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Autor Thema: Kapitel 2: Morgensonne  (Gelesen 139904 mal)

Beschreibung: Die Geschichte geht weiter...

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Sternenblut

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Kapitel 2: Morgensonne
« Antwort #1620 am: 21.04.2011, 00:18:39 »
Während Eretria sprach, bemerkte sie für einen kurzen Moment etwas, das sie irritierte. Ein Fremder saß inmitten ihrer Gruppe. Er hatte schwarzes, zu einem Pferdeschwanz geknotetes Haar, stechende eisblaue Augen und trug kostbare, schwarze Gewänder, die ihr irgendwie fremdartig erschienen.

Sie sah sich um. Keiner ihrer Gefährten schien über die Anwesenheit des Fremden irritiert. Sie sah wieder zu ihm. Er war verschwunden. Dort, wo sie ihn gesehen hatte, war Moandor.
"Ein Blick in die Welt beweist, dass Horror nichts anderes ist als Realismus." - Alfred Hitchcock

Mika

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Kapitel 2: Morgensonne
« Antwort #1621 am: 21.04.2011, 11:06:39 »
Eretria sollte aber sofort weiter erzählen. Nachdem Mika ihre Notizen mit ihrer unsicheren Hand beendet hatte.

Mika schrieb:
Aliya
- Stimme sprach seit Kindheit zu ihr - nahm Einfluss auf das Handeln Aliyas
- konnte Schatten sehen - wollte Schatten auslöschen - keine Gnade
- beherrschte von Kindertagen an Magie
- Prophet konnte hellsehen - erkannte zukünftige Gegner
- Ausrottung der Qamaish auf Rat des Propheten
- Verbindung zwischen Eretria und Aliya


Nur kurz zögerte die junge Bardin, als sie die Tränen bei Eretria sah. Doch kurz darauf entdeckte sie, dass sich Milan der Priesterin angenommen hatte und wagte dann doch einen Vorstoß mit ihren Fragen: "Mal eine Frage: Hattest du mal die Chance zu sehen, ob der Prophet Schatten in sich trägt? Und, viel wichtiger, hast du mal an Aliya heruntergeschaut? Ich frage mich, ob diese beiden, angesichts ihrer Taten, auf Dauer frei von Schatten bleiben konnten. Denn ihre Taten waren, obwohl sie für das Gute gekämpft haben, alles andere als gut. Eigentlich mussten um sie herum tiefe Schatten entstanden sein, denn ihren Worten und Befehlen folgten Krieg und der Mord an einem Volk."
Der Ursprung der Stimme war für Mika keine Sache, über die sie sprechen wollte. Für die Bardin war klar, dass das Ganze wenig bringen würde. Mehr als Vermutungen konnten diesbezüglich nicht angestellt werden.
Mehr als du glaubst.

Eretria

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Kapitel 2: Morgensonne
« Antwort #1622 am: 21.04.2011, 21:04:15 »
Als Eretria auf eine Reaktion der anderen wartete, blieb ihr Blick einen Augenblick auf Moandor hängen und fast schien es als wollte sie etwas sagen. Doch dann wirkte sie nur irritiert. Während sie dann schließlich Mika antwortete, glitt ihr Blick immer wieder zu dem ihr schon immer etwas seltsam vorkommenden Agenten zurück.
Sie schüttelte den Kopf.
"Nein, Mika mir ist etwas entsprechendes nie aufgefallen, aber ich habe auch nicht darauf geachtet. Ich weiß aber auch nicht, ob Aliya dies nur bei anderen sehen konnte. Ehrlich gesagt kann ich mir eine entsprechende Wahrnehmung eher als hinderlich und beängstigend vorstellen. Vielleicht kann ich im Falle eines späteren Traumes darauf achten. Jetzt kann ich dir deine Frage leider nicht beantworten. Es tut mir leid."
Dann überlegte sie. "Ich bin mir nicht ganz sicher. Aber als der Prophet Aliya den Attentäter vorstellte, gingen, wenn ich mich richtig erinnere nur von diesem Mann Schatten aus ..." Sie schüttelte den Kopf. "Nein ich könnte nur spekulieren."
« Letzte Änderung: 21.04.2011, 21:42:16 von Eretria »

