Lange sitzt Gorislava auf einem Stuhl in der Ecke eines staubigen, längst verlassenen Zimmers des längst verlassenen Anwesens; das Tagebuch hält sie verkrampft mit der Eisenhand fest, während sie durch ein spinnwebenüberzogenes Fenster in den nichtssagen-grauen Himmel starrt. Stille Tränen rinnen ihre Wangen hinab, Tränen, die sie sich niemals in Anwesenheit anderer erlauben würde. So wie die Wogen aus Schmerz, Trauer, Hass und Rachedurst sie durchfahren, so durchfährt sie auch immer wieder ein Kribbeln, das vom aberranten Drachenmal an ihrem Schulterblatt ausgeht.
So, als würde es sie in Rage peitschen, sie antreiben, dem verruchten Mörder zu Fuß bis nach Xen'drik zu folgen, und sei dies noch tausendmal unmöglich.
"Sie haben ihm alle nichts bedeutet, wie ich vermutet habe. Er hat sie... ihre Körper... verschlissen wie ein unfähiger Schneiderlehrling die Stoffballen! Er hat...!"
Wütend schleudert die Karrn das Büchlein quer durch den Raum, sich keine Rechenschaft über die übertriebene Wucht des Metallarms gebend. Das Stück trifft mehrere andere Bänder in einem Regal und löst eine kleine Bücherlawine aus - die Gorislava nicht wahrnimmt.
"Furienverdammter Sadist! Du hast sie wie Motten ins Feuer gelockt! Du hast meine arme Schwester so herzlos ausgenutzt und ihre leere Hülle achtlos beiseite geworfen!" Mit geballten Fäusten läuft die Rächerin nun im Raum auf und ab. "Du unwürdiges Stück Dreck! Ich werde dich an deinen Eingeweiden kopfüber aufhängen und ausbluten lassen, damit du endlich eine Ahnung vom Tod bekommst!"
Schluchzend bricht sie daraufhin auf dem Boden zusammen, landet auf den Knien und bedeckt das Gesicht mit dem Händen, die eine warm, die andere eiskalt. "Ach, Zarina, Zarina... Warum hast du nicht auf mich gehört? Warum, Schwesterherz?"
Es dauert viele Minuten, bis die düstere Dame sich wieder beisammen hat. Erst dann fällt ihr erneut die schicksalhafte Verflechtung der Wege ein. Der Gnom, die Rattenfrau - auch sie haben unwissend Bekanntschaft mit diesem abscheulichen Schurken gemacht, und Gorislavas Reise mit ihnen zusammen ist auch unbewußt ein Schlag gegen Randolt gewesen.
"Gut, Verruchter," haucht sie, während sie aufsteht und ein schwarzes Stofftuch aus einer Tasche zieht, "die Welt selbst will deinen Tod. Du hast eine Niederlage erlitten, und ich werde das endgültige Urteil vollstrecken!"
Die Tränen hastig getrocknet, sammelt die Rächerin mit rascher, schnappender Bewegung das Tagebuch ein und verlässt das zum Teil eingestürzte oder stark beschädigte Gebäude. Eine ganze Stunde verbringt sie daraufhin an Zarinas Grab im Garten, still zu allen Göttern, die sie kennt, um den Seelenfrieden ihrer Schwester betend.
"Ich werde bald wiederkommen, Schwesterherz, und dir Ruhe bringen. Ich verspreche es dir!," verabschiedet sie sich vom stummen Grabhügel und marschiert eiligen Schrittes in die eigentliche Stadt Rekkenmark - um sogleich eine Reise nach Sharn, dem Tor zu Xen'drik, zu organisieren, sei es mit Blitzbahn oder Flugschiff, hauptsache, so bald wie möglich.