Auf dem Weg zum Weiten Sumpf
Zwischenspiel für Taris (Anzeigen)Hinter dem über den Schreibtisch gebeugten Korporal ging gerade die Sonne auf. Das helle Licht blendete Taris, aber er nahm seine Hand nicht hoch, noch kniff er die Augen zusammen. Ganz im Gegenteil, er wollte sich vor dem neuen Tag nicht verschließen, denn dieser Tag versprach endlich erfolgreich zu werden. Vor vier Monden hatte er in Niewinter vom dort ansässigen Mystra-Tempel den Auftrag bekommen, dem in Cormyr errichteten Tempel mal auf den Zahn zu fühlen. Allein der Umstand, dass in diesem Landstrich ein Mystra-Tempel gebaut worden war, schien die Priester des Niewinter Tempels zu beunruhigen. Selbstverständlich half Taris in dieser Sache gerne, besonders angesichts der Belohnung, die er bekommen hatte, und von der nun schon nichts mehr übrig war. Er hatte sie vernünftig investiert, aber so wie die Worte des Korporals geklungen hatte, schien es ihm beinahe, als sei es schon gar nicht mehr notwendig, etwas zu unternehmen. Den Informationen des Purpurdrachen zufolge waren die Priester des Tempels aufgeflogen als Verehrer einer viel dunkleren Gottheit. Taris kannte sich zwar außer Silvanus nur bedingt mit Göttern aus, aber er wusste, dass das nichts Gutes bedeuten konnte. Anscheinend hatte sich jedoch eine Anzahl an Kämpfern aufgemacht, um die Priester zu enttarnen, was ihnen gelungen war. Doch war das auch das richtige Ende seines Auftrages? Immerhin sollte er herausfinden, was in dem Tempel vor sich ging und auch wenn das jetzt aufgeklärt war, so stand doch noch die Frage im Raum, warum das alles geschehen war. Darum hatte der Korporal ihm angeboten, ihn zu begleiten, wenn er in den frühen Morgenstunden die Abenteurer aufsuchen würde. Nun saß er hier, sah dem Korporal beim Rechnen zu, bekam glitzernde Augen, als er das viele Platin sah, dass der Korporal in schwere Säcke abfüllte, und wartete still ab. "So, ich glaube, das war's", murmelte dieser just in dem Augenblick, in dem die Sonne sich so weiter gezogen war, dass Taris nicht mehr geblendet wurde. So konnte er sehen, dass die Nacht des Korporals wohl sehr kurz gewesen war. "Dann lasst uns mal gehen." Der Korporal erhob sich und führte ihn aus dem Hauptquartier der Wache in Richtung eines Gasthauses, wo Taris ein seltsames Bild erwartete. Ein Zwerg und eine Halb-Orkin. "Ich kann Euch nicht versprechen, dass sie Euch mitnehmen oder Euch mehr erzählen. Das liegt wohl allein an Euch." Der Korporal nickte, um sich selbst zu bestätigen. "Aber ich hoffe, wenngleich ich nicht noch mehr Unbeteiligte in ihr Unglück stürzen will. Der Sumpf ist gefährlich." Richtig, der Sumpf. Taris erinnerte sich daran, dass der Korporal ihm erzählt hatte, die Kämpfer würden zum Weiten Sumpf ziehen, der überaus gefährlich sei. Er hatte bereits davon gehört. Das Gelände war unwegsam, mit etwas Pech blieben die Stiefel im Grund stecken und während man gefangen war, fiel ein wildes Tier oder etwas Schlimmeres über einen her. Aber das konnte ihm in jedem anderen Sumpf auch passieren. Er war daran gewöhnt, dass sein Leben gefährlich war, auch wenn er deshalb nicht unvorsichtig wurde. Trotzdem musste er dem Rätsel weiter auf den Grund gehen. Er musste den Klerikern des Tempels in Niewinter immerhin sagen können, was hinter alldem steckte, wenn jemand den Namen ihrer Göttin missbrauchte. Nur würde er ohne die Helden, die sich um den Tempel gekümmert hatten, wohl nicht sehr weit kommen.
6.Eleint 1374 TZ, frühe Morgenstunden, Regadur und Áine, Gasthaus "Zur Lindwurm-Schildwache"Nach einem kurzen Frühstück waren Regadur und Áine nun soweit, um wieder aufzubrechen. Sie verließen das Gasthaus und blickten in Richtung des Hauptquartiers der Wachen. Tatsächlich war auf dem noch wenig genutzten Weg des Mantikors die Gestalt des Korporals auszumachen. Ihr gemeinsamer Gefährte Dorgen war allerdings nirgendwo zu sehen. Was ihn wohl dazu bewogen hatte, nicht mit ihnen zu gehen? Sie verwarfen den Gedanken schnell. Er hatte sich so entschieden und es lag ihnen beiden nicht, in die Vergangenheit zu blicken. So erwarteten sie schweigend die Ankunft des Korporals, der von einem gut gerüsteten und recht großen Mann begleitet wurde, der augenscheinlich nicht zu den Purpurdrachen gehörte.
"Seid gegrüßt und einen guten Morgen! Ich bringe euch eure Belohnung. Hm? Herr Fabulon ist gar nicht anwesend? Ist er etwa auch gegangen?" Als Regadur und Áine dem Korporal erklärten, der Elf warte bereits an der Fähre auf sie, nickte dieser nur.
"Gut, ich dachte schon. Dann gebe ich euch seine Belohnung mit." Er reichte jedem von ihnen einen gut gefüllten Geldsack mit je 350 Platinmünzen. Regadur gab er noch einen zweiten für Fabulon.
