehen, bei solch dynamischen Prozessen verliert man schnell genug den Zugriff[5]"


Sein letzter Satz und das Gerede über Söldner, die die Seiten wechseln, erinnerte Carl daran, dass er das Gefühl gehabt hatte, dass der Herzog tatsächlich nichts für den letzten Angriff konnte. Der Herzog und die Söldner steckten unter einer Decke, das war Carl für Carl inzwischen sicher, aber es beschlich ihn immer stärker der Eindruck, dass die Söldner und nicht der Herzog hier das Sagen hatten.
"Sie sind eine bedeutende Persönlichkeit dieses Landes und sie könnten einer schleswig-holsteinischen Demokratie ein Gesicht geben. Und eine solche lässt sich auch ohne einen unsicheren Vertrag erreichen. Legitim, ehrenhaft und legal. Und sie können diese Demokratie anführen! Nicht als Herzog, der dem Heer voran geht, sondern als jemand der das Wohlwollen seines Volkes genießt, das ihn als seinen selbstgewählten Führer bestätigen wird. Ihre Taten für ihr Land werden unvergessen bleiben und auch ihren Nachkommen viele Stimmen sichern. Es mag vielleicht nicht ganz das sein, das Sie sich für sich vorgestellt haben, aber ihr Land wäre geeint und das haben Sie sich doch für Ihr Land erhofft, oder nicht?"
Carls machte eine kurze Pause um seine Worte wirken zu lassen, setzte dann aber auch bald wieder an: "Doch dazu müssen Sie sich hier und jetzt entscheiden. Diesen Weg können Sie nur in diesem Augenblick einschlagen, in dem Sie Ihre Männer herholen und diesen Söldnern zeigen, dass man sich in diesem Lande nichts von ihnen diktieren lässt. Sie haben es ganz in der Hand, durch Ihren Befehl und Ihre Soldaten kann Schleswig-Holstein ernsthafte Hoffnung die lang ersehnte Einigkeit schöpfen."[6]
 1. Da ist nicht zufällig jemand oder etwas versteckt? Perception: 17
 2.  Zuckerbrot und Peitsche
 3. Carl meint damit das Angebot das Maj. v. Stiehle in der Szene zuvor unterbreitet hatte
 4. Sense motive: 34
 5. Nur um es klar zu machen: Dass soll keine Drohung sein.
 6. Hier soll noch ein Diplomatiewurf folgen.... siehe OOC
« Letzte Änderung: 07.07.2013, 02:43:27 von Carl von Lütjenburg »

Menthir

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Casus Belli
« Antwort #349 am: 07.07.2013, 23:38:38 »
7. Dezember 1863 - Am Morgen des Krieges? - 18:41 Uhr - Gut Emkendorf - Im Büro des Herzogs

Als Carl geendet hatte, war auch nur Sekunden vorher der weiße Flügel im Nachbarzimmer verstummt. Es war unwahrscheinlich, dass jemand ein derartig gutes Gehör hatte, dass er noch ein Gespräch im Nachbarzimmer Wort für Wort belauschen konnte, während er inbrünstig sang und spielte. Aber vielleicht hatte die betreffende Person zumindest die Ausbrüche des Herzogs mitbekommen und hielt sich in Bereitschaft, andererseits wird keiner die Art und Weise des Ausbruches antizipiert haben können. Es war auszuschließen, dass die Person im Nebenraum übermäßig viel des Lärmes und der Worte mitbekam.

Der Herzog saß weiter tupfenderweise auf seinem Sessel und er erlaubte sich die Freiheit, das Jackett seiner Uniform sowie den obersten Knopf seines Hemdes ob der teils hitzigen Debatte und des deutlich zu heißen Raumes zu öffnen. Es war schwer zu sagen, ob das Tuch überhaupt noch trockene Stellen hatte oder der stark transpirierende Herzog es bereits in salzigem Schweiß ertränkt hatte. Die ersten Schweißflecke machten sich bereits auf seiner Uniform bemerkbar. Der Herzog richtete sich jedoch wieder sitzenderweise auf, während Conrad an ihn appellierte. Sein Gesicht verlor diesen grimmigen, zornigen Ausdruck und wurde nachdenklich. So wirklich in die Augen blicken, das mochte der Herzog Conrad Rosenstock nicht, stattdessen legte er seine Unterarme auf seine Knie, faltete die Hände und startre auf die ihm zugewandte Kante des dunklen Schreibtisches, der er so provisorisch nach dem Angriff auf sein eigentliches Zimmer bezogen hatte.
In dieser Haltung, seine Finger oder das fein gemaserte Holz betrachtend, begann er auch Alfred Nobel zu lauschen, nur hin und wieder aufschauend, Blickkontakt suchend oder auch zustimmend nickend, um anzuzeigen, dass er noch immer Teil des Gespräches war und aufmerksam blieb. Der Herzog rang mich sich und kraulte seinen dunklen Vollbart schließlich, während Alfred seine abschließende Frage stellte, während Carl von Lütjenburg den Gesprächsfaden aufnahm. Der Herzog rieb sich die Schläfen und verstand so langsam wahrscheinlich, warum Politiker wie Bismarck entweder offenkundig und absichtlich langweilten vor größerem Publikum, dieses gezielt provozierten und dann alle entscheidenden Entscheidungen in deutlich kleineren Gesprächskreisen oder unter dem Deckmantel der Geheimdiplomatie[1] vorantrieb. Es waren zwar nur wenige Gäste vor ihm in seinem kleinen, viel zu heißem Dienstzimmer, und sie waren sich nur in einem Punkt einig, der Schuld des Herzogs, aber ansonsten hatten sie alle ihre eigenen Motivationen und Ziele mit in dieses Gespräch gebracht und der Herzog brauchte jetzt ein wenig, um alle Worte zu sortieren und es entstand so eine längere Pause, welche der Herzog eintönig mit dem Reiben der Schläfen verlebte.

"Nun...", begann er stockend, nachdem er sich eine Weile Bedenkzeit genommen hat. "Sie behaupten alle irrsinnig viel und sind leichtfertig damit, mich belehren zu wollen. Sie sind ja alle viel tugendhafter und edelmütiger als ich. Es tut mir Leid, dass ich nicht mit Ihrer humanitas[2] nicht in Konkurrenz stehen kann. Doch auch, wenn Sie mich bereits verurteilt haben, ohne weiterhin Beweise vorzulegen, will ich so frei sein, auf die ehrlich gemeinten Fragen des Herren Nobels antworten, wenn sie der Öffnung dieses Problemes tauglich sein mögen. Erlauben Sie mir also, dies an den Anfang zu stellen."
Kurz fiel ein sehnsüchtiger Blick auf die Branntweinflasche nahe der zerbrochenen Schreibtischtür, doch der Herzog erhob sich jetzt wieder, einen zweiten Hemdknopf öffnend und tief einatmend. Leicht kam die behaarte Brust zum Vorschein.
"Wer ist also der Schwarze Braunschweiger? Wie sie sich denken können, ist er kein menschliches Relikt längst vergangener Tage. Er ist Mitglied eines niedersächsischen Adelsgeschlechtes und preußischer Offizier." Sein Blick fiel von von Stiehle und von Lütjenburg, aber ohne Argwohn, sondern eher als wollte er ihnen sagen, dass sie das eigentlich wissen müssten. "Wie Herr von Stiehle ist er Major vom Dienstgrad. Sein voller Name ist Gerhard Anton von Hardenberg[3], er ist der Neffe des Dichters Novalis[4], falls Sie seinen Hang zu romantischen Bildern bewundern, auch wenn Gerhard diesen nicht mehr kennengelernt haben dürfte. Gerhard hat einen Auftrag von der preußischen Krone. Das Bekämpfen einer Gruppe höchst filigraner und dreister Urkundenfälscher. Aus diesem Grund ist er hier in Holstein. Er arbeitet aber nicht für die Sache Schleswig-Holsteins. Genauso wie ich möchte er in den Besitz des Vertrages kommen. Während ich jedoch den Frieden damit zu wahren versuche, der zweifelsohne gefährdet ist, will er die diese Vertragssöldner überlisten und den Vertrag dann vernichten lassen. Sie, Herr Nobel, mussten deswegen mit dem Vertrag nach Emkendorf kommen, ob sie wollten oder nicht.

Genauso lässt sich nicht an der Rechtmäßigkeit des Haftbefehles zweifeln. Völlig unabhängig davon, wie sie ihn letztendlich bekommen haben, sind Sie nicht des Diebstahls beschuldigt..."
der Herzog griff in die zerstörte Tür des Schreibtisches und zog ein weißes Blatt Papier hervor und legte es auf die Platte des Schreibtisches. Es war der Originalentwurf des Haftbefehles[5], welchen der Schwarze Braunschweiger am Kieler Hafen verlesen hatte und er war im Wortlaut identisch. "...sondern Sie sind durch Ihre Mittel und das Mieten der Solros der Beihilfe zum Kauf des gestohlenen Dokumentes beschuldigt. Der schwerwiegenste Punkt der Anklage ist jedoch der Schmuggel dieser Papiere, da er als Dokument öffentlichen Interesse nichts in Ihrer Tasche als Privatbürger zu suchen hat und Sie ihn hätten den Behörden übergeben sollen. Da Sie den Vertrag vor mir ausbreiten, gehe ich davon aus, dass Sie diesen Punkt vielleicht relativieren, jedoch nicht abstreiten können und dass Sie einen guten Grund hatten, dass Sie mit diesem Schriftstück nicht zur Polizei gegangen sind. Ein Grund, den ich beizeiten gerne erfahren würde! Auch Ihr Bruder ist nicht des Diebstahles, durchaus aber der Anstiftung dazu beschuldigt." Er hielt einen Moment inne und sagte dann mit fester Stimme. "Sie können meine Methoden verdammen und kritisieren. Das steht Ihnen als Mann mit freiem Gewissen zu, Herr Nobel. Aber bitte, und das ist nicht nur für das Protokoll, geben Sie dann meine Mittel den Tatsachen getreu wieder. Dennoch werde ich akzeptieren, dass Sie Ihre Freiheit um alle Kosten wahren möchten. Ich werde den Haftbefehl, der durchaus noch voll gültig ist, an diesem Ort nicht vollstrecken. Hier sind Sie sicher. Der Haftbefehl war dazu da, Ihrer habhaft zu werden und Sie vor den Söldnern zu schützen."

Der Herzog setzte sich wieder hin. Diese Sache geradezurücken, das schien dem Augustenburger sehr wichtig gewesen zu sein. Dieses Gerede von Tugendhaftigkeit schien ihn ernsthaft zu bedrücken, doch er hatte sich jetzt wieder beruhigt und nahm sich die Zeit tief durchzuatmen und nicht impulsiv auf Worte und Anschuldigungen zu reagieren. Es schien ihn ein Stück zu verletzen, dass er so als niederträchtig dargestellt wurde. Wie bei so vielen Menschen erwachte ein Rechtfertigungsdrang, dem sich der Herzog für den Moment hingab.
"Kommen wir also zu dem Vertrag. So wie alle in diesem Raum von diesem Vertrag sprechen, gehe ich davon aus, dass die Geheimhaltung dieses Vertrages nicht gewährleistet wurde und dessen Inhalt sich bereits über die Grenzen dieses Raumes hinaus verteilt hat." Kurz flackerte sein Zorn für einen Moment wieder auf, während er eindringlich die Dozenten im Raum sondierte, doch er atmete dieses Aufwallen sorgsam weg. "Anders ist die Anwesenheit der sich selbst als solche gerne wahrnehmende Magnifizienzen[6] nicht zu erklären. Halten Sie die Professoren für ehrenhaft? Herr Rosenstock, ich will sie ernstlich nicht enttäuschen, aber fast alle Dozenten in diesem Raum sind Posten preußischer Haushalte oder dienen sogar preußischen Strukturen. Unzufrieden mit ihrem Einfluss dort, versuchen sie doch auch nur opportun sich die Türen aufzustoßen. Das ist nicht ehrenhaft, denn im Gleichklang mit den meisten Universitäriern unserer Zeit bin ich der festen Überzeugung, dass Herr Mommsen und Herr Himly gerne politisch partizipieren können, aber im Gegensatz zu ihnen bin ich der festen Überzeugung, dass die Wissenschaft frei und umgehemmt der Politik sein muss. Warum treten die Personen dann als Professoren auf? Um ihren Worten mehr Wucht durch Titel zu verleihen. Verzeihen Sie also, wenn ich die Position der Professoren in diesem Gespräch weniger ernst nehme. Sie sind die Geier, die sich an meinem politischen Dilemma und Ihrem persönlichen Dilemma, Herr Nobel, aasen." Theodor Mommsen hustete empört auf und schlug mit seinem Gehstock leicht gegen den Schreibtisch, um das Wort zu übernehmen. Er rückte, wie so häufig, seine Brille zurecht, doch der Herzog wischte seine aufkommenden Worte mit einer herrischen Geste weg. "Unterbrechen Sie mich nicht." Empört keuchte Mommsen nochmals auf und murmelte wütend vor sich hin, während Himlys Blick weiter dem flackernden Kaminfeuer galt. Carl spürte, dass der Blick auch ihn hin und wieder traf. Himly schien Carl, gerade nach seinen Worten in Bezug auf die verunglimpfende Worte, sehr kritisch zu betrachten. Interpretierte Himly das so, als würde Carl die Professoren aufstacheln wollen? Himly blickte Carl kalt an. Eine Antwort bekam er jedoch nicht.

Der Herzog war dabei wieder aufgestanden. Er hatte bei Alfreds Worten nicht einmal die Anstalten gemacht, den Vertrag mit Gewalt an sich zu bringen, doch unentwegt deutete er bei seinen Erläuterungen, die folgten, auf das zusammengefaltete Dokument.
"Also der Vertrag! Wenn Sie erkannt haben, dass der Vertrag nichts rechtsgültig ist, haben Sie dies richtig erfasst. Wenn Sie es ausgiebig studiert haben, werden Sie also sehen, dass mein Siegel darauf prangt. Das hat einen Grund, denn es ist mein Siegel. Ich will Ihnen sagen, wie es zustande kam." Friedrich gab dem Drang nach und griff zur Branntweinflasche. Daneben, ehedem nicht sichtbar, hatte noch ein kleines, bauchiges Glas gestanden. Er schenkte sich einen kleinen Schluck ein und befeuchtete dann jedoch nur seine Lippen. Er setzt sich wieder hin, legte die Hände ineinander. Die Unterarme ruhten wieder auf den Knien, er saß also nach vorne gerückt. "Friedrich und ich saßen Anfang November, als er sich noch bester Gesundheit erfreute, auf Glücksburg. Wir teilten die Vorliebe für Pferde. Ich präsentierte ein paar Pferde, welche gar nicht weit von hier in Brammerau[7] gezüchtet werden. Das tut weniger zur Sache, ich weiß,  aber wir hatten nach einem Ausritt sehr guten Cognac getrunken und unterhielten uns angeregt über die Altertümer, das größte Hobby Friedrichs, und als wir fröhlicher wurden, machten wir Witze über die Irrungen der Vergangenheit, über die Treppenwitze[8] der Geschichte. Ich wurde mutig und fügte irgendwann an, dass ich das Leid meines Vaters, dass er aus der Thronfolge für Schleswig und Holstein ausgeschlossen wurde, alleine aufgrund der Angst eigentlich nicht beteiligter Länder - Großbritannien, Schweden und Russland vor allem, immer noch nicht ertragen kann und dies so ein Treppenwitz ist. Zu meiner Verblüffung gab mir Friedrich recht. Er äußerte, wie sehr ihn die Eiderdänen immer zum Handeln drängten und wie gerne er von einem echten Parlament aus allen Dänen umgeben wäre, um nicht nur diese falschen Nationalisten um sich zu haben.
Wenige Tage später starb Friedrich auf Glücksburg[9]."


Jetzt nahm er einen vollmundigen Geschmack des Branntweines, der seinen Worten nach zu urteilen wahrscheinlich echter Cognac war. Er zitterte immer noch und wirkte jetzt richtig müde, raffte sich aber auf.
"Es war keine drei Stunden nachdem ich von der Novemberverfassung erfuhr und außer mir war vor Wut. Ein Franzose suchte mich auf, er bat um eine eilige Audienz, ausgerüstet mit irgendeinem Diplomatenwisch. Ich ließ es nicht genauer prüfen. Sein Name war Jean-Baptiste Lavalle. Er war mit seiner Frau vor Ort. Einer rothaarigen Frau von verblüffender Lieblichkeit für eine Botschafterfrau. Während meiner Frau sich aber seiner Frau annahm, eröffnete er mir seinen Plan. Er, als Franzose, sei besorgt über die Entwicklungen, und drückte Frankreichs Sorge aus, dass es jetzt zu Kriegshandlungen kommen könnte. Er ließ anfragen, wie ich zum Londoner Protokoll stünde und ich habe ihm wahrheitsgemäß geantwortet, dass ich meine Ansprüche nicht aufgebe und sie geltend machen würde, wenn Dänemark sich Schleswigs bemächtigen würde. Es war auch noch am selben Tag, dass ich per Eilboten meine Entscheidung[10] dem Deutschen Bund bekannt machte."
Er trank das Glas leer und stellte es auf der Tischplatte ab. Sein Gesicht verzog sich leicht. Wahrscheinlich kam ihm der Branntwein nun glutwarm vor.
"Am selben Abend kam er wieder. Er bot mir Frankreichs Dienste an und präsentierte einen Brief aus dem Nachlass Friedrichs. Es ist jener «Vertrag», den sie jetzt in Händen halten. Nach dem Gespräch mit Friedrich und den Erläuterungen des Herrn Lavalle kam mir das Angebot ehrlich vor. Er konnte sogar - mir glaubhaft - erklären, warum der Brief an Frankreichs Botschafter gelangt sei. Friedrichs Witwe - Louise[11] -  war eine Bürgerliche und vom dänischen Volk nicht sehr geliebt. Direkt nach dem Tod Friedrichs ist sie nach Cannes[12] gezogen, wo die beiden gerne Zeit verbringen mochten. Sie fürchtete die Eiderdänen sehr und war eine sehr resolute Frau, was den Argwohn gegenüber reichem Bürgertum, Nationalisten und Adligen anging. Dementsprechend machte es für mich auch Sinn, dass sie eben Frankreich dies übergab, weil dort diese Ideale noch ein wenig nachklangen und sie wirklich ernsthaft besorgt um den Frieden gewesen sein mag."
Friedrich zitterte leicht und blickte auf das Branntweinglas. Er nahm jetzt aber wieder das durchweichte Tuch hervor und tupfte sich die tropfende Stirn ab.
"Frankreich könne das nicht uneigennützig machen, das verstünde sich von selbst. Aber für einen entsprechenden Betrag würde Frankreich Christian IX. überreden, der bekanntlich die Novemberverfassung nicht mittrage. Die Einigung war folgende: Für ein entsprechendes Entgelt würde Frankreichs Botschafter ein dänisches Siegel unter den quasi testamentarischen Wunsch Friedrichs bringen, und zwar eben jenes Friedrichs. Als Bestätigung, dass ich mit dem Ausgang so zufrieden wäre, siegelte ich diesen Beschluss natürlich und verkündete am nächsten Morgen, den 19. November, dass ich regierender Herzog von Schleswig-Holstein bin."
Seine Worte fielen ihm jetzt schwer, er sprach langsamer und prägnanter.
"Es war mittags, und gegen Abend erwarteten wir den Besuch von Christian Julius de Meza. Er würde, laut Herrn von Lavalle, das fehlende Siegel beitragen. Christian, so wurde mir ein Brief vorgelegt, würde im Falle einer Vermittlung wohlwollende Neutralität halten, in dem auch beschrieben stand, dass es ihm leid täte, dass er die Novemberverfassung unterschreiben müsste. Friedrichs Wille jedoch könnte nicht abgeschlagen werden, sodass er eben jene wohlwollende Neutralität wahren würde. Vor Preußen bräuchte man sich nicht sorgen, Graf Guido wäre auch dafür. Man legte mir auch da einen Brief vor, dass er die Urkunde wenig später unterschreiben würde. Irgendwann Ende November, glaube ich. Ich war ganz außer mir vor Freude bis..." Er sprang auf und schleuderte das leere Cognacglas gegen die Wand, wo es in tausend Splitter zerbarst. Er schlug noch einmal mit der Faust auf dem Schreibtisch und warf sich dann wieder in seinen Sessel.
"...bis Gerhard von Hardenberg auftauchte und versuchte die Söldner festzunehmen. Haben Sie sich gewundert, warum so wenig Leute auf meinem Gut sind? Ich wollte keine mehr gefährden. Siebzehn meiner Bediensteten starben an diesem Tag, fünf Soldaten aus Holstein, drei Preußen. Ich werde es nicht vergessen. Ich dachte, dass die beiden Lavalles mit kleinem Stab hier gewesen wären. Doch Schotten tauchten auf und griffen ein. Die Lavalles konnten fliehen. Der Vertrag verschwand allerdings auch. Nicht mit ihnen, sondern durch die Hand von Marius Pedersen. Er war wegen der Literaturzirkel und Dichtertreffen häufiger Gast hier, auf Anraten von Professor Otto Ribbeck. So hängt es zusammen, dass ich Marius Pedersen zu ihnen zählte und Preußen hat mich das auch glauben lassen und ich habe es geglaubt. So sehen die Konsequenz im Haftbefehl. Auch wenn ich wusste, dass Sie beide keine Söldner sind."
Der Herzog stellte die Flasche mit Branntwein wieder neben den Schreibtisch.
"Der Braunschweiger deckte auf, dass sie eine international operierende Söldnerbande sind, die regelmäßig wegen Fälschungen gesucht werden würden. Herr Lavalle und Frau Lavalle ließen die Deckung auch in Folge fallen und übten Druck auf mich aus. Sie sagten, dass sie mich dafür haften lassen würden. Es standen noch 75% der Zahlungen aus, und sie wollten sie sofort haben. Sie drohten auch mit den anderen Parteien zu verhandeln. Es überschlag sich etwas. Der Braunschweiger machte mich auf die Bewegungen des Vertrages aufmerksam und beobachtete es mit Hilfe der preußischer Geheimpolizei, der Vertrag landete in St. Petersburg, kam an die Nobels und alle Parteien versuchten des Vertrages habhaft zu werden. Den Rest der Geschichte kennen Sie wahrscheinlich besser als ich."

