Lucias rechte Augenbraue zuckt kritisch in die Höhe, als Levin „ihren Mann“ erwähnt, womit er ohne Zweifel Menas meint, aber ihre Reaktion könnte sich durchaus auch darauf bezogen haben, dass von Mendenhall sich abwertend über ihre Reagenzien geäußert hatte. Letzteres ist nicht der Fall, denn derartige Beleidigungen sind ihr gleichgültig – sie sind ohne Belang und prallen an ihr ab –, außerdem hat sie den bereits aufgebrachten Adligen mit ihrer Bemerkung bewusst etwas aufziehen wollen, um ungespielt selbstsicher auf dessen Wutanfall zu reagieren. Anstatt Levin jedoch zu korrigieren und über ihr Verhältnis zu Menas aufzuklären, entgeht Lucias wachen Aufmerksamkeit natürlich nicht, dass ihr Bruder ihr zu verstehen gibt, Mendenhall in dem Irrglauben zu lassen, also übergeht sie das einfach… Genauso wie das selbstverliebte, zu Ungunsten von Menas ausfallende Geschwafel. Levin Jasper Constantin von Mendenhall ist nur allzu offensichtlich ein Mann, der mehr Wert auf Schein als auf Sein legt, was der jungen Detektivin ebenfalls von dessen absichtlich darstellerischen Zaubervorstellung noch einmal bewiesen wird.
Dass diese in Bezug auf Liliana keine Wirkung hat, ist natürlich unerfreulich, auch für Lucia, denn der Nachteil trifft nicht nur die Elfe. Nein, vorrangig ist für die Privatermittlerin aus Absalom, dass es für sie selbst bedeutet, dass sich das Treffen mit den Crandels verzögert – außer, sie lassen Liliana zurück, um ohne sie das Gegenmittel gegen die magische Farbe vom Schwarzmarkt zu holen. Doch wo wäre die Halbelfe in der Zwischenzeit sicher aufgehoben? Selbst in der Seitengasse wäre sie nicht vor neugierigen Blicken und der Stadtwache geschützt, zumal die bestehende Nähe zum „Tatort“ weiterhin sehr ungünstig ist. Einfach zurücklassen, sodass Liliana allein mit ihrer unglücklichen Situation zurechtkommen müsste, will Lucia diese nicht – denn ein gewisses Ehrgefühl ist ihr nicht fremd, obwohl sie sich selbst nicht als die Schuldige für das Schlamassel, in dem nun drei von ihnen stecken, sieht.
Weil sich die Gelegenheit in der Seitengasse für eine kurze Verzögerung hier noch bietet, da Menas und Liliana dabei sind, eine improvisierte Lösung für das bestehende, rotfarbige Problem zu suchen, fischt Lucia ihrerseits zielsicher und ohne hinzusehen, die nötigen Dinge für das Zusammenmischen eines weiteren Tarntrankes aus ihrer Tasche und beginnt auch sofort damit, diesen vorzubereiten – immerhin will sie nicht in die Verlegenheit kommen, ihn nicht parat zu haben, wenn die Wirkung des ersten droht, sich zu verflüchtigen.
Nebenbei verfolgt sie, wenn auch hauptsächlich mit den Ohren und mit nur wenigen Seitenblicken, was der Rest ihrer unfreiwillig gebildeten Gruppe macht. Ziruls Einwand, was die Handschellen betrifft, ist durchaus berechtigt.
„Lang genug, will ich hoffen, aber ich will es nicht darauf ankommen lassen und zu sehr trödeln“, antwortet Lucia kurz auf die Frage, wie lange ihr Tarnzauber anhält, ohne sich beim Mischen unterbrechen zu lassen. Zumindest bereitet sie sich gerade darauf vor, den Zauber zu verlängern. Jedoch blickt die junge Detektivin auf, als der Halbelf Liliana ein etwas ungewöhnlich formuliertes Angebot unterbreitet – die Worte klingen fast so als wäre er ein zwielichtiger Teufelsdiener, der einem unbescholtenen Opfer einen Pakt anbieten will.
Ob Liliana darauf eingehen möchte oder nicht, wäre wohl Lilianas Entscheidung (welche diese aber bitte schnell treffen sollte!), weswegen Lucia sich lieber erstmals genauer zu dem sich soeben ereigneten Vorfall äußert:
„Nun, vielleicht hätte ich Euch vorwarnen sollen, anstatt vorauszusetzen, dass Ihr im Bilde über mich seid“, beginnt sie ohne einen Hauch von Schuldbewusstsein in ihrer Stimme – eher mit leicht durchscheinenden, kritischen Unterton –, während sie die Arbeit an ihrem Trank zu beenden gedenkt und sich nebenbei wieder damit befasst.
„Ich bin unserer Heimat“, mit „uns“ bezieht sie sich auch auf Menas und ist bei ihrer Äußerung nicht ohne Stolz, „weithin als Detektivin bekannt. Wenn Ihr Euren Horizont über Euren Tellerrand hinaus in der Vergangenheit ein wenig erweitert hättet, was durchaus empfehlenswert für die Zukunft ist, hättet Ihr gewusst, dass die Nähe zu mir, wenn ich gerade meinen Ermittlungen nachgehe, durchaus ein gewisses Risiko bedeutet.“
Nun scheint wahrscheinlich das erste Mal seit ihrer Begegnung vor der Haustür der Crandels eindeutig durch, dass auch Lucia die Eigenschaften in sich vereint, die man Menschen mit taldanischem Blut, gerade denen mit adliger Abstammung nachsagt.
