05.01.1042 - Tag des Pandas - Früher MorgenMako durchsuchte seine Zelle, Stück für Stück. Die Zeit lief davon und das inzwischen durchaus fehlende Zeitgefühl sorgte für den Rest. Selbst das gezielte Durchsuchen der Zelle wurde so zu einer angenehmen Tätigkeit, eine Beschäftigung. Doch an dieser Stelle zeigte sich auch, dass die Gefangenen in einer Hinsicht privilegiert waren. Sie wurden regelmäßig besucht und teilten sich eine große Zelle. Eine der eisernen Grundsätze dessen, warum man Menschen einsperrte, nämlich um sie durch Isolation zu brechen, wurde hier nicht angewandt.
Doch auch diese Beschäftigung füllte Mako nicht ewig aus und irgendwann spürte er, wie seine Suche unkonzentrierter wurde, er immer mehr Details der Marmorierung übersah. Er fand nichts am Bett, nichts an der Tür, welches einen Rückschluss auf Besonderheiten zuließ. Erst als Mako Jinsei die Augen schmerzen und müde in die Leere auf die Marmorierung starren, bemerkt er, dass sich doch ein Muster darunter verbarg, fein und vorsichtig gewoben. Urplötzlich war des Barden Verstand wieder scharf und fokussiert, doch er verlor den Pfaden wieder. Schnell erkannte er, je unschärfer sein Blick war, je entrückter er auf das Muster schaute, desto mehr erschloss es sich ihm. Es schienen Schriftzeichen zu sein
[1]. Danach hatte der Yueqinspieler den Gast gehört und war nach draußen getreten.
Der Gast antwortete erst, nachdem er sich durch die Tür geschoben hatte, welche Lu Chieng geöffnet hatte. Torkelnd kam ein auf unsteten Schritt ein glatzköpfiger, schmalbrüstiger Mann durch die Tür. Er war nur ein Hemd, würde man abfällig sagen können. Bei einer Körpergröße von gerade einmal 160cm dürfte der Mann keine fünfzig Kilogramm wiegen. Das Alter und der Suff hatten ihm tiefe Furche in das Gesicht gegraben, seine braunen Augen waren glasig vom vielen Schnaps. Er hielt sich nur mühsam auf den Beinen, hielt sich erst am Türrahmen und dann an der Marmorwand fest, die seinen schwitzigen Händen, die deutliche Spuren hinterließen, nur leidlich Halt boten. Xū Dǎnshí spürte, dass er sich nicht geirrt hatte. Auch wenn er deutlich gealtert war und ziemlich erbärmlich in seinen abgetragener Hofkleidung aussah. Es war Bu Cao, das berüchtigte Flüstern der Nacht. Xū erkannte, dass seine Hofkleidung noch den Gepflogenheiten der letzten Generation zutrafen. Während heute ein weiträumiger, aber doch sehr straffer Schnitt der Kleidung bevorzugt wurde, trug man vor einer Generation noch sehr wallende Ärmel und Beinkleid.
Betrunken und schwer auf seinen kümmerlichen Beinchen stehend, trug er seine Antwort wieder poetisch vor.
"Ich bin der wahre Tod
der mich zum andern End
schweigend geleitet,
der aus mir Finsterlicht
wie es die Erde bleicht
wie es die Vögel schreckt
wie es die Seelen scheucht
schaurig bereitet.
Mich ächten Stunden;
ich störe das Licht
und Kinder wenden ihr Angesicht
wie vor schrecklichen Funden.
Was ich noch lebe
ist nur Firlefanz;
wenn ich noch bebe
ist’s nur ein Totentanz.
Wer bin ich, da ich
ein Heiliges zerbrach?
Was bin ich, da ich
ein Süßes erstach?
In Schweigen ertrinken
droben die Sterne.
Im Gleichen versinken
Nähe und Ferne,
Unten und Oben.
Ich habe gelebt –
Stillerer Bruder,
dich will ich loben
der mich begräbt.[2]"Er grinste wirr, blickte jedoch in die Leere, sprach alle und niemanden an. Der Raum füllte sich ein wenig mit dem Geruch starken, aber abgestandenen Alkohols.