Milan

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Kapitel 2: Morgensonne
« Antwort #1623 am: 22.04.2011, 10:22:53 »
Milan dachte kurz an den Tempel der Gestirne, besonders aber an die Begegnung mit dem Elfen. Doch den Gedanken schüttelte er lieber wieder ab. "Hm, vielleicht war das mit dem Schattensehen auch eine Sache des Standpunktes und vielleicht auch desjenigen, der Aliya die Schatten sehen ließ?" überlegte Milan. "Aber das können wir jetzt wohl wirklich nicht beantworten. Du hast allerdings gesagt, dass du zwei Quellen hast und ich nehme an, dass diese zweite Quelle der Attentäter ist, richtig? Was hat er dir berichtet? Vor allem aber meinst du, dass er loyal gegenüber Aliya war und dass er dir entsprechend auch die Wahrheit erzählt hat?"
Wenn der Glaube vorhanden ist, kann man selbst einen Heringskopf anbeten.

Eretria

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Kapitel 2: Morgensonne
« Antwort #1624 am: 28.04.2011, 21:55:49 »
Eretria überlegte wie sie die seltsame Unterredung mit dem Attentäter beschreiben sollte. Es gab so viele Dinge, die sie erfahren hatte und ihr schwirrte der Kopf immer noch von der Vielzahl an neuen Eindrücken.
"Das meiste habe ich am Morgen von dem Attentäter erfahren. Ich habe ihn gebeten mir zu erzählen, was er von der Geschichte weiß, weil ich nur wenig wüsste und Wissen Macht ist in dieser Situation." Sie lächelte in Richtung Mika. "Wenn du so willst, habe ich ihm doch etwas vorgespielt. Dass ich wieder voll und ganz Aliya werden möchte, so wie er eben der Attentäter Aliyas wieder wurde. Eine Notlüge." Die Geweihte schaute traurig. Fast schien es ihr peinlich, dass sie ein derartiges Spiel gespielt hatte.
"Jedenfalls hatte ich Erfolg, denn ich erfuhr viel über diese Zeit. Ich versuche einmal die Worte des Attentäters zu rekapitulieren:
Das Sonnenreich war einst ein gespaltenes Land. Es gab mehrere Kirchen, die sich die Herrschaft über das Land teilten. Jede von ihnen betete die Sonne an, doch jede auf ihre eigene Weise. Aliya war es, gemeinsam mit Tallion, die das Reich unter Aliyas Führung vereint hatten. Ihr Ziel war es, eine Welt des Friedens und der Einheit zu erschaffen, und in dem Sonnenreich ist Aliya dies zu einem guten Teil gelungen.
Aliya hatte die Fähigkeit, die Schatten aus den Herzen der Menschen zu vertreiben. Sie hat die Menschen gereinigt und sie vom Hass befreit. Es gab Feinde im Sonnenreich, aber auch ganze Länder, die sich gegen Aliya stellten. Und Tallion hat in seinen Visionen vorher gesehen, welche Feinde eine echte Gefahr für das gemeinsame Ziel darstellen würden.
Tallion hat dem Attentäter angeblich erzählt, dass Aliya anfangs sich dagegen gewehrt hat, Leute anzugreifen, die noch nichts Schlimmes getan hatten. Tallion riet angeblich Aliya, einen Barbarenstamm anzugreifen, den er als Gefahr betrachtete. Aliya habe es abgelehnt. Kurz darauf überfielen die Barbaren einen Tempel des Glaubens, und schlachteten grundlos alle ab, die dort lebten. Danach hat Aliya ihre Meinung geändert.
Einer dieser Feinde waren die Qamaish. Tallions Visionen zeigten, dass dieses Volk sich vereint gegen Aliya stellen würde. Das große Problem daran war, dass die Qamaish einen starken Kontakt zur Geisterwelt hatten. Und Tallions Vision zeigte, wie die Schamanen der Qamaish die Menschen des Sonnenvolks in den Wahnsinn trieben. Daher hat sich Aliya entschlossen, dieses Volk anzugreifen und vollständig auszulöschen...."
Eretrias Stimme war leise geworden und sie blickte unendlich traurig auf. Mika und Milan. "Welch eine Grausamkeit, doch wie wir drei wissen schlug der Plan fehl."

