Als Cesare mit seinen ausschweifenden und plastischen Beschreibungen der weiblichen Brüste zum Ende kam, herrschte für ein paar Sekunden ein ungewöhnliches Schweigen in der Runde. Die beiden Männer am Tresen, sowie Uther starrten den Purger wie hypnotisiert und mit leicht geöffnetem Mund an. Offensichtlich waren ihre Köpfe noch voll mit den heraufbeschworenen Bildern, so dass sie seine letzte Frage beinahe überhört hatten.
Schließlich haute aber Uther mit seiner offenen Pranke geräuschvoll auf den Tisch und grunzte. Das war auch das Signal für die beiden anderen Männer, aufzulachen. Die drei stießen zuerst miteinander und dann auch mit Cesare an und schrieen beide Male. "
AUF BRÜSTE!"
Uther legte seinen grobschlächtigen Arm um Cesare und drückte ihn an seine Seite. "
Hey Dan!", rief er offensichtlich erheitert. "
Der gefällt mir, den kannst du gerne wieder mitbringen." Dem Purger kam es so vor, als würde er für einige Lidschläge in einem Schraubstock stecken - danach ließ ihn der bärtige Schrotter wieder los und goß noch etwas Destillat, dass er unter dem Tresen hervorgeholt hatte ein.
"
Ach - und wegen Tal", sagte er nachsinnend, "
also, da gibt's jetzt wohl neue Zugvögel. Eine Schar aus dem Westen. Sind da einmarschiert und haben wohl den Iturba mit einer ihrer Elstern den Kopf verdreht und den Grauadlern den Schneid abgekauft."
"
Ja!", rief der Mann, den Uther Duran genannt hatte. "
Der alte Seneca ist wohl so fasziniert von den Zitzen der Neuen, dass er ihr aus der Hand frisst. Hat wohl die Grauadler zum Abschuss freigegeben und seinen eigenen Sohn aus der Stadt verbannt. Der Mann muss total durchgeknallt sein - außerhalb der Stadt sind wieder Vulga unterwegs. Die haben seinem Sohn wahrscheinlich inzwischen die Knochen abgenagt."
"
In Tal ist jetzt reines Chaos - alles geht den Bach runter", sagte der dritte.
"
Entspann' dich, Mann", anwortete Duran. "
Chaos ist gut für's Geschäft. Die Metallmasken sind ja trotzdem da und zahlen für Schrott. Die Halsabschneider zahlen mehr für Waffen. Und das Burn wird billiger - was willst du mehr?"
Uther stieß Duran mit dem Ellenbogen an und deutete auf Leon, der etwas weiter entfernt Moses Wunden versorgte.
[1] "
Halt' die Klappe, Mann. Willst du, dass der Kalkschädel hier einen Anfall kriegt?" Duran murmelte etwas in seinen Bart und verstummte schließlich.
Altena hatte Cesares Monolog und das darauffolgende Gespräch stumm verfolgt. Die Hellvetikerin hatte Ihren Helm abgenommen und zog nun immer wieder die Blicke der Anwesenden auf sich. Der dunklere Taint Ihrer Haut kontrastierte mit den hellgrünen Augen. Die schwarzen Haare waren größtentrils zu einem Zopf gebunden, doch einige Strähnen, links und rechts hatte sie absichtlich frei gelassen, so dass sie ihr Gesicht umrahmten. Alles in allem war es eine sehr ungewöhnliche und zugleich schöne Erscheinung.
Die Beschreibungen des Purgers hatten ein spöttisches Lächeln auf Ihr Gesicht gezaubert, doch als die Männer dann von den Umständen in Tal sprachen, verfinsterte sich Ihre Miene wieder. Nachdem das Gespräch zum Erliegen gekommen war, beugte sie sich vor und hakte nach: "
Habt ihr vielleicht von Hellvetikern in Tal gehört? Zwei Kameraden von mir hätten vor knapp einem Monat in der Stadt sein müssen. Wisst ihr etwas davon? Und seit wann ist die neue Schar in der Stadt?"
Duran runzelte die Stirn. "
Nein - von Hellvetikern weiß ich nichts. Muss aber auch nichts bedeuten - es ist das reinste Chaos, wie Sulu schon sagte. Vielleicht waren sie da und sind wieder weg. Vielleicht sind sie auch nie in Tal angekommen. Wie gesagt - die Vulga treiben wieder ihr Unwesen in den Gegend. Es sind schon ein paar Menschen verschwunden in den letzten Monaten."
"
So weit ich weiß, sind die neuen Zugvögel jetzt bald drei Monate in der Stadt", fügte Uther hinzu.
Mehr wussten die Männer von Tal nicht zu berichten und so folgte das Gespräch nach einer kurzen Zeit wieder anderen Themen. Sulu und Duran zogen sich nach einiger Zeit für die Nacht mit einer Destillatflasche in eine der hinteren Ecken zurück. Uther bediente weiterhin die anderen Gäste.
