Langsam und ungelenk richtete Veleri sich wieder auf.
Mit dem Handrücken wischte sie sich über die Augen die groß und noch immer tränennass waren. Sie unterdrückte ein Schluchzen und zog, zwinkernd um die Tränen zu vertreiben, die Nase hoch.
Die Zeit die sie ungestört gewesen war hatte sie, auf dem Boden zusammengekauert, mit Weinen verbracht. Die letzen Erfahrungen waren einfach zu viel für die junge Frau und ihren ohnehin zerbrechlichen Geist gewesen.
Audhild war tot.
Veleri hatte sich doch fest vorgenommen noch so viel von der kleinen Frau zu lernen, sie war so sicher und voller Vertrauen bei allem was sie tat, etwas was die innerlich zerrissene Kriegerin im Stillen zutiefst bewundert hatte.
Und sie wusste von den Göttern, Wesenheiten von deren Existenz Veleri gerade erst erfahren hatte und deren Natur, Macht und mögliche Hilfe für sich selbst sie nicht einmal oberflächlich ergründet hatte!
Sie hatte, wenn auch mehr im Unterbewussten, gehofft bei der Zwergin einen ruhigen Pol zu finden nach dem sie sich selbst richten konnte! Sie hatte sich so nach einfachen und klaren Antworten auf all ihre Fragen gesehnt, etwas worin die Priesterin bewandert schien - und nun war sie tot.
Und das war auch die zweite Erfahrung die Veleri zutiefst getroffen hatte: Zum allerersten Mal hatte sie gesehen, ja die Möglichkeit an sich überhaupt erst wahrgenommen, dass im Kampf nicht nur Leute starben die ihre Feinde waren!
Nein, der Tod war auch für sie und ihre Freunde bereit, sie waren auch nur die Feinde von irgendjemandem, dieser sah sie aus den gleichen Augen wie sie ihn und auch er vertraute darauf dass der Tod nicht zu ihm selbst aber zu seinen Gegnern kommen würde - ebenso wie Veleri es tat!
Diese beiden Eindrücke welche auf die junge Frau eindrangen und von ihr mehr unterbewusst registriert wurden, da sie, in der verwirrenden, rasenden Art und Weise wie diese Gedanken auf sie eindrangen, gar nicht in der Lage war über sie nachzudenken sondern nur sie zu fühlen (so schlimm dies für Veleri auch war), traten allerdings, was den Aspekt des blanken, offenen Schreckens anging, vor einer dritten, unbarmherzigen Tatsache zurück:
Irgendetwas stimmte nicht mit ihr, irgendetwas in ihrem Kopf war verkehrt!
Als der Kampf in der Mühle geschlagen war wollte Veleri bei Audhild bleiben, doch etwas in ihr übernahm die Kontrolle, zerrte, trieb und peitschte sie fort weil der Kampf rief...und weil ER es ihr befahl!
Ihr kleiner, eigener Geist schrie und weinte in ihr, doch ihr Körper, angestachelt von dem Chor in ihrem Schädel, hatte beinahe vollkommen die Kontrolle an sich gerissen.
Und in diesem grausamen Zustand der Gefangenname wurde ihr klar wer aus dem Chor zu ihr sprach: ER selbst! Seine eigene Stimme, millionen und abermillionen Mal, von allen Seiten flüsternd, befehlend, beratend, warnend, spottend - alles zur gleichen Zeit und ohne Pause.
Veleri hatte verstanden dass diese Stimme nicht zu ihr gehörte sondern einem Fremden, der ihr längst nicht so fremd war wie ihr lieb gewesen wäre. Die Gedanken an ihn schmerzten, aber noch mehr das Begreifen dass sie ihm niemals wirklich entkommen war!
Er war die ganze Zeit bei ihr, in ihr, und er ließ ihren Körper zu einer Waffe werden, ob sie wollte oder nicht. Sie war noch immer seine Gefangene!
Blut tropfte von ihrem zerstochenen Unterarm auf den Fußboden des Tempels als sie sich Yuki und Naoko näherte, unsicher tappend und sich auf die Unterlippe beißend.
"Was...was soll ich machen? Was gibt es zu tun? Irgendwas!"
Veleris Stimme zitterte trotz aller Versuche sie zu beherrschen als sie, beinahe nach Ablenkung von ihren eigenen, grauenhaften Gedanken flehte, nach Anweisungen fragte.