"Außerdem hat mir Herr Gilmarik noch dies für euch mitgegeben. Ihr sollt es an Euch nehmen, Áine. Er meinte, er habe sie im Tempel gefunden und sie könnten Euch noch nützlich sein." Der Korporal übergab Áine eine Lederrolle, in der sich die Schriftrollen befanden, die Dorgen in der Bibliothek im Tempel gefunden hatte. Außerdem überreichte er ihr die drei Phiolen, einen Stab und die Kette mit dem wertvoll aussehenden Amulett.
"Und bevor Ihr jetzt weiterzieht, möchte ich Euch noch Taris vorstellen. Er wollte mehr über den Mystra-Tempel erfahren und darüber, was dort genau vor sich gegangen ist und warum es passiert ist. Ich dachte mir, dass Ihr ihm da wohl am besten weiterhelfen könnt. Ich muss jetzt gleich los. Ich muss heute mit Hauptmann Tholl sprechen." Der Korporal seufzte schwer und hob zum Abschied nur kurz die Hand. Dann ließ er die drei einfach zurück. Er war nun wirklich kein Mann vieler und großer Worte.
Zwischenspiel für Xu'sarsar (Anzeigen)Während sie das Buch in ihren Händen hin und her drehte, dachte sie darüber nach, was Mela ihr gerade erzählt hatte. Amnic Basult, der verschwundene Bibliothekar, war tot. Er war von falschen Priestern im ebenso falschen Tempel der Mystra gefoltert und schließlich getötet worden. Alles, was von ihm geblieben war, war seine Buchhandlung und eine am Boden zerstörte Ehefrau. Und natürlich Veeti, das Mela ihr geschenkt hatte, weil sie seinen Anblick und seine Sprüche, die es vorlaut von sich warf, nicht mehr ertragen konnte. Was Xu'sarsar jetzt damit anfangen sollte, wusste sie nicht. Das Buch, das Amnic als Tagebuch genutzt hatte, war leer. Sollte sie nun da hinein schreiben? Die Tür schloss sich hinter ihr. Gedankenverloren folgte sie dem Weg des Mantikor, der sie nach Weloon gebracht hatte und geradewegs durch die Stadt hindurch in Richtung Osten führte. Tja, diesem Geheimnis war sie nun auf die Spur gekommen, sie fragte sich nur, was das alles bedeuten mochte. Ein falscher Mystra-Tempel, dessen Kleriker harmlose Buchhändler folterten und töteten und so wie es geklungen hatte, wohl noch einige andere Menschen getötet und entführt hatten. Sollte sie jetzt in Weloon bleiben und mehr heraus finden? Was würde ihr schon großartig übrig bleiben? Sie fuhr sich durch die Haare, die über das Buch strichen. "Hey, sei lieber vorsichtig! Ich bin kitzlig und wenn ich einmal anfange, zu lachen, hör ich nie wieder auf!" Xu'sarsar runzelte die Stirn. Veeti war ein seltsames Geschöpf, von dem sie nicht wusste, ob sie es behalten oder lieber gleich wieder los werden sollte. "Oh, warte mal! Ist das etwa der Elf? Ha, ja, ganz genau, der Elf!" Xu'sarsar sah auf und musste feststellen, dass sie direkt am Lindwurm stand, der Weloon in zwei Hälften teilte. Über den Fluß kam man mit kleinen Fähren und in der Nähe der Fähre, nur wenige Meter von ihr entfernt, stand ein Elf. "Der hat den Kerl begleitet, der Amnics Verschwinden nachgegangen ist. Ah, aber ich bin irgendwie müde, war eine lange Nacht. Das Geheule von Mela ging mir auf den Keks. Steck mich einfach ein, ich melde mich, wenn ich wieder wach bin." Ziemlich unverfroren dieses Ding. Xu'sarsar sah dennoch weiterhin zu dem Elf. Er war mit an der Aufklärung von Amnics Verschwinden beteiligt? Interessant.
6. Eleint 1374 TZ, frühe Morgenstunden, Lindwurm-Fährweg, FabulonEr war immer noch aufgebracht. Nachdem er am gestrigen Abend versucht hatte, Saevon klar zu machen, dass er sie unmöglich begleiten konnte, hatte der Junge ihn heute morgen erneut drangsaliert und ihn angefleht, ihn mitzunehmen. Schließlich war Fabulon beinahe überstürzt aufgebrochen, um seinem Neffen und dessen Quengelei zu entgehen. Das musste einfach an der menschlichen Erziehung liegen, die er derzeit genoss. Der kleine Elf hätte in einer richtigen Elfengemeinschaft schneller Lektionen gelernt und sie angenommen. So aber hatte er den sturen Kopf eines Menschen entwickelt. Hoffentlich war das wieder aus ihm heraus zu bekommen. Das würde ihm jedoch nur gelingen, wenn er heil wieder aus dem Weiten Sumpf zurück kam und möglichst seine Schwester und seinen Schwager mitbrachte. Hoffentlich waren sie noch am Leben. Er sah, seinen Gedanken nachhängend, den Fähren durch, die selbst am frühen Morgen schon sehr geschäftig waren, als er zu seiner Linken eine ihm vertraute Stimme wahrnahm, die ihn allerdings gar nicht erfreute. Als er sich umdrehte, sah er direkt in das Gesicht einer schwarzhäutigen Elfe, die trotz ihrer Schönheit ein seltsames, bis abstoßendes Gefühl in ihm erregte. Warum starrte sie ihn so an? Und das Buch in ihrer Hand? Hatte Dorgen das nicht besessen? Warum trug sie es nun mit sich herum?