7. Dezember 1863 - Am Morgen des Krieges? - 18:56 Uhr - Gut Emkendorf - Im Büro des Herzogs
Nachdem Samuels Stimme verklang, breitete sich eine tiefe Stille in diesem Raum aus, welche den meisten eher unangenehm gewesen war. Alle, bis auf der in sich zusammengesunkene Herzog, hatten die Thermoregulatoren zu sich genommen und warteten darauf, dass ihre Wirkung entfalteten und wenn sie es getan hatten, beobachteten sie mit und an sich selbst die Wirkung dieses ungewöhnlichen Gebräus, welches die Hitze einfach so zu unterdrücken schien. Dem selbsterklärten Herzog erschien die Stille doch am unerträglichsten und nach Alfreds Worten war er in sich zusammengesackt wie ein nasser Sack, der vorher noch voller Luft war, die Alfred jetzt mit zwei starken Armen herausgedrückt hatte. Die Hitze hatte seine Spuren beim Herzog hinterlassen. Inzwischen hatte er den Vertrag an sich genommen und blickte ungläubig auf die dort geschriebenen Lettern. Wenn er noch gerne etwas gesagt hätte, zu seiner Verteidigung, zu Missverständnissen, zu Darstellungen, er konnte es nicht mehr. Die Nachricht über die Veröffentlichung der gefälschten Verträge hatte ihm die letzten Tür zur Macht zugeschlagen, auf diesem Weg war nichts mehr zu holen. Auch Samuels mutiger Vorstoß konnte seine Miene nicht mehr aufhellen. Zum einen schloss er die Herzogswürde für den Augustenburger aus, zum anderen baute es wieder genau auf den selben Methoden auf, an denen schon der erste Vorstoß gescheitert war. Unschlüssig blickte er zwischen den noch im Raum verbliebenen Männern hin und her. Selbst wenn Preußen das nachträglich billigte, wäre der Schaden für die Integrität des Herzogs viel zu groß, sodass er wahrscheinlich das Vertrauen des Deutschen Bundes verlieren würde und ein willfähriger Vasall Preußens werden müsste. Den Tränen nahe blickte auf seinen eigenen Schoß.
Es war Major von Stiehle, der die Stille mit einer lateinischen Phrase durchschnitt, und dabei Samuel Weissdorn kritisch und ablehnend betrachtete.
"Quo vadis[1]?" Von Stiehle schüttelte leicht und den Kopf und drehte den Kopf dann zu Alfred Nobel.
"Wenn Sie keinen preußischen Rechtsschutz in diesem Fall wollen, werde ich Ihre Bitte beherzigen. Sollte der Schutz der holsteinischen Soldaten bei Ihrer Abreise nicht reichen, und Sie auf Gut Emkendorf zu Schaden kommen, sein Sie versichert, dass Preußen dennoch alle notwendigen Schritte unternehmen wird, dass Sie dieses Gut in einem Stück verlassen können und sicher zu Ihrer nächsten Destination gelangen." Dieses Angebot galt auch für Emil, dem Gustav von Stiehle dies mit einem Nicken zusicherte.
"Jedoch kann ich Ihnen sicher keine Freisprechung von Ihren Taten garantieren, sofern diese außerhalb Preußens stattfanden. Und selbst in Preußen könnte ich das wohl kaum. Ich denke jedoch, dass der Herzog noch genügend Herz und Integrität finden wird, Sie aus dieser misslichen Lage zu befreien. Meinen Zuspruch haben Sie. Sie haben tapfer die Wahrheit offenbart und haben sich nicht von einem bildungsgetragenen Ideal der Professorendemokratie verlocken lassen. Sie sind ein Mann wahrer Prinzpien und das weiß ich zu schätzen, völlig unabhängig davon, ob andere Sie nach dieser Situation hier als Egoist brandmarken werden." Ein entschlossenes Nicken Alfred Nobel gegenüber und dann blickte Gustav von Stiehle wieder zu Samuel Weissdorn, und blickte jetzt seinerseits fest in die Augen von Samuel.