Der Herzog blickte zum heißen Kamin und wischte sich den Schweiß jetzt ungehemmt mit seinem linken Ärmel von der Stirn. An seinen Augen war zu erkennen, dass der Schweiß ihm in die Augen gelaufen war, vielleicht hatten sich auf Tränen dazwischengemischt, vielleicht wegen der Verluste, vielleicht auch aus Ärger über sich selbst.
"Und jetzt ist die Situation die, dass die Bundesexekution durchgesetzt ist gegen Christian. Danach wollte der Deutsche Bund mich so oder so anerkennen, nur für Holstein, jedoch verhindern Preußen und Österreich dies. Sie werden mein Land auch jetzt mit Krieg überziehen, die schönen Städte schleifen und die Kultur hier zerstören. Die Bilder habe ich ihnen bereits beschrieben, wie das Land hier aussehen wird.
Sie mögen sich jetzt fragen, warum ich an der Situation nicht viel geändert habe? Ich bin so nah am Vertrag dran und ich weiß, dass diese Selbstbestimmungserklärung und Verzichtserklärung den Krieg verhindern kann, selbst wenn es auf einer Lüge aufbaut. Sie wirkt plausibel, auch wenn sie in diesem Raum wissen, dass dem nicht so ist. Großbritannien wird beruhigt sein, wie auch Schweden und Russland, weil Preußen keinen noch besseren Meereszugriff bekommt. Dänemark wird sich beruhigen darüber, auch wenn die Eiderdänen es Christian IX. schwermachen werden. Wahrscheinlich werden die Eiderdänen erstmal Kollaborateure in den eigenen Reihen suchen und sich fragen, warum sie Friedrich nicht unter Kontrolle hatten. Preußen würde wegen des Vertrages und der scheinbaren Unterschrift Guidos den Gesicht verlieren, wenn sie den Vertrag öffentlich anfechten würden. Wir haben darüber ausreichend gesprochen. Selbst, wenn es kein ewigen Frieden schaffen kann, doch kann es den unmittelbaren Krieg verhindern. Selbst wenn der Vertrag nachträglich als meine Lüge entlarvt würde, sehen Sie, ist es so, dass die Novemberverfassung einen neuen Anlauf nehmen müsste, neu durchgesetzt werden müsste. In Dänemark wäre die Lage vielleicht eine andere und die internationalen Kräfte müssten sich mit einschalten, um das friedlich beizulegen, weil es dann kein deutsches Problem mehr wäre. Das Londoner Protokoll würde zumindest besser geregelt werden und Preußen kann seine neue Armee nicht an meinen Landsmännern, egal auf welche Seite der Eider, testen! Und ich, ja, wenn es entlarvt würde, dann würde ich dafür haften, aber nicht mein Land! Das ist wichtig!

Geben Sie mir bitte den Vertrag, ich werde dann noch heute nach Flensburg aufbrechen, um mich mit de Meza zu treffen und diesen Krieg noch zu verhindern..."


Er stellte die Ellbogen auf der Tischplatte ab und vergrub sein Gesicht in seinen Händen, einen Moment wirkte es so, als würde er schluchzen. Doch er sammelte sich nur. Er wirkte jetzt ganz abgekämpft. Lange würde er keinem Kreuzfeuer mehr standhalten. Er versuchte gar nicht, jeder Anschuldigung gerecht zu werden. Sie prallten aber auch nicht an ihm ab. Ganz im Gegenteil. Er blickte auf und zu Conrad und Alfred.
"Es mag Ihnen so scheinen, als würde nur Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit der Politik helfen. Aber was ist Aufrichtigkeit? Ich fordere auch nur den Frieden, aber niemand hört auf meine Forderungen, also muss ich sie selbst in die Hand nehmen. Was passiert ist, ist sicher nicht vollends rechtens, aber es kann Blutvergießen verhindern, verstehen Sie? Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Wenn ein Mann Massen von Menschen tötet, vielleicht sogar ein Tyrann ist, würden Sie ein Attentat auf ihn deswegen nicht gutheißen, weil Sie meinen, es wäre besser, ihn vor ein Gericht zu stellen? Grundsätzlich würde ich dem zustimmen, aber wenn die Chance, dass ich ihn ins Gefängnis bringen kann aufgrund seiner Mörderbrigaden gering ist und viel Blut und Menschen und Leid kostet, ist es nicht dann sogar von mir gefordert, ein Unrecht zu begehen, um mehr Unrecht zu verhindern? Oder muss es heißen: Fiat iustitia, et pereat mundus[13]?
Sehen Sie es so? Achten Sie doch auf die Kriegsrhetorik von Herrn von Lütjenburg. Er redet über das Senken der Moral der Truppe, oder nicht? Glauben Sie tatsächlich, dass ein Land Sie kollektiv verrät, weil Sie für dieses Land den Frieden wollen? Hätten Sie Ihre Mutter verstoßen - das frage ich Sie, Herr von Lütjenburg - wenn diese für Ihren Unterhalt, um Sie zu ernähren und damit Sie einen Offizierrock tragen können, von den glorreichen Äckern des Alten Fritz Kartoffel gestohlen hätte? Frieden ist ein Grundbedürfnis! Sie müssen es stillen, sonst erleben sie Chaos und Anarchie!
Herr Rosenstock, Herr Nobel: Ich bin ein informierter Mann. Ihre Väter sind Rüstungsmänner. Sie verkaufen Waffen, damit die ansonsten Wehrlosen Frieden wahren können gegen jene, die den Krieg wollen. Oder sind Sie Ihren Vätern gegenüber wütend, dass Sie das Töten in die Welt bringen? Glauben Sie mir, wenn es einen realistischen, ehrlicheren Weg gäbe, diesem Land Frieden zu bringen: ich würde ihn gehen! Bei Gott! Ich würde ihn gehen! Aber ich sehe ihn nicht, und Sie sehen ihn leider auch nicht. Hier stehe ich nun, und kann nicht anders! Gott helfe mir![14]"


Er blickte zu den Professoren, die nach wie vor sehr ruhig waren. Mommsen hatte die Faust geballt und spürte, dass hier im Moment nichts mit Widerworten zu holen war, während Himly immer noch in den Kamin schaute und nur hin und wieder die Reaktionen der ganzen Gäste abschätzte. Der Herzog versuchte allen Männern im Raum etwas entgegenzukommen, dabei blickte er besonders Carl von Lütjenburg an.
"Was nun mit meiner Person passiert, wenn der Frieden gesichert ist, das ist eine ganz andere Geschichte. Ganz unabhängig, ob sie mich wie Carl von Lütjenburg mit zu guten Worten ausschmücken oder nicht. Wenn Sie mich für einen Unmenschen halten, können wir gerne festlegen, dass ich zurücktrete, sobald mein Thronfolger alt genug ist. Oder wir legen fest, dass das Land Schleswig-Holstein eine Zehnjahresfrist zur Verfügung hat, ein demokratisches Land zu werden. Dazu dürfen aber nicht nur die Bildungsbürger wie Mommsen und Karsten und Himly und Weißdorn die Wählerschaft stellen, sondern auch die Bauern, und Arbeiter und alle Männer, die hier leben, arbeiten und Teil des Landes sind und bei denen dieses auch so im Passe steht! Ich will dem Parlament und mir zehn Jahre geben, und dann meine Macht niederlegen, weil Schleswig und Holstein sich dann beruhigt haben und ein ordentliches Wahlsystem ausgemacht ist und das gierige Preußen sich an die Existenz dieses eigenen, großen Herzogtums gewöhnt hat. Wenn Sie dann wollen, können Sie mich danach vor ein Gericht für meine Taten stellen oder ich kann mich selbst als Demokrat zur Wahl. Wir können es festhalten. Doch lassen sie uns erst tun, was notwendig ist! Bitte! Preußen kann uns Worte versprechen, aber! Das preußische Wort ein gutes Wort für uns einzulegen, selbst für eine Demokratie, sind nicht glaubwürdig. Herr von Lütjenburg, Herr von Stiehle. Sind gehören zu einem konservativen Land und die Österreicher sind noch mehr mit dem alten Monarchismus verwoben! Und außerdem müsste politisch nach der Bundesexekution eine neue Rechtslage geschaffen werden, sonst wird der Konflikt immer weiter schwelen. Der Vertrag kann ihn ersticken, weil er ihn auflöst!"

Von Stiehle äußerte sich nicht. Sein Versuch, das Gespräch vom Vertrag wegzulenken und auf die Situation zu beziehen, war nicht von Erfolg gekrönt und so kratzte er sich nachdenklich seinen Bart. Der Herzog schien im Moment nicht gewillt, von Stiehles Forderung, Soldaten zu stellen, nachzukommen. Zu sehr waren alle im Schicksal des Vertrages involviert. Erschöpft saßen sie also beisammen und diskutierten über die Zukunft des Herzogs und vielleicht auch über die Zukunft Schleswig-Holsteins. Zumindest sofern der Vertrag doch noch Gültigkeit erlangte, könnte er politisch bedeutsam werden. Wenn Alfred Nobel ihn nicht übergab, würde von Stiehles Szenario sehr wahrscheinlich werden. Doch was war dann mit der Sicherheit der Nobels? Emil kaute auf seinen Nägel und behielt die Tür im Blick. Er war alles andere als zufrieden mit dem Verlauf des Gespräches. Nervös schnappte er nach Luft und stellte sich in die Nähe der Tür. Er war etwas bleich und bekam im stickigen Raum kaum Luft. Der Herzog machte aber noch keine Anstalten, den Kamin endlich mal löschen zu lassen oder auch nur ein Glas Wasser anzubieten, damit alle sich erfrischen konnten. Die Hitze blieb fast unerträglich[15].
 1. Geheimdiplomatie
 2. humanitas
 3. Adelsgeschlecht Hardenberg
 4. Novalis
 5. Als Referenz
 6. Magnifizienz
 7. Brammer
 8. Treppenwitz
 9. Glücksburg liegt übrigens im heutigen Schleswig-Holstein
 10. Die Entscheidung, regierender Herzog zu werden.
 11. Louise Gräfin von Danner
 12. Cannes
 13. Fiat iustitia, et pereat mundus! - Es soll Gerechtigkeit geschehen, und gehe die Welt darüber zugrunde!
 14. Dieser Spruch ist natürlich eigentlich Martin Luther zugeschrieben. Er soll ihn geäußert haben, als er vor dem Reichstag Kaiser und Kirche gegenüber seine Thesen widerrufen sollte.
 15. Nächster Zähigkeitswurf gegen SG 15 bitte. Wer vorher erfolgreich war und jetzt scheitert, bekommt den bekannten -1 Malus. Wer das zweite Mal scheitert, ist zusätzlich erschöpft, solange er sich in diesem Raum auffällt und keine Auszeit nimmt.
« Letzte Änderung: 08.07.2013, 01:55:54 von Menthir »
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Alfred Nobel

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Casus Belli
« Antwort #350 am: 12.07.2013, 19:24:22 »
Hörbar atmete Alfred tief aus, als Frriedrich endete. Der perlende Schweiß rann nun in langen Fäden auf der hohen Stirn des Schweden herab, nur mit geöffnetem Mund konnte Alfred Atem hole, seine Barthaare verklebten sich in seinem feuchten Atem und der schwülen Luft. Alfred konnte kaum gerade denken, doch er nicht dazu bereit, sich auf die beleidigten Worte des Herzogs einzulassen. So sachlich Alfred in die Unterhaltung eingestiegen war, so vorsichtig blieb er auch in seinen nächsten Formulierungen.

"Nun, ich danke Ihnen für Ihre Offenheit, Euer Durchlaucht," begann Alfred stöhnend dem Augustenburger zu antworten, "sehen Sie, die Klarheit ob der ganzen Sache ist zumindest für mich und meinen Bruder bislang verwehrt geblieben. Und nehmen Sie ihre weiteren Gäste nicht aus dieser Annahme heraus, ich möchte mir lediglich nicht erlauben, für sie zu sprechen. Wie dem aber auch sei, Ihre Erklärungen helfen mir zumindest, zu verstehen, was Sie alles haben über sich ergehen lassen."

Alfred schwieg für einen Moment und atmete tief durch. Gequält schloss der Schwede die Augen und massierte mit Zeige- und Mittelfinger seiner Linken die Schläfe. Es war nicht eindeutig ersichtlich, ob der Chemiker nachdachte oder die Pause benötigte, um sich von der Anstrengung der wenigen Sätze zu erholen.

"Als Preuße ist der Braunschweiger wirklich denkbar, umso mehr als solcher Agent. Verstehe ich es richtig, dass die Erwähnung der Geheimpolizei Preußens in dem Haftbefehl dafür sorgte, dass es dem Braunschweiger - Herrn von Hardenberg nicht einfiel, selbst Besitz von dem Dokument ergreifen zu wollen oder einen Übergriff auf meine und meines Bruders Person durchzuführen? Eine riskante Angelegenheit, wenn ich das so aussprechen darf - bei solchen Freunden braucht es wahrlich keine Feinde mehr..." Mit einem wehleidigen Blick sah Alfred zu dem Herzog und nickte kaum merklich. Die Worte wirkten weder wie eine Ermahnung noch wie Spott, sondern vielmehr wie eine ehrliche Mitleidsbekundung. "Wo befindet sich Herr von Hardenberg im Moment?"

Keuchend rückte Alfred seine Haltung auf dem Sessel zurecht. Er war bewusst auf die weiteren Inhalte des Haftbefehls nicht weiter eingegangen, sein Gedächtnis schien mittlerweile unter der brütenden Hitze des Raumes zu leiden. Unruhig wechselte der Schwede zwischen Zurücklehnen und nach vorne Stützen, um seinen Verstand bei Besinnung zu halten. Er schein einen Moment zu zögern, ehe er sich an den Kragen griff und seine schmale Fliege löste. "Bitte um Verzeihung," murmelte er lediglich, als er das dünne Stück Stoff um seinen Hals hängen lies und den obersten Knopf seines Hemdes öffnete.

"Aber der geheimnisvolle Herr aus Braunschweig ist immerhin nicht die Ursache für das Problem, sondern nur ein Weiteres. Verzeihen Sie Herr Major, wenn meine Wortwahl Preußen gegenüber so antagonistisch klingt, sie ist sicherlich nicht argwöhnisch gemeint. Sagen Sie, ist Ihnen die Tätigkeit Herrn von Hardenbergs in Holstein bekannt gewesen?"

Fragend sah Alfred zu Stiehle und sein Blick ruhte für einen Moment auf dem Major. Dem Schweden war der anschuldigende Ton des Herzogs nicht entgangen, als er über die Arbeit des Braunschweigers sprach.

"Doch lassen Sie uns vielmehr über die Angelegenheit sprechen, Euer Durchlaucht. Die Urheber sind wohl Madame Lavalle, mit welcher Emil bereits Bekanntschaft schließen musste, und ihr Mann, der Tortionnaire nehme ich an. Es scheint fürchterlicherweise offensichtlich, dass das französische Paar Ihnen einen Türken gestellt hat[1]. Nun, nicht in der Sache, einen gefläschten Vertrag zu produzieren - habe ich Sie richtig verstanden, als Sie davon sprachen, mit Hilfe der Franzosen auf das Dokument ein Siegel Friedrichs nach seinem Tod anzubringen? Dann haben Sie bereits zugegeben, dass es mit der Rechtmäßigkeit des Vertrages nicht viel auf sich hat. Die Täuschung lag wohl vielmehr darin, dass ihre Versprechungen gehaltlos zu sein scheinen."

Mit zusammengekniffenen Augenbrauen senkte Alfred den Blick, als er die Erzählung des Herzogs nachvollzog.

"Die Absichten der Herrschaften Lavalle liegen zunächst unzweifelhaft auf der Hand. Ein ertragreiches Geschäft in der Not eines Volkes, nicht wahr? Ich denke, die Illusion, dass die französische Krone ein Interesse an der Sache Schleswig-Holsteins habe, verfiel spätestens nach dem schottischen Übergriff. Aber vor allem nachdem, Euer Durchlaucht, sind Zweifel höchst angemessen. Nehmen Sie General De Meza beispielsweise. Er gilt unter seinen Soldaten und sogar in der Bevölkerung Schleswigs als gewissenhafter Mann. Er mag zurückhaltend und schüchtern sein, aber ich kenne ihn als aufrichtig."

Kurz blickte Alfred auf, um den fragenden Gesichter zu begegnen. Unbedeutend winkte er seine Bemerkung ab.

"London auf der Weltausstellung im letzten Jahr. Wir kamen ins Gespräch, als wir gemeinsam die Analytische Maschine[2] von Charles Baggage[3] bestaunten. Das Unternehmen meines Vaters war ihm ein Begriff."[4]

Bei der Erwähnung des Minenunternehmens der Nobelschen Familie blinzelte Alfred vorsichtig zu Friedrich. Auch der Herzog wusste Alfred Nobels Worte über Frieden in dessen Kontext zu setzen.

"Das tut jedoch nichts zur Sache," brach Alfred seinen Geschichte ab, und fuhr fort, "was ich sagen möchte ist folgendes: Können Sie sich sicher sein, dass die Vermittlungen der Lavalles jemals stattgefunden haben? De Meza wirkte nicht wie ein Vertragsbrecher auf mich, und ich kann mir nicht vorstellen, dass er es sich auflasten würde, die dänische Krone zu hintergehen, so sehr auch er einen Frieden einer Eskalation bevorzugt.

