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Autor Thema: Das liederliche Spiel  (Gelesen 86129 mal)

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Sūn Ai

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Das liederliche Spiel
« Antwort #300 am: 10.10.2011, 12:41:03 »
Sūn Ai war von sich selbst enttäuscht, als sie die Antwort von Zhu hörte. Sie ist fest davon ausgegangen, dass ihr der Kristall abgenommen wurde bei der Festnahme und hatte daher nicht ihre eigenen Taschen durchsucht. An ihrem eigenen Gedanken war sie gescheitert, dabei war es klar, dass niemand außer ihr wirklich wusste, wie viel der Kristall für sie Wert ist. Es erstaunte sie, dass sie es geschafft hatte sich selbst zu täuschen, sich selbst einen Gedanken zu geben, der sie so fest fahren ließ. Gleichzeitig wurde ihr aber dadurch erneut bewusst, wie viel ein einzelner Gedanke bewegen kann. Langsam glitten ihre Hände in die Tasche des Kinimos. 'Es ist schön dass du hier bist.' Plötzlich fühlte sich Ai nicht mehr alleine und gestärkt.
Ihre Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf den Raum. Genau im richtigen Moment, denn vernahm noch die Geräusche aus dem Waschraum und als sie Lu Chiengs Reaktion bemerkte, lief sie ihm hinter her. 'Was ist hier passiert.' Fuhr es ihr durch den Kopf, noch bevor sie überhaupt den letzten verbleibenden Geruch oder das Erbrochene auf dem Boden richtig verarbeiten konnte. Es dauert kurz bis sie sich fasste und erst dann begann sie zu helfen. Vorsichtige stellte sie sich hinter Hong Gil-dong, stets bedacht ihre Kleidung nicht zu verschmutzen. Sie wälzte den Man auf den Rücken, weg seinem Erbrochenem und presste ihre schmalen Arme unter seinen Achseln hindurch, damit sie einen festeren Griff hat. Vorsichtig begann sie den Oberkörper des Mannes leicht anzuheben und ihn aus dem Raum zu schleppen. Es war nicht zu übersehen, dass dies ihr einiges an Kraft abverlangte. Als sie endlich den Teppich erreichte, legte sie Hong ab und zog rasche ihre Arme wieder hervor. Hastig atmete drei, viermal tief durch, bevor sie sich zwischen Hong und Xu setzte und sie betrachtete. Sie wollte wissen, ob die beiden sich bald wieder erholen würden oder sie rasche eine Arzt rufen sollte.[1]
 1. Heal für Hong: 18 für Xu: 17

Menthir

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Das liederliche Spiel
« Antwort #301 am: 23.10.2011, 21:01:44 »
05.01.1042 - Tag des Pandas - Früher Morgen

Lu Chieng und Sūn Ai zogen die beiden beinahe bewusstlosen Männer aus dem Waschraum. "Keine Sorge, Ai, ich bin bei dir. Ich helfe dir.", flüsterte der Kristall der einzigen Frau in dem Gefängnis zu, während sie sich daran machte, die beiden Männer zu untersuchen. Sie waren bei Bewusstsein, sie lebten und würden sich wieder erholen. Aber nun ging es ihnen schlecht, weil sich ihr Magen umgedreht hatte. Sie waren dementsprechend blass, ihre Augen waren vom Erbrechen von Blut unterlaufen. Sie brauchten nur etwas frisches Wasser und es würde ihnen bald wieder bessern gehen.

Ein Klopfen überraschte Lu Chieng und Sūn Ai, während Mako noch immer schweigsam bei sich war und sich um nichts zu kümmern schien. Das Klopfen ertönte nochmals, diesmal in kurzer Abfolge. "He, Gefang'ne! He!", tönte es an der Tür, als würde ein trunkener Mann vor der Tür stehen. "Wo is'n de Knauf an'ne Tür? He! Gefang'ne! He! Könnt ihr 'nem hilflos'n Mann helf'n, he?"
Scheinbar war der Mann auch dermaßen betrunken, dass er die Tür nicht mehr aufbekam. Man hörte das Lachen der Wachen, welche sich prächtig über den trunkenen Mann zu amüsieren trauten. "Hab's doch nicht so ärglich mit 'nem alt'n Mann, he! Macht mir auf und lasst'ns red'n.", drängte er auf die Aufmerksamkeit der Denunzianten. Seine Stimme klang gebrochen und schwächlich, der Alkohol tat seinen Rest. Würden die Gefangenen auch über ihn lachen oder ihn einlassen?
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Xū Dǎnshí