„Normalerweise arbeite ich allein“, setzt sie ihre, von sich selbst überzeugte, Rechtfertigung mit andauernder Gelassenheit fort (nebenbei hat sie ihr Trankfläschchen verkorkt, prüft es in Augenhöhe, und schüttelt und schnippt daran, damit sich die Zutaten lösen) „was mir auch hier deutlich lieber wäre, das will ich Euch nicht verheimlichen – und mein Erfolg in bisher allen Fällen, denen ich mich angenommen habe, spricht für mich. Ohne Ablenkung hätte ich mich in Ruhe auf die Tür konzentrieren können und dann wäre das mit absoluter Sicherheit nicht geschehen.“
Damit ist für sie die Schuldfrage klargestellt, weswegen sie auch Levins vorheriger Wutausbruch wenig gejuckt hat. Zufrieden mit ihrer alchemistischen Komposition, räumt sie ihre Sache wieder ein, nicht ohne sich mit einem neugierigen Blick zu erkundigen, was Zirul und Liliana treiben. Denn die Einstellung der Elfe, den richtigen Weg gehen zu wollen, findet sie etwas lächerlich – doch jedem das seine! Mit roter Farbe überall nützen Unschuldsbeteuerungen gegenüber der Wache sicherlich nichts. Der jungen Ermittlerin ist dieses stümperhafte, nicht wahrheitssuchende Verhalten der Gesetzeshüter auch aus ihrer Heimat Absalom nur zu gut bekannt. Allerdings: zusammen mit einer rotfarbigen Elfe will Lucia nicht durch Cassomir laufen.
Die junge Detektivin ist noch nicht fertig mit ihrer Rede, gerade aufgrund Lilianas Reaktion auf Zirul, und ihre relative Wortkargheit bisher scheint sie nun etwas ausgleichen zu wollen.
„Schadensbegrenzung, bevor wir nun die Crandels aufsuchen, ist in jedem Fall empfehlenswert“, stellt sie klar, da die Halfelfe sich offenbar nicht wirklich im Klaren über die Situation ist.
„Nicht nur, weil wir rotgefärbt nicht den Schwerttreff betreten und den Crandels gegenübertreten können, sondern auch, weil die Stadtwache uns mit großer Sicherheit in die Quere kommen wird. Ob Ihr die Farbbombe ausgelöst habt oder nicht, Liliana, oder ob ihr eingebrochen und fremdes Eigentum entwendet habt oder nicht, wird der Wache sehr egal sein. Eure Unschuldsbeteuerungen werden niemanden interessieren, und auch, wenn Eure Einstellung auf manche lobenswert wirken mag, ist sie mehr als nur unvernünftig. Man wird Euch für vermutlich den Rest Eures Lebens dafür büßen lassen, dass ihr zur falschen Zeit an der falschen Stelle gestanden habt. Ihr werdet nicht mit einem kurzweiligen Arrest in einer Zelle davonkommen, sondern jahrzehntelang Zwangsarbeit verrichten müssen.“
Lucia hofft, dies war ist deutlich genug formuliert.
„Also beeilt Euch nun, Zirul“, fährt sie ungeduldig fort. Allein ihre Ungeduld hat ihren derzeitigen Redeschwall verursacht, denn eigentlich ist es ihr zuwider, unnötig so viele Worte zu verschwenden.
„Ewig können wir die Tarnung nicht aufrechterhalten, zumal es sehr ungünstig wäre, mitten im Gespräch mit den Crandels plötzlich wieder rot aufzuleuchten. Außerdem sollten wir, was ebenfalls stark für den Schwarzmarkt spricht, nicht außer Acht lassen, dass wir unsere Suche nach einem Gegenmittel auch nicht auf nach dem Treffen mit den Crandels verschieben sollten: Was unsere Auftraggeber für uns bereithalten werden, könnte einen vorher zurechtgelegten Zeitplan nichtig machen, und dann haben wir ein großes Problem.“
Seufzend fixiert Lucia nun Levin, da dieser angeboten hat, den Weg zum Schwarzmarkt zu weisen.
„Also meinetwegen geht gleich voran, werter Herr von Mendenhall. Ich stimme, wie nun unschwer zu erraten sein dürfte, stark dafür, erst den Schwarzmarkt aufzusuchen und wir sollten das nicht mehr lang hinauszögern. Denn unser eigentliches Ziel, der Schwerttreff, wartet, und das gefällt mir ganz und gar nicht.“
Ein Glänzen liegt in Lucias Augen, das vieles bedeuten kann. Unmut und Entschlossenheit ist allerdings bestimmt dabei.
Auffordernd blickt sie Liliana und Zirul an, dass sie nun endlich zur Tat schreiten würden – oder es sein lassen würden. Lucia gedenkt jedoch, aufzubrechen. Und das ohne noch längere Verzögerung und notfalls ohne die von unnötigem, selbstlosem Stolz ergriffene Halbelfe. Die Detektivin selbst scheint, im Gegensatz zu Liliana, keinerlei schlechtes Gewissen zu haben, was den Garten der Crandels betrifft. Gefühlsduselei deswegen ist ihr fehl am Platz.