Selbe Frage formuliert sich für die versprochene Neutralität Christians. Von ihm bekamen Sie nie mehr als einen Brief, nicht wahr? Ein Brief, der durch die Hände von anerkannten Fälschern ging. Mit Verlaub, Euer Durchlaucht, aber diese Informationen sind zweifelhaft, und ihnen ist nicht zu vertrauen. Umso mehr hoffe ich,
" bedeutete Alfred, als er mit der Rechten seine schweißgetränken Haare aus der Stirn wischte, "dass Ihre Pläne, den Krieg zu verhindern, echten Wahrheiten zugrunde liegen. Denn was genau schwebt Ihnen vor?[5] Ich glaube Ihnen jedes Wort, Euer Durchlaucht - aber ich trage die Befürchtung, dass man Sie in einem falschen Glauben hat lassen."

Schwerfällig stöhnte Alfred auf und verzog eine Grimasse, als er seinen Oberkörper erneut nach vorne beugte. Bedeutsam sah Alfred in Friedrichs Augen. Seine Haare fielen ihm schwer vom Schweiß ins Gesicht. Unschlüssig starrte Alfred das lodernde Feuer im Kamin an.

Mit Mühe hielt der Schwede seinen Ärger über diese Strapaze zurück, die Friedrich seinen Gästen und sich selbst auferlegte. Mit der Kälte des Winters wusste Alfred umzugehen, doch auf eine solche pressende Hitze war er nicht vorbereitet.

Plötzlich zuckten Alfreds Augenbrauen nach oben, ehe er den Mundwinkel verzog und in einem stummen Lachen einen kurzen Atem ausstieß. Der Chemiker hob die flache Hand, als wolle er Friedrich bedeuten, einen Moment zu warten. Mit einem Ächzen lehnte Alfred sich nach vorne und suchte nach seinem Koffer, er benötigte einige Versuche, bis er ihn unter seinem Sitz zu fassen bekam. Erneut streckte er dem Herzog die Hand entgegen und nickte wohlwollend.

Die Scharniere der Tasche klappten auf und der Chemiker zog zwei identische verkorkte Phiolen hervor, keine breiter als sein kleiner Finger. Prüfend hielt er die Gläser gegen das Licht des Kamins um ihren Inhalt zu prüfen, ehe er zufrieden zu Nicken begann. Ein reichte er seinem Bruder, die zweite entkorkte er selbst. Mit dem Kopf im Nacken ließ er sich in Inhalt in seinen Rachen tropfen, ohne sich an den misstrauischen Blicken der Anwesenden zu stören. Bereits die wenigen feuchten Tropfen wirkten erlösend auf seiner Zunge. Mit einem Räuspern wandte sich Alfred den fragenden Blicken.

"Ein Thermoregulator nach schwedischer Rezeptur. Entkoppelt die thermische Wechselwirkung des menschlischen Körpers von der Umgebung und hält ihn auf einer gesunden Temperatur. Urprünglich habe ich das Mittel gegen die eisigen Temperaturen des Winters vorbereitet, doch es wirkt ebenso auch für eine heiße Belastung,[6]" erklärte der Chemiker ungeniert und wartete darauf, dass die Wirkung des Regulators einzusetzen begann. Mit der flachen Hand deutete er nun auf seine Tasche. "Falls Sie Interesse haben, scheuen Sie sich bitte nicht zu fragen. Ich habe sechs weitere Rationen vorrätig."

Dass damit eine der neun Personen in dem Raum ohne den Regulator auskommen musste, kommentierte Alfred nicht. Er hatte kein Interesse daran, den Herzog zu provozieren.
 1. Einen Türken stellen. Der Spieler freut sich diebisch über diesen Ausdruck. :)
 2. Anaytical Enginge
 3. Professor Charles Baggage
 4. An dieser Stelle bezieht sich der Spieler auf einen Würfelwürf von vor über einem Jahr.
 5. Auf diese Frage erwartet Alfred eine Antwort.
 6. Trank: Endure Elements
But I have learned to study Nature’s book
And comprehend its pages, and extract
From their deep love a solace for my grief.

 - A Riddle, 1851

Carl von Lütjenburg

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Casus Belli
« Antwort #351 am: 17.07.2013, 21:19:23 »
Langsam wurde der Herzog persönlich und versuchte Emotionen für seine Argumente einzuspannen, darüber hinaus schien er gar nicht ernsthaft in Erwägung zu ziehen, was Carl zu sagen hatte. Eigentlich hätte dieses Verhalten den jungen Offizier stark verärgert, doch hatte er wohl insgeheim kaum erwartet mit seinen Worten einen bedeutenden Erfolg zu erzielen, so dass der Ärger ausblieb. Dennoch entschied er sich zumindest teilweise auf den Zug aufzuspringen und die Dinge geradezurücken.

"Und wenn meine Mutter gemordet hätte, damit ich Leutnant sein darf? Wollen Sie mich auch fragen, ob ich sie dann ebenfalls nicht verstoßen hätte? Wo ziehen Sie persönlich in solchen Fällen denn hier die Grenze? Sie flüchten sich mit solchen Argumentationen in Grauzonen und bemühen sich um Sympathie für ihr Handeln, ihre Motivation kann aber nicht ihre Tat rechtfertigen und darüber hinaus geht es hier nicht um irgendeine Bagatelle, wir reden hier immer noch von gefälschten Staatsurkunden.

Der Mensch nutzt solcherlei Verträge und Gesetze, eben nicht zuletzt dazu den Frieden zu ermöglichen und aufrecht zu erhalten. Doch damit das möglich ist, müssen sich aber auch alle an diese Verträge und Gesetze. Wann immer jemand der Meinung war, er stünde über dieser Ordnung, hat sein Handeln Menschenleben gefordert. Dies wird auch auf die dänische Verfassung zutreffen und die Spur, die dieser falsche Vertrag hinter sich herzieht bestand bisher auch nur aus Leid und Blut.

Und dieses vergossene Blut soll nun auch noch als Argument dienen diesen Mummenschanz aufrecht zu halten, einfach weil es schon vergossen wurde? Was nicht vollends rechtens ist, soll Blutvergießen verhindern - das hat bisher nicht funktioniert und ich glaube, dass sich das auch weiterhin nicht ändern wird."

Kurz bemerkte Carl Himlys Blicke in seine Richtung. So schnell würden die Professoren dem Herzog keine Brücke mehr bauen, zumindest diesen Weg hatte er erfolgreich verbaut, doch konnte er die Akademiker schon ganz abschreiben? Kurz überlegte er, wie sein Studium in Kiel wohl aussehen mochte, wo er es sich nun mit der Professorenschaft verdorben hatte. Dafür war jedoch keine Zeit, im Zweifel würde er sein Studium wohl nach dem Krieg in Berlin beenden müssen.

"Zurecht bemerken Sie, dass ich mich wie ein Soldat ausdrücke, schließlich bin ich ja auch ein solcher. Aber das können sie mir ja wohl schlecht zum Vorwurf machen, denke ich. Nie habe ich von kollektivem Verrat gesprochen.  Ich sprach lediglich davon, dass ich bezweifle, dass sie die Wahrheit über diesen Vertrag positiv auf ihr Land und ihr Volk auswirken wird. Da bekommt man Einigkeit und Freiheit auf dem Silbertablett serviert, aber am nächsten Tag muss man sich schon die eigene Schande eingestehen. Diese Enthüllung wird die Menschen polarisieren und manche auch radikalisieren. Man muss kein Demokrat sein um zu begreifen, dass eine Regierung nur solange bestehen kann, wie das eigene Volk sie gutheißt, da werden alle guten Ansinnen der Welt nicht zu Genüge reichen. Wenn eine Regierung keinen Anklang im Volke findet, dann wird es ein Land immer schwer finden zu bestehen. Auch wenn ich weit davon entfernt bin ein Pessimist zu sein, so kann ich Ihre Einschätzungen der Zukunft eines Schleswig-Holsteins nach ihrem Willen und auf Grundlage dieses Vertrages nicht teilen. Sie haben ja selbst schon vermutet, dass das sich die Mitwisserschaft nicht nur auf die Anwesenden erstreckt, solche Wahrheiten lassen sich bekanntlich nicht aufhalten. Ihre Pläne zielen lediglich darauf ab eine Tatsache zu schaffen und dadurch die Karten neuzumischen und ihre Worten machen deutlich, dass sie darauf hoffen in der nächsten Runde mehr Trümpfe auf der Hand zu haben. Das dies ein ausgemachtes Vabanque-Spiel ist, dass sie diesem Land da zumuten, ist Ihnen sicher selbst bewusst, sonst hätten sie wohl kaum versucht sich mit Herrn Nobel schon einen Trumpf vor Spielbeginn einzukaufen."

Menthir

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Casus Belli
« Antwort #352 am: 22.07.2013, 12:22:41 »
7. Dezember 1863 - Am Morgen des Krieges? - 18:47 Uhr - Gut Emkendorf - Im Büro des Herzogs

Der Augustenburger blickte jetzt wieder grimmig drein, doch diesmal war dieser Grimm frei von provozierter und willkürlicher Wut. Je mehr man das Gesicht des Herzogs deutete, desto klarer wurde auch, dass ein Gutteil dieses Grolles vor allem sich selbst galt und gar nicht seinen Gästen. Er exerzierte es ein gewisser Form vor, und seine Gäste wurden nicht müde, ihn daran zu erinnern. Wäre Schwester Hermene an diesem Ort gewesen, hätte sie vielleicht ein paar der großen Kirchenlehrer oder Kirchenpersönlichkeiten zitiert und nach dem Motto gehandelt: Die Vernunft kann sich mit größerer Wucht dem Bösen entgegenstellen, wenn der Zorn ihr dienstbar zur Hand geht[1]. Vielleicht wäre dann der Streit dann auch noch mehr einer der höheren moralischen Instanzen gewesen als er jetzt schon war. Wäre Donald Munro, benannt nach dem Stammvater der Munros[2], an diesem Ort gewesen, hätte er sich vielleicht trotz des Clanmottos - Dread God - der Geschichte eben seines Clanvaters erinnert, welcher von Irland nach Schottland übersiedelte, um die Dänen zu bekämpfen. Obzwar Donald Munro bei eben dem Herzog in Gefangenschaft saß, sah der Herzog die Möglichkeit des Nutzen des Schotten nicht, der zumindest hätte dieser seine Argumente bekräftigen können, oder vielleicht war noch immer etwas faul an den Worten des Herzogs, und die Schotten hätten seine Argumentation auflösen können? Höchstwahrscheinlich würden aber auch die Schotten - egal ob Haldane[3] oder Munro[4], egal ob Lowlander oder Highlander - das Gespräch verkomplizieren und versuchen ihre eigene Haut zu retten. Wäre Karl Schreiber nun aber an diesem Ort gewesen? Wie hätte er gehandelt? Carl wusste, dass Karl im Herzen den Preußen nicht traute und auch wenn Carl Karl als Freund bezeichnen konnte, war Schreiber ein Holsteiner von Herzen und hätte sich auf die Seite des Herzog gestellt. Conrad und Carl wussten beide, dass Karl ein leidenschaftlicher - so man diesen eher ruhigen, lauenburgischen Schriftsteller denn je als sichtbar leidenschaftlich bezeichnen konnte - Verfechter der großdeutschen Lösung[5] gewesen war und somit wäre seine Entscheidung klar gewesen. Auch wenn Karl in seiner Belletristik und in seiner Lyrik romantisierte, war er im Leben ein zweiflender, Neuerungen sehr unaufgeschlossener Mann, der stets befürchtete, dass er auf der falschen Seite stehen könnte. Karl stand immer lieber im Bewährten, auch wenn er es ertragen musste, da das Neue ihm immer größere Furcht bereitete. Nicht umsonst lobte Karl bei so manchen Burschenschaftstreffen sogar Männer wie Metternich[6]. Das änderte nichts daran, dass Karl die Burschenschaft schätzte und seine persönlichen Freiheiten, und dennoch war er darüber stets im inneren Konflikt. Ein radikaler Wandel, so meinte er immer, würde nur neue Ungleichheiten schüren.
Es war augenscheinlich, dass dieses Gespräch also hätte mit anderen Personen einen anderen Weg nehmen können. Vielleicht gar einen, welcher den Professoren oder dem Herzog mehr zupass gekommen wäre. Doch nun nahm für beide Parteien die Unterredung eine Richtung, die beiden Parteien kaum gefallen konnte. Mommsen grummelte missmutig, während er Alfred und Carls Worten lauschte.

Von Stiehle war es, der nach den Worten Nobels und von Lütjenburgs zuerst reagierte. Es war nicht nur, weil er direkt von Alfred befragt wurde, sondern weil er auch Theodor Mommsen, der lange mit sich gerungen hatte und nun etwas zu sagen gedachte, im Ansatz abwürgen wollte. Gustav von Stiehle fasste sich in den Kragen und verwischte das Nass, dann blickte er zwischen Herzog und Alfred hin und her. Es war augenscheinlich, dass die Enttarnung von Hardenbergs von Stiehle verwunderte und er abzumessen versuchte, wie viel Wahrheit in diesen Worten lag. Schließlich setzte er zu einer Antwort an, die er mit einem Schulterzucken unterstrich. "Ich hatte keine Idee. Mir ist die Funktion der politischen Polizei sicherlich bewusst, aber es ist weder in meiner Befugnis, noch in meinem Interesse, zu wissen,wo seine Majestät überall Polizisten einsetzen lässt. Dass ich also nicht von seinem Einsatz wusste, lässt mich davon ausgehen, dass er eben für das PGP ermittelt. Entgegen der Darstellung des Herzogs würde ich jedoch davon ausgehen, dass der sogenannte Braunschweiger auch gegen den Herzog ermittelt. Damit dürfte auch klar sein, dass es mit einer Verurteilung nicht lange dauern wird. Meine Herren...", er schaute sich in dem Raum um und dann jeden kurz an, "...es scheint mir, als kämen wir zu der Conclusio, dass der Vertrag unrechtmäßig und das Handeln des selbsternannten Herzogs ebenso unrechtmäßig wie moralisch zu verurteilen ist. Wenn wir uns dann, statt uns um die Moral der Geschichte zu scheren, um unsere Sicherheit kümmern könnten, wäre ich Ihnen allen sehr verbunden." Demonstrativ trat von Stiehle jetzt bereits an die Tür, obwohl klar war, dass noch nicht alle Worte gesagt waren.

Mommsen hob abermals die Stimme an, doch diesmal rauschte der Herzog wieder dazwischen, was dem normalerweise autoritären Geschichtsprofessor einen meckernden Laut abrang. Himly tönte jetzt schwitzend in das Grummeln ein. Der zornige Blick des Herzogs hatte jetzt etwas bitteres und er versuchte gar nicht mehr seine Argumente weiter zu unterfüttern in der Sache der Fakten. Dies hatte er wahrscheinlich so sehr getan, wie er es konnte. Er wusste, dass er dies soweit verfolgt hatte, wie es wohl in seiner Macht lag oder wie die Situation es hergab. Er würde die Männer in seinem Zimmer nicht davon überzeugen können, anhand der Konstellation, dass das Schleswig-Holstein-Problem zu seinen Gunsten ausgehen könnte. Es war eine mehr als undurchsichtige Situation und wenn Männer wie Nobel sich erst dann zur Kooperation bereit erklärten, wenn sie glaubten, diese Situation zu durchschauen, dann konnte Friedrich von Augustenberg ihnen diesen Gefallen nicht tun, so sehr er sich auch bemühte. Keiner verstand die ganze Bandbreite dieses Konfliktes und jeder Glaube ihn durchschauen zu können, gerade aus den Augen eines Getäuschten heraus, würde auch nur eine Täuschung sein. Von Stiehle baute die ganze Zeit darauf, dass dies nicht der Ort der Entscheidung sein könnte, weil gar nicht die Informationen und nötige Befugnisse vor Ort waren. Die Gäste hatten dies für sich geprüft und so waren Alfred Nobels Fragen letztlich nur noch rhetorische Fragen. Der Herzog hatte längst zugegeben, dass er sich hatte täuschen lassen, und trotzdem noch versuchte aus den Scherben noch das Beste zu machen. Wenn der Krug schon zerbrochen war, warum nicht die Feinde dem Ostrakismos[7] überantworten? Das mochte Friedrich sich gedacht haben. Er hatte längst zugegeben, dass der Vertrag der Nobels und das Siegel de Mezas seine letzten Chancen, ja eher vage Hoffnung, waren. Und so entkam dem Herzog zuerst nur ein bitteres Seufzen, ehe er sich nochmal einmal aufrichtete, als würde er als letztes Mal Stellung beziehen wollen, eher die Last der Schuld oder der Aufgabe ihn erdrückte oder die preußische Kartätsche[8] ihn samt seiner Hoffnungen zersiebte. Er rechtfertigte seine Methoden nicht nochmal umfassend und präsentierte keine neuen Fakten, aber er wagte einen letzten Vorstoß.
"Herr Nobel. Sie fragen, was ich beabsichtige? Habe ich das nicht ausreichend dargelegt? Ich werde zu Herrn de Meza fahren, mit Ihrer Güte und Ihrem Friedenswillen, und diese vage Hoffnung aufrechterhalten. Falls ich das Siegel auf die Urkunde bekomme, werde ich sie nutzen, um vor dem Bundestag mein Land frei von Krieg zu halten. Danach werde ich, wie versprochen, meine Abdankung vorbereiten, die erst dann stattfinden wird, wenn ein ordentliches Wahlrecht entworfen ist und es eine Demokratie werden kann, welche nicht alleine von den Gelehrten wie den Mommsens gelenkt wird, sondern einen Querschnitt durch die Bevölkerung zulässt, auch wenn Mommsen es als Ochlokratie[9] geißeln wird. Wenn das geleistet ist, werde ich abdanken und mich dem Gesetz stellen." Der Herzog wischte sich den Schweiß von der Stirn und dachte gar nicht daran, auf den Thermoregulator Nobels einzugehen, also darum zu bitten, aber während er darauf schaute, schien ihm etwas einzufallen.
"Sie werden mir entgegenhalten, dass ich viele Eventualitäten berücksichtigen muss und ich Ihnen nicht glaubhaft versichern kann, dass ich diese aus dem Weg räume. Ich kann Ihnen lediglich versichern, Herr Nobel, dass ich sehr weit gekomme bin. Das Politische per se aber ist nie klar. Niemand hat die Fähigkeit alle Konsequenzen zu bedenken und alle Eventualitäten abzudecken. Ich habe Ihnen aber ausreichend Querverweise gezeigt und Herr von Stiehles Auftauchen hier ist Beweis genug, dass es Krieg geben wird und dass er den Krieg will. Ich will ihn verhindern, das ist meine Agenda und mein Antrieb nebst der Sache, dass ich Schleswig und Holstein vereinigt sehen will. Das habe ich erklärt. Aber sehen Sie, Herr Nobel, wir sind nicht so unterschiedlich. Sie nutzen den Vertrag auch als Unterpfand dafür, dass Sie unbehelligt aus der ganzen Sache hinauskommen, nicht wahr? Das bedeutet, dass Sie einen gewissen Argwohn den staatlichen Behörden gegenüber haben. Mir haben Sie das mit dem Schutzhaftbefehl übel genommen, aber auch Preußen haben Sie es nicht gegeben und auch haben Sie es nicht verheimlicht, dass Sie den Vertrag bei sich haben, bis Sie in Händen der schwedischen Botschaft sind, obwohl ihr Handeln auch strafrechtlich in allen betreffenden Ländern zu ahnden ist, völlig unabhängig davon, wie er in ihr Besitz gekommen ist. Ihr Argwohn muss einen Grund haben oder Sie überblicken die Situation genauso wenig und halten sich genauso an diesem Vertrag fest wie ich, als sei er ihr Anker. Denn auch Sie sind ein Getriebener der Zeit!" Der Herzog ließ seine Worte einen Moment wirken, aber nicht lange genug, dass der schlagbereite Mommsen sich in seine Worte bringen konnte. Wieder dieses meckernde Geräusch.
Es ist ein wenig wie mit dem Erfinden, mit dem Umgang mit Technik und ihrer Wissenschaft. Wenn Sie etwas erfinden, können Sie auch nie vorhersagen, was ihre Erfindung für Segen oder Unbill bringen wird. Wenn Sie ihre Wissenschaft verteidigen, werden Sie sich möglicherweise von dem Missbrauch Ihrer Erfindungen freisprechen. Sie werden sagen, dass Ihre genialische Tat - das Erfinden - zweckgebunden war und sie nicht dafür garantieren können, was andere daraus machen. Sicher sind Sie gewillt, einen Teil ihrer Erfindungen, auch im Nachhinein zu verbessern und sicherer im Umgang zu machen. Dessen bin ich mir bewusst, aber wir stehen vor derselben Problematik. Wir beide navigieren durch unsichere Fahrwasser und wir beide müssen, auch wenn wir zweckgebunden handeln, damit leben, dass wir nicht alle Konsequenzen bedenken oder alle möglichen Probleme ausräumen können, so sehr wir uns auch bemühen. So gewissenhaft und hingebungsvoll wir auch arbeiten; wir können einen Fehlschlag niemals ausschließen. Wir verlassen uns auf viele Fakten, Ideen, Ratschläge und bewährte Ansichten über die Chemie, die Physik oder die Politik und am Ende bleibt uns doch nur das Feldexperiment, um unsere Hypothesen zu bestätigen. Sie sind ein gewissenhafter Mensch, und sie arbeiten immer an ihren Grenzen. Sehen Sie, ich habe sowas auch versucht und die Ausgangsposition ist nun die Folgende. Als Synthese[10]: Wenn Sie mir nicht den Vertrag geben, wird es Krieg geben, der dieses Land zerreißen und zermergeln kann. Wenn ich den Vertrag bekomme und ich mit de Meza falsch liege und keinen Ersatz oder keine Lösung finde, wird es Krieg geben. Wenn ich mit dem Vertrag durchkomme, aber die Schliche durchschaut wird, gibt es Krieg. Wenn ich aber mit dem Vertrag durchkomme und mir dieser geglaubt wird, dann gibt es Frieden. Was also, Herr Nobel, haben wir zu verlieren?
Diese Frage im Raum stehenlassend, drehte er sich zu Carl von Lütjenburg, während Mommsen auf einmal ruhig blieb. Irgendwas, was Friedrich gesagt hatte, hatte wohl etwas getroffen, was er einzugehen bereit war oder er hatte es einfach aufgegeben und wartete auf seinen Moment.