Milan

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Kapitel 2: Morgensonne
« Antwort #1625 am: 28.04.2011, 22:06:24 »
Milan versuchte Eretrias Worte in seine bisherigen Traumerinnerungen einzuweben, doch als Eretria innehielt, verlor er kurz den Faden und sah sie irritiert an, bevor er sich wieder fing. "Ja, uns ist bekannt, was geschah, aber mich würde interessieren, wie es aus Aliyas und aus der Sicht anderer geschah und vor allem, was es für Auswirkungen hatte. Bisher weiß ich nur, wie Aliya starb und welche Gefühle Marushan dabei hatte. Konnte dir der Attentäter mehr darüber berichten, was nach Aliyas Tod geschah?"

Irgendwie hatte Milan den Eindruck, dass Eretria weder über das Attentat noch über das, was danach passierte, sprechen wollte, was ihm klar machte, dass es nichts Gutes gewesen sein dürfte. Allerdings war mit Aliya doch die Führung des Sonnenvolkes zerstört worden - er erschauderte kurz bei diesem Gedanken -, war danach die Welt in den Schatten ertrunken oder hatte sich alles wieder beruhigt? Wohl eher nicht, denn aus dieser Zeit war nichts mehr bekannt. "Völlige Zerstörung?" fragte Milan leise, mehr zu sich selbst als zu den anderen.
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Eretria

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Kapitel 2: Morgensonne
« Antwort #1626 am: 29.04.2011, 10:00:29 »
Eretria nickte langsam, als Milan von völliger Zerstörung sprach.
"So etwas in der Art. Die Feinde Aliyas hatten sich den Tag eines großen Rituals ausgesucht, der Hohen Weihe. Mir ist nicht ganz klar, was dies war, aber nach dem Attentat brach das Chaos aus." Eretria wirkte traurig.
"Es entbrannte ein schrecklicher Kampf. Die ganze Hauptstadt wurde zu einem einzigen Schlachtfeld. Zehntausende starben an diesem Tag. Der Attettäter hat Shemiya getötet, und auch gegen Marushan gekämpft. Doch er war ein herausragender Kämpfer. Vielleicht der einzige an diesem Tag, der sich mit dem Attentäter messen konnte. Am Ende nutzte Marushan eine Gelegenheit, um zu fliehen.
Der Tod der Priesterin und der Fall der Hauptstadt stürzten das Reich ins Chaos, und die Gegner des Reiches nutzten ihre Chance. Das Sonnenreich wurde von allen Seiten angegriffen, und der wichtigste Verbündeter, das Königreich Elamor, weigerte sich, zur Hilfe zu kommen. Angeblich war das Bündnis mit Aliya als Person geschlossen worden, und mit ihrem Tod, so erklärte der König, war es hinfällig.
Was danach folgte, war eine Zeit des Krieges. Einige der Verbündeten hielten zum Sonnenreich, doch ohne Elamor waren sie nicht stark genug. Der ganze Kontinent wurde von Krieg überzogen. Es war, als wäre Aliyas Tod nur der Funke gewesen, der einen alles vernichtenden Waldbrand ausgelöst hatte."
Eretria hielt inne.
"Zum Abschluß erzählte mir der Attentäter noch, dass auch er schließlich in eine Falle ging:"
"Es war gut zwei Jahre später, als Tallion Marushan ausfindig machte. Die Reste von Aliyas Truppen kämpften noch immer um die letzten Bastionen des alten Reiches. Marushan führte seine Armee, aber auch er hatte sich verändert. Aus dem leidenschaftlichen Rebell war ein verbitterter Kriegsherr geworden, der seine Leute in den Tod führte, weil die Kämpfe nunmal geführt werden mussten. Tallion schickte den Attentäter zu ihm, doch eine Seherin namens Arelia warnte ihn. Es gelang dem Attentäter, in seine Festung einzudringen, nur um dort in einen Hinterhalt zu geraten."

Milan

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Kapitel 2: Morgensonne
« Antwort #1627 am: 03.05.2011, 08:30:22 »
Oder man bleibt solange ein Held, bis man selbst der Böse wird...

Milan hatte beinahe damit gerechnet, dass es mit Marushan kein gutes Ende genommen hatte. "Das heißt, dass damals die ganze existierende Welt sich selbst bekämpft und ausgelöscht hat? Deshalb gab es keine Aufzeichnungen." Milan lief langsamer, bis er plötzlich den Kopf hob. "Gut, dass es dieses Mal anders laufen wird, nicht wahr?" Er strahlte Eretria an, auch wenn sie die Sorge in seinen Augen sehen konnte.