"Ihre Worte mögen wie Ambrosia für andere sein, Herr Weissdorn, und ich verstehe, dass Sie nicht wollen, dass die Professoren den Weg umsonst auf sich genommen haben. Ich habe durchaus bemerkt, dass die Professoren den Vertrag als rechtmäßig angesehen haben bis sie kamen und jetzt ihrer Chance beraubt sind." Mommsen gab ein missmutiges, aber letztendlich zustimmendes Schnauben von sich.
"Aber Macht und Wille werden hier nicht zusammengekommen. Ich will Ihnen gegenüber diplomatisch bleiben, aber sein Sie versichert, dass ich Ihren Vorstoß sehr dreist empfinde. Lassen Sie mich das nachvollziehen für Sie. Kommen Ihnen folgende Worte bekannt vor: «Umso wichtiger aber ist, dass die politische Zukunft, die wir hier zu formen wünschen, nicht auf Lügen fußen lassen, die enttarnt werden können und zu einem späteren Zeitpunkt womöglich einen noch viel schlimmeren Krieg heraufbeschwören könnten, als der, vor dem wir im Augenblick stehen.» Diese Worte dürften ihnen irrsinnig bekannt vorkommen. Sie haben Sie die Unterredung mit dem Herzog begonnen. Jetzt, da der Herzog seine Karten nicht genutzt zu haben scheint, wollen sie aber das Blatt des Herzogs für Ihre Zwecke weiternutzen. Und dazu möchten Sie nichts weiter, als dass ich Hochverrat meinem König gegenüber begehe. Indem ich persönlich die Bundesexekution aufhebe durch meine Entscheidung, obwohl ich eigentlich ihre Umsetzung vorbereite. Dann wollen Sie, nachdem ich die ganze Zeit die Legitimität des Vertrages in Frage gestellt habe, dass ich mich gegen meine eigenen Prinzipien stützte? Und wozu? Um Preußens Führung zu brüskieren, meinen eigenen Kopf in die Schlinge zu stecken und dann der eitlen Professorenschaft den Hof zu machen? Niemals! Sie sind ein Wendehals ohne Gleichen, Herr Weissdorn. Als wir nach Gut Emkendorf kamen, waren sie voller Aggression und eine Gefahr für die Reisegruppe. Nun tun sie so, als hätte es sie alles zutiefst erschüttert und könnten diese Lügen nicht mehr tragen und im nächsten Moment wollen sie diese Lügen für sich nutzen. Ich weiß nicht, welches Spiel Sie spielen, Weissdorn, aber ich werde es nicht mitspielen."Gustav von Stiehle setzte seine Kappe wieder auf.
"Sein Sie alle versichert, dass die Geschichte für Preußen damit weitestgehend erledigt ist. Wir werden keine rechtliche Schritten unternehmen, sofern keine weiteren Versuche über den Vertrag unternommen werden. Ich bedanke mich recht herzlich für die Aufklärung. Ich werde jetzt meinen verwundeten Wittmaack holen. Dann erwarte ich eine Eskorte für die Verwundeten, Unbewaffneten, Diplomaten, Gäste und Toten bis zumindest nach Rendsburg oder Kiel. Einen schönen Tag.", dann tat es von Stiehle Carl von Lütjenburg gleich, lupfte die Mütze zum Abschied und beschloss den Raum zu verlassen.
Doch ehe er die Tür verließ, räusperte sich Carl Himly noch einmal.
"Warten Sie, Herr Major. Warten Sie."Carl Himly nahm seine schmale Brille von der Nase und putzte sie am Revers seines Jacketts, die letzten Schweißtropfen seiner Stirn danach mit dem Ärmel aufnehmend, setzte er die Brille dann wieder auf, kurz die Nasenflügel aufblähend.