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« Antwort #302 am: 26.10.2011, 15:13:29 »
Noch immer drehte sich alles um ihn herum, als er langsam wieder zu Besinnung kam. Sein Magen krampfte sich zusammen, sein Atem war heiß und brannte in den Atemwegen, der ohnehin schwachen Lunge. Kraftlos drehte er den Kopf, um nach seinem Vertrauten Yu zu sehen und war erleichtert, ihn neben sich zu sehen, wenngleich er auch mit dem odem kämpfen musste. Dann wurde ihm gewahr, dass er im Gefängnis-Raum lag und die anderen um ihn herumstanden. "Gebt Acht! Etwas Übles lauert dort unten...", sagte er und seine Stimme war nicht viel mehr als ein Flüstern. Dann schloß er die Augen, um Kräfte zu sammeln.

Sūn Ai

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Das liederliche Spiel
« Antwort #303 am: 28.10.2011, 20:02:38 »
Sūn Ai war zutiefst erleichtert, als sie die Beiden fertig untersucht hatte. Zwar war sie keine fachkundige Heilerin, aber trotzdem vertraute sie auf ihr Urteil. Sie brauchte sich also keine Sorgen machen, dass es die nächsten Todesopfer in diesem Gefängnis gab, zumindest noch nicht jetzt.
Daher machte sie sich auf zur Tür, um die Wachen nach frischem Wasser zu fragen, als es auch schon klopfte. Es schien so, also würde alles plötzlich gleichzeitig passieren, denn auch Xū Dǎnshí regte sich. Unsicher für einen Moment, was die höchste Priorität hatte verharrte sie kurz und dreht sich zu dem alten Mann um. Es war nicht viel, was er von sich gab, aber was es war verunsicherte Ai stark, weshalb sie weiter verharrte. Beruhigend sagte sie zu ihm. "Darum können wir uns noch kümmern. Erst einmal müsst ihr euch erholen." Sie wollte nicht, dass sich Xū Dǎnshí zu viel sorgte. Die Aufregung tat ihrer Meinung nicht gut bei der Erholung und in ihrem jetzigen Zustand, konnten die Beiden niemanden helfen. Sie konnten ja nicht einmal erzählen, was genau sie mitbekommen hatten.
Erst das Rufen des angetrunkenen Mannes löste sie. Mit einer sehr sanften Stimme erwidert sie höflich. "Gerne helfe ich und öffne die Tür, aber wollen Sie uns vielleicht vorher ihren Namen verraten?"  Ihr Ton war weiterhin sanft und es war deutlich, dass es kein Befehl war und sie auch die Tür öffnen würde, wenn der Mann verweigerte erkennen zugeben, wer er war.

Menthir

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Das liederliche Spiel
« Antwort #304 am: 01.11.2011, 11:35:10 »
05.01.1042 - Tag des Pandas - Früher Morgen

Das Gelächter draußen wollte nicht enden, während man deutlich die erfolglosen Versuche des Betrunkenen hörte, wie er die Tür zu öffnen versuchte. Ein Klappern, ein Poltern, wahrscheinlich war er wieder zu Boden gefallen und das Gelächter wurde noch lauter, sodass Sūns Stimme nur schwach nach draußen klang. Xū Dǎnshí spürte, wie Yu sich langsam wieder in seiner Hand regte, aber noch sehr schwach war. Auch sie hielt nach einer Weile wieder mit der Bewegung ein, als wolle auch sie nochmal Kraft sammeln. Sūn Ai spürte, dass der Kristall ihre Gedanken zum Schwingen brachte, aber es folgten keine Worte, weil die Stimme von draußen lallend zu dichten begann.

"Ein Punkt nur ist es, kaum ein Schmerz,
Nur ein Gefühl, empfunden eben;
Und dennoch spricht es stets darein,
Und dennoch stört es dich zu leben.

Wenn du es andern klagen willst,
So kannst du's nicht in Worte fassen.
Du sagst dir selber: »Es ist nichts!«
Und dennoch will es dich nicht lassen.