"Erstens stehen wir nicht mehr auf unterschiedlichen Seiten, zweitens werden wir den Propheten und Gazriel aufhalten, bevor sie noch mehr Schaden anrichten und drittens..." Milan überlegte kurz. "Drittens wird schon alles gut gehen." Wieder grinste Milan und legte den Arm um Eretria, während sie weiter zogen. "Hat der Attentäter dir noch erzählt, wie es...es mit Marushan zuende ging? Oder konnte er das nicht mehr, weil er dem Hinterhalt zum Opfer gefallen ist?"
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Sternenblut

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Kapitel 2: Morgensonne
« Antwort #1628 am: 05.05.2011, 22:59:03 »
Der Rest des Tages verlief weitgehend ereignislos. Nachdem Eretria ihre Erzählungen beendet hatte, lief die doch sehr übermüdete kleine Gruppe schweigsam weiter, vereinzelt zogen sich die Gefährten auch auf die leeren Wagen der Karawane zurück. Eretria hatte noch zwei, drei Mal seltsame Sinneswahrnehmungen - sie sah fremde Personen, wo wenige Momente später Mitglieder der Karawane zu sehen waren.

Eine gute Stunde vor Sonnenuntergang erreichten sie die von Arawan angekündigte Gaststätte "Goldener Adler". Offenbar hatte der wohlhabende Händler die gesamte Gaststätte für die Mitglieder der Karawane gebucht. Da noch genügend Zimmer übrig waren, um auch die Gefährten unterzubringen. konnten sie diese Nacht noch in kuscheligen, weichen Betten verbringen.

Ihre Reise führte in den nächsten Tagen durch die kleine Stadt Silberbach - dessen Stadtherr, wie die Freunde wussten, vor wenigen Tagen in der Großen Feste ermordet worden war. Die Nachricht war offenbar bereits dort angekommen, und die Bürger der Stadt hatten als Zeichen der Trauer eine schwarze Fahne auf dem Marktplatz aufgehangen. Darunter lagen unzählige Blumen und Kränze. Der Graf von Silberbach war von seinen Untertanen offenbar sehr geliebt worden.

Die Reise führte die Gruppe an weiteren kleinen Dörfen, Gaststätten und Handelsposten vorbei, bis schließlich eine kleine Ansammlung von Zelten von der Ankunft in Handelsfest kündete.

Es war ein wenig, als würde man einen riesigen Jahrmarkt betreten. Nachdem die Karawane die ersten Ausläufer der Stadt hinter sich gelassen hatte, bot sich den Gefährten ein Anblick, der ein wenig an den Weißen Markt in Himmelstor erinnerte. Doch hier gab es keine Gebäude hinter den Ständen, keine festen Straßen und keine Gärten. Ein Zelt stand neben dem anderen. Wo eines abgebaut wurde, standen schon die Nachfolger bereit, um ein neues aufzubauen. Die Stadt war erfüllt von Geräuschen, Verhandlungen wurden geführt und Feste gefeiert, Spiele gespielt und Waren und Dienstleistungen angepriesen.

Dieser "ewige Marktplatz", wie man die Stadt auch nannte, hatte wenig von der Anmut des Weißen Marktes in Himmelstor, doch dafür war er von einer Lebendigkeit und Bodenständigkeit erfüllt, die man in der größten Stadt auf Thaikaris so nicht finden konnte.

Schon nach den ersten paar hundert Metern hatte man den Gefährten ein Dutzend alkoholischer Getränke, zehn Paar neue Kleider, Reitpferde, Schmuck und Geschmeide, Übungsstunden im Schwertkampf und in der Dichtkunst, Portraits und Massagen, Dienstleistungen der etwas "körperlicheren" Art und sogar einen Trinkwettbewerb angeboten. Die Kleidung der "Einwohner", wenn man sie denn so nennen wollte, schien aus allen Teilen der Welt zu stammen, und die Freunde konnten sogar zwei - heftig diskutierende - leibhaftige Zwerge und eine Gruppe mit Speeren bewaffneter Goblins erkennen. Letztere boten ihre Dienste als Leibgarde für jeden an, der genug zahlen konnte.

