In Erwartung der Dinge, die euer neuer Auftrag wohl mit sich bringen würde, bracht ihr gegen Nachmittag vom Himmel der Michaeliten aus auf nach Urbs Sigena. Wie üblich übernahm Camael, der Urielit der Schar, die Führung der Schar auf der Reise. Camael wusste zwar fast schon instinktiv, welchen Weg er nehmen musste, dennoch benötigte selbst er Anhaltspunkte, um sich orientieren zu können, weshalb ihr knapp unter der Wolkendecke flogt. Dies gab aber auch den anderen die Gelegenheit, das Land, über das ihr hinwegflogt, eingehender zu beobachten. Langsam aber sicher verschwand der riesige Himmel der Michaeliten hinter dem Horizont. Selbst aus der Entfernung schien dieser Fanal angelitischer Baukunst immer noch beeindruckend - und von den oberen Bereichen war gar nichts zu sehen, waren sie doch durch die dichte Wolkendecke dem Blick der Menschen entzogen. Überhaupt, wie selten mussten die Menschen Europas die Sinne zu Gesicht bekommen? Die Wolkendecke schien undurchdringlich, grau-weiß, wie eine Wand. Der Tag eurer Weihe, an dem die Sonne so herrlich strahlte, musste etwas ganz Besonderes sein, für die Menschen ein Zeichen, dass Gott wohlwollend auf euch herabsah.
Die Landschaft unter euch wirkte schlammig uns nass, teilweise geradezu giftig und verdorben. Doch die Menschen machten das Beste aus ihrem Land: Es reihte sich Reisfeld an Reisfeld, nur unterbrochen von Wegen, die so undurchdringlich und schlammig wirkten wie die Felder selbst. Nur selten wurden die Felder unterbrochen von Wiesen, kleinen Wäldern und Ortschaften. Diese Ortschaften bestanden meist aus ein paar aus Brettern zusammengezimmerten Hütten. Sie schienen nicht gerade einen stärkeren Wind aushalten zu können, und doch boten sie vielen Familien Obdach. Welch ein Unterschied waren aber die kleinen Kirchen, die jede Ortschaft besaß: Meist wachte ein steinerner Turm über den kleinen Ort, und fast immer schmückten Banner mit dem Wappen des Michaelis-Ordens und dem Schwingenkreuz der Angelitischen Kirche den Bau. Diese Banner waren im ständigen Grün-Brau-Grau der Landschaft auch die einzigen Farbtupfer.
Wie um die Trostlosigkeit der Landschaft zu betonen, setzte nun auch noch ein schwacher, doch stetiger Nieselregen ein. Langsam saugten eure Kriegsröcke das Nass auf, dicke Tropfen liefen an euren Armen und Beinen herunter. Ständig musstet ihr euch Tropfen aus den Augen wischen, um Camael weiter folgen zu können.
Michaelsland war bekanntermaßen ein sicheres Gebiet, in dem man nur sehr selten der Traumsaat begegnete. Am frühen Abend des zweiten Tages, als ihr bereits die Region Emilia im nördlichen Michaelsland erreicht hattet, führte euch Camael einen Flusslauf entlang, den er als geographischen Anhaltspunkt nutzte. Aufgrund der beginnenden Dämmerung hattet ihr euch entschieden, etwas näher am Boden zu fliegen, und so konntet ihr den Fluss besser betrachten. Er plätscherte langsam vor sich hin, die Bäume an seinen Ufern bildeten einen mangrovenartigen Wald. Fast schon idyllisch konnte man die sich euch darbietende Szenerie nennen. Wasserhyazinthen bedeckten jedoch einen großen Teil des Flusses, so dass er an manchen Stellen mehr wie eine von weißen und rosafarbenen Blumen geschmückte Straße als wie ein Fluss aussah. Diese Blumen mochten zwar schön aussehen und das Auge erfreuen, doch gleichzeitig stellten sie eine große Last für die Schifffahrt dar: Oft wurde durch sie das Flusswasser für Boote undurchdringlich.
Und tatsächlich: Bald konntet ihr im Dickicht der Wasserhyazinthen ein großes Floß ausmachen, das festzustecken schien. Die Menschen darauf sahen hoffnungsvoll zu euch hoch, als schienen sie Hilfe zu benötigen.