Ruckartig blickt der Paladin mit zornigem Blick auf. Für einige Momente verharrt er, vielleicht versucht er seine Wut zu zügeln oder vielleicht taktiert er auch. "
Was erlaubt Ihr Euch, Knecht?", ereifert er sich. Bedrohlich kommt er auf den Ritter zu und versucht diesen zu greifen, um ihn auf den Tisch mit den alchemischen Materialien zu werfen. Doch Tyrome hatte damit gerechnet, war etwas in die Knie gegangen und hatte den besseren Hebel, so dass er de Aveuglers Angriff widerstehen kann
[1]. Es war geschehen, es hatte in Handgreiflichkeiten geendet.
Zu erschrocken ist Sezair, als dass er sehen hätte können, wohin die angespannten Worte der beiden ehemaligen Soldaten führen würden. Bis zum letzten Moment steht er eingeschüchtert und still an der Tür, während seine tiefen Augen den Paladin fixiert haben. Auch wenn er diesen ehrbaren Mann erst vor so kurzen kennen gelernt hat, ist dem Kehjistani klar, wie sehr er nicht mehr er selbst zu sein scheint. Die gutmütige Art ist verschwunden, zornig ist er geworden. Krank, würde Sezair sagen.
Als de Avegleur gewaltsam an Tyrome herantritt, keucht der alte Mann atemlos auf. Eilig tritt er mit vor Entsetzen erhobenen Armen heran, und ruft mit zitternder und flehender Stimme:
"
Oh Allmächtiger beschütze uns! Wir wollen Euer Wohl, Herr de Avegleur, so hört doch! Ihr seid es gewesen, der das Mädchen Fyda von Ihrer Last befreit hat! Ihr seid ihr Beschützer gewesen, und Ihr seid ein treuherziger Mensch! Welcher Fluch ist über Euch gekommen, Herr de Avegleur, der Euren Frieden zerstört hat?"
Verzweifelt blickt Sezair zu dem Hünen Tyrome hinauf, und der besorgte Blick des alten Mannes scheint hilflos um Rat zu fragen.
Tyrome grummelt wütend, als der Paladin es tatsächlich wagt, ihn anzugreifen.
"Lieber ein weiser Knecht, als ein törrichter Kerl.[1]", sagt er stoisch und greift hinter sich nach dem Schwert. Eigentlich hat Tyrome diesen Ausweg nicht nehmen wollen, eigentlich hat er damit abgeschlossen, dieses Schwert besitzen zu wollen. Zu viel Angst hat er vor der Klinge gehabt. Aber Sezairs merkwürdiges Schweigen und der aggressive de Aveugler, dessen Kampfkraft der ehemalige Ritter nicht einzuschätzen weiß, bringen Tyrome auf einmal dazu. Intuitiv greift er zum Schwert um sich zu verteidigen, als sei des Paladins Angriff nur ein weiterer Hinterhalt, den er im Laufe seiner militärischen Laufbahn zu durchleben hat.
"Legt euch wieder hin, de Aveugler!", befiehlt Tyrome mit dem Schwert in der Hand.
Der Paladin quittiert die Drohung Tyromes mit einem höhnischen Grinsen. "
So? So ist das also? Ihr habt meinen verwundeten Körper aus dem Labyrinth getragen und glaubt sogleich, meine Schwäche auszunutzen. Nun zeigt Ihr also Euer wahres Gesicht, Ritter Tyrome Rhistle.", versucht er den Ritter zu reizen. Er hebt die Hände in Abwehrhaltung, um ein eintreffendes Schwert sogleich abfangen zu können. "
Sagt mir, alter Mann, denkt auch Ihr so?", sagt er zu Sezair, den Blick nicht von Tyrome abwendend.
Beschwichtigend hat Sezair die Hände erhoben und blickt den Paladin hoffnungsvoll und bittend an.
"
Hört mich an, Herr de Avegleur! Ich bin verwirrt und verstehe nicht. Ich denke jedoch - ich weiß! Dass nicht ich es bin, der Euch in Schaden stürzen will. Und Herr Tyrome ist ein aufrichtiger Mann, auch er will kein Leid über Euch bringen. Mehr als mein Wort kann ich euch nicht geben, doch kann ich sehr wohl Eurer Bitte folgen. Lasst uns gemeinsam auf Meister Pepin warten, auf dass er Eure Genesung besegnet! Ihr seid dem Mann, der Eure Wunden versorgte und euren Körper von Schmerzen reinigte, zu Dank verpflichtet, mein Herr, vergesst das nicht. Findet Ihr nicht, dass es nur Recht sei, wenn Ihr auf des Meisters Rat vertraut? Lasst uns gemeinsam in Frieden auf ihn warten, um mehr bitte ich Euch nicht."
Die warme Stimme des alten Mannes wird gemächlich ruhiger und sanfter, in der Hoffnung, die streitigen Haltungen der Männer zu lösen. Kurz blinzelt er zu Tyrome hinauf, und legt ihm langsam und behutsam seine Hand auf dessen Schwertarm. Sezair hat nicht damit gerechnet, das der ehemalige Ritter zu Waffen greift, doch schien die Reaktion Tyromes de Avegleur in kurzweilige Ruhe versetzt zu haben. Innig hoffte Sezair, dass der Paladin auf seinen Vorschlag einging - und dass der Heiler Pepin bald wieder zurückkehren würde.
Tyrome muss seine Haltung so verändern, dass Sezairs Berührung des Schwertarmes nur symbolischer Natur sein kann. Eigentlich will er nicht auch eine Berührung des weisen Mannes abwehren, denn dann würde er seine eigenen Worte mit Lügen strafen. So nimmt er unter Sezairs Berührung des Schwertarm etwas runter, behält sich aber eine solche Position vor, dass er jeder Zeit sich vor Sezair stellen kann, um diesen zu schützen und vor allem, um das Schwert im absoluten Notfall einsetzen zu können.