"Hier sind wir also", erklärte Arawan schließlich, als er die Karawane zum Stehen gebracht hatte. "Ich werde hier vorne meine Zelte aufschlagen. Ich danke allen Mitreisenden für die Begleitung und wünsche euch viel Erfolg in Handelsfest."

Nach diesen wenig gefühlvoll gesprochenen Worten wandte sich der Karawanenführer ab, und gab seinen Leuten Kommandos zum Aufbau einiger Zelte auf einem Platz, der gerade frei geworden war.
"Ein Blick in die Welt beweist, dass Horror nichts anderes ist als Realismus." - Alfred Hitchcock

Milan

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Kapitel 2: Morgensonne
« Antwort #1629 am: 08.05.2011, 15:09:55 »
Milan hatte die Tage unterwegs als sehr angenehm empfunden, auch wenn das, was hinter ihnen lag, und noch viel weniger das, was vor ihnen liegen mochte, sonderlich angenehm gewesen war und werden würde, dessen war er sich sicher, aber mit dem Elan seiner Mutter schien auch der seine wieder gekehrt zu sein und so war er zum Teil regelrecht übermütigt. Manchmal war er der Karawane leichtfüßig ein paar Meter voran geeilt, hatte sich hingehockt und irgendetwas auf dem Boden angestarrt. Auf die meisten in der Karawane, nicht zuletzt auch auf seine Gefährten, hatte dieses Verhalten vermutlich überdreht gewirkt - und genau das war Milan auch, aber seine Aktionen hatten dennoch Sinn gehabt. Er hatte versucht, Spuren zu identifizieren. Er wusste zwar nicht welche Spuren, aber er hatte versucht, sich beispielsweise die Abdrücke seiner Gefährten zu merken, Spuren, die Pferde und Räder von Wagen hinterließen. Es gelang ihm aber nicht immer, zweifelsohne sagen zu können, wer oder was vor kurzem ihren Weg entlang gelaufen war. Nur in einem wurde er immer besser: Er konnte das Wetter zunehmend sicherer vorhersehen, wie Waldemar es ihm erklärt hatte, und er achtete besser auf seine Umgebung.

Es war keineswegs so, dass Milan es als Notwendigkeit ansah, dass einer von ihnen diese Rolle übernahm oder er wusste, Waldemar irgendwie zu ersetzen, es war vielmehr so, als hätte der junge Mann, der vorher immer ziellos durch die Welt gelaufen war, die Welt endlich entdeckt. Und nicht nur die Welt. Eretria konnte spüren, dass Milan sich seit ihrer Abreise enorm verändert hatte. Nicht nur, dass er wieder fröhlicher wirkte, nein, er sah sie manchmal so durchdringend an, dass sie das Gefühl haben konnte, er könne alles in ihr deutlich erkennen. Natürlich konnte er das nicht und noch immer stellte er sich manchmal ziemlich umständlich an, besonders wenn sich die beiden näher kamen, aber er war an sich selbst gewachsen. Auch seine Dispute mit Mika schienen völlig in den Hintergrund gerückt, vielmehr machte er deutlich, dass er sie besser verstehen wollte, so dass er, wenn sie es denn zuließ, sogar ab und an ein paar Gespräche von sich aus mit ihr begann.

Mit Arue und Moandor, die ihm noch vergleichsweise fremd waren, versuchte er ebenso ins Gespräch zu kommen. Besonders versuchte er, mehr über Arues Fluch herauszufinden, über ihre Träume. Moandor schien ihm dagegen beinahe wie ein zweiter Beldin, wenngleich Moandor wesentlich zugänglicher war, als der Elf es gewesen war, und Milan keine Vergleiche anstellen wollte. Alles in allem schien Milan mit vielem zufrieden und doch beschäftigte ihn der Gedanke, was mit Marushan geschehen war. Bis man selbst der Böse wurde... ging es ihm permanent durch den Kopf. Er fragte sich, ob das eines Tages mit ihm auch geschehen würde und manchmal, wenn er Maruiko rief, wollte er dem Schildgeist diese Frage stellen, aber Maruiko war auch kein Gott, kein Hellseher und seine Ratschläge waren zwar meistens praktisch, aber oft auch missverständlich. Trotzdem genoss Milan die Gespräche mit dem Schild, die er meistens nachts und in den frühen Morgenstunden führte, wenn Eretria nicht dabei war und oftmals auch keiner der anderen. Andererseits tat Milan Maruiko oft den Gefallen, blieb etwas abseits der Karawane und rief den Schildgeist, damit er sich umsehen konnte, denn auch wenn Maruiko ein magisch erschaffenes Wesen war, das vielleicht keine Seele und keine Gefühle besaß, glaubte Milan manchmal, dass der Schildgeist einsam sei.

