Mit einem Keuchen erwachte Shin. Jener Traum, der ihn Nacht für Nacht heimsuchte, war diese Nacht anders als sonst gewesen. Neben den Gesichtern der Toten, die er jede Nacht sah, hatte er gestern auch das Gesicht des halbelfischen Pelorpriesters gesehen, mit dem er gestern gesprochen hatte. Diese Wendung konnte nur eine Bedeutung haben: Pyremius forderte wieder ein Opfer.
Vielleicht mochte es daran gelegen haben, dass sich Shin gestern zu sehr in seine Erinnerungen vertieft hatte, anstatt seinen Geist Pyremius zu widmen. Die Buße hatte wohl nicht ausgereicht, er war wohl zu bequem gewesen, seinem Gott den Tribut zu zollen, der ihm zustand. Er hatte sich den Schwächen seines Körpers hingegeben, und Pyremius hatte ihn dafür bestraft. Shin zwang sich, aufzustehen und wusch sich gründlich. Das Wasser färbte sich rot, als er an seinem Unterarm ankam, den er gestern stärker als sonst traktiert katte. Aber das hatte Pyremius nicht zufriedengestellt, er hatte in seiner Allwissenheit erkannt, dass Shin sich von den Erinnerungen nicht befreien konnte und in schwächlicher Melancholie versunken war, aus dem ihn auch dieser Akt der Schmerzen nicht hatte befreien können. Er würde Pyremius ein Opfer bringen müssen, das Größer war als einige Tropfen vom Blut seines Dieners. Der halbelfische Priester vom Tempel des Pelor war bei näherer Betrachtung ideal geeignet, denn er verkörperte all das, was Shin hasste und damit auch all die Schwächen, die Pyremius verachtete. Behutsam zog Shin sich an und achtete dabei darauf, sein Waffenarsenal mit seinem Umhang zu verdecken. Zunächst musste er herausfinden, wo er dem Priester am besten auflauern und wie er ihn am effizientesten töten konnte. Pyremius verachtete stümperhaft ausgeführte Opfer, er schätzte saubere Arbeit, die am Besten nach einem Unfall aussehen sollte.
Fertig angekleidet begab sich Shin zur Tür, um mit seinen Nachforschungen zu beginnen, als er den Zettel bemerkte, den Servina ihm unter dem Türschlitz hindurchgeschoben hatte. Er hatte zwar zunächst vorgehabt, den weltlichen Auftrag abzubrechen um direkt mit dem göttlichen Auftrag beginnen zu können, aber durch den Zettel dachte er noch einmal darüber nach und befand schließlich, dass es den Mord an dem Priester durchaus erschweren könnte, wenn er die örtliche Diebesgilde verärgerte. Außerdem sollte der Auftrag ja nicht allzu zeitaufwendig werden und würde ihm Geldmittel einbringen, die er für bessere Ausrüstung einsetzen konnte. Sorgfältig zerriss er den Zettel und warf ihn in den Kamin, der im Schankraum gefeuert wurde. Er nahm ein kurzes Frühstück zu sich und verließ dann das Gasthaus, um sich auf seinen abendlichen Auftrag vorzubereiten.
Noch einmal erkundete er die Stadt und versuchte, sie alle Wege einzuprägen, durch die die Personen gehen könnten, die sie heute abend beschützen sollten. Am Nachmittag stärkte sich Shin nochmals mit einem warmen Essen und machte sich dann auf den Weg zu dem Feinkosthändler, den Servina als Treffpunkt angegeben hatte. Er war in guter, fast euphorischer Stimmung, jedenfalls für seine Verhältnisse. Endlich hatte er ein Ziel vor Augen, er würde sich Pyremius als würdig erweisen und vielleicht, wenn Pyremius sein Opfer annahm, könnte er zu seinem Meister zurückkehren und würde dort endgültig in den Kreis der Zeloten aufgenommen werden. Mit einem fast schon freundschaftlichen Ton begrüßte er Servina, die an der Theke des Feinkostladens lehnte und an einem dampfenden Getränk nippte: "Unser Kunde ist anscheinend noch nicht aufgetaucht. Nun gut, soll er nur kommen."