"Ich ziehe gar keine Grenzen, Herr Leutnant. Das steht mir nicht zu. Ich werde mich vor dem deutschen Bundestag zu gegebener Zeit rechtfertigen. Ich schätze die Gesetze, doch da sie von Menschen gemacht sind, sind sie ebenso fehlbar wie die Menschen, die sie machen. Aber Gesetze haben das Problem, dass sie zum einen von den Erschaffern so vorgesehen sind, dass sie aus sich heraus eine falsche Nomokratie[11] erwirken wollen, und zum anderen, dass sie sich vor allem in Verboten ergehen, aber doch zu selten in Geboten. Sie geben keine Auskunft darüber, wie wir in solchen Konfliktsituationen zu handeln haben. Und kommen Sie mir bitte nicht mit dem Dekalog[12]. Ich weiß durchaus, dass ich gegen das achte Gebot verstoße. Aber vor allem, um die Gebote, welche die Würde und das Leben der Menschen treffen, unangetastet zu lassen.

Aber eine Gegenfrage, Herr von Lütjenburg. Obzwar ich ihre Ansicht teile, dass Verträge und Gesetze vorallem dazu genutzt werden sollen, einen Frieden zu ermöglichen und aufrecht zu erhalten - ja, auch ich habe meinen Rousseau[13] oder Montesquieu[14] gelesen - frage ich mich, wie ich dann handeln soll, wenn Preußen Verträge und Gesetze bewusst dazu benutzt, um Menschenleben zu nehmen? Um eine neue Kriegsmaschinerie auszuprobieren? Finden sie es ethisch vertretbar, um in der Sprache der Wissenschaft zu bleiben, dass Preußen Ihr ureigenstes Heimatland als Laboratorium nutzt?
Sie haben einen wichtigen Punkt angesprochen, wenn auch nicht direkt. Was ist, wenn zwei Verträge oder Gesetze entstehen, die sich in ihrem Sinne ausschließen und negieren? Wie die dänische Verfassung - die im Übrigen politisch rechtmäßig zustande gekommen ist, unglücklicherweise aber einen älteren Vertrag in Frage stellt - gilt dies für eine Vielzahl von Gesetzen und Verträgen. Nicht zuletzt deshalb ist die Juristerei so ein undurchsichtiges und einträgliches Geschäft. Aber wie wir inzwischen wissen, hat das Londoner Protokoll seinerseits selbst eine rechtliche Garantie überschrieben, nämlich das Erbrecht meines Vaters: unrechtmäßig, aber im Gewand der Rechtmäßigkeit, weil die Großmächte ihre Unterschrift unter das Papier gesetzt haben! Eben ein Teil dieser Großmächte wird eben auch dafür sorgen, dass mein Vertrag Gültigkeit erlebt. Sie haben das Prinzip der Realpolitik zum Gotteswort erhoben.

Sie sehen, Herr Leutnant, wenn Sie Ihre Worte jetzt auch auf das Londoner Protokoll beziehen oder fast jeden anderen Vertrag, welche eine Siegermacht oder ein mächtigerer Staat oder König einem Schwächeren oktroyiert[15], werden Sie nicht so leicht bestimmen können, ob nur ich falsch handel. Sie nehmen mich augenscheinlich nicht für voll. Recht geben muss ich Ihnen aber in der Ansicht, dass die Karten neu gemischt werden müssen. Ja, das müssen sie. Aber gleichzeitig wundert es mich nicht, dass Sie so sehr in Opposition zu mir treten. Meine Worte Ihnen gegenüber waren falsch gewählt und meiner Wut geschuldet, dass Sie mich derartig überfielen und provozierten. Nochmal wird mir ein solcher faux pas nicht passieren. Mir ist aber bewusst, dass ich Sie nicht überzeugen kann, Herr von Lütjenburg. Sie verbeißen sich in die Sachen Preußens - was ich Ihnen nicht übel nehme - und versuchen eine falsche Tugendhaftigkeit zu offerieren, obwohl Preußen genau mit denselben Mitteln operiert. Geheimpolizei, uneingeladene und angekündigte Botschafter wie Gustav von Stiehle, der ebenfalls eigenständig die Rechtslage biegt, in dem er alle Männer in diesen Raum in den Botschafterstatus Preußens erhebt. Setzen Sie die Grenzen des moralischen Handelns? Wahrscheinlich auch nicht.

Aber sorgen Sie sich nicht, Herr von Lütjenburg. Ihre Anwesenheit wird den Vertrag nicht unwirksam machen können. Solange die Unterschriften des Grafen von Usedom darauf verbleibt, würde Preußen sich nur selbst weiter radikalisieren, wenn sie eigenständig unterzeichnete Verträge in Frage stellte. Aber Österreich würde es sicher belieben, wenn Preußen dies täte."
Der Herzog setzte kurz zu einem verschmitzen Lächeln an und wurde dann schlagartig wieder ernst und bitter. "Entschuldigen Sie diesen Rückfall dümmlicher Drohungen. Ich hoffe Sie sehen jetzt, dass wir so nicht weiterkommen. Obzwar ihre Zielsetzung, meine Ansprüche zu unterwandern und die Bundesexekution durchzusetzen - die per se rechtmäßig ist, sich aber auf das Londoner Protokoll beruft, welches seinerseits eigentlich nicht rechtmäßig ist, da meine Familie ohne Anhörung seiner Erbschaft enthoben wurde - deutlich geworden ist, schlage ich im Sinne aller Beteiligten vor, dass Sie entweder den Saal verlassen und sich von Thoralf mit ein paar Männern ausstatten lassen, die Sie zurück nach Hause oder nach Kiel oder wohin auch immer geleiten, oder dass Sie sinnvolle Vorschläge zur Lösung der Problematik machen. Vielleicht können Sie noch vermitteln? Ich denke doch, dass Sie von ihrem Krieg nicht abrücken werden. Der heilige Augustinus[16] wäre sicher stolz auf sie. Also entscheiden Sie sich bitte. Wenn es nach Herrn Major von Stiehle geht, haben Sie ja sowieso wenig zu befürchten, wenn gegen mich ermittelt wird und meine Taten und Worte aufgrund der Rechtslage von wenig Belang sind."

Der Herzog ließ die Worte stehen und erstmalig war genügend Pause vorhanden, dass Mommsen sich ins Gespräch einmischen konnte. Er streckte sich auffällig und räusperte sich, um dann als einzig Sitzender aufzustehen. Er drehte sich zu Herr Nobel. "Nun, was ich nun die ganze Zeit sagen wollte: Ich würde Ihr Angebot eines Thermoregulators gerne annehmen."
Himly konnte nicht anders als zu lachen.
 1. Es wird gestritten, ob dieses Zitat Papst Gregor dem Großen oder Thomas von Aquin zuzuordnen ist.
 2. Donald Munro of Foulis
 3. Clan Haldane
 4. Clan Munro
 5. Großdeutsche Lösung
 6. Klemens Wenzel Lothar von Metternich
 7. Scherbengericht
 8. Kartätsche
 9. Ochlokratie
 10. Synthese
 11. Nomokratie
 12. Die Zehn Gebote
 13. Jean-Jacques Rousseau - Hier vor allem der Gesellschaftsvertrag
 14. Charles de Secondat, Baron de Montesquieu - Hier vor allem sein Werk Vom Geist der Gesetze
 15. oktroyieren = jemandem etwas aufzwingen, aufdrängen oder im Staatsrecht: ein Gesetz nicht verfassungsgemäß erlassen, eine Verfassung einem Volk aufzwingen. Als Paradebeispiel einer oktroyierten Verfassung gilt die Preußische Verfassung von 1848/50
 16. Der Verweis bezieht sich auf Augustinus von Hippo und seinen Versuchen Parameter für einen "gerechten Krieg (bellum iustum)" zu formulieren.
« Letzte Änderung: 22.07.2013, 17:07:59 von Menthir »
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Alfred Nobel

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Casus Belli
« Antwort #353 am: 25.07.2013, 17:20:42 »
Das Gefühl glich einer willkommenen Erlösung, als der Regulator aus des Chemikers Repertoire seine Wirkung entfaltete. Binnen weniger Augenblicke begann der Schweiß auf Alfreds Stirn zu trocknen, die Kleidung klebte nun merklich auf seiner Haut. Aber obwohl die fürchterliche Hitze im Arbeitszimmer des Herzogs durch das alchemische Mittelchen für Alfred und seinen Bruder dezimizert worden war, blieb die Luft im Raum stickig und schwül. Es würde durchaus noch einige Momente dauern, die die Schweden mit den uneinigen Deutschen in dem Saunierzimmer ausharren mussten.

Ohne eine Miene zu verziehen griff Alfred nach den übrigen Mitteln in seiner Tasche und begann, sie an die Mitschwitzenden zu verteilen.[1] Wäre die Situation nicht so unangenehm beschwerend, hätte der unfreiwillig komische Kommentar des Geschichtsprofessors mindestens ein Schmunzeln aus Alfred hervorbringen können, doch von der Hitze befreit und endlich wieder in der Lage einen klaren Gedanken zu fassen war der Schwede zu tief in seiner Konzentration, um auf Mommsens Unterbrechung und Himlys Lachen reagieren zu können.

"Sie missverstehen mich," war der Inhalt des Murmelns, als Alfred nach einer langen Pausen wieder zu Wort kam. Vorsichtig lehnte er sich auf dem Sessel zurück, um eine möglichst angenehme Haltung anzunehmen, obwohl sein nasses Hemd ekelerregend kalt auf an seinem Rücken klebte. Mit einem verlorenen Blick sah Alfred nicht den Herzog an, sondern starrte gedankenverloren auf den Kamin. Wie zur mahnenden Geste eines Lehrers wiederholte der Schwede mit erhobenem Zeigefinger seine Worte.

"Sie missverstehen mich, Euer Durchlaucht, wenn Sie mich von der Verantwortung für meine Erfindungen distanzieren."

Es wirkte fast so, als wäre Alfred durch die Worte des Herzogs gekränkt worden. Seine Stimme wurde leiser und noch immer blickte er Friedrich nicht an. Stirnrunzelnd fuhr der Chemiker mit seiner Linken über seine verklebten Barthaare, ehe er sich unerwartet an von Stiehle wandte.

"Herr Major, Ihre Sorge um unsere Sicherheit ist sicherlich dankenswert. Und gewiss stimme ich einem Teil - aber nur einem Teil! - Ihres Schlusses zu, ich habe schließlich selbst schon darauf bestanden, die Unrechtmäßigkeit des Vertrages und die Unrechtmäßigkeit der Handlungen unseres Gastgebers allgemein zu verstehen zu geben. Aber ich möchte festhalten, dass ich Ihr Bestreben, mich und meinen Bruder als Diplomaten Preußens zu verstehen, nicht bestätigen möchte und kann. Bitte, nehmen Sie das entsprechend wahr."

Nachdrücklich sah Alfred dem stehenden Major in die Augen, ehe sein Blick für einen kurzen Moment zu Carl und Conrad überging. Die Loyalität des jungen Leutnants gegenüber den preußischen Zielen war unverkennbar. Zwar waren seine Worte vorsichtig und meist in bestem diplomatischen Willen, doch konnte Alfred die Frage für sich nicht beantworten, wie von Lütjenburg bei all dem Drängen auf Recht und Unrecht in einer Situation dem holsteinischen Willen und dem Augustenburger gegenüber gestanden hätte, wenn der Vertrag ein Original gewesen wäre. Bei Conrad hingegen war eine Verzweiflung tief anzusehen. Es wirkte auf den Schweden, als wünsche der junge Student sich nichts lieber, als wäre die Intrige keine gewesen. Denn auch ihm schien die Wahrhaftigkeit des Vertrages bedeutsam, und somit die Möglichkeit zu einer Freiheit und Unabhängigkeit eines Schleswig-Holsteins verbaut. Nachdenklich blieb Alfreds Blick auf Conrad ruhen. Würde der Student weiterhin auf die Sicherheit der Nobels Acht geben wollen, wenn sich Alfred von Stiehles Schutz loslöste?

Mit einem unmerklichen Kopfschütteln sammelte Alfred Gedanken, ehe er nun endlich wieder Friedrich in die Augen sah. Erneut hob er belehrend den Zeigefinger.

"Ich trage unabsprechlich die Verantwortung für meine Ideen. In meiner Position ist es absolut notwendig mehr zu sein, als ein Gelehrter, der sich seiner Gedanken labt und das gesammelte Wissen seiner Lebenszeit im Archiv verstauben lässt."

Ernst und bitter sah Alfred zum Augustenburger.

"Wenn Sie mich in erster Linie als Wissenschaftler verstehen, dann ist Ihr Bild meiner Person äußerst unvollständig. Euer Durchlaucht, die Wissenschaft kann kein Selbstzweck sein. Nehmen Sie Himly beispielsweise." Mit der flachen Hand deutete Alfred auf den Professor, der das ganze Gespräch über ungemein still geblieben war. "Sie wissen selbst besser als ich welche Rolle er '48 für Kiel spielte. Nur als unmüßiger Chemiker kann er damals in der Lage gewesen sein, die Minen vor dem Hafen zu entwerfen und die dänische Flotte fern zu halten. Sie verstehen also, dass es ihm, Professor Himly, erst gelang die Fragen über Nutzen und Missbrauch seiner Erfindungen zu stellen, als er den Entschluss gefasst hatte, mit Ihnen in die Ereignisse der Welt einzugreifen."

Ruhig atmete er einige Züge tief durch, bevor er weitersprach. Seine Stimme wurde unterschwellig lauter. Die Entrüstung des Schweden wirkte eigenartig, wenn man bedachte, dass er Friedrich im Eigentlichen zustimmte statt ihm zu widersprechen.

"Ich sehe mich als Unternehmer, Euer Durchlaucht, um Ihr Verständnis meiner Person nicht lückenhaft zu belassen. Ich werde, und dieses Ziel ist unumgänglich, Möglichkeiten und Wege finden und vertreiben, einen Sprengstoff zu zünden, der stärker sein wird als alles, was jemals da gewesen ist. Ist es das, was sie hören wollten? Denn wenn ja, gibt es keine Scham, diese Absicht zu verbergen, und keine Notwendigkeit, meine Verantwortung gegenüber meines Produktes zu verhehlen. Es ist ganz selbstverständlich, dass mein Produkt als Kriegsmittel verwendet wird; doch genau so selbstverständlich ist es, dass sich damit Bodenschätze gewinnen, Tunnel versetzen und Konstruktionen ermöglichen lassen. Und ich trage die Verantwortung, mit Stolz und mit Pflicht: Die Verantwortung darüber, durch die Möglichkeiten meiner Erfindung die Entwicklung und der Fortschritt der Menschheit voranzutreiben! Es ist illusorisch zu denken, dass es keinen Krieg geben würde, wenn dem Menschen die Waffen dazu fehlen würden, doch es ist unzweifelhaft, dass es dem Menschen nicht gelingt, zu erschaffen, wenn ihm das Werkzeug fehlt - können Sie mir da nicht zustimmen?"

Aufgebracht starrte Alfred den Augustenburger an. Der finstere Blick in der Stirn des Schweden war ein Ausdruck, welcher erschreckend wirkte. Auch wenn seine Begleiter der letzten Tage ihn nur für sehr kurze Zeit kannten, hatte der Schwede eine solche Gefasstheit und Reserviertheit ausgestrahlt, welche nun in seiner plötzlichen Entrüstung verloren ging. Der Ausbruch passte nicht in das Gespräch, welches Alfred mit dem Herzog geführt hatte. Es war, als hätte Friedrich mit seinem Hinweis auf dessen Gewisshaftigkeit einen wunden Punkt in den Gedanken des schwedischen Unternehmers getroffen.

Mit einem tiefen Atemzug versuchte Alfred, sich zu beruhigen, ehe er mit der Linken die in die Stirn gefallenen Haare zu Seite schob und das Gespräch zu sammeln versuchte.

"Denn insofern haben Sie durchaus Recht, Euer Durchlaucht. Es bleibt nicht mehr als der Feldversuch. Es stellt sich lediglich die Frage, was es zu tun gilt, um das jeweilige Ziel zu erreichen."

Der bittere Ausdruck in Alfreds Miene löste sich, als er den Kopf senkte und den Vertrag in seiner Hand besah. Nachdenklich tippte er das gefaltete Stück Papier auf seinen Oberschenkel.

"Doch zur Sache. Sehen Sie, Euer Durchlaucht, Sie sind nicht die einzige Person in diesem Raum, die bezügliches dieses Dokumentes einer Täuschung unterlegen ist. Mit Ausnahme des Majors vermutlich, sind alle anderen Anwesenden in diesem Zimmer seit der Entdeckung dieses Vertrages in der Meinung geblieben, dass das Dokument in seiner jetzigen Form eine vollständige Rechtsgültigkeit mit sich brachte. Wodurch sich natürlich die Frage aufdrängte, was es mit dem Vertrag zu tun galt. Durch Ihre Art der Einladung fiel es uns unmöglich, Vertrauen in Ihre Sache zu gewinnen. Ich sehe ein, dass Herr von Hardenberg nicht Ihre Wahl als Bote gewesen ist, doch der Umstand seiner Person verkomplizierte die Frage ungemein. Zusätzlich galt noch immer die fragwürdige Forderung der Erpresser, das Dokument bei De Meza abzuliefern. Und nicht zu vernachlässigen war dieses Dokument schließlich ein Zugeständnis für das Volk Schleswig Holsteins, ein geheimer Vertrag, der die gesamten Bürger der potentiell zukünftigen Nation betrifft."