In den Stunden, in denen sie die Karawane "bewachten" und er sich nicht mit der Spurensuche oder dem Wetter auseinander setzte, trainierte Milan. In beinahe choreographischen Bewegungen sprang er mit Rapier bewaffnet durch die Gegend, vollführte die eigenartigsten Bewegungen, die ihm gerade in den Sinn kam und erinnerte sich dann wieder an die Stunden mit dem Schwertmeister, wobei es ihm nicht zu liegen schien, einfach nur zu fechten.

Als sie schließlich Handelsfest erreichten, war Milan schier überwältigt von dem Anblick. Er konnte kaum glauben, dass es sich bei Handelsfest wirklich um eine richtige Stadt handeln sollte. Zu sehr noch war sein Denken von dem bisher Erlebten bestimmt und es fiel ihm schwer, Dinge zu akzeptieren, die anders waren, als er es gewohnt war. In Himmelstor und in der Großen Feste gab es auch genügend unterschiedliche Menschen, aber hier kamen anscheinend sehr viel mehr verschiedene Völker zusammen, um so dicht beieinander zu leben und zu arbeiten. "Ich schlage vor, wir suchen uns hier erst einmal eine Unterkunft. Ob es hier so etwas wie ein Gast...zelt...haus...ähm...gibt?" Milan wusste gar nicht, wie er es ausdrücken sollte und sah sich daher etwas irritiert um.
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Eretria

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Kapitel 2: Morgensonne
« Antwort #1630 am: 08.05.2011, 20:14:16 »
Eretria versuchte während der Reise nach Handelsfest tatsächlich sich umgänglicher zu zeigen, als sie dies bisher bei vielen Gelegenheiten erschien. Sie versuchte viel zuzuhören und dann auch tatsächlich zu verstehen, was der- oder diejenige tatsächlich gemeint hatte. Trotzdem war Eretria auch leiser geworden. Fast schien es als hätte der Besuch in der Großen Feste, fast den genau umgekehrten Effekt auf sie gehabt, wie auf Milan. Während Milan manchmal aufgedreht wirkte, war Eretria genau das Gegenteil. Sie war ruhig und sie war nachdenklich.
Es war nicht so, dass sie unfreundlich war, aber sie hielt sich merklich zurück. Häufig saß sie während der Tage einfach auf dem ein oder anderen Wagen und blickte fast selbstvergessen nach vorne.
Doch sie war nicht selbstvergessen. Sie behandelte jeden, der sie ansprach mit ausgesuchter Höflichkeit. Sie kümmerte sich um die kleineren und größeren Verletzungen, die während einer solchen Reise immer mal wieder auftraten und sie hielt jeden Morgen und jeden Abend eine kleine Andacht an Mutter Sonne und die Zwei Monde, dass sie die Reisenden beschützten und ihnen den Weg leuchteten.
Milans Entwicklung machte der jungen Frau erkennbar Spaß. Häufig verfolgte sie sein Tun mit den Blicken und immer stahl sich ein Lächeln auf ihr Gesicht.
Zu den anderen Gefährten war das Verhältnis eher zwiespältig. Sie versuchte nicht noch einmal Mika zu einer Vorführung zu drängen. Arue gegenüber war sie freundlich, aber auch hier wurde sie nicht selbst aktiv. Sie war der Ansicht, dass eine Annäherung von Arue kommen müsste. Sie hatte schon einmal Schiffbruch erlitten, als sie Moandor mit Fragen gelöchert hatte. Diesen Fehler würde sie nicht noch einmal machen. Moandor war derjenige von ihnen, mit dem sie am wenigsten anfangen konnte. Sie stellte fest, dass sie die Geheimniskrämerei des Mannes nicht mochte.
Die seltsamen Veränderungen in ihrer Wahrnehmung behielt die Frau für sich. Sie glaubte, dass dies nicht an einem Lagerfeuer in einer Karawane besprochen werden sollte und darüber hinaus, hatte sie auch die Vorstellung, dass sie nur zu gut wusste, was ihr passierte. Ihr schien klar, dass dies möglicherweise Personen mit Verbindungen zur Vergangenheit waren, Personen mit ähnlichen "Lichter" wie ihrem eigenen.
Als sie Handelsfest erreichten, war sie über diesen Ort erstaunt. Sie bat Mutter Sonne um Unterstützung und die Zwei Monde um Schutz, dass sie das Mädchen hier aufhalten konnten. Als Milan vorschlug, nach einer Bleibe zu suchen, nickte sie.
"Ja, den Reisestaub abwaschen. Das wäre gut."