"Hätte ich eure Schwäche ausnutzen wollen, de Aveugler, hätte ich euch erschlagen als ihr noch im Traum mit Dämonen gerungen habt.", brummt Tyrome auf die erneute Provokation des Paladins.
"Also redet euch nicht meine Feindschaft ein." Damit lässt es der ehemalige Ritter bewenden und überlässt Sezair jetzt komplett das Feld der Worte. Der Landadelige hat die Hoffnung, dass die Worte des alten Mannes auch jetzt noch eine beruhigende Wirkung entfalten können.
Der Paladin versieht Sezair mit einem kurzen verächtlichen Blick. "
Dann habe ich Euch richtig eingeschätzt, alter Mann. Blind seid Ihr und könnt nicht das Richtige erkennen. Geht nun!", befiehlt er. Sogleich richtet er seine Aufmerksamkeit wieder auf Tyrome. Es scheint als wollte er ihn mit Blicken einschüchtern und Tyrome erwartet, dass er gleich eine weitere Drohung oder Beleidigung ausstoßen wird. Doch nichts geschieht. Stattdessen schnellen plätzlich seine Hände nach vorne und versuchen, Tyromes Schwertarm zu fassen - doch dieser hatte nur auf einen Angriff gewartet und schlägt seinerseits mit der flachen Seite der Klinge nach dem Paladin. Dumpf schlägt das Schwert auf die Schulter des Paladins auf und dieser taumelt und fällt fast. Sogleich findet er jedoch sein Gleichgewicht wieder. Einen weiteren Angriff bleibt zunächst aus, doch andererseits gibt er auch kein Zeichen von sich, dass er den Kampf aufgibt. Wachsam verfolgt er die Bewegungen des Ritters und wartet auf einen günstigen Moment.
Tyrome zittert, er ist angespannt, doch will er es nicht übertreiben. So behält er de Aveugler im Auge und bereitet sich wieder darauf vor, dass dieser ihn angreift.
"Nein, er wird mich nicht angreifen..." Tyrome blickt einen ganz kurzen Augenblick zu Sezair aus den Augenwinkeln.
"Er wird versuchen den alten Mann in seine Gewalt zu bringen, um sich die Klinge zu ertrotzen. Nur das kann sein nächster Schritt sein.""Sezair, stellt euch hinter mich." Er blickt wieder den Paladin an und wartet auf seinen nächsten Schritt, bereitet sich darauf vor, sich und Sezair mit Schattenzahn zu verteidigen oder eben so zu warten bis der Heiler kommt. Rhistle blickt mit seiner strengen Miene drein, er hat keine Sorge sich wegen dieser unglücklich aussehenden Situation zu verteidigen, nicht mit dem Schwert, nicht mit dem Wort. Eine weitere Möglichkeit, worauf der Paladin warten könnte. Dass ein Fremder erscheint und der Paladin es so darstellt, als wäre Tyrome der Aggressor. Auch aus diesem Grund muss Sezair in Tyromes schützendem Schatten stehen.
"HERR, dich rufe ich an; denn das Feuer hat die Auen in der Steppe verbrannt, und die Flamme hat alle Bäume auf dem Felde angezündet.[2]
Vor ihm her geht ein verzehrendes Feuer und hinter ihm eine brennende Flamme. Das Land ist vor ihm wie der Garten Eden, aber nach ihm wie eine wüste Einöde, und niemand wird ihm entgehen.[3]", beschwört der ehemalige Ritter Worte seines Glaubens und versucht de Aveugler niederzustarren.
Es ist dem alten Kehjistani eine Qual, die beiden Männer in solch feindschaftlicher Starre zu sehen. Der Sinneswandel de Avegleurs muss wie eine Geißel für den gutmütigen Paladin sein. Sezair spürt fest, dass es ein bösartiger Zwang in dessen Verhalten ist, der sich festgesetzt hat und an ihm frisst.
"
Ist es der Böse Blick[4] der über Euch gefallen ist? Ihr seid nicht Ihr selbst, Herr de Avegleur, es ist der Fluch der unbarmherzigen Katakomben oder der schändlichen Dämonen! Meister Tyrome, habt Nachsicht, er ist geblendet, er ist in Pein!"
Sezair weicht nicht. Auch wenn der Paladin verwunschen sein mag, glaubt der Alte nicht daran, dass er ihnen schaden wollte. Und sollten doch die Dämonen über den Willen de Avegleurs siegen, so würde der Herr ihnen beistehen. Es ist kein Trotz, mit dem Sezair seinen Platz verteidigt und Tyromes Bitte abweist. Es ist eine Hoffnung, es ist Glaube.
Der Paladin schnaubt amüsiert Luft aus, als er die Worte Sezairs vernimmt. Doch er antwortet nicht und macht auch keine Anstalten, weiter den Ritter anzugreifen. Er kehrt ihm den Rücken, geht zum Bett und nimmt seine Sachen aus der Kiste auf den Arm. "
Nun gut, Ritter Tyrome, das Schwert macht Euch stark. Doch das nächste mal werdet Ihr nicht so glücklich sein.", ist alles, was er noch sagt. Er schenkt den Männern einen letzten, kaum zu deutenden Blick, dann wendet er sich um und verlässt die Hütte des Heilers. Schwere Regentropfen durchnässen ihn in Sekunden. Ein Blitz zuckt auf und hüllt seine Gestalt in einen gespenstischen Nimbus. Dann schlägt die Tür zu und das Geräusch vermischt sich mit dem Donner. Die Männer sind wieder allein.