So seltsam fremd wird dir die Welt,
Und leis verläßt dich alles Hoffen,
Bist du es endlich, endlich weißt,
Daß dich des Todes Pfeil getroffen.[1]"


Eine kurze Pause trat ein, dann sagte er in seiner typischen lallenden Stimme, während er unbeholfen die Tür zu öffnen versuchte. "Ich bin der Tod, mein liebes Kind. Und ich bin gekommen, um euch zu holen." Die Wächter draußen lachten, als gäbe es keinen Morgen mehr...
 1. Das Gedicht heißt "Beginn des Endes" und ist von Theodor Storm
« Letzte Änderung: 01.11.2011, 11:37:12 von Menthir »
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Lu Chieng

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« Antwort #305 am: 01.11.2011, 11:40:11 »
"Dann tritt nur ein Tod. Ich wusste nicht, dass der Tod zu den Poeten zählt." sprach Lu Chieng als er sich erhob und die Tür öffnete. Den Lachenden würde er einen bösen Blick zuwerfen und dem Betrunkenen ersteinmal in den Raum helfen und die Tür hinter sich schließen.
"Furchtlosigkeit ist die Tugend der Narren. Sie entsteht nicht aus Mut, sondern aus mangelnder Vorstellungskraft. Der Weise fürchtet sich und lässt sich trotzdem nicht von seinem Weg abbringen. Er wird nur vorsichtig."

Sūn Ai

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Das liederliche Spiel
« Antwort #306 am: 05.11.2011, 18:14:15 »
Die Worte des Mannes verunsicherten Sūn Ai. Sollte man den Tod einlassen, wenn er schon ankündigt, dass er einen holen sollte?  Auf der anderen Seite war es überhaupt der Tod? Wer aber gab sich schon als der Tod aus? Allerdings dachte sie auch, dass wohl das schlimmste, was man haben konnte, die Angst vor dem Tod.
Die Entscheidung was sie tun sollte, wurde ihr abgenommen von von Lu Chieng und so ging sie nur ein Schritt zurück. Nicht aus Angst, sondern so, dass der Mann eintreten konnte. Dabei blieb sie nah genug, um zu helfen. Sollte der Betrunkene Probleme haben, in den Raum zu kommen. Wenn es schon der Tod war, wollte sie ihm höflich und ohne jegliche Angst entgegen kommen. Gespannt wartete, sie also wer vor der Tür erscheint.

Xū Dǎnshí

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Das liederliche Spiel
« Antwort #307 am: 07.11.2011, 16:09:58 »
Mühsam richtet sich der alte Mann auf. Noch immer ist ihm schwindlig, so dass er sich auf den Boden stützen muss und schließlich, nach mehreren Versuchen, gelingt es ihm, sich an die Wand zu lehnen. Seinen Gefährten Yu nimmt er vom Boden auf und steckt ihn in eine Innentasche seines Gewandes.

Natürlich entging ihm die Ankunft des "Todes" nicht. Doch er kannte die Stimme von "Tod". Er runzelte die Stirn und kniff die Augen zusammen, um sich besser konzentrieren zu können. Dann fiel es ihm ein. Oft hatte er die Stimme nicht gehört. Einmal nur, doch sie war unverkennbar. "Nun, Bu Cao," rief er, "welche Überraschung, dass Ihr zu uns stoßen wollt. Sagt uns, Bu Cao, wer hat Euch geschickt? Wer wünscht unseren Tod?" Danshi war sich bewusst, dass seine Worte herausfordernd waren. Doch es war eine gute Gelegenheit, den Trunkenbold etwas zu reizen, um einen wichtigen Tip für seine Gefährten bekommen zu können.

Hong Gil-dong

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Das liederliche Spiel
« Antwort #308 am: 08.11.2011, 09:43:07 »
Hong's Magen rebellierte immer noch gegen den säuerlichen Geruch des Erbrochenen. Vorsichtig stützte er sich auf seinem Knie auf und brachte langsam das andere Bein in Stellung. Wackelig, doch ohne sich an die Wand zu stützen richtete er sich auf. Ein Gast an der Tür! Ein Kaisersohn! So rasch wie Möglich wankte Hong zum Waschtrog und stürtzte seinen Kopf ins kühle Nass. Wie ein Schlag traf ihn das Wasser. Schwarze Schlieren legten sich über seine Augen und weisse Sterne tanzten vor seinen Augen. Keuchend riss Hong den Kopf wieder in die Höhe. Ein paar Sekunden stütze er sich mit geschlossenen Augen am Rand des Waschtrogs. Dann zischte er mit gedämpfter Stimme zum alten General herüber "Was war das? Egal! Später! Wascht euch ihr habt noch Reste im..." unfähig das Wort zu finden fuhr Hong mit zum Halten gekrümmten Fingern von seinem Kinn zu seiner Brust hinunter um sich selbst einen langen Bart anzudeuten.
Bitterer Tee, mit Wohlwollen dargeboten, schmeckt süßer als Tee, den man mit saurer Miene reicht.