Sternenblut

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Kapitel 2: Morgensonne
« Antwort #1631 am: 09.05.2011, 03:29:15 »
Kaum hatte Eretria ihre Worte ausgesprochen, kam schon ein Mädchen von etwa zwölf Jahren auf sie zugerannt. Sie trug ein niedliches, wenn auch etwas verdrecktes rosanes Kleidchen und hatte ihre Haare zu zwei Zöpfen geflochten. Sie hatte eine ungewöhnliche, ins rötliche neigende Hautfarbe und große runde Augen. "Ihr baden? Ich euch zeigen wo baden", versprach sie in gebrochenem Thaikin, und hielt gleichzeitig fordernd die Hand auf.
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Rex Macallan

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Kapitel 2: Morgensonne
« Antwort #1632 am: 09.05.2011, 10:22:27 »
Moandor verbrachte nur sehr wenig Zeit bei seinen neuen Gefährten, zum einen weil es für ihn schlicht ungewohnt war immer mit den gleichen Menschen zusammen zu sein, zum anderen aber auch, weil er es pflegte immer möglichst viele Geschichten von den Mitreisenden zu erfahren -  hin und wieder ergaben fanden sich auf diese Weise interessante Spuren.
Nach dem Eretrias Bericht geendet hatte schlief er die meiste Zeit des ersten Tages und mischte sich am darauffolgenden Tag dann unter das reisende Volk. Ausgeschlafen und ausgeruht war Moandor ein Quell der guten Laune und man konnte ihn oft lachend und scherzend mit den anderen Reisenden sehen. Nur sporadisch erschien er bei seinen neuen Freunden, es schien ihm nicht so, als könnten sie viel mit ihm anfangen und im Moment konnte er nichts daran ändern. Ernsthafte Gespräche wollte er nicht auf der Straße führen und auch wenn Milan nun etwas weniger verstört schien als noch in der Stadt, so wirkte die Atmosphäre hier eher weniger spaßig und unterhaltsam.

Nach kurzer Zeit war er mit jedem in der Karawane persönlich bekannt und an jedem Lagerfeuer ein gern gesehener Gast, doch die meiste Zeit verbrachte Moandor mit einer Wächterin namens Dahlia. Er verstand sich sehr gut mit der jungen Frau, die ebenso wie Moandor von Natur aus mit einem frohen Gemüt ausgestattet und auch nicht auf den Mund gefallen war. So verbrachte er die meiste Zeit in ihrer Gegenwart und ging nur zum Schlafen zu seinen Gefährten zurück.

Als sie dann Handelsfest erreicht hatten, war es Zeit für den Abschied. Auch wenn Moandor nicht der Typ Mensch war, der einer flüchtigen Bekanntschaft hinterhertrauerte, ging es ihm doch ein wenig gegen den Strich nun wieder mit Milan, Arue, Eretria und Mika zusammen sein zu müssen, was vor allem Ernst und Arbeit bedeuteten und im krassen Gegensatz zu den letzten Tagen voller Müßiggang und Lachen standen. So schlenderte Moandor ein klein wenig missmutig aber vor allem sehr schweigsam hinter den anderen durch die Zeltreihen und erinnerte sich zunächst nicht daran, dass er schonmal hier gewesen war...

Lucanor

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Kapitel 2: Morgensonne
« Antwort #1633 am: 09.05.2011, 13:36:25 »
Arue versuchte die Gedanken, die sie selbst und diese merkwürdige dunkle Präsenz angingen, so gut es ging beiseite zu schieben und sich voll auf die vor ihr liegende Aufgabe zu Konzentrieren. Was ihr aber durch Milans Neugierde anfangs unmöglich fiel. So blieb ihr nichts anderes übrig als ihm das zu erzählen was er wissen wollte, um seinen Wissensdurst zu stillen. Dabei beantwortete sie jede seiner Fragen und versuchte sich nicht anmerken zu lassen wie sie die ganze Situation selbst belastete.
Nur manchmal schwieg Arue vehement und das war wenn es entweder darauf hinaus lief dass sie zu fiel von ihrer Vergangenheit preisgab oder es um die "Opfer" ihrer Kräfte ... oder was auch immer ... ging.