"Bevor Sie gehen. Mit einem Teil haben Sie recht. Wir sollten, nachdem wir solange um die Rechtmäßigkeit des Vertrages gerungen haben und nun wissen, dass er nicht rechtens ist, keine neue Illusion darum aufbauen. Sie wissen aber auch, dass Demokratie keine blinde Illusion ist. Und auch wenn wir an dieser Stelle nichts mehr machen können und wir keine Legitimität beanspruchen können, haben Sie den Willen der Männer in diesem Raum gehört. Wenn die Bundesexekution nicht mehr zu verhindern ist, dann bitte..." Mommsen sprach korrigierend dazwischen
"Dann fordern wird Sie dazu auf!" Himly sprach kurz abwartend dann weiter.
"...dass Sie an die Schicksale der vielen Schleswiger und Holsteiner im Laufe des dräuenden Krieges achten und dieses Land nicht aushungern, die Zivilbevölkerung weitestgehend schonen. Wir Holsteiner und Schleswiger, wir sind ein Volk des Friedens und eigentlich ein Volk, welches eigentlich zusammengehört. Opfern Sie es bitte keinen politischen Erwägungen, die nicht auf einer Augenhöhe mit dem Wohl eines Landstriches steht. Um mehr möchte ich Sie nicht bitten. Ich weiß, Sie können das nicht beschließen, aber tragen Sie das bitte vor!" Dann packte Himly seine Sachen ebenfalls zusammen. Es schien so, als wäre die Sache entschieden. Der Herzog hatte nun seinen Vertrag, doch er war wegen des Veröffentlichungsdruck wertlos geworden. Sicher gab es eine potenzielle Chance, dass er den Vertrag trotzdem zu de Meza brachte und es darauf ankommen ließ. Aber Preußen würde wegen der Veröffentlichung auch offen ein Wort dagegen aussprechen können und Dänemark ebenso. Der Herzog würde zerdrückt werden und den Rückhalt des Deutschen Bundes verlieren. Und dann würde er wahrscheinlich die Situation nur verschlimmern.
Theodor Mommsen, der einzige, der permanent gesessen hatte, stand nun auf und klopfte sich die Kleidung ostentativ ab.
"Dann sei es so, wie es ist. Wir haben Geschichte geschrieben. Geschichte hat eben seine grausamen Wege Optimisten zu enttäuschen. Ich habe keine Ahnung, warum uns die Hoffnung so übermannte, dass wir das nicht sahen. Wir haben es nicht ausreichend geprüft, nicht eingehend geprüft. Alleine Albert Hänel hatte das Ganze auffallen müssen. Aber wie dem nun sei. Ich bin müde. Wir haben die Sache geklärt. Ich würde gerne nach Hause." Mommsen grummelte vor sich hin und stellte sich neben Himly auf, der bereit war, jetzt alsbald aufzubrechen.
Und so standen alle Gäste, während der Herzog zusammengesackt in seinem Stuhl saß und den Vertrag auf seinem Schoß begutachtete. Drüben im Nebenraum war jegliche Musik verklungen und wie es mit manchen Stücken war, folgte ihnen, wenn sie aufhörten, diese unsagbare Schwere. Sie hatte den Herzog ergriffen und er genoss sie vielleicht für einen letzten Moment. Dann stand er auf. Seine Tränen, die sich angedeutet hatten, waren wieder vertrocknet und dennoch fiel es ihm schwer mit Fassung zu sprechen. Er rang mit sich.
"Verzeihen Sie die Unannehmlichkeit. Ich werde jedweden Haftbefehl sofort zurücknehmen." Schweren Schrittens, von der Hitze und dem inzwischen wirkenden Branntwein gebeugt, kam er um den schweren Schreibtisch herum.