Mako Jinsei

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Das liederliche Spiel
« Antwort #309 am: 16.11.2011, 19:00:32 »
Mako dachte in seiner Zelle über seinen Fehler mit dem Jungen nach. Nach dem Frühstück ging er sogleich in seine Zelle zurück und hatte auch eigentlich vor dort zu verweilen als der Kaisersohn eintraf. Doch dieser Prinz schien ihm interessanter zu sein, als die voherigen, so dass er nach einer Weile doch vorsichtig und leise hinaus ging, sein Instrument jedoch in seiner Zelle ließ und sich vor selbige setzte um zuzuhören.

Nachdem der Kaisersohn gegangen war, begab sich Mako sofort wieder zurück in seine Zelle, setzte sich auf sein Bett, nahm seine Yueqin zur Hand und sah sich zum ersten Mal aufmerksam in seiner Zelle um. Sein Blick streifte über jeden Millimeter der Zellenwand, -decke und -boden.[1] Dabei schlug er in regelmäßigen aber recht weit auseinanderliegenden Abständen die zweite Saite seiner Yueqin an, wobei er jedesmal eine andere, scheinbar zufällige Tonhöhe wählte.
Er stand nach kurzer Zeit auf um sich die Wand und den Boden genauer zu besehen, den Tumult um die Untersuchung der Latrine ignorierte er.

Als er jedoch von draußen das Gedicht vernahm hörte er sofort auf zu spielen, ließ sein Instrument sinken und verließ die kleine Zelle. Hier war jemand der - gar nicht mal schlecht - dichtete und von sich behauptete der Tod zu sein?
Erde kam uns bereits persönlich besuchen, mich wundert nichts mehr.
Der Barde setzte sich im Lotussitz auf den Teppich und nahm sein Instrument auf den Schoß. Er spielte einmal in schneller Folge den gesamten Tonumfang, so dass es trotz der 4 Saiten klang, als hätte jemand über eine 37 saitige Konzertzither gestrichen. Erwartungsvoll blickte er zur Tür, gespannt auf den poetischen Gast.
 1. Wahrnehmung 20 nehmen: 21
"An einem edlen Pferd schätzt man nicht seine Kraft, sondern seinen Charakter." -Konfuzius

Menthir

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Das liederliche Spiel
« Antwort #310 am: 20.11.2011, 19:50:38 »
05.01.1042 - Tag des Pandas - Früher Morgen

Mako durchsuchte seine Zelle, Stück für Stück. Die Zeit lief davon und das inzwischen durchaus fehlende Zeitgefühl sorgte für den Rest. Selbst das gezielte Durchsuchen der Zelle wurde so zu einer angenehmen Tätigkeit, eine Beschäftigung. Doch an dieser Stelle zeigte sich auch, dass die Gefangenen in einer Hinsicht privilegiert waren. Sie wurden regelmäßig besucht und teilten sich eine große Zelle. Eine der eisernen Grundsätze dessen, warum man Menschen einsperrte, nämlich um sie durch Isolation zu brechen, wurde hier nicht angewandt.
Doch auch diese Beschäftigung füllte Mako nicht ewig aus und irgendwann spürte er, wie seine Suche unkonzentrierter wurde, er immer mehr Details der Marmorierung übersah. Er fand nichts am Bett, nichts an der Tür, welches einen Rückschluss auf Besonderheiten zuließ. Erst als Mako Jinsei die Augen schmerzen und müde in die Leere auf die Marmorierung starren, bemerkt er, dass sich doch ein Muster darunter verbarg, fein und vorsichtig gewoben. Urplötzlich war des Barden Verstand wieder scharf und fokussiert, doch er verlor den Pfaden wieder. Schnell erkannte er, je unschärfer sein Blick war, je entrückter er auf das Muster schaute, desto mehr erschloss es sich ihm. Es schienen Schriftzeichen zu sein[1]. Danach hatte der Yueqinspieler den Gast gehört und war nach draußen getreten.