In einer kurzen Pause ließ Alfred dem Herzog Zeit, die Zusammenhänge und Motivationen nachzuvollziehen.

"Dieses Dokument ist nicht länger ein Unikat. Es existieren seit heute Mittag Kopien, von denen sich eines auf dem Weg zur Publikation für die Bürger Kiels sowie eines auf dem Weg zu General de Meza befindet. Wohlgemerkt: Kopien in seiner jetzigen, unvollständigen Form."

Tief sah Alfred in die Augen des Augustenburgers. Es war eine eigenartige Situation. Bei all den Geheimnissen, die Friedrich bezüglich des Vertrages bereit gewesen war zu teilen, wirkte es unwirklich, dass es nun an Alfred lag, eine Verheimlichung aufzudecken.

"Es ist also mittlerweile fraglich, Euer Durchlaucht, ob eine potentielle Vervollständigung des Vertrages durch de Meza in der Lage sein kann, ausreichend Einfluss auf Dänemark, Preußen und die Garantiemächte auszuüben, wenn eine unvollständige Form bereits publik in den Zeitungen zu lesen ist. Es ist an dieser Stelle wichtig, dies nicht unerwähnt zu lassen."

Alfred erlaube sich wieder eine Pause, doch diese benötigte er nicht mehr, um seine Gedanken zu ordnen. Der Schwede hatte den Blick nun fest auf den Herzog gerichtet, der Mund war unter dem dichten Bart zu einem Strich verzogen. Ächzend stützte Alfred sich auf die Armlehnen, als er nun versuchte, sich aus dem Sessel zu heben. Er spürte, wie kraftlos er sich mittlerweile fühlte. Im Stehen sprach er weiter.

"Ich gebe Ihnen durchaus Recht, wenn sie die Ihre und meinige Verantwortung auf eine ähnliche Stufe stellen. Ich sage, dass eine Idee erst durch ein Handeln an Bedeutung gewinnen kann, und schließlich ist dies das selbe Credo, dem auch Sie gefolt sind. Nur, wie bereits erwähnt, verstehe ich mich als Unternehmer, und als solcher besteht eine dringende Notwendigkeit, das Risiko und die Erfolgsgewissheit meiner Handlungen abzuschätzen. Was für mich jedoch eine simple Rechnung auf dem Papier sein kann, um mir die notwendige Sicherheit zu bestätigen, ist in Ihrem Fall offensichtlich nicht mit so einfachen Mitteln zu bewerkstelligen. Die Rechtmäßigkeit des Vertrages ist demnach nicht, wie Herr von Stiehle behaupten möchte, eine Frage der Moral, sondern lediglich der Sicherheit. Es ist ganz einfach: Ein legaler Vertrag fundiert auf der Bereitschaft der Vertragspartner, das jeweilige Wort zu halten und projiziert eine entsprechend hohes Maß an Erfolgswahrscheinlichkeit. Ein gefälschter Vertrag kann, wie Sie es auch schon sagen, den Erfolg unter Umständen ebenfalls hervorrufen, doch die Wahrscheinlichkeit dafür, Euer Durchlaucht, ist ungemein gering."

Es kam Alfred gar nicht in den Sinn, die Angelegenheit als ein überdimensioniertes Schachspiel zu bezeichnen, doch die analytische Art und Weise, in welcher er die Umstände auf ihr mindestes Maß reduzierte wirkte kalt und kalkuliert, als müsse er selbst weiße Figuren ziehen. Bedeutsam hob Alfred das Dokument in die Höhe, welches ihm in den letzten Tagen so viel Kopfzerbrechen bereitet hatte. Der Schwede begann langsame Schritte zu gehen, ehe er weitersprach.

"Ich bleibe nach wie vor bei meinem Wunsch, Schleswig und Holstein in Frieden zu sehen. Ebenso will ich mein Wort halten, dass ich bereit bin, meinen Teil dazu beizutragen." fügte er hinzu, als er zwischen Kamin und Schreibtisch stehen blieb und mit einem Nicken zu Himly und Mommsen sah. Den Vertrag hielt er noch immer erhoben in seiner Hand. "Bitte verstehen Sie meine vorhergehenden Fragen zur Aufklärung der Vertragssache im Rahmen meines Versprechens gegenübern den Herren Himly und seinen Kollegen. Auch wenn die Angelegenheit Schleswig und Holsteins kein Unternehmen sein mag, stellt sich für mich die Frage, wie weit ich meine Bereitschaft in der mitzuwirken führen kann. Und die Antwort kann für mich unter dem unausweichlichen Risiko für meinen Bruder, mich und mein Unternehmen nur maßgeblich unter Gewissheiten beantwortet werden."

Mit einem vielsagenden Blick sah Alfred in die Gesichter der Anwesenden, doch seine Absichten blieben undurchsichtig. Das Feuer knisterte bedrohlich hinter seinem Rücken.

"Es ist nach wie vor eine Frage der Wahrscheinlichkeiten. Treffen Sie in Flensburg auf einen de Meza, der bereit ist, das Siegel zu setzen, ist damit die Gewissheit des Erfolges noch immer nicht gewährleistet. Preußen weiß von der Fälschung des Vertrages und natürlich, es muss sich zunächst erklären müssen, aber wird die Enthüllung nur eine Frage der Zeit sein? Und was, wenn de Meza bereits unsere Fälschung Ihrer Fälschung erhalten hat? Was wird ein falscher publizierter Vertrag mit dem Sinn der Bürger veranstalten? Sehen Sie, die Gewissheit ist keineswegs gewährleistet."

Alfred räusperte sich, nachdem er seine letzten Worte gesprochen hatte. Der Schwede wirkte selbstsicher in seiner Haltung, obgleich er selbst davon sprach, dass Sicherheit nicht das war, was er vorfand. Er wechselte einen kurzen Blick mit Emil, ehe er zu Ende sprach.

"Ich finde mich als Gefangener des holsteinischen Staates vor, Euer Durchlaucht," sprach Alfred Nobel mit fester Stimme, hob den Vertrag mit der Rechten in Augenhöhe und verschränkte die linke Faust hinter seinem Rücken. "Als solcher sehe keine andere Möglichkeit, Ihnen den Vertrag in seiner Funktion als Beweismittel zu überreichen, um meine Unschuld in der Angelegenheit klarzustellen."

Vorsichtig legte Alfred das gefaltete Papier auf die Tischkante des vollgestellten Schreibtisches und ließ seine Fingerspitzen auf dem Dokument ruhen. Sein Blick wanderte zwischen den Anwesenden und blieb zuletzt zwischen Carl und dem Major stehen.

"Herr von Stiehle, Sie werden verstehen, dass ich im Zuge der Verhaftung aus persönlichen Gründen alles daran stellen muss, meine und meines Bruders Freiheit wiederherzustellen. Ich hoffe, durch die Bereitstellung des Beweisstückes eine Amnestie zu erfahren, sofern Euer Durchlaucht diese gewährt."

Es war wieder eine Formalität, die der Schwede für sich spielen ließ. Die Situation war vergleichbar zu der Nacht, in der sich Alfred angesichts des Haftbefehls mit einem unerwarteten Kunstgriff aus der Eskorte des Braunschweigers befreite. Alfred war klar, dass er unter der Begleitung von Carl, Conrad und von Stiehle vermutlich ohnehin das Herrenhaus des Herzogs hätte verlassen können. Doch seine Absichten waren deutlich andere.

"Herr Himly, Herr Mommsen," wandte Alfred sich zu den beiden Professoren, während seine Fingerkuppen noch immer das Dokument beschützten, "ich hoffe, Sie teilen meine Ansicht meine Möglichkeiten erschöpft zu sehen, wenn es um Ihre Sache geht. Ich erwähnte es schon, mehr Risiken kann ich ob der zu großen Ungewissheit nicht eingehen."

Der Schwede nickte den Professoren zu, die Geste wirkte abgeschlossen und abgeklärt. Es war Zeit, dass Alfred die Angelegenheit für sich und seinen Bruder beendete.

"Euer Durchlaucht, Euch steht natürlich frei, mit Eurem Besitz nach eigenem Gutdünken umzugehen. Wenn Ihnen die Hoffnung ausreicht, die geringe Wahrscheinlichkeit herauszufordern um Ihr Ziel zu erreichen, dann wünsche ich es Ihnen und dem Volk Schleswigs und Holsteins lediglich das Beste. Doch ich bitte Sie, mich und meinen Bruder aus jeglicher vergangener oder anstehender Schuld zu befreien. Mehr," fügte Alfred mit Nachdruck hinzu, "kann ich nicht tun."

Endlich löste Alfred seine Hand von dem Papier. In einer ruhigen aber angespannten Bewegung verschränkte er nun beide Arme hinter seinem Rücken, eine Geste, die den Geschäftsmann als solchen prägte. Alfred lächelte nicht, als er zu seinem Bruder sah, doch der Blick allein genügte um zu zeigen, dass Alfred sich wünschte, die Sache wäre nun endlich für die Familie Nobel beendet.

"Nun," räusperte Alfred sich ein letztes Mal, "würde ich gerne auf Herrn von Stiehles Bemerkung zurückkommen. Ich halte es nun für angemessen, für unsere Sicherheit zu sorgen."
 1. An dieser Stelle kann auch Carl bereits seinen Trank erhalten.
« Letzte Änderung: 25.07.2013, 17:43:36 von Alfred Nobel »
But I have learned to study Nature’s book
And comprehend its pages, and extract
From their deep love a solace for my grief.

 - A Riddle, 1851

Carl von Lütjenburg

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Casus Belli
« Antwort #354 am: 02.08.2013, 23:23:35 »
Dankbar nahm Carl den sogenannten Thermoregulator von Alfred Nobel an. Er hatte selber darum bitten wollen, es dann aber während seiner eigenen Rede ganz vergessen. "So einen Trank müsste es für jeden Soldaten im Feld geben", befand Carl, während er sich die Flüssigkeit zunächst genauer besah.
Die Worte des Herzogs waren Carl zuwider. Sicherlich war diese Situation vertrackter, als er es gerne wahrhaben wollte, aber wenn man des Herzogs Ausführungen auf die Spitze trieb, wäre eine Gesetzgebung aufgrund der menschlichen Fehlbarkeit gar nicht möglich. Irgendein Grund würde sich immer finden, mit dem sich ein Vertrag oder Gesetz anfechten lassen würde. Dabei konnte der Herzog weder damals noch jetzt gegen das Londoner Protokoll vorgehen. Offensichtlich fehlte ihm das politische Gewicht dazu und seine einzige Möglichkeit war eine Urkundenfälschung.
Auch wenn die Hitze langsam dafür sorgte, dass sich Carl nicht mehr vollständig sicher war, welcher Meinung er eigentlich war, sah er dennoch keine Möglichkeit diese Fälschung als legitimes Mittel des Herzogs anzusehen.

Sich daran erinnernd, dass er Alfreds Trank noch immer in der Hand hielt, entkorkte er endlich die Phiole und begann zu trinken. Die Flüssigkeit verbreitete augenblicklich eine willkommene Kühle in seinem Hals, die von dort aus langsam durch seinen ganzen Körper kroch. Gerade als Carl den letzten Schluck tat, offenbarte Alfred die Veröffentlichung des Vertrages. Diese Neuigkeit überraschte Carl dermaßen, dass er sich verschluckte und unwillkürlich zu Husten begann. Es brauchte einige Sekunden, bis er sich von dem Schreck erholt hatte.
"Wie konnte er nur?" war sein erster Gedanke, nachdem er wieder normal atmen konnte. Doch war ihm auch klar, dass Alfred damals von ganz anderen Dingen ausgegangen war, als er den Vertrag veröffentlichen ließ. Dennoch zeigten Alfreds Ausführungen deutlich genug, dass er und Carl unterschiedliche Wege eingeschlagen hatten. Carl hatte selbst betont, dass Nobel nicht in seiner Schuld stand und er hatte auch nicht vergessen, dass Alfred Witmaacks Leben gerettet hatte, dennoch konnte er nicht verhindert eine gewisse Enttäuschung zu verspüren.

Die Enttäuschung wurde umso größer, als Alfred den Vertrag an den Herzog übergab. Mehr oder weniger hilflos musste Carl dabei zusehen und fühlte sich dabei noch mehr als zuvor, wie schmückendes Beiwerk, bei diesen Verhandlungen. Er hatte sich redlich bemüht, aber schlussendlich, war es doch nur ein Kampf ohne Munition gewesen, während Nobel einfach so entscheiden durfte. Seine einzige Möglichkeit direkt Einfluss zu nehmen sah er darin den Vertrag rasch zu vernichten, doch welche Ehre lag in solch einem Handeln? Darüber hinaus hätte Alfred Nobel dann nichts mehr, dass er dem Haftbefehl entgegensetzen konnte. Und bei aller Enttäuschung, wollte Carl den Schweden nicht ins Verderben stürzen.

Mehr denn je, spürte er nun, wie dieses Gespräch und die hier dargelegten und vertretenen Werte gegen alles gingen, wofür er selbst zu stehen meinte und was ihm lieb und teuer war. Hatte ihn die Empfehlung des Herzogs zu gehen zunächst verärgert zog er sie nun tatsächlich in Erwägung, doch er würde sich nicht so einfach wegschicken lassen.

"Euer Durchlaucht, Herr Nobel, ich gebe Ihnen beiden Recht. Euer Durchlaucht haben ganz Recht mir nahe zu legen, diesen Saal zu verlassen, denn ich bin nun einmal denkbar ungeeignet für solcherlei Verhandlungen. Sie ziehen für sich keine Grenzen und Ihr zweckt heiligt die Mittel ihrer Wahl, während Herr Nobel uns eindrucksvoll demonstriert hat, dass es eine Frage der zu erwartenden Sicherheit ist, die ein erfolgreicher Mann zur Maxime seines Handelns macht, wenn er erfolgreich bleiben möchte. Dagegen kann ich schwer ankommen und Sie haben auch ganz Recht, wenn Sie andeuten, dass wir uns über Preußen nicht mehr einig werden können. Und deshalb glaube ich, dass es auch keinen Sinn mehr macht über diese Sache zu streiten. Wenn Sie da gern das letzte Wort behalten möchten, dann soll es mir Recht sein.

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, ich möchte Ihre Ansichten nicht verurteilen - im Gegenteil, ich glaube, dass ich Sie gut verstehen kann. Ohne, dass ich mich dadurch irgendjemandem gegenüber erhaben wähnte, bin ich aber nicht so. "

Während er sprach ging Carl gemächlichen Schrittes durch den und blieb schließlich vor dem Vertrage stehen. Er machte eine Pause und sah vor allem den Herzog und Alfred Nobel an, als er nach dem Vertrag griff.
"Wenn doch, so könnte ich dieses Papier nehmen und einfach in den Kamin werfen oder zerreißen.

Carl verharrte in seiner Bewegung, so dass sein Hand nun über dem Dokument schwebte, ohne dieses zu berühren. Er sah auf den Vertrag herab und es schien als ringe er mit sich. Würde er jetzt über seinen Schatten springen, wäre alles getan. Der Bundesexekution würde nichts mehr im Wege stehen und diese Scharade hätte ein Ende. Endlich könnten die Dänen in die Schranken gewiesen werden und durch Preußens gestiegenen Einfluss und Prestige würde eine deutsche Lösung in greifbarere Nähe rücken. Carls Griff zu, seine Hand ballte sich zur Faust. Niedergeschlagen schloss er die Augen und wandte sich von dem unangetasteten Schriftstück ab. Er wirkte müde und abgekämpft als er weitersprach.

"Aber das kann ich nicht, denn ich bin nicht so frei wie Sie es sind. Auch wenn die vergangenen Tage wie Gift für meine Ideale und Hoffnungen waren, so sind diese immer noch stark genug in mir um mich zu binden und mir Grenzen aufzuzeigen oder auch mich zum Handeln zu zwingen. Es war alles andere als sicher unter Beschuss Schiffbrüchige zu retten und es wären mit großer Sicherheit einige Probleme beseitigt, würfe ich dieses Schriftstück nun ins Feuer. Ich hätte vielleicht auch eher an Preußen denken sollen, als sie mir das erste Mal eben jenes Papier zeigten, Herr Nobel, aber ich habe in Ihnen den in einem fremden und unfreundlichen Land Gestrandeten gesehen, der sich urplötzlich als Bauer auf dem Schachbrett anderer Leute wiederfand."

Er entfernte sich von dem Vertrag und begann während des Sprechens seine Uniform zurecht zu rücken. Gelassen knöpfte er seinen Mantel wieder zu, wo er jetzt nicht mehr unter der unglaublichen Hitze in diesem Raum leiden musste und griff schlussendlich - als er mit dem Sitz seiner Uniform zufrieden war - nach seinem Helm. Während er all das Tat gewann er Stück für Stück an Haltung zurück und es kehrte ein wenig Unbeschwertheit in seine Stimme zurück.
"Vermutlich war mein Verhalten damals sehr naiv von mir, aber ich stehe auch jetzt noch dazu und sehe nicht ganz ohne Freude, dass sie sich von der Schachfigur zum Spieler erhoben haben. Man könnte Ihnen ihre Verluste entschädigen und vielleicht sogar noch etwas obendrauf geben, aber eine wahre Entschädigung ist es vermutlich nur, wenn man sich nicht mehr als Werkzeug anderer betrachten muss. Und so freut es mich tatsächlich - unabhängig von meinen Interessen - dass Sie und Ihr Bruder diese Sache offensichtlich für sich zum Guten wenden konnten.

Und genau deshalb bin ich hier fehl am Platze. Ich bin wohl selbst nur eine Schachfigur, wenn überhaupt, und wäre ich ein Spieler, dann hätte ich keine Figuren vorzuweisen, außer eben mich selbst. Und ich bin bloß ein Leutnant und Soldat, aber kein Diplomat - noch nicht. Sie sehen es ja selbst. Der Herzog sagte ganz zu Recht, dass meine Anwesenheit seine Fälschung nicht unwirksam machen wird, denn dies hat nur Herr Nobel vollbringen können."


Carl setzte seinen Hem auf und ging zur Tür. Von Niedergeschlagenheit oder Müdigkeit war nun gar nichts mehr zu sehen. " Ich werde Sie nun tatsächlich verlassen, meine Herren. " sprach er ohne sich umzudrehen. "Hier kann ich kaum noch etwas bewirken, aber da draußen gibt es Aufgaben, die mir besser liegen. Diese Franzosen sind nun lange genug auf freiem Fuß gewesen und nicht zuletzt haben sie uns einen großen Teil dieser Ärgernisse eingebrockt. "

Carl stand nun vor der Tür und hatte den Griff in der Hand, verharrte jedoch, als sei ihm noch etwas wichtiges eingefallen. Immer noch zur Tür gewandt sprach er zu Alfred: "Ach ja, eine Sache wäre da noch: Herr Nobel, ich gab vorhin auch Ihnen Recht. Damit bezog ich mich auf die Notwendigkeit, dass Sie zu allererst Ihre und Ihres Bruders Freiheit zu erlangen. Allerdings verstehe ich, wenn ich ihren Ausführungen zu Sicherheit und Risiko richtig folgen konnte, nicht, warum sie diesen Weg dazu wählen."

Er hatte seinen Kopf leicht nach links gedreht, so dass die Anderen, mit Ausnahme von Major von Stiehle, der ebenfalls nahe der Tür stand, sein Gesicht zwar einigermaßen erkennen konnten, ohne jedoch darin lesen zu können. Nur von Stiehle konnte Carls bittere Miene sehen, als dieser seine letzte Karte ausspielte, die Alfred Nobel ihm selbst zugeteilt hatte.
"Sehen Sie, sie haben sich in einigen Details verheddert, wenn ich das so sagen darf. Von der Rechtmäßigkeit dieser Fälschung überzeugt, haben sie die Publikation eben jener angestrebt. Ob nun falsch oder nicht, ist diese Publikation ein Ärgernis für Preußen, ich denke daraus muss man keinen Hehl machen. Dadurch, dass diese Fälschung aber unvollständig war, haben Sie unabsichtlich die Chancen des Herzogs seine Pläne zu vervollständigen minimiert, das haben Sie ja auch gerade selbst ausgeführt. Dennoch scheinen Sie ihm durch die Übergabe des Dokuments einen letzten Strohhalm darreichen zu wollen, anders kann ich mir das Risiko, das sie damit eingehen sonst nicht erklären.