"Aber um eine Sache, muss ich Sie alle bitten. Lassen wir in diesem Raum, was in diesem Raum besprochen wurde. Das Schicksal meinte es nicht leicht mit meiner Familie, irgendwo zwischen aufgedrängter Verantwortung und unverschuldeter Entmündigung, wäre eine Veröffentlichung der Papiere untragbar für den Ruf meiner Familie und des Landes. Ich will Ihnen das vergelten. Sehen Sie, ich will es Ihnen vergelten. Und um Ihnen zu beweisen, dass es so ist, will ich mich der Schmach entledigen."Das Knittern des schweren Papieres erfüllte kurz den Raum, als der falsche Herzog den Vertrag zerknüllte, gefolgt vom Knistern und letzten Auflodern des Feuers, als er aus Carls Konjunktiv ein Indikativ machte. Er warf den Originalvertrag in den Kamin.
"Es ist vorbei. Es ist alles vorbei. Preußen wird seinen Krieg haben. Heute morgen fragte ich mich noch, ob wir am Morgen des Krieges sein würden. Jetzt...", er griff in die Tasche und sein Blick ging auf eine silberne Taschenuhr,
"...um 18:56 Uhr, am 07. Dezember 1863, muss ich feststellen, dass es zu diesem Krieg kommen wird. Und wieder einmal, wie 1848, hat Schleswig, hat Holstein, keine Aktien in einem Krieg. Wieder sind es größere Mächte, die uns bevormunden. Was ist Fortuna doch nur für eine flatterhafte Frau..."Der Herzog sah zu, wie sein Siegel in den Flammen dahinschmolz und das Papier rasch verbrannte. Zwei einsame Tränen liefen seinem Gesicht entlang bis in seinen Bart.
"Gehen Sie bitte. Ich werde Thoralf beauftragen, Sie mit seinen Männern zu begleiten. Sie werden geschützt dieses Gut verlassen können. Mit allen Rechten freier Männer, mit Ihren Verwundeten und Ihren Toten. Die Soldaten werden Sie schützen. Ich wünsche Ihnen alles Gute."Der Herzog fasste sich an die Stirn und rieb sie, ehe er zurück um den Schreibtisch ging und sich wieder setzte. Es war vorbei. Der Vertrag war vernichtet. Alfred Nobel und Emil Nobel wieder freie Männer. Die Soldaten würden Sie aus dem gefährlichen Gebiet geleiten. Und der Plan der weitestgehend gesichtslosen Söldner war vereitelt. Es würde Preußens Weg gehen. Und mit dieser Aura der Gewissheit verließ von Stiehle zuerst die heiße Stube des Augustenburgers, gefolgt von Himly und Mommsen, von den beiden Nobels und Weißdorn und zum Schluss Conrad Rosenstock.
Im Flur trafen sie sich nochmal und sammelten sich. Von Stiehle berichtete Carl vom Ausgang des Gespräches, während Himly zu den Nobels ging und Mommsen zu Samuel Weissdorn und Conrad Rosenstock.
"Ihre Worte waren tapfer und bravourös, Herr Weissdorn. Ich danke Ihnen vielmals, dass Sie uns noch einmal die Tür aufstoßen wollten in dieser aussichtslosen Situation. Haben Sie gesehen, wie von Stiehle kurz wankte? Aber dann hat er es mit der Angst bekommen." Mommsen klopfte Samuel aufmunternd auf die Schulter und setzte sich dann wieder hin, müde und erschöpft.
"Es ist vorbei, die Herren Nobel. Ich beglückwünsche Sie!", Himly lächelte und seine Freude dafür, dass die Nobels diese schwierige Thema jetzt hinter sich lassen konnte, war ganz ehrlich. Himly strahlte so als wäre ihm selbst etwas Gutes widerfahren.