Der Gast antwortete erst, nachdem er sich durch die Tür geschoben hatte, welche Lu Chieng geöffnet hatte. Torkelnd kam ein auf unsteten Schritt ein glatzköpfiger, schmalbrüstiger Mann durch die Tür. Er war nur ein Hemd, würde man abfällig sagen können. Bei einer Körpergröße von gerade einmal 160cm dürfte der Mann keine fünfzig Kilogramm wiegen. Das Alter und der Suff hatten ihm tiefe Furche in das Gesicht gegraben, seine braunen Augen waren glasig vom vielen Schnaps. Er hielt sich nur mühsam auf den Beinen, hielt sich erst am Türrahmen und dann an der Marmorwand fest, die seinen schwitzigen Händen, die deutliche Spuren hinterließen, nur leidlich Halt boten. Xū Dǎnshí spürte, dass er sich nicht geirrt hatte. Auch wenn er deutlich gealtert war und ziemlich erbärmlich in seinen abgetragener Hofkleidung aussah. Es war Bu Cao, das berüchtigte Flüstern der Nacht. Xū erkannte, dass seine Hofkleidung noch den Gepflogenheiten der letzten Generation zutrafen. Während heute ein weiträumiger, aber doch sehr straffer Schnitt der Kleidung bevorzugt wurde, trug man vor einer Generation noch sehr wallende Ärmel und Beinkleid.
Betrunken und schwer auf seinen kümmerlichen Beinchen stehend, trug er seine Antwort wieder poetisch vor.
"Ich bin der wahre Tod
 der mich zum andern End
 schweigend geleitet,
 der aus mir Finsterlicht
 wie es die Erde bleicht
 wie es die Vögel schreckt
 wie es die Seelen scheucht
 schaurig bereitet.

 Mich ächten Stunden;
 ich störe das Licht
 und Kinder wenden ihr Angesicht
 wie vor schrecklichen Funden.

 Was ich noch lebe
 ist nur Firlefanz;
 wenn ich noch bebe
 ist’s nur ein Totentanz.

 Wer bin ich, da ich
 ein Heiliges zerbrach?
 Was bin ich, da ich
 ein Süßes erstach?

 In Schweigen ertrinken
 droben die Sterne.
 Im Gleichen versinken
 Nähe und Ferne,
 Unten und Oben.

 Ich habe gelebt –

 Stillerer Bruder,
 dich will ich loben
 der mich begräbt.[2]"

Er grinste wirr, blickte jedoch in die Leere, sprach alle und niemanden an. Der Raum füllte sich ein wenig mit dem Geruch starken, aber abgestandenen Alkohols.

 1. Ein Zauberkundewurf wäre notwendig, um zu erkennen, was dies ist. Alle Charaktere, welche Zauberkunde nicht belegt haben, können einen Intelligenzwurf machen, sofern Mako sie darauf aufmerksam macht.
Zauberkunde SG 19 (Anzeigen)
Intelligenzwurf SG 20 (Anzeigen)
 2. Das Gedicht "Ich bin der wahre Tod" stammt von Rudolf G. Binding
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Xū Dǎnshí

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Das liederliche Spiel
« Antwort #311 am: 27.11.2011, 10:36:05 »
Der Gast tauchte in einem sehr schlechten Moment auf und war noch dazu betrunken. Danshi spürte eine Regung in sich, die er sich nur selten gestattete: Ungeduld. Er verdrehte leicht die Augen, als der betrunkene Greis den Raum betrat. Aus dem Augenwinkel sah er Mako, wie er die Wand abtastete. Dann hatte er plötzlichen einen Eindruck von Schriftzeichen. Als er sein Gesichtsfeld auf diese Stelle zentrierte, waren sie wieder verschwunden. Wiederum drehte er den Kopf - und da waren sie wieder! Und sofort wurde es Danshi deutlich, dass es sich um einen Illusionszauber handeln musste. Sie waren die ganze Zeit genarrt worden und jemand hatte sein Spiel mit Ihnen gespielt. Er konzentrierte sich, seinen Geist klar werden zu lassen, um die Illusion zu durchdringen. Doch nichts geschah mit seiner Wahrnehmung, die Gefängnismauern blieben unverändert. Danshi runzelte verwirrt die Stirn. War der Zauber zu stark? Oder hatte er die Schriftzeichen falsch gedeutet? Spielte jemand ein grausames Spiel und flüsterte ihm ein, dass die mittlerweile gewohnte Umgebung nicht das war, was sie zu sein schien, um ihm dem letzten lebensweltlichen Anker zu nehmen, an dem sich der Geist festhalten konnte. Wie konnte man sich sicher sein, nicht wahnsinnig zu werden, wenn man seiner Umgebung nicht mehr trauen konnte? Danshi beschloss, diesen Vorfall zu ignorieren und wachsam zu bleiben. Er brauchte diesen Anker, vorerst[1].

