Octavian
Mit mächtiger Stimme brüllt der Ventrue die beiden anstürmenden Wachen an. Einer der beiden stoppt kurz, zittert etwas, ehe er die Richtung ändern - und flieht.
"Bleib hier, Dimitri! Verdammt!"
Einen Moment bleibt auch die andere Wache stehen, als würde sie überlegen, Octavian alleine zu verfolgen, oder auf die anderen zu warten. Mit einem geschickten Sprung überquert Octavian den morschen Zaun eines nahen Gärtchens und bevor er fast in der Dunkelheit verschwindet, setzt die Wache zur Verfolgung an. Nicht jedoch, ohne vorher den Wachtrupp geschätzte 80m vor ihm mit Handzeichen auf den Fliehenden aufmerksam zu machen.
"Hier rüber! Schneidet ihm den Weg ab!"
Nur leise bekommt Octavian die Rufe des ihm folgenden Wachmanns mit. Zu sehr pocht das verbleibende Blut in seinen untoten Adern. Gefasst werden, das darf nicht in Frage kommen! Doch die Schritte hinter ihm werden leiser, verstummen schließlich. Ohne stehen zu bleiben rast Octavian weiter durch Hinterhöfe und Nebengassen. In der Hoffnung, nicht auf den anderen Trupp zu treffen. Dann hört er Schritte, Gerenne. Direkt vor ihm. Mit einem verzweifelten Sprung hechtet der Ventrue hinter eine nahe Scheune und kann erleichtert feststellen, dass die Wachen vorbeilaufen. So wie die Schritte des Wachtrupps, wird auch das Pochen in seinen Adern immer leiser. Doch er spürt etwas anderes. Das Tier. Seine Hände fangen an zu zittern, wheren sich gegen seinen Willen, sein Körper fängt an zu brennen und er merkt, wie er die Kontrolle verliert, merkt, wie ihm der Hunger zu Kopf steigt, wie er sein Bewusstsein brechen will. Nein! Mit unbändigem Willen gelingt es dem Ventrue, das Tier noch einmal zurückzudrängen.
Nach ein paar Minuten des Wartens, um zu schauen, ob die Luft rein ist, macht er sich schlussendlich auf zur Burg Vysehrad...
Klüngel
Es ist merkwürdig. Talc hatte sie bis dato immer am Tor abgefangen. Die ganze Burg ist beunruhigend still, als würde sie sich auf etwas vorbereiten...
Vorsichtig huschen Bruder William, Stefan und Larciel zu dem Nebengebäude, in dem bisher immer die Versammlungen abgehalten wurden. Links neben der normalen Tür, etwas versteckt hinter Buschwerk, geht eine steinere Treppe nach unten. Das muss der Keller sein, von dem Bernhard gesprochen hat. Die Tür ist abgeschlossen. Nach mehrmaligem Klopfen schließlich öffnet sich ein kleines Guckfenster. Talc's Stimme ertönt, flüsternd.
"Ihr seid es. Einen Moment."
Man hört im Hintergrund, wie ein Riegel von der Tür gehoben wird, ehe sich die nietenbeschlagene Eisentür öffnet.
Der Ghul Severus sieht nicht gut aus. Ausgezehrt, mit tiefen Augenhöhlen blickt er die Drei an.
"Folgt mir."
Von seiner Wortkargheit scheint er allerdings nichts verloren zu haben. Durch erdige Steingänge führt Talc das Klüngel vorbei an Spinnennetzen und kleinen Fackeln zu einer Holztür. In diesem Loch soll Severus also seine normale Zuflucht haben? Larciel mag es kaum glauben. Andererseits: Wahrscheinlich ist das hier unten nur seine Notresidenz.
Talc öffnet die Tür mit einem leichten Quietschen, bedeutet das Klüngel, einzutreten, und verschwindet den Weg, den sie gekommen sind.