"Sie haben Großartiges geleistet und sicher vielen Menschen, also allen Beteiligten, die Augen über die wahren politischen Machenschaften unserer Zeit geöffnet. Dieses Verhandeln im Dunkeln. Sie haben ein Zeichen dagegen gesetzt, ob es nun in Ihrer Absicht war oder nicht. Ich danke Ihnen, dass Sie mit uns dabei offen umgegangen sind und es freut mich, Alfred, dass es für Sie beide so gut ausgegangen ist. Der Rest wird, sofern noch nötig, wie abgesprochen, behandelt werden. Aber erlauben Sie mir, dass ich die Veröffentlichung der Briefe noch verhindern werde. Ich denke, dass es im folgenden Krieg, so Dänemark nicht noch einknickt, nicht gut sein wird, wenn die Preußen sich auch noch übermäßig unwillkommen in Holstein fühlen. Das wird den Willen zur Schonung nicht erhöhen." Himly klopfte Alfred und Emil auf die Schulter.
"Lassen Sie uns sehen, dass wir uns wieder den schöneren Dingen widmen können. Der Wissenschaft!" Dann lachte er.
Doch auch Himlys Lachen konnte den Ernst der Situation nicht ganz auflösen, auch wenn jetzt, nachdem sie den Raum verlassen hatten und der Vertrag zerstört war, alle etwas entspannter wurden. Conrad mochte sich nicht glücklich fühlen, und Mommsen sowieso nicht. Himly immerhin schien zufrieden. Von Stiehle war sehr siegesgewiss, aber immer noch besorgt um seine Männer. Aber immerhin war es vorbei.
8. Dezember 1863 - Am Ende der gemeinsamen Reise? - 08:00 Uhr - Kiel - Am Hafen
Thoralf von Thienen-Adlerflycht, der junge holsteinische Soldat, oder Hausbedienstete, wie Samuel gerne dachte, hatte Sie in Kutschen gesteckt und von einer Einheit Infanteristen und einer handvoll Reiter sich nach Kiel geleiten lassen. Die Soldaten hatten im Umfeld alle aufgefundenen, preußischen Soldaten vor der Abreise noch präpariert. Von Stiehles diplomatischer Sieg - zumindest mochte er es selbst so sehen - war ein teuer erkaufter gewesen. Von Stiehle wusste, dass er es Carl von Lütjenburg, Alfred Nobel, Conrad Rosenstock und Samuel Weissdorn zu verdanken hatte. Doch im Angesicht seiner erschossenen Soldaten brachte er keine Worte über seine Lippen. Nur Wittmaack war mit dem Leben gerade so davongekommen, und Gustav und Carl selbst. Eine Kutsche transportierte nur die Leichen der preußischen Soldaten.
Aber nach langer und langsamer Reise erreichten sie in den frühen Morgenstunden endlich Kiel. Es war ein schöner Morgen. Die Sonne zeigte sich gerade am Horizont, und strahlte im hellen Glanze über das verschneite, kalte Kiel. Sie waren sicher wieder in Kiel angekommen und von den Söldnern hatte es kein Zeichen mehr gegeben. Kein Angriff, kein Schuss. Kiel war an diesem Dienstagmorgen friedlich. Die Menschen liefen über die Straßen zur Arbeit oder zu Markte, oder sie unterhielten sich aufgeregt über die Nachrichten. Über eine Nachricht. Die Bundesexekution war beschlossen wurden. Krieg würde folgen. Vom dubiosen Vertrag war in den Gazetten kein Wort zu lesen. Himly musste einen seiner Ringe genutzt habe, um es noch rückgängig zu machen.
Teile des Hafens waren zugefroren und Männer gingen der gefährlichen Arbeit nach, die eingeschlossenen Boote zu befreien, in dem sie schwere Hämmer und Planken auf das Eis niedersausen ließen. Oder sie hielten die Anlegeplätze frei, wenn die Fischkutter in zwei Stunden wiederkehrten. Eben solche Kutter, wie es auch die Helka war. Es war ein idyllischer Morgen, wenn man von den Nachrichten vom aufziehenden Kriege absah. Carl und Conrad sahen Kommilitonen, wie sie auf den Weg in die Universität waren. Samuel sah in der Ferne Wilhelm Seelig ebenfalls in die gleiche Richtung marschieren. Überall waren ein paar Soldaten unterwegs und nahmen jetzt auch die Kutsche in Empfang. Thoralf verabschiedete sich knapp und ging in die Garnison, Samuel keines Blickes würdigend, während die anderen Soldaten folgten bis auf zwei, welche die Kutsche noch wegfahren würden. Es war an der Zeit sich zu verabschieden.