Schließlich wandte sich auch Altena an Leon. Sie zog den Harnisch aus und befreite den Oberkörper auch vom hautengen Overall, den sie darunter trug. Der Spitalier erkannte mehrere Blutergüsse und kleinere Stichwunden, doch zum Glück schien die Hellvetikerin nicht schwer verletzt worden zu sein. Die Behandlung erfolgte in der Stille - die beiden hatten keinen guten Start und hüllten sich in Schweigen. Als Leon die Wunden verarztet hatte, zog Wagner den Overall wieder vollständig an und den Reißverschluss bis zum Hals hoch.
Dann wandte sie sich an den Spitalier: "
Wir hatten nicht den besten Start. Das tut mir Leid. Vielen Dank für die Behandlung." Damit zog sich die Hellvetikerin zurück.
Den Männern - vor allem Aeb - fiel auf, dass die andere anwesende Frau sich nicht an den Gesprächen beteiligt hatte. Sie schien nur zugehört und nachgedacht zu haben. Ähnlich wie auch Dan oder Kemwer es gehandhabt hatten. Schließlich knirpste Uther das Licht aus und gab den Gästen die Anweisung, sich für die Nacht hinzulegen - jedoch nicht vorher sich von allen für die Übernachtung ausbezahlen zu lassen.
[2]Am nächsten Morgen folgte ein zeitiger Aufbuch nach Tal, das nun ein mehr denn je ungewisses Ziel zu werden schien.
* * *
Wieder Wind. Wieder Schnee. Wieder ein Sturm, der durch die Winterkleidung drang und an den Knochen zu nagen schien. Hatte Contini nicht gesagt, es würde unten besser werden? Entweder war die Wettervorhersage der Alpenfestung gewaltig daneben gelegen, oder der Mann hatte das eher als Aufmunterung gemeint, also nicht besonders ernst. Altena schüttelte nur den Kopf.
Zum Glück war der Weg nicht mehr lang. Gegen Mittag - die Sonnenscheibe schien undeutlich durch die Wolkendecke und erlaubte ein ungefähres Abschätzen der Zeit - erreichte die Gruppe endlich Tal. Zuerst kamen die gut zwei Meter hohen, steinernen Mauern der Stadt in Sicht. Iturba hatte alte, lückenhafte Wehranlagen aus Blech und Holz durch eine solide Steinmauer ersetzen lassen - das war jetzt mehr als zwanzig Jahre her. Sein erstes großes Projekt, das der Stadt Frieden und Schutz vor den Überfällen der Klanner brachte und Tal groß zu machen begann.
Danach zeichneten sich nach und nach die Spitzen zwei Dutzend verschiedener, höherer Gebäude innerhalb der Mauern gegen das Schneeflimmern ab. Und schließlich war auch eines der drei Stadttore in der Ummauerung auszumachen. Die Gruppe hielt darauf zu.
Als sie dem Tor näherkamen, erkannten sie fünf Gestalten, die am selben Wache standen. Die Männer hatten Mäntel, Jacken und Umhänge - alles, was sie am Leibe trugen - eng um die Körper geschmiegt. Schals und Tücher bedeckten die Gesichter von der Nasenwurzel abwärts. Die Mützen und Kapuzen lagen um den Kopf, so dass nur noch die Augen zu sehen waren.
[3]Als die Gruppe noch gut fünfzehn Meter von dem Tor entfernt war, hob einer der Männer seine rechte Hand und signalisierte den Reisenden, dass sie anhalten sollten. Dann hob er noch die Linke, in der er ein Gewehr oder eine Flinte zu halten schien.
[4]"
DAS IST NAH GENUG!", schrie der Mann, um gegen das Tosen des Windes anzukämpfen. "
Warum wollt ihr in die Stadt? Was ist euer Anliegen? Und: Der Einlass kostet euch drei Wechsel für einen von euch plus zwei für jeden weiteren!"
Altena hatte sich, je näher die Gruppe der Stadt kam, mehr und mehr zurückfallen lassen. Nun stand sie mitten in der Gruppe, neben Mehler. Der Richter tippte an seinen Hut. "
Ha!", grunzte er. "
Das Gesindel gestern hat wohl nicht übertrieben. Halsabschneider schon an den Toren. Sieht ja nicht besonders gut aus."
Altena nickte. "
Iturba hat nie Wegezoll erhoben. Das muss neu sein." Sie schaute in die Runde. "
Wenn meine Kameraden hier auf Widerstand gestoßen sind, ist es keine gute Idee, wenn ich für die Gruppe spreche. Will vielleicht jemand von euch das übernehmen? Dann haben wir mehr Chancen, reinzukommen."
[5]