Der unterirdische Raum ist nur mit wenigen Fackeln ausgeleuchtet und steht in krassem Gegensatz zum prunkvollen Ballsaal ein Stockwerk höher. Notdürftige Stühle stehen auf dem erdigen Boden, der den Schächten in der Silbermine wohl in nichts nachsteht. Sie scheinen nicht die ersten zu sein. Und am Verhalten der bereits erschienenen Kainskinder, alle außer Octavian, ist zu erkennen, dass niemand besonders glücklich ist, hier zu sein, während der Sperrstunde, und nicht in der sicheren Zuflucht. Die Angst ist insbesondere Beatrice ins Gesicht geschrieben.
Surgoss trägt die Kleidung einer armen Frau mit zerissenem Kleid, Kopftuch und lediglich Sandalen. Auch ihr Kind trägt bäuerliche Kleidung und sieht einem verängstigtem Welpen nicht unähnlich. Wie weit muss es gekommen sein, wenn sogar die eitle Toreador auf ihr Aussehen verzichtet?
Mit stillem Erleichtern nimmt Stefan zur Kenntnis, dass auch Alaches anwesend ist. Doch dank seiner blassen Haut und dem gelegentlich vernebelten Blick kann man deutlich erkennen, dass wenig Blut hat und sein Tier mit aller Macht bekämpft.
Bernhard ist in die Lumpen eines Leprakranken gehüllt, die so intensiv nach Krankheit riechen, dass weder Mensch noch Kainit ihm näher als zehn Schritt zu kommen vermag.
Allein Vater Johannes trägt zur Feier des Tages die Robe eines Bischofs, samt Stab und Bibel. Auf den ersten Blick vielleicht merkwürdig, auf der anderen Seite kann man sowas wohl auch als offensive Verteidigung verstehen...
Nach etwa zehn weiteren Minuten wird auch Octavian durch die Tür gebeten. Er sieht etwas mitgenommen auch, was wenig verwunderlich ist, hat doch jeder unter massivem Blutmangel zu leiden.
Nach wenigen Augenblicken erscheint dann Severus, ihm stehen die Sorgen ins Gesicht geschrieben.
"Ihr seid alle gekommen, gut. Ich fange ohne Umschweife an. Ich rief euch zusammen, um euch folgende Botschaft zu bringen. Prag ist verloren. Die Sterblichen, die diese Stadt überhaupt erst mit meiner Hilfe errichten konnten, wenden sich gegen ihren rechtmäßigen Herrscher. Nichts scheint den tobenden Mob davon abhalten zu können, uns zu jagen und zu vernichten, selbst wenn wir uns in die Schatten der Legenden zurückziehen.
Ich habe beschlossen, aus diesem bitteren Kelch nicht weiter zu trinken. Wenn es einen von Euch nach der Herrschaft über diese Stadt gelüstet, so hat er meinen Segen, wenn auch nicht mein Neid.
Unsere Zeit in dieser Stadt scheint vorüber. Ich rate einem jeden von euch, sich in dem hintersten Winkel seiner verborgendsten Zuflucht zu verbergen, bis dieser Wahnsinn von den Nebeln der Zeit verschluckt wurde.
Bis dahin will ich mich zurückziehen, nicht nur aus der Regentschaft, sondern aus der Stadt. Es wird von nun an sinnlos sein, sich mit seinen Problemen an mich zu weden, doch dafür mögt ihr meinen Segen haben, meine Gesetzte nach eigenem Gutdünken zu ändern.
Das war es, was ich Euch mitzuteilen hatte. Es wäre vermessen, Euch ein Lebewohl zu wünschen, darum will ich mich mit diesen Worten verabschieden:
Einmal sind wir bereits gestorben, lasst uns auch diese Prüfung bestehen. Sie kann kaum schlimmer sein, als der Tod."
Es vergehen Momente... Minuten, in denen sich nichts rührt. Irgendwie scheint alles ein wenig surrealer geworden zu sein...