Mommsen gähnte ein wenig, der Schlaf war unbequem gewesen und doch erwachte sein Pflichtbewusst sein wieder. Die Glocken der Nikolaikirche im Hintergrund mahnten ihn daran.
"Ach herrje. Ich wollte um 8:00 Uhr eine Vorlesung halten. Zum Glück gibt es das akademische Viertel!" Wenig wortreich war dies die Verabschiedung Mommsens, doch dass er sich zu einem freundlichen Augenzwinkern hinreißen ließ, war mehr emotionale Verabschiedung als man von diesem Mann sonst hätte erwarten können.
Von Stiehle war der nächste.
"Leutnant. Wir werden nur wenig verschnaufen. Wir haben viel zu tun. Halten Sie ihre Verabschiedung also kurz. Sie werden ihr Studium ein anderes Semester beenden müssen. Nicht ihre alma mater, sondern ihr Preußen ruft." Dann ging von Stiehle zur Kutsche mit seinen gefallen Kameraden, nicht ohne zu sagen.
"Machen Sie es alle gut. Vielleicht sieht man sich eines Tages wieder." Himly schaute von Stiehle hinterher, ob er nicht vielleicht doch noch ein Wort zu der Bitte sagen würde, doch Gustav kümmerte sich um seine Pflichten, wie man es von ihm erwartete. Und so ließ er auch keinen Dank verlauten.
Und so war es Himly, der für einen Moment übrig blieb. Er kräuselte die Lippen.
"Ich glaube, ich muss das erst einmal alles sacken lassen. Innerhalb von 48 Stunden höchste Hoffnung und dann die niederschlagende, wenn auch für Sie, Alfred, glückliche Realität zu erblicken. Das kann kein Geist schnell erfassen. Erlauben Sie mir, dass ich den anderen Professoren Ihre besten Grüße überbringe. Ich wünsche Ihnen alles, alles Gute für Ihre weiteren Wege. Sie, wir, haben viel erlebt hier. Nehmen Sie es mit." Carl Himly lächelte freundlich.
"Und Herr Nobel. Ich denke doch, dass wir in zumindest brieflichen Kontakt bleiben." Carl lachte jetzt und sagte mit halb zugekniffenen Auge.
"Ich bin doch ein echter Norddeutscher, was Abschiede abgeht. Verzeihen Sie also, wenn ich das so mache, wie man das hier so macht. Tschüss." Dann reichte Himly nochmals jedem die Hand und ging Richtung Universität.
Der Vertrag war zerstört. Die Verschwörung der Söldner und des Augustenburgers, um sich an den Großmächten zu rächen, war aufgedeckt wurden, und Alfred und Emil Nobel hatten ihre Freiheit wiedergewonnen. Samuel hatte durch seinen Einsatz an Ansehen bei den Professoren, gerade auch beim sonst so kritischen Mommsen gewonnen, Conrad hatte seine Heimat zumindest vor Schlimmeren bewahren können, und Carl hatte durch seine Tugendhaftigkeit im preußischen Sinne einen Fürsprecher mit Gustav von Stiehle gefunden und war nun zurück im preußischen Heer. Es war eine schicksalshafte Begegnung zwischen genau diesen Männern gewesen. Jeder hatte daraus etwas ziehen können und jeder hatte sich seine Meriten verdient, und doch, jede Begegnung musste irgendwann enden und so wurde es Zeit, jenes zu sagen, was man im Norden zu sagen pflegte:
Tschüss.
[2]