Intermezzo, Teil 2
"Du Schwein!" Ancrym wurde von kräftigen Händen hochgerissen und gegen die Regalwand geschleudert, die krachend über ihm zusammenbrach. Der Shoanti hatte kaum Zeit, sich aus seiner Lage zu befreien, als eine krachende Rechte seinen Kopf herumschleuderte.
"Du Drecksbastard von einem Shoanti. Ich bring dich um!"
Es war Shayliss' Vater, völlig außer sich vor Wut über das, was er soeben mitansehen hatte müssen.
Ancrym schüttelte benommen den Kopf. Dass er so plötzlich unterbrochen wurde und einen Schlag gegen den Kopf bekam, hatte ihn völlig überrascht. Doch der Vater ließ ihm einen kleinen Moment Zeit sich zu erholen. "Eure Tochter ist alt genug das selbst zu entscheiden", knurrte er. Weil er aber immerhin bei der Stadtwache war, zügelte er seinen Zorn und beschränkte sich darauf, sich zu verteidigen.
"Du erzählst mir nicht, was meine Tochter kann und was nicht!"
Vin prügelte weiter auf Ancrym ein, ohne allerdings einen Wirkungstreffer erzielen zu können.
Zwischen den einzelnen Schlägen des aufgebrachten Vaters versuchte Ancrym weiterhin, diesen zu beruhigen. "Du vergreifst dich an einem Mitglied der Stadtwache, das kann dich teuer zu stehen kommen.".
"Wenn ich Hemlock erstmal erzählt habe, was Du hier gemacht hast, dann bist Du ne Stadtwache gewesen. Kämpf endlich wie ein Mann und nicht wie ein Shoanti, Du Feigling."
Nur mit Mühe konnte sich Ancrym der Schläge des überraschend starken Ladenbesitzers erwehren.
Der Kerl nannte ihn einen Feigling? Einen FEIGLING? Ancrym sah rot. Mit erhobenen Fäusten ging er auf seinen Gegnern los, mit einem tiefen, aus seiner Kehle kommendem Knurren. Wuchtig versuchte der Shoanti, dem Vater des Mädchens seine Faust in´s Gesicht zu rammen!
"Vater!"
Vins Kopf wurde herumgerissen, als Ancryms Faust ihm gegen den Schädel krachte. Dann war Shayliss zwischen den Kämpfern.
"Hör auf Ancrym, tu ihm nichts." flehte sie ihn mit Tränen in der Stimme an. "Und Du auch, Vater. Hör auf. Ich...ich...liebe ihn."
Vin Vender blieb wie vom Schlag getroffen stehen. Mit einem Male war alle Energie aus ihm gewichen. "Ist das wahr, Tochter?" Shayliss nickte heftig. "Und er? Erwidert er deine Liebe?" Müde blickte er zu Ancrym hin, und Shayliss tat es ihm nach, ein ängstliches Hoffen in den Augen.
Ancrym war völlig verwirrt. Die plötzliche Wendung, die diese Angelegenheit genommen hatte, verwirrte ihn vollends. Sicher, Shayliss war eine sehr schöne Frau, und als Tochter eines reichen Kaufmanns war sein Auskommen in Zukunft gesichert, wenn er sie zur Frau nahm. Und das Ancrym das Mädchen begehrte, stand außer Frage. Aber das Geständnis kam zu plötzlich.
Ancrym befeuchtete seine Lippen, die trocken geworden waren. Einmal musste er sich räuspern, bevor er seiner Stimme sicher war. "Versteht das jetzt bitte nicht falsch, besonders du, Shayliss, du bist eine Frau, die jedes Männerherz höher schlagen lässt, aber kann das gut gehen? Ich bin ein wilder Barbar, auch wenn ich seit einiger Zeit in Sandspitze lebe, aber dieses Leben gefällt mir nicht besonders. Ich fürchte, ich tauge nichts zum Kaufmann. Sicher, ich kann mir vorstellen, hier wohnen zu bleiben, - bin das ich, der hier spricht? - aber wenn ich in dieser Stadt einem Beruf nachgehen soll, dann nur als Mitglied der Wache. Könntest du damit leben? Vor allem mit der Gefahr, besonders in der nächsten Zeit?"
Mit bangem Blick betrachtete der Shoanti das Mädchen und seinen Vater, in der Hoffnung, dass die beiden seinen Einwand nicht missverstanden. Aber als aufrechter Krieger musste er diesem Mädchen klarmachen, dass sie schon sehr bald Witwe sein könnte. Ein Blick in Shayliss Augen reichte jedoch vollkommen aus, um ihm klar zu machen, dass sie nicht im geringsten beeindruckt war. Zum ersten Mal verstand er, wie sich ein in die Enge getriebenes Kaninchen fühlen musste. Völlig außer Fassung aber wurde er durch das grimmige Auflachen Vin Venders gebracht.
"Junge, Du musst uns für arg verweichlicht halten. Wir sind hier nicht vor vierzig Jahren in die Wildnis gezogen, weil wir Angst um unser Leben hatten. In Shayliss fließt das Blut der Venders, sie wird stolz darauf sein, keinen Weichling als Mann zu haben, der sich hinter einem Geschäftstresen versteckt."
