30. Merudin, am Abend - in dem Rasthaus "zum Eibenhain"
Ein langer und drückend heisser Sommertag neigt sich dem Ende entgegen. Schon seit Wochen ist keine Wolke zu sehen, nicht ein Tropfen fällt aus dem azurblauen Himmel. Die Eiben, von denen das ziegelgemauerte Wirtshaus seinen Namen hat beginnen Spuren der Trockenheit zu zeigen, und das Gras, das sich zwischen ihnen und bis zur gepflasterten Königsstrasse erstreckt hat eine bemitleidenswert braune Färbung.
Mittlerweile hat auch der in den letzten Tagen stetig wehende Ostwind (Auch hier, 300 Meilen landeinwärts noch mit einem leichten Salzgeruch – zumindest schworen das die Knechte des Eibenhains), der wenigstens ein wenig Erfrischung gebracht hat den Kampf gegen die Hitze aufgegeben, und in der schweren, stehenden Luft bewegt sich kaum jemand – selbst die Königsstrasse ist weitgehend verlassen, selbst die Pferde, die in dem halboffenen, aus dunklem Holz gebauten Stall des Rasthauses stehen bringen nicht einmal die Energie auf, zu schnauben, als ihnen ein stämmiger, schwitzender Knecht ihr Futter bringt.
In der Gaststube ist nur wenig Betrieb. Jelo, der Wirt, ist ein grosser, dicker Mann mit einem roten, immer zu einem Lachen aufgelegten Gesicht und einer noch röteren Glatze, doch ein liebevollgepflegter blonder Schnauzbart und die blauen Augen, die, wenn Jelo lacht unter den runden Wangen fast verschwinden verraten den Nordmann. Er trägt ein kariertes, auffallend sauberes Hemd und eine weiße, ebenfalls saubere Schürze, und wenn er einmal hinter der Theke, hinter der er meistens steht hervorkommt sieht man, dass seine Beine in bequemen grauen Wollhosen und seine Füße in ebenso bequemen Pantoffeln stecken.
Schon seit Menschengedenken, so scheint es, ist Jelo der Eigentümer des Hains, die große Gestalt, die hinter der Theke steht und liebevoll die Gläser (echte Gläser – der geliebteste Schatz Jelos) poliert ist für Generationen von Reisenden auf der Strasse eine feste Größe, jeder kennt ihn, und auch er kann sich an die meisten Gesichter und zugehörigen Namen erinnern.
Assistiert wird er derzeit nur von seiner Tochter Filara, einem jungen, wie der Vater eher kräftig gebauten Mädchen.
Derzeit ist es vor allem eine Handvoll freyscher Soldaten, die in ihren Kettenhemden und tiefgrünen Waffenröcken, mit einer silbern eingestickten stilisierten Brücke auf der Brust (Dem Wappen der Freys) fröhlich trinkend in einer Ecke sitzen und die Wirtsleute beschäftigen. Sie zeigen den typischen, leicht anmaßenden Habitus, den so viele der Knechte und Soldaten der Freys von ihren Herren übernommen haben, rufen regelmäßig nach Wein – und Filara begrenzt kreative anzügliche Sprüche hinterher, die sie routiniert abwehrt oder ignoriert – offensichtlich ist das Mädchen im Schankraum großgeworden.
Deutlich weniger Aufwand bedeutet eine kleine Schar lokale Bauern, deren Stimmung eher deprimiert wird: Zwar ist das Getreide im Frühjahr prächtig gewachsen, doch jetzt droht die anhaltende Trockenheit die Ernte zu vernichten, eine Aussicht, die durchaus dazu angetan ist, dass man sich betrinkt, um es zumindest kurz zu vergessen.
Der einzige echte Reisende, der bis jetzt eingetroffen ist, ist ein Händler, der mit einem halben Dutzend Knechten, einem Gehilfen und drei Wagen nach Süden unterwegs ist. Die Knechte schlafen schon, erschöpft von einem langen Tag draußen bei den abgedeckten Wagen, und der Händler, an der korpulenten Figur, dem blassen Gesicht und knapp schulterlangen glatten schwarzen Haar als Rigunder zu erkennen, sitzt mit dem Gehilfen im Schankraum.
Die beiden scheinen fröhlich. Sie unterhalten sich leise, haben schon eine Flasche Wein geleert, arbeiten sich gerade durch die zweite und haben Firala ein Trinkgeld gegeben, das man von einem Rigunder nicht erwarten kann: Offensichtlich hatten sie eine erfolgreiche Geschäftsreise in den Norden.