"Was mich nicht umbringt, macht mich stärker." - Friedrich Nietzsche
Prolog: Die letzten Vier
Khett - die Wüste der Knochen. Der Legende nach einst ein fruchtbares Paradies, gesegnet mit allen Gaben, die die Alte Mutter nur schenken kann. Viele Menschenvölker sollen hier gewandelt sein und ehemals prachtvolle Städte müssen sich über ihr gewaltiges Gebiet erstreckt haben. Heute bleibt nur Hitze und Sand - und die Ruinen, die sie auf ihrer Reise zwischen fernen Dünen erspähen konnten. Manchmal nur einzelne Finger aus Stein - steif aus dem Sand aufragend, wie in einem letzten Aufbäumen gegen das Vergessen - manchmal aber auch viel mehr als das. Uralte Flüche sollen über den Städten der Toten liegen, entsprechend hatte die Karawane stets einen weiten Bogen um sie geschlagen, obwohl ein Besuch Schatten, Kühlung und vielleicht sogar das eine oder anderen Fundstück versprach. Ist es nicht absurd, wie sich der Karawanenmeister von überlieferten Schauergeschichten hatte schrecken lassen, wenn das Ziel ihrer Reise doch die Entweihung eines verbotenen Heiligtums bedeutete? Das Feuer von Assur - dies war der Schatz, den sie zu finden aufgebrochen waren. Ein sagenumwobener Rubin, durch magische Flammen von innen erleuchtet und so groß wie eine geballte Faust! Ihr Anführer hatte eine Karte und die nötige finanzielle Unterstützung, doch welcher wohlhabende Patron hinter der wagemutigen Expedition stand, die in der großen Hafenstadt Makkâd für einiges Aufsehen gesorgt hatte, blieb von den Wissenden verschwiegen. Die meisten von ihnen waren ohnehin nur einfache Helfer, gelockt mit Sold oder der Aussicht auf Ruhm, gebunden durch Schuld oder Unglück oder aus anderen Gründen in die Sache hineingeraten...
Ihre Gruppe war zahlreich und gut ausgerüstet, dennoch stand die Reise von Beginn an unter einem schwierigen Stern. Nicht alle beherrschten die von den Creithanern verbreitete Handelszunge und so blieb eine unkomplizierte Kommunikation für mache ein Problem, zumal sich vergleichsweise viele Ausländer unter den Beteiligten fanden. Auch waren Sklaven und Frauen dabei, was bei einigen aus Überzeugung, Aberglaube oder kulturellen Gründen auf Ablehnung stieß. Als sie dann tief in der Wüste ein unnachgiebiger Sandsturm für vier Tage festnagelte, sie Kamele und Vorräte kostete sowie zwei Männer spurlos verschwinden ließ, keimte in vielen Herzen die erste Saat des Aufbegehrens. Von hier an gab es zwei Gruppen: Jene die dringend umkehren wollten und jene die es weiter vorwärts trieb - ihnen voran der Karawanenmeister und seine 'Ersten Hände', die für Ordnung in den Reihen sorgten. Einer dieser Männer war Kashir und sein Verrat sollte später den letzten Keil in die ohnehin zwiegespaltene Gemeinschaft treiben. In ihrer elften Nacht seit Eindringen in die Wüste setzte er seinen in geheimer Runde gefassten Plan in die Tat um und versuchte - zusammen mit Gleichgesinnten sowie vom Versprechen der Freiheit gelockten Sklaven - die Befehlsgewalt an sich zu reißen. Diese aus Furcht und Verzweiflung geborene Revolte endete blutig. Kashir fiel durch den Zorn eines anderen, ebenso wie der Karawanenmeister und ein Großteil seiner treuen Hauptleute. Die gesamte Expedition zerbrach im Chaos. Jene die übrig blieben und nicht weiter einander töten wollten, mussten ihr Schicksal von nun an selbst bestimmen. Die Misstrauischen und Treulosen stahlen sich ein Kamel und Vorräte und versuchten ihr Glück allein. Der dezimierte Rest rottete sich zusammen, um den Rückweg als Gemeinschaft anzutreten.
So begann ein Marsch vieler Qualen und Irrwege, denn die Wüste der Knochen ist ein Ort der Tücke. Neuer Zwist entflammte, als Teile der Gruppe Unterschlupf in einigen Ruinen suchen wollten, andere jedoch die Konsequenzen fürchteten. Nach sinnlosem Streit teilte man die verbliebenen Vorräte und trennte sich ohne das Vergießen von Blut, doch die Kraft vieler erschwachte so zum Mühsal weniger. Tags darauf strafte Khett jene, die in den verbotenen Gemäuern genächtigt hatten und schickte abermals tagelange Sandstürme, die das Himmelszelt verdunkelten. Sie waren verloren und verirrt. Immer wieder nahm sich die Wüste einen der ihren und gab ihn nicht wieder her. Zuletzt blieben sieben unnachgiebige Seelen übrig:
Meschach, der letzte der Ersten Hände, der ihre kleine Gruppe nun anführte. Tigara, eine Zarfari-Sklavin, die man als Übersetzerin mitgenommen hatte. Xilas, ein creithanischer Abenteurer, jung und voller Tatendrang. Askwin, ein von Unglück heimgesuchter Tharaner, der unfreiwillig seine Heimat hinter sich gelassen hatte. Amani, eine erfahrene Jägerin der Ambaghi, die nach einer missglückten Mission und auf der Suche nach neuer Gemeinschaft eher versehentlich auf die bereits losgezogene Karawane gestoßen war. Seth, ein findiger Ambaghi-Dieb, den die Aussicht auf Reichtum und Wohlstand in die Wüste trieb. Und Brynja, eine aus dem fernen Glamvahl stammende Kriegerin aus fürstlichem Haus, unterwegs um durch ihre Taten die Anerkennung ihres Vaters und Volkes zu gewinnen.
Die Odyssee jener ungleichen Gemeinschaft fand ein vermeintliches Ende, als sie völlig entkräftet und dem Verdursten nahe auf eine Karawane stießen. Es war ihnen unbekanntes Wüstenvolk, das in einer fremden Zunge sprach. Man gab ihnen Wasser und Nahrung und rettete ihnen so das Leben. Gleichzeitig jedoch fesselte man ihnen die Glieder, knebelte ihre Münder und schnürte ihnen Säcke über die Köpfe. Dem Tod waren sie einstweilen entronnen, doch ein Leben als Sklaven stand ihnen bevor - so jedenfalls dachten sie, in den Tagen danach, als man sie man sie wie Gepäck verschnürt an einen fremden Ort verschleppte. Sie irrten sich...