5. Tag auf Kokytos
Die nächsten Tage vergingen und das Team hatte sich provisorisch eingerichtet. Zunächst hatten sie etwas gehadert, denn indem sie ein festes Lager im Talkessel bezogen, mussten sie sich auch eingestehen, dass sie unmittelbar keinen Weg nach Hause finden konnten. Sie waren gestrandet, wie auf einer einsamen Insel, und ebenso wie Tom Hanks in '
Cast Away' würden sie hier vielleicht eine Weile gefangen sein, bevor sie die Möglichkeit und vielleicht auch den Mut hatten, aus ihrer Einsiedelei auszubrechen. Aber was hieß die Möglichkeit? Natürlich war ihre Situation nur bedingt mit Cast Away vergleichbar. Es war eines, ein Floss zu bauen, und etwas anderes, ein Raumschiff zu bauen. Außerdem konnte man wohl kaum die Hoffnung haben, irgendwo im Weltraum von einem Frachter aufgesammelt zu werden. Das sagte jedenfalls Sergeji und seine Mundwinkel verzogen sich noch weiter nach unten als sonst. Obwohl er nie ernsthaft die Hoffnung gehabt haben konnte, einer außerirdischen Kultur zu begegnen, war er nun doch mehr als enttäuscht, als es ihm entgegen aller Wahrscheinlichkeit doch passierte.
Keiner hatte es bisher ausgesprochen und dennoch wußte jeder, dass ihnen diesselben Fragen im Kopf umhergingen. Was war geschehen, nachdem dieses merkwürdige grüne Licht sie hatte bewusstlos werden lassen? Hielt der Asteroid - oder was auch immer es war - immer noch Kurs auf die Erde? Hatten die Entscheidungsträger der Bodenstation unmittelbar reagiert, nachdem der Funk abgerissen war, und die Zweitbesetzung ins All geschickt? Auf den Punkt gebracht:
Gab es überhaupt noch eine Heimat, in die sie zurückkehren konnten?Sie mussten sich zwingen, trotzdem ihren eigenen Überlebenskampf zu führen. Ob sie verzweifelten oder nicht, es würde für das Schicksal der Erde keine Rolle spielen. Sie konnten nur für ihr eigenes Überleben sorgen. Also ordnete der Commander an, dass Andrew seine Fallen aufstellte. Mit Erfolg, denn schon bald hatten sie einige kleine Tiere gefangen. Sie hatten die typischen irdischen Züge: 4 Beine, Kopf und Schwanz, glattes schwarzes Fell. So ein wenig wie Frettchen sahen die Tiere aus. Sie nahmen die Tiere aus und brieten das Fleisch über dem Feuer. Abhay öffnete den Bauch und fand einige Pflanzenreste vor. Obwohl man nicht ganz sicher sein konnte, so war Abhay der Ansicht, dass diese Pflanzen ungiftig waren und vielleicht auch für Menschen nahrhaft.
Außerdem nutzten sie die Zeit, um die Häuser auf den Terrassen zu durchsuchen. Diese waren grundsätzlich großzügiger ausgestattet, als die Lagerhäußer. Selbst in den unteren, bescheideneren Häusern schien jeder Bewohner zumindest ein eigenes, festes Lager haben und Platz, persönliche Dinge unterzubringen. Vieles davon war unspektakulär, darunter Kämme, bunter Steinschmuck, Essschalen und dergleichen. Aber sie fanden auch einige Papyrusrollen mit Schriftzeichen des zweiten Typs und eine Karte der Inselgruppe. Zudem etliche kleine Gerätschaften, die sie einsteckten, noch ohne ihren Zweck zu kennen. Zuletzt fanden sie in einem der oberen Häusern, in einem Versteck, eine kleine Kiste. Darin waren ein polierter, roter Stab mit Symbolen des dritten Typs, und ein grünlich schimmerndes Kristall-Ei. Das Ei glich der Energiequelle des Stromstabs, nur das es, wie gesagt, grün schimmerte. Diese beiden Dinge mussten kostbar sein, sonst wären sie nicht versteckt worden.
Es war aber auch etwas anderes, was ihnen auffiel - oder besser gesagt, was sie vermissten. Nirgendwo Abbildungen der Kokytianer zu sehen. Keine Portraits, keine Scherenschnitte, keine Statuetten. Nichts wies darauf hin, dass dieses oder jenes Haus von irgendeiner bestimmten Person bewohnt wurde. Zumindest nicht, dass sie es erkennen konnten.
Auf den Terrassen waren nicht nur Häuser, sondern auch freie Flächen, auf denen wohl Pflanzen angebaut worden waren. Sie konnten es an einem Pflug erkennen, der irgendwo herumstand. Doch die Pflanzen, die hier wuchsen, wirkten wildwachsend. Anscheinend war das Feld nicht erst vor kurzem verlassen worden. Manche der Terrassen waren aber auch mit einer Art öligen, schwarzen Substanz bedeckt. Hier wuchs nichts, außer einer knöchelhohen, krautigen Pflanze, die in einem dichten Netz, die gesamte Fläche überzog. Macnher dieser Pflanzen bildeten dicke Knoten, die sich bisweilen knallartig öffneten und es spritze diese schwarze Flüssigkeit herum. Abhay erinnerte die Pflanze irgendwie an Pilze, nur dass sich die Mycellen oberirdisch verzweigten und der Fruchtkörper diese Flüssigkeit statt den Sporen ausstieß.
In den Untergrund hatten sie bisher nicht vordringen können. Die Tür zu Füßen des 'Tempels' ließ sich nicht öffnen und auch eine weitere Tür, die im Wurzelwerk des großen, toten Baumes angebracht war, war fest verschloßen. Doch etwas musste noch unter dem Erdboden verborgen sein, denn am Bach hatten sie ein etwa 3 auf 3 Meter breites Gitter gefunden. Man hatte den Fluss wohl so umgeleitet, dass Wasser durch das Gitter fließen konnte. Doch jetzt floss nichts mehr. Am oberen Steilhang, wo das Wasser aus dem Felsen entsprang, war etwas unterhalb der Staudamm und dieser war bewacht von diesem seltsamen Spinnenwesen, dass sie ab und zu des Nachts hören konnten.
Sie hatten sich wieder im Lagerhaus zusammengefunden und aßen stumm zu Mittag. Es hatte während dieser Tage nicht geregnet, aber nun bedeckten dunkle Wolken den Himmel.