Doch selbst nachdem Arue zumindest Milan "zufrieden gestellt" hatte gelang es ihr nicht immer ihre Gedanken ganz von dem Thema abzulassen. Immer wenn sie Moandor sah schoss ihr unweigerlich der Gedanke an die noch vorhandenen Tränke in den Kopf. Damit konnte sie mehr über ihr Problem herausfinden ... aber andererseits war das auch etwas wovor sie sich zu fürchten begann.
Nichtsdestotrotz wollte sie diesen Versuch wagen und so versuchte sie ein ums andere mal dieses Thema bei ihrem neuen Begleiter zur Sprache zu bringen. Aber immer im letzten Moment zögerte sie, verlor den nötigen Mut für diesen Schritt oder aber Moandor war bereits in ein neues Gespräch mit jemanden anderen vertieft.

Abend für Abend zog sich die junge Schneiderin früh von den Lagerfeuern zurück und schneiderte in der Dunkelheit und Abgeschiedenheit ihres Karrens an den vielen Stoffen herum die sie in der zwischenzeit gesammelt hatte. Mit jedem Tag nahm das Stück an dem sie zugange war mehr und mehr an Form an und sie war selbst sehr zufrieden mit ihrer Arbeit. Sie achtete akribisch darauf das niemand ihrer Gefährten zu Gesicht bekamen was sie da jede Nacht fertigte.
Wenige Nächte vor ihrer Ankunft in Handelsfest passierte allerdings etwas was ihre ganze Arbeit zunichte machen sollte.
Wie Jede Nacht war Arue damit beschäftigt an ihren Stück zu Arbeiten und wollte gerade die letzte bahn Stoff zuschneiden, Als die Schere nach der sie gerade greifen wollte wie von Geisterhand selbst ihren Weg in Arues Hand fand. Angsterfüllt stolperte die Schneiderin bei dieser unbekannten Manifestation ihrer Kräfte zurück und fiel begleitet von ihrem erschrockenen Aufschrei und dem Geräusch von reißendem Stoff vom Wagen, wo sie einige Zeit reglos liegen blieb.

Seit diesem Tage konnte Arue ihre Niedergeschlagenheit nicht mehr verbergen. Nicht nur hat sie durch den Sturz den Stoff für ihr geplantes Meisterstück ruiniert, sondern hat sich auch eine neue Ausprägung ihrer Kräfte gezeigt.
Kaum ein Wort kam von da an über ihre Lippen und erst als Handelsfest in Sichtweite Kam hob sich ihrer Laune ein wenig.

Arue erinnerte sich daran einmal als Kind hier gewesen zu sein, auch wenn sich die "Stadt" seit dem deutlich verändert hatte. Aber nichtsdestotrotz bracht ihr dieser Ort einige schöne Erinnerungen wieder, wie sie mit ihrer Mutter zusammen auf Wanderschaft einst hier her gekommen war.
Und als schließlich das kleine Mädchen ihnen Anbot sie zu einem Ort zu führen wo sie sich waschen könnten, huschte sogar wieder ein Lächeln über ihr Gesicht.
Langsam ging die Schneiderin in die Hocke, um auf Augenhöhe mit dem Mädchen zu sein und kramte dabei zwei Kupfermünzen aus ihrer Tasche heraus, welche sie der kleinen vorsichtig in die Hand drückte.  "Danke für das Angebot, wir werden es gerne annehmen."
« Letzte Änderung: 09.05.2011, 13:38:22 von Arue »

Sternenblut

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Kapitel 2: Morgensonne
« Antwort #1634 am: 09.05.2011, 14:49:07 »
Das Mädchen strahlte Arue an, und blitzschnell verschwanden die Münzen in einer Tasche ihres Kleids. Gleich darauf fasste die Kleine Arue an der Hand, um sie sanft mitzuziehen. "Kommen, kommen, ist nicht weit! Hübsch machen!"
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