Es hat sich gelohnt, ihrer Eingebung zu folgen und an Deck zu kommen.
Amira hat vom Deck des Oneék
[1] einen hervorragenden Blick auf die „Stolz von Moesa“. Ein Tumult scheint auf ihr ausgebrochen zu sein. Zwar ist es im Licht der zwei Monde schwierig, Details zu erkennen, doch ist die Situation eindeutig als äußerst gespannt erkennbar. Einer der Männer krümmt sich, als wäre er verletzt. Ihm gegenüber sieht sich die einsame Gestalt einer Frau den Blicken der gesamten Mannschaft ausgesetzt. Einige von ihnen werfen ihr wüste Beschimpfungen an den Kopf, die in der Stille der Nacht . Manche drängen sich nach vorn, werden aber zurückgehalten. Eine weibliche Stimme plädiert laut auf die Unschuld ihrer Schwester.
Neben Amira versammeln sich nach und nach sowohl schlaftrunkene Firopolesen als auch Armanden. Die Reling ist für ihre Bedürfnisse gefertigt worden, sodass sie der Waisen gerade einmal bis zur Taille reicht. Lichtquellen gibt es nicht. Die kleinen Kerle können ebenso gut in völliger Dunkelheit wie im strahlenden Sonnenschein sehen. Durch ihre Augen muss die Szenerie deutlich erkennbar sein.
Seit nunmehr vier Wochen ist sie auf See, das erste Mal in ihrem Leben. Erst kürzlich traf sie erstmalig auf Armanden, ein Volk, das ihr bisher völlig unbekannt war und jetzt den Großteil ihrer Gesellschaft ausmacht. Anscheinend stammen sie aus den Verbrannten Landen. Auf ihr Nachhaken hin erzählten sie, dass Oneék wie die „Ba`aum Mèo“, ihr Schiff, alle Meere auf der Suche nach Einsicht und Erfahrungen durchkreuzen. Sie bieten ihre Dienste gerne Fremden an, denn das bedeutet kulturellen Austausch und neue Orte, die man besuchen kann. Moesa haben sie aus purer Neugierde besucht.
Bisher fielen sie stets angenehm auf. Sie erzählen gern, hören aber ebenso begeistert zu. Selbst das Fach-Kauderwelsch der Firopolesen genießen sie scheinbar in vollen Zügen. Amira tat sich damit gezwungenermaßen schwerer. Die Magi sind allesamt Exzentriker, insbesondere der wortangebende Magister Ephedrius, der sich ohne zu Zögern auf die Reling stellt, um besser sehen zu können. Selbstredend hat er jenes Fernrohr, auf das er so stolz ist, bei sich.
Vom anderen Schiff tönen immer mehr Rufe herüber. Scheinbar droht die Situation zu eskalieren. Was auch geschehen sein mag, ging definitiv nicht friedlich von statten. Sie kann nur hoffen, dass es nichts mit den Machenschaften ihrer Häscher zu tun hat. Wenn sie ihre Jugend eins gelehrt hat, dann das Wissen um den geheimen Einfluss, den Ruars Tempel auf den gesamten Kontinent hat.
„Bringt uns näher heran!“, befiehlt der Magus mit schnarrender Stimme, als wäre er Kapitän des Schiffs. Er gibt sich nicht einmal Mühe, seine Ablehnung zu verbergen. Für ihn sind die Armanden überbezahlte Hilfskräfte, die sich närrisch wie Halblinge verhalten.
Trotz seines Tonfalls reagieren die kleinen Gesellen ohne Murren. Aggressivität ist ihnen so fremd wie Hektik. Trotz des Ernstes der Lage schlendern sie eher als sie laufen.
Die „Mèo“ ächzt leise, als sie sich in die Kurve legt. Die in ihr eingeschlossenen Elementare manifestieren sich in einem leichten Brodeln, das sie konstant umschließt. Ohne sie würde das komplett aus den Schalen riesiger Krebstiere bestehende Gefährt wie ein Fels versinken. Es besitzt nicht einmal Ruder, geschweige denn Segel. Unwissende könnten es allein aufgrund seines riesigen Heckruders für eine fremdartige Ausgeburt der Tiefe halten.
„Gut-nicht!“, kommentiert einer der Armand, bevor er Amira mit glänzenden Augen anblickt. „Glück-nicht am Horizont-fern!“ Er deutet auf die „Stolz“ wie auf eine Begräbniszeremonie. Obwohl seine Worte kaum verständlich sind, schwingt berechtigte Sorge darin mit.