Er wandte sich wieder Bu Cao zu. "Sagt mir, hasst der Tod seine Aufgabe so sehr, dass er sich in den Alkohol flüchten muss? Kann er sein Tagewerk nicht nüchtern ertragen? Was soll sein Auftreten in der Zelle bedeuten?", fragte er.
 1. das ist die Ingame-Erklärung für den missglückten Willens-Wurf

Menthir

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« Antwort #312 am: 28.11.2011, 22:18:07 »
05.01.1042 - Tag des Pandas - Früher Morgen

Jener, der sich selbst als Tod bezeichnete, lächelte dem alten Dǎnshí an, aber es war kein freundliches Lächeln, es war ein bemitleidendes Lächeln, welches immer mehr Trauer in den müden, alten Augen Bu Caos wiederspiegelte. Er wandte den Blick ab und ließ sich auf dem kleineren der beiden Teppiche nieder. Er mühte sich herunter und der Geruch des starken Geistes[1] bleib allgegenwärtig. Seine müden Augen schienen nur verschleiert und wollten gar nicht mehr aufklaren. Mühsam stützte er den linken Arm auf das linke Bein, welche im Lotossitz verweilten. Trotz einiger Schwierigkeiten hatte er sich in diese körperlich anstregende Sitzposition gebracht.

Er schwieg.

Sein Arm bewegte sich langsam weg und griff tief in den rechten Ärmel seiner Kleidung. Etwas längliches, holzartiges erschien in seiner Hand. Mako Jinsei erkannt sofort, dass es sich um eine Dizi halten mussten und auch die anderen konnten es erkennen, sobald er das Instrument ganz hervorgeholt hatte. Eine Bambusflöte. Der betrunkene Mann setzte sie an und begann zu spielen. Die Töne, er traf sie noch, auch wenn sein Gesicht angestrengt und bleich wirkte. Die Augen wurden wässrig, als er eine alte Weise spielte: Frühling auf dem Fluss Xiang[2]. Statt einer klaren Antwort, versuchte er durch die Wahl seiner Gedichte und seiner Musik etwas auszudrücken. Ob er in seinem Zustand selbs noch wusste, was dies war, das war eine andere Frage. Denn es war Beginn des Jahres und wie immer Chuang, war es ein trockener und milder Winter.
 1. in der Verwendung für hochprozentigen Alkohol
 2. Spring on Xiang River
« Letzte Änderung: 28.11.2011, 22:18:44 von Menthir »
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Mako Jinsei

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« Antwort #313 am: 29.11.2011, 00:15:44 »
Mako musste lächeln, als Bu Cao spielte. Das Stück gehörte zu seinen Lieblingen von den alten Liedern. Als der letzte Ton verklungen war, begann er zu applaudieren.
"Ich wusste nicht, dass Ihr ein solch geübter Musiker seid, Flüstern der Nacht, Bu Cao.", begrüßte er den "Tod", während er sich respektvoll verneigte.
"Mir fallen spontan einige Fragen ein, die ich Euch rein interessehalber stellen könnte, ich möchte ich aber auf eine einzige beschränken."
Während er sprach spielte Mako eine unkomplizierte Melodie auf seiner Yueqin, die einladend klang.
"Ich weiß, dass Ihr ein treuer und ehrenhafter Kämpfer sein müsst, daher bitte ich Euch diese Frage rein hypothetisch zu betrachten. Einmal angenommen, Ihr wäret noch im Dienst. Und angenommen Ihr hättet den entsprchenden Auftrag erhalten und wäret - ebenfalls angenommen - wäret bereit ihn mit voller Kraft und Leistung auszuführen.
Wie hättet Ihr den Kaiser ermordet?"