Vin betrachtete Ancrym prüfend. "Hör zu, Junge, Du hast dich gestern tapfer geschlagen, und ich könnte mir schlimmeres vorstellen, als einen Mann wie Dich zum Schwiegersohn zu haben. Und außerdem," seine Stimme wurde scharf, "würdest Du meine Tochter der Schande preisgeben, wenn Du dich hier jetzt herauszureden versuchtest. Du wirst sie heiraten, und solltest Du wirklich in irgendeiner Gefahr umkommen, dann wird sie damit leben müssen. Sie hat das so gewollt, NEIN, sag nichts, Shayliss. Ich bin nicht blöde. "
Er wandte sich zu Ancrym zurück.
"Sie war bereit, Dir ihre Jungfräulichkeit und ihre Ehre zu opfern, und Du wirst dieses Geschenk annehmen. Und wenn nicht, dann wird Hemlock davon erfahren, wie schändlich sein liebster Wachmann sich meiner dummen Tochter gegenüber verhalten hat. Nachdem ich Dich zu Brei geschlagen habe, natürlich."
Diese ständigen Drohungen reizten Ancrym, der nicht übel Lust verspürte, diesen Mann zu Boden zu schlagen. Seine Stimme troff vor Sarkasmus.
"Führ mich nicht in Versuchung, guter Mann. Sonst beweise ich Dir, wer hier wen zu Brei schlägt. Und mit Hemlock kannst Du mich nicht beeindrucken, schlimmstenfalls müsste ich die Stadt verlassen, aber das wäre auch keine Katastrophe für mich. Also spar dir deine Drohungen. Wenn ich deine Tochter heirate, dann weil ich es will, kapiert? Und überhaupt, ist es ja wohl die Entscheidung Deiner Tochter, wem sie sich hingibt." Zumindest war das bei den Shoantis so, wo es gar nichts ungewöhnliches war, dass eine Frau mit einem Mann schlief, mit dem sie nicht verheiratet war. Auch wenn es deswegen auch schon mal zu tödlichen Duellen zwischen den Liebhabern und den gehörnten Ehemännern kam.
Gedankenverloren spielte seine Hand am Schaft seines Erdzertrümmerers, nur seine Auffassung von Ehre verhinderte, dass er einfach seine Waffe zog und den Kerl tötete. Und der Funke von Respekt, den er verspürte, weil Venders ihm ohne Furcht begegnete, obwohl er, Ancrym, doch gestern bewiesen hatte, welch starker Kämpfer er war.
Noch einmal ließ er seinen Blick über die Gestalt des Mädchens wandern. Endlich blieb sein Blick an ihrem Gesicht hängen, woraus im ein bangender Blick entgegenfiiel. Als er diesen Blick sah, konnte Ancrym nicht anders. Er musste einfach zustimmen, weil er wusste, dass er Shayliss das Herz brechen würde, und diesen Gedanken konnte er nicht ertragen.
"Ich bin einverstanden, dich, Shayliss, zur Frau zu nehmen. Aber unter einer Bedingung: Erst erledige ich diesen Auftrag, den ich und meine Gefährten von Hemlock bekommen habe, und wenn ich lebend zurückkomme, heiraten wir. Bist du damit einverstanden?"
Shayliss' Blick wanderte zu ihrem Vater. Der humorlos grinste, vollkommen unbeeindruckt von Ancryms Gegendrohung.
"Der Kleine ist ganz schön störrisch, bist Du sicher, dass Du Dir das aufhalsen willst? Naja, ich sehe schon, bei Dir ist Hopfen und Malz verloren."
Vin nahm ihre Hand und legte sie in die des Shoanti.
"Es sei so, wie Du gesagt hast. Shayliss wird deine Frau, sobald Du deinen Auftrag für den Sheriff erfolgreich ausgeführt hast. Ich werde morgen bei Bürgermeisterin Deverin eure Verlobung bekanntgeben. Über die Aussteuer brauchst Du Dir keine Gedanken zu machen, wir sind wohlhabend genug, um auf diesen Unsinn verzichten zu können."
Vin schob Shayliss zur Seite und drückte bekräftigend Ancryms rechte Hand, der nur mit Mühe ein Aufkeuchen verhindern konnte, als er für einen kurzen Moment die volle Kraft seines Schwiegervaters in Spe zu spüren bekam und glaubte, in einen Schraubstock geraten zu sein. Der Händler verzichtete auf eine weitere Drohung, sein Blick machte aber unmissverständlich klar, dass er Ancrym nicht davonkommen lassen würde, falls dieser sich durch Flucht aus der Affäre zu ziehen versuchte.
etwas später...
Die Tür zum Rostigen Drachen öffnete sich und ein etwas zerzaust wirkender Ancrym kam mit verschwollenem Gesicht und einem prächtigen Veilchen durch den Eingang gestolpert. Trotz seines furchtbaren Aussehens grinste er, als sei ihm soeben etwas besonders gutes widerfahren.