Kann ein General de Meza wirklich die Fälschung vollenden, wenn alle Welt darum weiß? Und vor allem darum weiß, dass diese Fälschung lange nach ihrer eigentlichen Datierung und damit auch nach König Christians Tod komplettiert wurde. Ein General, der zu solch einem Verrat fähig ist? Aber genug mit diesen Überlegungen, es ist also sehr wahrscheinlich, dass dieses Imitat kaum noch so viel wert ist, wie das Papier auf das es geschrieben wurde. Sie, Herr Nobel, können also kaum davon ausgehen, dass Herzog Friedrich, nachdem er Sie hoffentlich für frei erklärt haben wird, noch lange dafür Sorge tragen können wird, dass dies so bleibt.

Gehen Sie einmal von den Befürchtungen des Herzogs aus. Preußen gewinnt den unvermeidlichen Krieg und bis die weitere Verwaltung dieses Landes endgültig geklärt ist, wird es zu einer Art Protektorat erklärt werden. Auch wenn die Publikation dem Herzog mehr schaden dürfte, macht es diese für die Preußen nicht weniger unangenehm. Ich kann das schwerlich einschätzen, aber es wäre möglich, dass sie eben diesen Haftbefehl dadurch ein zweites Mal zu Gesicht bekämen oder dass man Ihnen schlicht erhebliche Steine in den Weg legen wird, wenn Sie hier gewerblich Fuß fassen möchten. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, das ist selbstverständlich keine Drohung, selbst wenn ich wollte, hätte ich dazu gar nicht die Möglichkeiten. Es ist nur eine Überlegung und der Versuch zu verstehen, warum Sie eben nicht versuchen in dieser Angelegenheit den Preußen entgegenzukommen.
Der Krieg wird, wie wir nun wissen, über uns kommen, ob wir wollen oder nicht. Wenn wir Dänemark unterliegen -  und glauben Sie mir unbedingt, dass dies nicht geschehen wird - dann wird Sie auch niemand mehr verfolgen. Wenn die Bundestruppen siegen, werden Sie ebenso sehr frei sein, da man sich Ihrer Taten am heutigen Abend erinnern wird. Major von Stiehle hat sicherlich alle Kompetenzen, Ihnen dies zuzusichern und zu bestätigen, sollten meine Überlegungen zutreffen. Ich darf mich nun endgültig verabschieden. Leben Sie wohl, Herr Nobel."


Carl öffnete die Tür und trat aus der Hitze des Raumes hinaus.

Samuel Weissdorn

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Casus Belli
« Antwort #355 am: 07.08.2013, 00:14:48 »
Samuel hörte dem Verlauf der Gespräche genau zu, auch wenn ihm die Hitze schwer zu schaffen machte. So war er äußerst dankbar, als Alfred das wunderhafte chemische Gebräu verteilte, das ihm alsbald Erleichterung verschaffte. „Danke“, nickte er dem Schweden kurz zu, bevor er wieder seine Ohren spitzte.

In seinem Kopf fügte sich Information an Information. Er ordnete sie im Geiste an: In der Horizontalen die offenen Fragen, in der Vertikalen die Umgebungselemente, in ihrem Inneren eine Matrix aus vielfältigen Details, die bald ein vollständiges Bild ergaben. Manch einer hätte Mühe gehabt, all die einzelnen Punkte im Kopf zu behalten, die in der wortwörtlich hitzigen Diskussion genannt worden waren, doch für Samuel war es nur ein Blick, ein einzelnes Bild, das er mit einem einzigen Gedankengang erfassen konnte.

Und als endlich der Punkt kam, da sich Zufriedenheit eingestellt hatte, trat er einen Schritt nach vorne, kaum, dass Carl den Raum verlassen hatte.

„Gestatten Sie mir, dass ich noch einmal mein Wort erhebe“, sprach er in die Runde, wandte sich dann aber gleich dem preußischen Major zu. „Zunächst einmal danke ich Ihnen für das Angebot der Erhebung in den Stand eines preußischen Diplomaten, möchte die Ehrung jedoch ablehnen, da ich mich keiner sich daraus ergebenden Verpflichtungen unterwerfen möchte. Zum anderen fürchte ich, dass ich mich ein weiteres Mal äußerst unbeliebt machen muss, da ich einige Punkte ansprechen werde, die aller Voraussicht nach zu Ärgernis und Wut führen werden. Ich möchte Sie alle trotzdem bitten, mir bis zu Ende zuzuhören, denn was Ihnen im ersten Moment wie eine Frevelei erscheinen mag, wird sich womöglich am Ende noch auflösen.“

Mit dieser kryptischen Ankündigung trat er einen weiteren kleinen Schritt nach vorne, und räusperte sich. Auch seine Kleidung war durchgeschwitzt, er fühlte sich nicht unbedingt wohl, aber er war es vermutlich eher als die meisten in diesem Raum gewohnt, mit ungewohnten und unangenehmen Situationen umzugehen, als wären sie für ihn völlig natürlich.
„Zunächst einmal zur Rolle Preußens. Herr von Stiehle, ich bin sicher, dass Sie in Ihrer Rolle hier vor Ort auch den Berliner Verfassungskonflikt im Hinterkopf haben, Bismarcks Umstrukturierung des Heeres über den Willen des Parlaments hinweg. Für Preußen ist es beinahe schon eine politische Notwendigkeit, einen erfolgreichen Krieg zu führen, um so die Notwendigkeit der Neuorganisation zu rechtfertigen und das Parlament zum Schweigen zu bringen. Ohne Ihnen persönlich etwas unterstellen zu wollen, muss dieser politische Zugzwang bei allen Freundesbekundungen Preußens gewiss mit einkalkuliert werden.“

Samuel sah dem Major bei seinen Äußerungen direkt in die Augen, blieb dabei vollkommen sachlich und nüchtern, aber auch standhaft. „Nun zu Ihnen, Euer Durchlaucht“, drehte er sich recht abrupt zu dem Herzog um. „Ich stimme Ihnen in vielen Punkten zu, mehr, als Sie nach meinem Gesprächseinstieg vielleicht meinen mögen. In der Politik geht es um die Vertretung der Interessen Einzelner, wie gerade das Beispiel des Verfassungskonfliktes deutlich zeigt. Ideale sind die Basis eines jeden Staates und einer jeden Kultur, doch Menschen sind fehlbar, und so ist es auch ihre Politik. Ginge man immer nur den Weg des Rechts, wäre man verloren, alleine deshalb, weil Recht unterschiedlich ausgelegt und auch von anderen zum eigenen Nachteil gebrochen wird. Die Frage ist in der Tat, wo man die Grenze des moralisch Erträglichen zieht, das aber ist eine Frage, die letztlich nur jeder Einzelne für sich beantworten kann. Insofern habe ich an dieser Stelle kein Interesse daran, Sie moralisch zu attackieren.“

Er schenkte dem Herzog ein kurzes, beruhigendes Lächeln, jedoch nicht lang genug, um den Mann in Sicherheit zu wiegen. Denn was er eigentlich zu sagen hatte, würde dem Herzog ganz sicher nicht gefallen.

„Weshalb also habe ich Sie vorhin so provoziert? Aus zwei recht einfachen Gründen: Erstens hatte ich gehofft, Sie damit dazu zu bringen, uns dringend benötigte Informationen zu geben, damit wir die Lage genauer einschätzen können. Zweitens wollte ich herausfinden, wie Sie als möglicher politischer Repräsentant in einer für die Zukunft des Landes und des Volkes kritischen Situation reagieren würden. Verzeihen Sie mir, wenn ich dies so deutlich sage, aber: Sie haben für einen entscheidenden Moment die Kontrolle verloren.“[1]

Nun galt es, den Herzog über diese Kritik brüten zu lassen. Samuel hielt den Mann für ungeeignet, Schleswig und Holstein in einer solchen Situation politisch zu führen, nicht nur aufgrund seiner moralischen Ansichten, sondern allem voran, weil er sich politisch nicht würde durchsetzen können. Nicht auf lange Sicht jedenfalls.

Und so wandte er sich erneut Herrn von Stiehle zu. „Bei allem, was hier bereits an möglichen Ausgängen der Situation besprochen wurde, ist eine Sache vollkommen übersehen worden: Die Schlagkraft der nordischen Bevölkerung nämlich. Ich sage Ihnen, die Gemüter in Kiel und anderswo brodeln, sie brodeln sogar so sehr, dass sich dort inzwischen Gerüchte über Dänemarks Repression bilden, die gar nichts mehr mit den tatsächlichen Gegebenheiten zu tun haben.“ Und ja, Samuel hatte durchaus seinen Anteil daran. Aber das war ein Geheimnis, das er wohl mit ins Grab nehmen würde. „Und bedenken Sie, was die Veröffentlichung des Vertrags, ganz unabhängig von seiner Rechtmäßigkeit, mit den Bürgern von Schleswig und Holstein machen wird. Es wird einen Krieg geben, sofern heute keine andere Lösung gefunden wird. Aber ich sehe durchaus die Möglichkeit, dass dieser Krieg weder von Dänemark noch von Preußen ausgeht, sondern vom Volke selbst. Ein Bürgerkrieg gegen die Obrigkeit, den ein vom Willen nach Freiheit getriebenes Volk bis ans Äußerste bringen kann, und glauben Sie mir: Ich war in den letzten Tagen auf den Straßen von Kiel unterwegs, ich sehe sehr wohl die Möglichkeit, dass nicht Dänemark oder Preußen den drohenden Krieg gewinnt, sondern das Volk von Schleswig und von Holstein.“[2]

Erneut sah er dem Major direkt in die Augen. „Welchen Eindruck würde Preußen im Deutschen Bund hinterlassen, wenn man mit den frisch restrukturierten Armeen zu spät zum Krieg kommen würde, wenn gezeigt würde, das Preußens Armeen gar nicht benötigt würden?“

Erneut abrupt wandte er sich ab, und sah nun zu Alfred Nobel. „Herr Nobel, Sie sprachen von Sicherheit. Ich sehe in diesem Raum viele Männer mit vielen sehr unterschiedlichen Hoffnungen und Plänen, doch keiner dieser Pläne hat für mich ein vollkommen durchdachtes Fundament.  Keiner dieser Pläne birgt wirkliche Sicherheit in sich.“ Wieder wanderte sein Blick zum Herzog. „Sie sagen, Sie sind bereit, alles zu tun, um einen Krieg zu verhindern. Aber was kann denn nun den Krieg verhindern? Der Vertrag? De Mezas Siegel? All das kann ihn vielleicht aufschieben, kann uns Zeit verschaffen, aber es löst die Situation nicht wirklich. Nur, wenn Macht und Wille, diese einzusetzen, zusammenkommen, kann der Krieg verhindert werden. Diese Macht liegt gewissermaßen an zwei Orten: In Preußen und in Dänemark.“

Und wieder wandte er sich an den Major. „Einen Vertreter Preußens haben wir hier vor Ort. Die Frage ist, ob er den Willen hat, für den Frieden zu sprechen. Nehmen wir nur einmal an, rein hypothetisch, er hätte die Aufgabe gehabt, für einen Krieg zu sorgen, damit Preußens Armeen Erfolge feiern können. Was wäre nötig, um ihn zu einem Abweichen von diesem Befehl zu bringen? Eine höhere Priorität müsste her: Etwa ein anstehender Bürgerkrieg. Kann Preußen diesen nicht verhindern, steht es vor einem politischen Desaster.“

Zum ersten Mal machte Samuel eine längere Pause, ließ seine Worte wirken, damit alle Beteiligten auch wirklich darüber nachdenken konnten. Schließlich setzte er erneut an.

„Bleibt noch Dänemark. Aus meiner Sicht gibt es nur einen Weg, wie man Dänemark hier in Zugzwang bringen kann: Die Unabhängigkeit Schleswig-Holsteins muss von möglichst vielen anderen Nationen verteidigt werden. Dänemark mag sich gegen die norddeutschen Völker stellen, auch gegen Preußen, aber nicht gegen den gesamten deutschen Bund. Die wiederum wären sicherlich gewillt, für die genannte Unabhängigkeit einzustehen, da man ohnehin lieber sehen würde, wenn ein Deutscher deutsche Lande regiert. Aber man muss ihnen eine Grundlage liefern.“

Nun fiel sein Blick auf den Vertrag. „Dieses Schriftstück dort ist eine Möglichkeit. Eine sehr vage, wie in diesem Raum mehrfach betont wurde. Doch seien wir ehrlich: Selbst wenn die Rechtmäßigkeit angezweifelt würde, die differierenden politischen Interessen würden dafür sorgen, dass es Jahre dauern würde, bis alles geklärt wäre. Vermutlich, verzeihen Sie mir meine Direktheit, Herr von Stiehle, haben Sie sich deshalb so sehr darum bemüht, nicht über den Vertrag zu diskutieren.“

Schließlich fiel sein Blick wieder auf den Herzog, dem er direkt in die Augen sah. „Eine weitere Option besteht allerdings auch daran, noch einmal über die Rechtmäßigkeit der, nennen wir es einfach einmal so, Enteignung der herzoglichen Familie zu diskutieren. Ganz unabhängig davon, ob es für diesen Vertrag eine Unterschrift geben wird oder nicht, hat die Veröffentlichung des Vertrags den politischen und gesellschaftlichen Nährboden geschaffen, um eine solche Diskussion zumindest wieder zuzulassen. Was für ein Desaster das für Preußen wäre, brauche ich ganz sicher nicht zu erwähnen.“

Inzwischen lief Samuel durch den Raum, passierte dabei einen der Anwesenden nach dem anderen und ging den Weg anschließend wieder zurück. Schließlich blieb er vor dem Major stehen. „Würde Preußen gegenüber dem deutschen Bund die Echtheit des Vertrags bekunden, ganz unabhängig von irgendwelchen Unterschriften, so würde dies den Willen Friedrichs für die Zukunft von Schleswig und Holstein zeigen, und auch in Dänemark selbst eine Argumentation dafür schaffen. Mit dem politischen Druck des gesamten deutschen Bundes und der pro-schleswig-holsteinischen Kräfte in Dänemark könnte man die dänische Regierung dazu bewegen, einen neuen, gültigen Vertrag aufzusetzen. Keine Fälschung.“

Er sah dem Major fest in die Augen. „Vorausgesetzt, Macht und Wille kommen zusammen.“[3]
 1. Diplomatie: 24 - ich will den Herzog überzeugen, dass er als Staatsoberhaupt in Krisensituationen ungeeignet ist, und ihm so den Willen zur Macht nehmen
 2. Diplomatie: 35 - ich will den Major überzeugen, dass ein Bürgerkrieg eine realistische Möglichkeit ist; Samuel glaubt übrigens durchaus selbst daran, immerhin hat er selbst entsprechend Stimmung gemacht  :twisted:
 3. Diplomatie: 46 - der Major soll dem Plan zustimmen
« Letzte Änderung: 07.08.2013, 00:21:30 von Samuel Weissdorn »

Menthir

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Casus Belli
« Antwort #356 am: 16.08.2013, 16:15:02 »
7. Dezember 1863 - Am Morgen des Krieges? - 18:56 Uhr - Gut Emkendorf - Im Büro des Herzogs

Nachdem Samuels Stimme verklang, breitete sich eine tiefe Stille in diesem Raum aus, welche den meisten eher unangenehm gewesen war. Alle, bis auf der in sich zusammengesunkene Herzog, hatten die Thermoregulatoren zu sich genommen und warteten darauf, dass ihre Wirkung entfalteten und wenn sie es getan hatten, beobachteten sie mit und an sich selbst die Wirkung dieses ungewöhnlichen Gebräus, welches die Hitze einfach so zu unterdrücken schien. Dem selbsterklärten Herzog erschien die Stille doch am unerträglichsten und nach Alfreds Worten war er in sich zusammengesackt wie ein nasser Sack, der vorher noch voller Luft war, die Alfred jetzt mit zwei starken Armen herausgedrückt hatte. Die Hitze hatte seine Spuren beim Herzog hinterlassen. Inzwischen hatte er den Vertrag an sich genommen und blickte ungläubig auf die dort geschriebenen Lettern. Wenn er noch gerne etwas gesagt hätte, zu seiner Verteidigung, zu Missverständnissen, zu Darstellungen, er konnte es nicht mehr. Die Nachricht über die Veröffentlichung der gefälschten Verträge hatte ihm die letzten Tür zur Macht zugeschlagen, auf diesem Weg war nichts mehr zu holen. Auch Samuels mutiger Vorstoß konnte seine Miene nicht mehr aufhellen. Zum einen schloss er die Herzogswürde für den Augustenburger aus, zum anderen baute es wieder genau auf den selben Methoden auf, an denen schon der erste Vorstoß gescheitert war. Unschlüssig blickte er zwischen den noch im Raum verbliebenen Männern hin und her. Selbst wenn Preußen das nachträglich billigte, wäre der Schaden für die Integrität des Herzogs viel zu groß, sodass er wahrscheinlich das Vertrauen des Deutschen Bundes verlieren würde und ein willfähriger Vasall Preußens werden müsste. Den Tränen nahe blickte auf seinen eigenen Schoß.

Es war Major von Stiehle, der die Stille mit einer lateinischen Phrase durchschnitt, und dabei Samuel Weissdorn kritisch und ablehnend betrachtete. "Quo vadis[1]?" Von Stiehle schüttelte leicht und den Kopf und drehte den Kopf dann zu Alfred Nobel. "Wenn Sie keinen preußischen Rechtsschutz in diesem Fall wollen, werde ich Ihre Bitte beherzigen. Sollte der Schutz der holsteinischen Soldaten bei Ihrer Abreise nicht reichen, und Sie auf Gut Emkendorf zu Schaden kommen, sein Sie versichert, dass Preußen dennoch alle notwendigen Schritte unternehmen wird, dass Sie dieses Gut in einem Stück verlassen können und sicher zu Ihrer nächsten Destination gelangen." Dieses Angebot galt auch für Emil, dem Gustav von Stiehle dies mit einem Nicken zusicherte. "Jedoch kann ich Ihnen sicher keine Freisprechung von Ihren Taten garantieren, sofern diese außerhalb Preußens stattfanden. Und selbst in Preußen könnte ich das wohl kaum. Ich denke jedoch, dass der Herzog noch genügend Herz und Integrität finden wird, Sie aus dieser misslichen Lage zu befreien. Meinen Zuspruch haben Sie. Sie haben tapfer die Wahrheit offenbart und haben sich nicht von einem bildungsgetragenen Ideal der Professorendemokratie verlocken lassen. Sie sind ein Mann wahrer Prinzpien und das weiß ich zu schätzen, völlig unabhängig davon, ob andere Sie nach dieser Situation hier als Egoist brandmarken werden."