Mako hoffte, dass Bu Cao diese Frage nicht als Beleidigung auffassen würde, oder gar als Verdächtigung, er hätte es tatsächlich getan. Er wollte lediglich eine Einschätzung von jemandem, der sich offenbar auf dem Gebiet auskannte.
"An einem edlen Pferd schätzt man nicht seine Kraft, sondern seinen Charakter." -Konfuzius

Menthir

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« Antwort #314 am: 01.12.2011, 10:16:17 »
05.01.1042 - Tag des Pandas - Früher Morgen

Der Mann ließ sein Spiel mit einem schiefen Ton ausklingen, den er jedoch bewusst beschwor. Er beendete sein harmonisches Stück mit einem unharmonisches Schlussstrich, der deutlicher kaum sein konnte. Kurzzeitig hatte er mit Makos Melodie harmoniert dabei, beide Stücke hatten sich verwoben, bis Mako schließlich eine Frage stellte, die der Mann in der Art nicht erwartet hatte. Er ließ die Bambusflöte wieder verschwinden in seinen tiefen Ärmel und atmete schwer den Geist aus, der in gewisser Weise Besitz von ihm ergriffen zu haben schien.
"Habt keine Lust auf Rätsel; sehe ich ein.", erklärte er sich mit schwerer Zunge. "Wischt alle Symbolik weg, in der Hoffnung Klarheit zu finden und stellt selbst die Fragen; verstehe ich."
Mit zittriger Hand zauberte er aus seinen tiefen Ärmel ein kleines Porzellanfläschchen, auf dessen Bauch ein Kranich abgebildet war, dessen Flügel die Flasche umschlossen. Er öffnete den Verschluss und nahm noch mehr des Geistes zu sich.
"Habt Dank, für euer Lob, das ihr süß aussprecht, obwohl ihr der bessere Musiker seid." Noch ein Schluck des starken Alkohols, ehe das Fläschchen wieder in den Ärmeln verschwand.

Einige Momente ließ sich der betrunkene Mann Zeit, er schien dabei, als würde er, beschwert vom Alkohol, wegdämmern, seine Sitzposition sah auffallend unbequem aus und er hatte seine Mühe, seinen Körper unter Kontrolle zu halten. Seine Nase lief ein wenig, er zog sich fortwährend hoch.
"Wie hätte ich seine himmlische Hoheit ermordet? Ich hätte ihn das selbst übernehmen lassen, um allen Verdacht von mir zu lenken.", antwortete er dann schließlich mit lallendem Unterton. "Ich hätte kein Messer, keine Axt und keinen Zauber genutzt, sondern seinen Geist gemartert, bis er nur noch den Tod als Ausweg gesehen hätte. Ich hätte Zwietracht zwischen seine Söhne und Feuer in sein Reich getragen, um alle seine Leistungen zu schmälern. Ich hätte die Felder des grünen Juwels mit Salz verschüttet, Gift in die Brunnen der Viertel jener Städte geworfen, in denen mehrere Ethnien leben und in angespannten Frieden leben, ich hätte die Drachen auf die Fährten der Gläubigen geschickt und ich hätte ein unsichtbarer Terror sein wollen, ungesehen und doch omnipräsent. Das würde ich getan haben, hätte ich jene Macht. Ohne diese Macht hätte ich dem himmlischen Kaiser die Illusion geschenkt, dass alles so sein würde, wie ich es beschrieben."
Er schloss die Augen und ließ den Kopf etwas hängen. Jetzt, da er sein Schweigen gebrochen hatte, war er auch bereit Xū Dǎnshís Frage zu beantworten.
"Ihr seid ein Höfling, wie die anderen auch, wenn sich euer Leben auch durch eure Position geändert haben mag. Im Herzen seid ihr ein Höfling, Xū Dǎnshí. Ihr spottet, wie die anderen auch gespottet haben. Und so naiv tut ihr auch. Was hat das Auftauchen des Todes wohl zu bedeuten, alter Mann?", sagte er mit deutlicher Abneigung in der Stimme, die kurz die Trunkenheit ein Stück weit zu vertreiben vermochte[1].
 1. 
« Letzte Änderung: 01.12.2011, 10:26:46 von Menthir »
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