Kaum hat Jendar den Marktplatz an seinem westlichen Ende verlassen, klingen die Geräusche einer sich nähernden Gruppe zu seiner Rechten durch die Nacht, und er verhält seinen Schritt.
"Patrouille", schießt es ihm durch den Kopf, und instinktiv geht er in einem Hauseingang in Deckung. Gleich darauf überquert das Grüppchen die Kreuzung, und er kann sie im Licht der Kaltfeuerlaternen deutlich erkennen. Der Anführer ist ein Offizier der Stadtwache, nicht so hoch im Rang wie der Halbork, der heute in dem Lokal aufgetaucht ist, wenn er die Rangabzeichen richtig interpretiert. Aber die ihm Folgenden sind sicher keine Patrouille. Da ist eine grell geschminkte, aufreizend gekleidete Matrone, in der er eine der Huren aus dem Feuchten Stamm wiedererkennt. Dann eine jüngere Frau mit wirren, langen Haaren, abgemagert und in Lumpen gehüllt, die mehr stolpert als geht. Ein schlanker Mann mit scharf geschnittenem Gesicht, in dem die eine Augenhöhle nur noch eine schwärende Wunde ist, mit einer einstmals sicher prächtigen, nun aber schäbig wirkenden Rüstung gepanzert. Und schließlich ein Halbling, dessen federndem Gang und hin- und herschießendem Blick etwas Frettchenhaftes anhaftet. Sie alle tragen ein Emblem an ihrer Kleidung, das den Abzeichen des Offiziers ähnelt.
Verblüfft presst sich Jendar an die Hauswand und blickt ihnen nach, als sie in Richtung auf den Fluss zu verschwinden.
"Was bei den Titanen der Wälder ist das nun wieder?"Er hat dem Auftauchen der Soldaten im Feuchten Stamm keine Bedeutung beigemessen, aber jetzt zieht eine der Professionellen aus eben diesem Lokal mit einem Offizier durch die Straßen, als wäre sie in offizieller Mission unterwegs. Und das in Begleitung eines Haufens, der merkwürdiger kaum sein könnte.
"Söldner..." Er hat solchen Trüppchen im Krieg gegenübergestanden, bunt zusammengewürfelten Kämpfern, die für Gold ihre Haut zu Markte trugen. Aber der Krieg ist vorbei, und diese Gruppe wirkt nicht allzu kampfkräftig.
"Sollte schon wieder ein Mord geschehen sein?"Kurz entschlossen folgt Jendar ihnen zum Flussufer,
bemüht, keine Aufmerksamkeit zu erregen. Als sie die Brücke betreten und von der Wache angesprochen werden, bleibt er zurück. Ihn werden sie nicht ohne einen triftigen Grund hinüber lassen. Nachdenklich blickt er auf den Fluss, in dessen träger Strömung die Stämme aus den Lagern östlich der Stadt treiben.
"Sieht so aus, als bekäme ich mein Bad früher als geplant."Jendar eilt zurück zum Feuchten Stamm. In einigen der Fenster im oberen Stockwerk brennt noch Licht, und gedämpfte Laute der Lust dringen an sein Ohr. Er tritt an den Rand der Kanalmauer und blickt in das Becken hinab, in dem die dicht an dicht gedrängten Stämme treiben. Eigentlich ein unnötiges Risiko. Aber er fühlt sich heute Nacht lebendiger als seit langem, und fast möchte er es in die Nacht hinaus schreien: Ich lebe!
Rasch entledigt er sich seines Gepäcks und zieht sich aus, stopft die neu erworbene Kleidung und sein Kräutertäschchen in die Stiefel, wickelt sie in seinen Umhang und verstaut das Bündel in seinem Rucksack. Seinen Gürtel mit dem Dolch und dem Kurzschwert schnallt er sich um die nackte Hüfte, reißt einen Streifen aus dem Ärmel seines alten Hemdes und bindet sich damit die Haare im Nacken. Er umwickelt Rucksack, Schwert und Bogen mit den alten Lumpen, damit sich nichts lösen kann, schultert das Ganze und lässt sich vorsichtig in eine Lücke zwischen zwei Stämmen
fallen...