Ein entschlossenes Nicken Alfred Nobel gegenüber und dann blickte Gustav von Stiehle wieder zu Samuel Weissdorn, und blickte jetzt seinerseits fest in die Augen von Samuel. "Ihre Worte mögen wie Ambrosia für andere sein, Herr Weissdorn, und ich verstehe, dass Sie nicht wollen, dass die Professoren den Weg umsonst auf sich genommen haben. Ich habe durchaus bemerkt, dass die Professoren den Vertrag als rechtmäßig angesehen haben bis sie kamen und jetzt ihrer Chance beraubt sind." Mommsen gab ein missmutiges, aber letztendlich zustimmendes Schnauben von sich. "Aber Macht und Wille werden hier nicht zusammengekommen. Ich will Ihnen gegenüber diplomatisch bleiben, aber sein Sie versichert, dass ich Ihren Vorstoß sehr dreist empfinde. Lassen Sie mich das nachvollziehen für Sie. Kommen Ihnen folgende Worte bekannt vor: «Umso wichtiger aber ist, dass die politische Zukunft, die wir hier zu formen wünschen, nicht auf Lügen fußen lassen, die enttarnt werden können und zu einem späteren Zeitpunkt womöglich einen noch viel schlimmeren Krieg heraufbeschwören könnten, als der, vor dem wir im Augenblick stehen.» Diese Worte dürften ihnen irrsinnig bekannt vorkommen. Sie haben Sie die Unterredung mit dem Herzog begonnen. Jetzt, da der Herzog seine Karten nicht genutzt zu haben scheint, wollen sie aber das Blatt des Herzogs für Ihre Zwecke weiternutzen. Und dazu möchten Sie nichts weiter, als dass ich Hochverrat meinem König gegenüber begehe. Indem ich persönlich die Bundesexekution aufhebe durch meine Entscheidung, obwohl ich eigentlich ihre Umsetzung vorbereite. Dann wollen Sie, nachdem ich die ganze Zeit die Legitimität des Vertrages in Frage gestellt habe, dass ich mich gegen meine eigenen Prinzipien stützte? Und wozu? Um Preußens Führung zu brüskieren, meinen eigenen Kopf in die Schlinge zu stecken und dann der eitlen Professorenschaft den Hof zu machen? Niemals! Sie sind ein Wendehals ohne Gleichen, Herr Weissdorn. Als wir nach Gut Emkendorf kamen, waren sie voller Aggression und eine Gefahr für die Reisegruppe. Nun tun sie so, als hätte es sie alles zutiefst erschüttert und könnten diese Lügen nicht mehr tragen und im nächsten Moment wollen sie diese Lügen für sich nutzen. Ich weiß nicht, welches Spiel Sie spielen, Weissdorn, aber ich werde es nicht mitspielen."
Gustav von Stiehle setzte seine Kappe wieder auf. "Sein Sie alle versichert, dass die Geschichte für Preußen damit weitestgehend erledigt ist. Wir werden keine rechtliche Schritten unternehmen, sofern keine weiteren Versuche über den Vertrag unternommen werden. Ich bedanke mich recht herzlich für die Aufklärung. Ich werde jetzt meinen verwundeten Wittmaack holen. Dann erwarte ich eine Eskorte für die Verwundeten, Unbewaffneten, Diplomaten, Gäste und Toten bis zumindest nach Rendsburg oder Kiel. Einen schönen Tag.", dann tat es von Stiehle Carl von Lütjenburg gleich, lupfte die Mütze zum Abschied und beschloss den Raum zu verlassen.
Doch ehe er die Tür verließ, räusperte sich Carl Himly noch einmal. "Warten Sie, Herr Major. Warten Sie."

Carl Himly nahm seine schmale Brille von der Nase und putzte sie am Revers seines Jacketts, die letzten Schweißtropfen seiner Stirn danach mit dem Ärmel aufnehmend, setzte er die Brille dann wieder auf, kurz die Nasenflügel aufblähend. "Bevor Sie gehen. Mit einem Teil haben Sie recht. Wir sollten, nachdem wir solange um die Rechtmäßigkeit des Vertrages gerungen haben und nun wissen, dass er nicht rechtens ist, keine neue Illusion darum aufbauen. Sie wissen aber auch, dass Demokratie keine blinde Illusion ist. Und auch wenn wir an dieser Stelle nichts mehr machen können und wir keine Legitimität beanspruchen können, haben Sie den Willen der Männer in diesem Raum gehört. Wenn die Bundesexekution nicht mehr zu verhindern ist, dann bitte..." Mommsen sprach korrigierend dazwischen "Dann fordern wird Sie dazu auf!" Himly sprach kurz abwartend dann weiter. "...dass Sie an die Schicksale der vielen Schleswiger und Holsteiner im Laufe des dräuenden Krieges achten und dieses Land nicht aushungern, die Zivilbevölkerung weitestgehend schonen. Wir Holsteiner und Schleswiger, wir sind ein Volk des Friedens und eigentlich ein Volk, welches eigentlich zusammengehört. Opfern Sie es bitte keinen politischen Erwägungen, die nicht auf einer Augenhöhe mit dem Wohl eines Landstriches steht. Um mehr möchte ich Sie nicht bitten. Ich weiß, Sie können das nicht beschließen, aber tragen Sie das bitte vor!" Dann packte Himly seine Sachen ebenfalls zusammen. Es schien so, als wäre die Sache entschieden. Der Herzog hatte nun seinen Vertrag, doch er war wegen des Veröffentlichungsdruck wertlos geworden. Sicher gab es eine potenzielle Chance, dass er den Vertrag trotzdem zu de Meza brachte und es darauf ankommen ließ. Aber Preußen würde wegen der Veröffentlichung auch offen ein Wort dagegen aussprechen können und Dänemark ebenso. Der Herzog würde zerdrückt werden und den Rückhalt des Deutschen Bundes verlieren. Und dann würde er wahrscheinlich die Situation nur verschlimmern.
Theodor Mommsen, der einzige, der permanent gesessen hatte, stand nun auf und klopfte sich die Kleidung ostentativ ab. "Dann sei es so, wie es ist. Wir haben Geschichte geschrieben. Geschichte hat eben seine grausamen Wege Optimisten zu enttäuschen. Ich habe keine Ahnung, warum uns die Hoffnung so übermannte, dass wir das nicht sahen. Wir haben es nicht ausreichend geprüft, nicht eingehend geprüft. Alleine Albert Hänel hatte das Ganze auffallen müssen. Aber wie dem nun sei. Ich bin müde. Wir haben die Sache geklärt. Ich würde gerne nach Hause." Mommsen grummelte vor sich hin und stellte sich neben Himly auf, der bereit war, jetzt alsbald aufzubrechen.

Und so standen alle Gäste, während der Herzog zusammengesackt in seinem Stuhl saß und den Vertrag auf seinem Schoß begutachtete. Drüben im Nebenraum war jegliche Musik verklungen und wie es mit manchen Stücken war, folgte ihnen, wenn sie aufhörten, diese unsagbare Schwere. Sie hatte den Herzog ergriffen und er genoss sie vielleicht für einen letzten Moment. Dann stand er auf. Seine Tränen, die sich angedeutet hatten, waren wieder vertrocknet und dennoch fiel es ihm schwer mit Fassung zu sprechen. Er rang mit sich. "Verzeihen Sie die Unannehmlichkeit. Ich werde jedweden Haftbefehl sofort zurücknehmen." Schweren Schrittens, von der Hitze und dem inzwischen wirkenden Branntwein gebeugt, kam er um den schweren Schreibtisch herum. "Aber um eine Sache, muss ich Sie alle bitten. Lassen wir in diesem Raum, was in diesem Raum besprochen wurde. Das Schicksal meinte es nicht leicht mit meiner Familie, irgendwo zwischen aufgedrängter Verantwortung und unverschuldeter Entmündigung, wäre eine Veröffentlichung der Papiere untragbar für den Ruf meiner Familie und des Landes. Ich will Ihnen das vergelten. Sehen Sie, ich will es Ihnen vergelten. Und um Ihnen zu beweisen, dass es so ist, will ich mich der Schmach entledigen."
Das Knittern des schweren Papieres erfüllte kurz den Raum, als der falsche Herzog den Vertrag zerknüllte, gefolgt vom Knistern und letzten Auflodern des Feuers, als er aus Carls Konjunktiv ein Indikativ machte. Er warf den Originalvertrag in den Kamin.
"Es ist vorbei. Es ist alles vorbei. Preußen wird seinen Krieg haben. Heute morgen fragte ich mich noch, ob wir am Morgen des Krieges sein würden. Jetzt...", er griff in die Tasche und sein Blick ging auf eine silberne Taschenuhr, "...um 18:56 Uhr, am 07. Dezember 1863, muss ich feststellen, dass es zu diesem Krieg kommen wird. Und wieder einmal, wie 1848, hat Schleswig, hat Holstein, keine Aktien in einem Krieg. Wieder sind es größere Mächte, die uns bevormunden. Was ist Fortuna doch nur für eine flatterhafte Frau..."
Der Herzog sah zu, wie sein Siegel in den Flammen dahinschmolz und das Papier rasch verbrannte. Zwei einsame Tränen liefen seinem Gesicht entlang bis in seinen Bart.
"Gehen Sie bitte. Ich werde Thoralf beauftragen, Sie mit seinen Männern zu begleiten. Sie werden geschützt dieses Gut verlassen können. Mit allen Rechten freier Männer, mit Ihren Verwundeten und Ihren Toten. Die Soldaten werden Sie schützen. Ich wünsche Ihnen alles Gute."
Der Herzog fasste sich an die Stirn und rieb sie, ehe er zurück um den Schreibtisch ging und sich wieder setzte. Es war vorbei. Der Vertrag war vernichtet. Alfred Nobel und Emil Nobel wieder freie Männer. Die Soldaten würden Sie aus dem gefährlichen Gebiet geleiten. Und der Plan der weitestgehend gesichtslosen Söldner war vereitelt. Es würde Preußens Weg gehen. Und mit dieser Aura der Gewissheit verließ von Stiehle zuerst die heiße Stube des Augustenburgers, gefolgt von Himly und Mommsen, von den beiden Nobels und Weißdorn und zum Schluss Conrad Rosenstock.

Im Flur trafen sie sich nochmal und sammelten sich. Von Stiehle berichtete Carl vom Ausgang des Gespräches, während Himly zu den Nobels ging und Mommsen zu Samuel Weissdorn und Conrad Rosenstock.
"Ihre Worte waren tapfer und bravourös, Herr Weissdorn. Ich danke Ihnen vielmals, dass Sie uns noch einmal die Tür aufstoßen wollten in dieser aussichtslosen Situation. Haben Sie gesehen, wie von Stiehle kurz wankte? Aber dann hat er es mit der Angst bekommen." Mommsen klopfte Samuel aufmunternd auf die Schulter und setzte sich dann wieder hin, müde und erschöpft.

"Es ist vorbei, die Herren Nobel. Ich beglückwünsche Sie!", Himly lächelte und seine Freude dafür, dass die Nobels diese schwierige Thema jetzt hinter sich lassen konnte, war ganz ehrlich. Himly strahlte so als wäre ihm selbst etwas Gutes widerfahren. "Sie haben Großartiges geleistet und sicher vielen Menschen, also allen Beteiligten, die Augen über die wahren politischen Machenschaften unserer Zeit geöffnet. Dieses Verhandeln im Dunkeln. Sie haben ein Zeichen dagegen gesetzt, ob es nun in Ihrer Absicht war oder nicht. Ich danke Ihnen, dass Sie mit uns dabei offen umgegangen sind und es freut mich, Alfred, dass es für Sie beide so gut ausgegangen ist. Der Rest wird, sofern noch nötig, wie abgesprochen, behandelt werden. Aber erlauben Sie mir, dass ich die Veröffentlichung der Briefe noch verhindern werde. Ich denke, dass es im folgenden Krieg, so Dänemark nicht noch einknickt, nicht gut sein wird, wenn die Preußen sich auch noch übermäßig unwillkommen in Holstein fühlen. Das wird den Willen zur Schonung nicht erhöhen." Himly klopfte Alfred und Emil auf die Schulter. "Lassen Sie uns sehen, dass wir uns wieder den schöneren Dingen widmen können. Der Wissenschaft!" Dann lachte er.

Doch auch Himlys Lachen konnte den Ernst der Situation nicht ganz auflösen, auch wenn jetzt, nachdem sie den Raum verlassen hatten und der Vertrag zerstört war, alle etwas entspannter wurden. Conrad mochte sich nicht glücklich fühlen, und Mommsen sowieso nicht. Himly immerhin schien zufrieden. Von Stiehle war sehr siegesgewiss, aber immer noch besorgt um seine Männer. Aber immerhin war es vorbei.

8. Dezember 1863 - Am Ende der gemeinsamen Reise? - 08:00 Uhr - Kiel - Am Hafen

Thoralf von Thienen-Adlerflycht, der junge holsteinische Soldat, oder Hausbedienstete, wie Samuel gerne dachte, hatte Sie in Kutschen gesteckt und von einer Einheit Infanteristen und einer handvoll Reiter sich nach Kiel geleiten lassen. Die Soldaten hatten im Umfeld alle aufgefundenen, preußischen Soldaten vor der Abreise noch präpariert. Von Stiehles diplomatischer Sieg - zumindest mochte er es selbst so sehen - war ein teuer erkaufter gewesen. Von Stiehle wusste, dass er es Carl von Lütjenburg, Alfred Nobel, Conrad Rosenstock und Samuel Weissdorn zu verdanken hatte. Doch im Angesicht seiner erschossenen Soldaten brachte er keine Worte über seine Lippen. Nur Wittmaack war mit dem Leben gerade so davongekommen, und Gustav und Carl selbst. Eine Kutsche transportierte nur die Leichen der preußischen Soldaten.

Aber nach langer und langsamer Reise erreichten sie in den frühen Morgenstunden endlich Kiel. Es war ein schöner Morgen. Die Sonne zeigte sich gerade am Horizont, und strahlte im hellen Glanze über das verschneite, kalte Kiel. Sie waren sicher wieder in Kiel angekommen und von den Söldnern hatte es kein Zeichen mehr gegeben. Kein Angriff, kein Schuss. Kiel war an diesem Dienstagmorgen friedlich. Die Menschen liefen über die Straßen zur Arbeit oder zu Markte, oder sie unterhielten sich aufgeregt über die Nachrichten. Über eine Nachricht. Die Bundesexekution war beschlossen wurden. Krieg würde folgen. Vom dubiosen Vertrag war in den Gazetten kein Wort zu lesen. Himly musste einen seiner Ringe genutzt habe, um es noch rückgängig zu machen.

Teile des Hafens waren zugefroren und Männer gingen der gefährlichen Arbeit nach, die eingeschlossenen Boote zu befreien, in dem sie schwere Hämmer und Planken auf das Eis niedersausen ließen. Oder sie hielten die Anlegeplätze frei, wenn die Fischkutter in zwei Stunden wiederkehrten. Eben solche Kutter, wie es auch die Helka war. Es war ein idyllischer Morgen, wenn man von den Nachrichten vom aufziehenden Kriege absah. Carl und Conrad sahen Kommilitonen, wie sie auf den Weg in die Universität waren. Samuel sah in der Ferne Wilhelm Seelig ebenfalls in die gleiche Richtung marschieren. Überall waren ein paar Soldaten unterwegs und nahmen jetzt auch die Kutsche in Empfang. Thoralf verabschiedete sich knapp und ging in die Garnison, Samuel keines Blickes würdigend, während die anderen Soldaten folgten bis auf zwei, welche die Kutsche noch wegfahren würden. Es war an der Zeit sich zu verabschieden.
Mommsen gähnte ein wenig, der Schlaf war unbequem gewesen und doch erwachte sein Pflichtbewusst sein wieder. Die Glocken der Nikolaikirche im Hintergrund mahnten ihn daran. "Ach herrje. Ich wollte um 8:00 Uhr eine Vorlesung halten. Zum Glück gibt es das akademische Viertel!" Wenig wortreich war dies die Verabschiedung Mommsens, doch dass er sich zu einem freundlichen Augenzwinkern hinreißen ließ, war mehr emotionale Verabschiedung als man von diesem Mann sonst hätte erwarten können.
Von Stiehle war der nächste. "Leutnant. Wir werden nur wenig verschnaufen. Wir haben viel zu tun. Halten Sie ihre Verabschiedung also kurz. Sie werden ihr Studium ein anderes Semester beenden müssen. Nicht ihre alma mater, sondern ihr Preußen ruft." Dann ging von Stiehle zur Kutsche mit seinen gefallen Kameraden, nicht ohne zu sagen. "Machen Sie es alle gut. Vielleicht sieht man sich eines Tages wieder." Himly schaute von Stiehle hinterher, ob er nicht vielleicht doch noch ein Wort zu der Bitte sagen würde, doch Gustav kümmerte sich um seine Pflichten, wie man es von ihm erwartete. Und so ließ er auch keinen Dank verlauten.
Und so war es Himly, der für einen Moment übrig blieb. Er kräuselte die Lippen. "Ich glaube, ich muss das erst einmal alles sacken lassen. Innerhalb von 48 Stunden höchste Hoffnung und dann die niederschlagende, wenn auch für Sie, Alfred, glückliche Realität zu erblicken. Das kann kein Geist schnell erfassen. Erlauben Sie mir, dass ich den anderen Professoren Ihre besten Grüße überbringe. Ich wünsche Ihnen alles, alles Gute für Ihre weiteren Wege. Sie, wir, haben viel erlebt hier. Nehmen Sie es mit." Carl Himly lächelte freundlich. "Und Herr Nobel. Ich denke doch, dass wir in zumindest brieflichen Kontakt bleiben." Carl lachte jetzt und sagte mit halb zugekniffenen Auge. "Ich bin doch ein echter Norddeutscher, was Abschiede abgeht. Verzeihen Sie also, wenn ich das so mache, wie man das hier so macht. Tschüss." Dann reichte Himly nochmals jedem die Hand und ging Richtung Universität.

Der Vertrag war zerstört. Die Verschwörung der Söldner und des Augustenburgers, um sich an den Großmächten zu rächen, war aufgedeckt wurden, und Alfred und Emil Nobel hatten ihre Freiheit wiedergewonnen. Samuel hatte durch seinen Einsatz an Ansehen bei den Professoren, gerade auch beim sonst so kritischen Mommsen gewonnen, Conrad hatte seine Heimat zumindest vor Schlimmeren bewahren können, und Carl hatte durch seine Tugendhaftigkeit im preußischen Sinne einen Fürsprecher mit Gustav von Stiehle gefunden und war nun zurück im preußischen Heer. Es war eine schicksalshafte Begegnung zwischen genau diesen Männern gewesen. Jeder hatte daraus etwas ziehen können und jeder hatte sich seine Meriten verdient, und doch, jede Begegnung musste irgendwann enden und so wurde es Zeit, jenes zu sagen, was man im Norden zu sagen pflegte:
Tschüss.[2]
 1. Quo vadis?
 2. Ihr dürft euch gerne noch ingame verabschieden und eventuell eine Nachbetrachtung oder Epilog für euren Charakter machen. :) - Ich werde nach euch auch noch einen kurzen Epilog machen, wie die Geschichte denn ausgeht.
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Carl von Lütjenburg

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Casus Belli
« Antwort #357 am: 19.08.2013, 20:31:53 »
Auf Gut Emkendorf hatte Carl mehr oder minder erfreut zugehört, als Gustav von Stiehle ihm von den weiteren Geschehnissen erzählte. "So fühlt sich also ein diplomatischer Sieg an...", dachte Carl, erwiderte aber nichts und nickte lediglich. Diese Art von Siegesrausch machte zumindest wenig Lust auf mehr.

Carl fühlte sich nicht als schlechter Mensch oder gar als Verräter, obwohl er dafür eingestanden hatte, dass ein Krieg in seiner Heimat nicht verhindert werden konnte.  In den Augen des Leutnants hätte ein bewahrter Frieden dieses faule, politische Spiel lediglich in die nächste Runde gehoben. Und auch wenn dadurch die Karten neu gemischt wären, so wäre auf diese Weise doch niemals ein Ende zu erwarten. Dieser Krieg, so hoffte Carl, würde aber diese Sache beenden können.

Er war sich durchaus im Klaren darüber, was ein Krieg für Schleswig und Holstein bedeuten könnte und seiner Verantwortung dafür, dass es nun dazu kommen würde war er sich ebenso sehr bewusst, doch sein Gewissen war erstaunlicher Weise nicht mit Schuld beladen. Carl hatte bei all den Worten des Herzogs halb damit gerechnet, sich schuldig zu fühlen, doch traf dies nicht zu. Er hatte das Gefühl das Richtige getan zu haben trotz der Tatsache, dass er diesen Krieg vielleicht selbst nicht überleben würde.
Dennoch fühlte es sich kaum wie ein Sieg an, denn was blieb war vor allem Tragik und aufgedeckte Lügen, Glorreiches suchte man hier jedenfalls vergebens. Lediglich die Freiheit der Nobelbrüder war durchweg begrüßenswert und Carl lächelte den Schweden müde aber freundlich an, als sich ihre licke kurzzeitig begegneten. Überhaupt fühlte er wie die Erschöpfung langsam an ihm hochkroch, jetzt wo alle Anspannung aus seinem Geist gewichen war.
Warten, Kämpfen, Verhandeln -  das Alles forderte langsam seinen Tribut von Carls Körper und so schlief er rasch ein, nachdem er in der Kutsche Platz genommen hatte.




Zwar sehr verknittert und verspannt, aber dafür ausgeschlafen und etwas erholt, traf Carl in Kiel ein. Es fühlte sich gut an wieder hier zu sein, auch wenn es nicht für lange sein würde, wie von Stiehles Worte deutlich machten. Carl salutierte vor dem Major und quittierte dessen Aufforderung mit einem zackigen "Jawohl, Herr Major." und wandte sich dann seinen Reisegefährten zu, gerade als Carl Himly sich verabschiedet hatte.

"Sie haben es gehört, meine Herren, für mich geht die Reise hier erst richtig los. Die Bundesexekution muss ausgeführt werden jetzt wo diese unsäglichen diplomatischen Ränkespielchen endlich Geschichte sind. Ich denke jedenfalls, dass es eine gute Sache ist, dass der Vertrag nicht an die Öffentlichkeit gelangt ist, für alle Seiten..." Carl wirkte in der Tat erleichtert aber gleichsam nun auch unsicher. Offensichtlich war er sich nicht ganz klar, wie er sich verabschieden sollte und wie er nun, nachdem das Abenteuer um den gefälschten Vertrag geendet hatte, zu den Anderen stand und wie diese zu ihm standen. Schließlich schien er sich sichtlich einen Ruck zu geben und lächelte freundlich, als er jedem die Hand gab.

Zu Samuel Weissdorn sagte Carl nicht viel mehr als "Auf Wiedersehen.", schließlich hatte er den Dozenten kaum kennengelernt und außerdem ging er nicht davon aus, dass von einem Mitglied der Kieler Dozentenschaft noch viel Wohlwollen zu erwarten hatte. Ein guter Grund, das Studium für eine Weile ruhen zu lassen.
"Die Herren Nobel", sagte Carl, als er sich von Alfred und Emil verabschiedete, "Sie sind mit heiler Haut und unbescholten aus der Sache herausgekommen. Auch wenn wir am Ende wohl nicht ganz auf der gleichen Seite gestanden haben, möchte ich doch zum Ausdruck bringen, dass es mich sehr freut, dass der Herzog den Haftbefehl zurück genommen hat, genauso wie es mich gefreut hat, sie beide kennen gelernt zu haben. Passen Sie auf sich auf."
Als er Conrad die Hand gab sagte Carl lange Zeit nichts, sondern blickte seinem Freund lediglich in die Augen. Der junge Student war einer seiner besten Freunde hier in Kiel, wenn nicht sogar der Beste und es schmerzte Carl, dass er Conrad vorerst hinter sich zurücklassen musste. "Conrad.", begann er leise, "Ohne dich, wird es sicher schwer für mich werden. Ich hoffe wir werden uns bald wieder sehen, mein Freund."

Carl blickte zu von Stiehle herüber und sah danach noch einmal in die Runde. Auch wenn er es nicht aussprach, war offensichtlich dass es nun für ihn Zeit war zu gehen und so nickte er noch einmal zum Abschied und ging dem Major hinterher.

Alfred Nobel

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Casus Belli
« Antwort #358 am: 30.08.2013, 18:39:59 »
Es war ein unwohles Gefühl, mit dem Alfred Nobel im nicht mehr frischen Neuschnee am Kieler Hafen stand. Der eisige Wind blies um die dünnen Haare des Schweden, doch die Kälte schien ihn nicht zu beeindrucken. Der Thermoregulator würde noch bis zum Abend wirken, sodass jegliche Reaktion Alfreds ob der Kälte und des Windes ausblieb. Allein ein strenges, bitteres Stirnrunzeln deutete auf die Regungen, die in Alfred Nobel vor sich gingen.

Mit einem knappen Lächeln und bestätigendem Nicken hatte der Unternehmer sich von Professor Himly verabschiedet. Es stand außer Frage, dass Alfred und Emil den Chemieprofessor noch ein letztes Mal persönlich besuchen würden, bevor die Brüder Kiel vorerst verlassen würden. Die Arbeit der Nobels war bei weitem noch nicht beendet, im Gegenteil - sie hatte noch nicht ein Mal beginnen können.

Alfred lächelte freundlich, als Carl sich von ihm verabschiedete. Es war überraschend für Alfred gewesen, wie eilig es der Leutnant im Schreibzimmer des Herzogs gehabt hatte, klare Positionen zu definieren und wie bereitwillig er gewesen war, Farben nicht nur zu bekennen und zu zu weisen. Hatte Alfred es nicht deutlich gemacht, dass es in seiner Situation nicht möglich war, die Position einer der beteiligten Seiten einzunehmen? Es wirkte auf den Schweden, als sei dem Leutnant nicht bewusst geworden, dass Alfreds Handlungen nicht den Maximen einer Zugehörigkeit oder Partei zugrunde lagen - sei es die des Herzogs oder der Professoren; die der Demokratie oder des Liberalismus - sondern nur einem einzigen Ideal folgten, dem Wunsch nach Frieden. Aber vielleicht war es ein unabdingbarer Bestandteil der Loyalität des jungen Leutnants, dachte sich Alfred Nobel, während er die Hand Carl von Lütjenburgs schüttelte, die Welt in zwei Farben aufzuteilen: die Seite der Preußen, und die Seite der Anderen.

"Ich würde Ihnen gerne widersprechen, Herr von Lütjenburg," begann Alfred auf Carls Verabschiedung zu antworten, "aber nehmen Sie es mir nicht Übel, wenn Ich sage, dass ich müde bin von den Politika der letzten Tage. Das Einzige, was mir wichtig ist, festzuhalten, ist folgendes: Die Ereignisse in Kiel wären für meinen Bruder und mich niemals so glimpflich ausgegangen, wenn wir Ihre Bekanntschaft vermisst hätten. Ich sagte es bereits, und ich habe und werde es nicht vergessen: Die Familie Nobel steht tief in Ihrer Schuld. Und ich bin wenig, wenn nicht ein Mann meines Wortes," erklärte Alfred streng, während er in eine Seitentasche seines Reisekoffers griff und ein kleines Kärtchen aus dünner Pappe hervorzog. Vorsichtig legte der Schwede den Koffer in den Schnee und suchte scheinbar vergeblich seine Taschen ab. "Alfred," meldete Emil sich leise, als er seinem Bruder einen seiner Kohlestifte reichte. Der ältere Nobel murmelte seinen Dank, ehe er auf der Rückseite des kleinen Papiers zu schreiben begann. Sorgsam faltete Alfred das Kärtchen der Länge nach und reichte es Carl.

Auf der Vorderseite war in schwarzer Tinte der Name Alfred Bernhard Nobel gedruckt. Es war ein schlichter Entwurf, mehr stand auf dem Papier nicht drauf. Es war einer der Karten, die Alfred bei offiziellen Besuchen im Rahmen seines Unternehmens seinen Kunden, Investoren und Gläubigern vorlegte. Auf der Rückseite der Karte hatte Alfred in großen Buchstaben eine schwedische Adresse in Stockholm niedergeschrieben.

"Es fällt mir in diesem Moment schwer, einzuschätzen, wie ich Ihnen meinen Dank offenlegen kann, Herr von Lütjenburg. Doch ich bin gewiss, dass sich Ihnen im Laufe Ihrer Zeit durchaus der eine oder andere Bedarf finden wird, bei welchem Sie an mich denken werden. Ich bitte Sie also, schreiben Sie mir. Und wer weiß, vielleicht werden Sie auch eines Tages müde im Angesicht der undankbaren Arbeit eines Soldaten? In dem Falle seien Sie sicher, dass Sie immer lohnende Arbeit bei den Unternehmen Nobel finden werden."

Freundlich lächelte Alfred Carl an. Trotz der unerwarteten Befremdung, die der Leutnant ausstrahlte, dachte Alfred im Traum nicht daran, seine Versprechen nicht einzuhalten. Der ältere Nobel verschränkte die Hände hinter seinem Rücken und nickte abschließend.

"Herr Weißdorn," wandte Alfred sich zu Samuel, und wechselte den Blick zu dem Dozenten. Eine eigenartige Person, wie Alfred für sich festgestellt hatte. Es war für den Schweden unmöglich gewesen, die Persönlichkeit des Kielers zu deuten. Der erste Eindruck in dessen Vorlesung hatte ein Gefühl in Alfred geweckt, welches während den Ereignissen im Herrenhaus des falschen Herzogs bestätigt worden war: Samuel Weißdorn wirkte, als würde er jeden Moment seines Lebens in einer dramatischen Szene verbringen. Vielleicht war das ein Eindruck, den man auch von der erhabenen Art Mommens gewinnen konnte, doch die Art und Weise Samuels wirkte unnatürlich, fast theatralisch. So sehr Alfred auch darüber nachdachte, es blieb dabei. Er wurde aus Samuel Weißdorn nicht schlau.

"Ich wünsche Ihnen großen Erfolg an der Universität. Ihr Mut ist absolut anzuerkennen, das haben wir zweifelsohne schon im Haus des Augustenburgers festgestellt. Aber ich denke, genau das ist für einen Mann in einer Position wie Ihrer oder meiner absolut notwendig: Wir brauchen den Mut, die Menschheit mit Entdeckungen und Erfinden zu konfrontieren und Ihnen diese Neuheit zugänglich zu machen. Wir beide stehen demnach vor gar nicht so unterschiedlichen Herausforderungen, möchte ich meinen. Ich wünsche Ihnen das Beste, und dass die Psychophysik in Ihnen ihren großen Namen findet." Auch Samuel reichte Alfred die Hand und lächelte freundlich. Es war ein eigenartiges Abenteuer an der Seite dieses Mannes gewesen.

Schließlich reichte Alfred Conrad den Händedruck. "Herr Rosenstock, der Dank, den ich Herrn von Lütjenburg ausspreche, gilt für Sie natürlich nicht eingeschränkt. Doch im Gegensatz zum Herrn Leutnant, der bereit ist, aus Kiel aufzubrechen, habe ich die Hoffnung, dass Sie mich und meinen Bruder die nächsten Tage noch begleiten werden.

Sehen Sie, unsere Angelegenheit und Verbundenheit gegenüber Friedrich mag mittlerweile aufgelöst sein, aber ich kann Herrn Himly und Herrn von Lütjenburg nicht im Frohsinn zustimmen, wenn ich behaupten sollte, dass damit die Aussicht auf meine Arbeit in Kiel offenstehen würde. Ganz im Gegenteil.
" Tief atmete Alfred ein, ehe er stöhnend begann, seine rechte Schläfe zu massieren.

"Die Solros, welche samt Besatzung und Fracht auf Grund liegt, war geladen mit Chemikalien und Laborausrüstung für ein Pionierunternehmen in Krümmel. Durch diesen Übergriff stehe in einer enormen Vermögensschuld gegenüber meinen Investoren. Ich werde zweierlei unternehmen müssen. Zum einen werde ich so bald wie möglich nach Hamburg aufbrechen, um mich mit den Investitionsparteien zu beraten. Zum zweiten ist es für mich jedoch ebenso notwendig, endlich die schwedische Krone über den Überfall aufzuklären. Die Brigg segelte schließlich eindeutig unter schwedischer Flagge, und sollte die Rolf Krake - wie anzunehmen - unter der dänischen Flotte stehen, dann wird sich daraus wohl auch eine entsprechende diplomatische...," für einen Moment zog Alfred die letzte Silbe nachdenklich in die Länge, als ob er nach dem richtigen Wort suchte, "Situation ergeben. Insofern werde ich vor Aufbruch nach Hamburg mit Herrn Ohlendorf - ein Anwalt, durch einen Kontakt von Herrn Himly - korrespondieren, damit er die notwendigen Schritte zur Vorstellung vor dem schwedischen Botschafter Oscar Hergren einleiten kann. Erst im Anschluss werde ich mir Gedanken darüber machen können, Kiel zu verlassen."

Mit einem finsteren Gesichtsausdruck dachte Alfred nach. Die Freude und Glückwünsche Professor Himlys über die Erlebnisse unter der Hand des falschen Herzogs konnte Alfred nicht teilen. Bedachte man, dass Emil und Alfred nicht nur unter Lebensgefahr standen, sondern durch die Farce der Erpresser und des Herzogs nun sogar mit einem schwerwiegenden finanziellen Schaden davongingen, war die Erfahrung es sicher nicht wert gewesen.

"Ich rechne nicht damit, dass meine Absicht, in Krümmel die erste Produktion zu starten, Bestand haben wird. Nicht nur, dass mir mittlerweile Geräte und Waren fehlen - Holstein droht schließlich Krieg, nicht wahr?"

Alfred seufzte auf.

"Ich bitte Sie um folgendes, Herr Rosenstock: Begleiten Sie meinen Bruder und mich in unseren letzten Tagen hier, bevor wir zurück nach Stockholm kehren. Wir werden persönlich Schutz nach den Ereigniss gewiss zu benötigen wissen - vor allem, da das Ehepaar Lavalle weiterhin auf freiem Fuß ist. Mit Ihnen an unserer Seite wären wir in der Lage, unsere letzten Geschäfte hier in Ordnung zu rücken. Ihre Bezahlung ist selbstverständlich. Ich hoffe, Sie nehmen mein Angebot trotz der zu erwartetenden Lage Ihrer Heimat an."

Alfred hatte wieder die Hände hinter seinem Rücken verschränkt und sah Conrad tief in die Augen. Es war ersichtlich, dass der Schwede unter den letzten Tagen gelitten und sein Unternehmen einen gewaltigen Schaden davongetragen hatte, trotzdem war Alfreds Art standhaft und entschlossen. Es schien, als ob der Schwede, ganz Unternehmen, mit einem berechnenden Blick in die Zukunft sah.

"Es droht Krieg in Schleswig und Holstein, doch unsere Arbeit ist hier noch nicht beendet. Ich hoffe nun nur noch auf die letzte Hilfe Holsteins, ich hörte, es sei ein freundliches Land."
But I have learned to study Nature’s book
And comprehend its pages, and extract
From their deep love a solace for my grief.

 - A Riddle, 1851

Samuel Weissdorn

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Casus Belli
« Antwort #359 am: 05.09.2013, 00:04:16 »
Während von Stiehles Rede war Samuel ruhig geblieben, hatte nicht mit einer Miene gezuckt. Selbst die Anschuldigungen, die der Major vorbrachte, gingen an dem Dozenten scheinbar wirkungslos vorbei. Tatsächlich konnte er den Eindruck verstehen, den er beim Major hinterlassen hatte - auch wenn ihm klar war, dass dem Mann dieser Eindruck sehr gut in den Kram passte, und er ihn deshalb auch nicht hinterfragte. Doch Samuel war alles andere als ein Wendehals: Er hatte sich einem Ziel verschrieben, und er hatte alles getan, um dieses Ziel zu erreichen. Er war Pragmatiker. Die Rede, die er vor dem Herzog gehalten hatte, die Rede von Ehrlichkeit und Moral, hatte er weniger aus Überzeugung gehalten, als um bestimmte Ziele zu erreichen. Sein ganzes Leben, seine ganze Existenz als Samuel Weissdorn war eine Lüge, da würde er sich kaum anmaßen können, dem Herzog seine Lüge vorzuwerfen. Das Problem war, dass der Herzog schlecht gelogen hatte.

Und durch die voreiligen Handlungen der Dozenten, ihr unüberlegtes Vorpreschen ohne ausreichende vorhergehende Recherche, auf die er so gedrängt hatte, war letztlich die Windböe gewesen, die das Kartenhaus zum Einsturz gebracht hatte. Mit ausreichender Vorbereitung hätten sie den Krieg verhindern können. Aber so... schon als sie sich auf den Weg gemacht hatten, war das Spiel vorbei gewesen. Und nun würden viele, viele Menschen dafür sterben.

Er konnte nur darauf hoffen, dass die beiden Länder Schleswig und Holstein die Situation trotz all ihres Schreckens nutzen würden, nutzen, um zusammen zu wachsen, und vielleicht zumindest Grundlagen einer neuen Zeit zu legen. Denn die Ideen, welche die anderen Professoren ihm nahe gebracht hatten, berührten ihn. Es ging um Freiheit, um Eigenständigkeit. Er hätte gerne Erfolg gehabt.

Auf der Rückreise blieb der frischgebackene Dozent schweigsam, gedankenversunken. Als sich Carl von Lütjenburg von ihm verabschiedete, nickte er nur kurz. Er hatte den Mann kaum kennengelernt, aber seine Verbundenheit mit dem kriegsversessenen von Stiehle war nicht gerade das beste Licht auf den jungen Mann. Die liberalen Gedanken, die Samuel lenkten, wären für den Preußen wohl ein Gräuel gewesen, hätte er von ihnen gewusst.

Ganz anders reagierte er, als Alfred Nobel ihn ansprach. Er schien erstmals aus seinen Gedanken aufgeschreckt, und sah dem Wissenschaftler und Unternehmer direkt in die Augen. Doch trotz des Lächelns, dass er nun aufsetzte, war die Enttäuschung in den Augen des Dozenten leicht zu erkennen.

Er schüttelte Alfred zum Abschied die Hand. "Um ehrlich zu sein, bezweifle ich das. Die Zeit ist noch nicht so weit. Aber vielleicht werde ich ein Wegbereiter sein für andere, deren Namen dann groß werden. Ob der meine erinnert oder vergessen wird, spielt für mich keine so große Rolle."

Samuel schien fertig zu sein, doch dann wandte er sich noch einmal an Nobel. "Es war mir eine Ehre, Sie kennengelernt zu haben. Ich wünsche Ihnen bei Ihren Unternehmungen den größten Erfolg. Nicht nur um Ihretwillen, sondern um der Menschheit willen. Es mag Ihnen seltsam erscheinen, da wir uns doch kaum kennen, aber sollten Sie jemals meine Unterstützung benötigen... Sie wissen, wo Sie mich erreichen können."

Ohne es sich selbst erklären zu können, spürte er eine Verbundheit zu Alfred. Vielleicht war es der wissenschaftliche Geist gepaart mit den liberalen Gedanken, vielleicht gefiel ihm aber auch einfach Alfreds Art. Er neigte nicht dazu, Versprechungen für die Zukunft zu machen, aber in diesem Fall gingen ihm die Worte leicht von den Lippen. Er hoffte nur, dass, wenn der Fall wirklich eintreten sollte, Samuel Weissdorn für Alfred Nobel noch erreichbar war.

Er nickte dem Schweden noch einmal kurz zu, und ging dann, ohne eine Antwort abzuwarten, davon. Er musste die Geschehnisse des Tages noch etwas sacken lassen, und er musste über seine eigene Zukunft nachdenken. Über die von Samuel Weissdorn. Ein Krieg würde kommen. Wollte er wirklich in Kiel bleiben? Vielleicht sollte er schon einmal die Vorbereitungen für die Ankunft einer neuen Person treffen, jemanden, der auf der Reise war in eine weit entfernte Stadt... nur für alle Fälle. Rom vielleicht, oder Paris. Auf der anderen Seite spürte er, dass Samuels Zeit noch nicht gekommen war.

Unschlüssig, gedankenversunken wanderte Samuel in Richtung Universität. Er musste sich nicht gleich entscheiden. Ein wenig konnte er auf jeden Fall noch seine Arbeit als Dozent genießen. Alles andere würde sich schon ergeben...

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