05.01.1042 - Tag des Pandas - Früher Morgen
Hongs Worte stachen wie ein Messer zu. Er war immer ein Shǎzi gewesen, just in diesem Moment war er immer noch ein Shǎzi und wahrscheinlich war es sein Schicksal, immer ein Shǎzi zu bleiben. Es war das Unausweichliche, das Unvermeidbare, das Unabwendbare in seinem Sein. Und wohl mochte er tatsächlich ein Wesen Menthirs sein, denn was passte mehr? Das Symbol, welches man mit dem Gott der Intrigen verband, war der schwarze Baum mit den purpurnen Früchten. Die Verlockung, welcher kaum jemand widerstand, führte zur Erkenntnis, eine sehr bittere Erkenntnis
[1], welche einem die eigene Fehlbarkeit und Dummheit vor Augen hielt. Und nun war es eben jener Baum, in Form eines Gartens, welcher seine Frucht, die Macht über einen Kontinent zu besitzen, anbot und Shǎzis Erkenntnis war eine bittere gewesen. Er erkannte, dass seine Dummheit unausweichlich war. Jedes Attribut, welches man ihm zuschrieben, war eine Farce, welche seine Hybris
[2] nur nährte. Jeder sprach vom Narr als wäre er ein Weiser, als wäre er ein Wesen durchdrungen vom Geiste der Genialität und doch war der Geist, der ihn durchdrang - jeder Gefangene roch dies - lediglich Alkohol. Dieses scheinbar undurchschaubare Spiel entpuppte sich in jenem Moment, in dem Hong Gil-dong feststellte, was Bu Cao, der Shǎzi, getan hatte, als so große Narretei, die eines Shǎzi mehr als würdig war. Diese Erkenntnis war der Geschmack der purpurnen Frucht, welche Bu Cao empfangen hatte. Ja, wahrscheinlich hatte er Zugang zum Garten erhalten, aber vielleicht war er schon in dem Versuch, ihn zu erreichen, zerbrochen. Wer wusste, wie unbarmherzig der Garten oder Menthir
[3] war?
Shǎzis Tränen versiegten langsam, seine Seufzen und Heulen ließ in gleicher Weise nach, schwarzgallig wurde er und still. Er blieb ermattet auf dem Teppich liegen, sein Gesicht verweint. Die Emotionen waren durch den Alkohol noch hemmungsloser hervorgebrochen, nur langsam fand er zurück in eine Stille. War es eine neue Maske oder nur die entwaffnete Gleichgültigkeit eines Verurteilten? Er ließ die Worte über sie ergehen, er konnte nichts mehr daran ändern. Die Geschmack der Erkenntnis lag noch immer bitter in seinem Mund. Langsam begann er zu sprechen, seine Stimme klang kraftlos, zermatert.
"Nicht jede Woche erschien jeder Kaisersohn. Ob wer erschien, das lag an der Bedeutung der Gefangenen und welche Hoffnungen man an die Gefangenen stellte. Ich hatte sie alle von Hand ausgewählt, aber das reichte nicht, um immer alle an jeden Gefangenen zu binden. Wenn einer der Kaisersöhne zu seiner Armee musste, ging er zu seiner Armee. Manche waren das erste Mal seit einem Jahr wieder bei einem Gefangenen. Auch sprecht ihr von der Prophezeiung? Ich kenne keinen, der sie auch kennt, außer meiner Person. Nein, nicht immer war unter allen Gefangenen alles gleich und nun ihr wart am Ende die Denunzianten." Seine Stimme blieb gedrückt.
"Aber ja, es steht etwas bevor. Das Reich liegt in Agonie darnieder und wartet auf den Todesstoß. Der Gläserne Drache wird demnach nicht mit euch sprechen, wie Hong Gil-dong es beschrieben hat. Aber auch die Erde hat zu euch gesprochen?" Etwas Neid war in seinen letzten Worten zu hören.
"Dies ist ein Hort der Erde, ein Inkarnationspunkt.", säuselte er fast vor Bewunderung und fuhr mit einer Hand über den kalten Marmorboden.
"Eine Zauberformel liegt auf diesem Gemäuer, und wer sie erkennt und versteht, der wird Erde Aug in Aug gegenübertreten können, heißt es. Ich habe sie nicht gefunden, ich habe sie nicht verstanden.", musste er aber niedergeschlagen zugeben.
Nur kurz währte sein Exkurs, ehe er sich wieder den Erkenntnissen der Denunzianten stellte. Er atmete schwer, blieb liegen und schaute nicht einmal in die Nähe der Gefangenen. Er starrte an die Decke.
"Qi hat keine Armeen, die Chuang zerstören. Er hat mich als Waffe benutzt. Das Letzte, was ich halte, das ist der Schlüssel zum Garten." Eine schwere Pause, doch Bu Cao regte sich nicht weiter.
"Es ist nicht das Blut, welches der Schlüssel der Kaiser war. Es war ihr Blut, welches einen den Garten erkennen ließ. Ihr Blut half ihnen verstehen, doch um in den Garten zu gelangen, dazu bedurfte es einen Schlüssel. Es half nicht zu wissen, wo der Garten war, denn der Garten ist nirgends und überall. Es half nicht zu verstehen, welche Bedeutung der Garten haben könnte."Er richtete sich auf, noch immer standen Tränen in seinen Augen, aber er hatte sich unter Kontrolle.
"Jeder Kaiser Chuangs braucht Chuangs Herz. Das Herz ist der Schlüssel." Bu Cao hatte blitzschnell ein Amulett gezogen. Das Amulett hatte die grobe Form eines Herzen und war aus einer tiefschwarzen Schuppe gefertigt. Nur leicht waren die rituellen Skarifizierungen auf der handtellergroßen Schuppe zu erkennen. War dies etwa eine Drachenschuppe? "Nur wer dieses Herz besitzt, kann Kaiser Chuangs sein, denn das Kaisertum Chuangs ist nicht nur an das Blut, sondern an das Herz gebunden. Solange die Kaisersöhne nicht wussten, wo der Leib des toten Kaisers war, solange konnten sie das Herz nicht haben. Solange keiner das Herz hatte, konnte keiner Kaiser sein. Sie konnten ein Imitat herstellen lassen, doch es war nicht dasselbe, es hätte keiner der anderen Söhne anerkannt. Er hätte ein Geschenk des Gartens schenken müssen, um die Wahrheit zu sagen. Ich..."Bu Cao hustete und wischte sich den Rotz aus dem Gesicht.
"Ich wusste, dass die Kaisersöhne erst Krieg gegeneinander führen würden, wenn sie dies hier finden würden. Sie konnten es nicht finden, weil sie den Kaiser nicht fanden. Sie hatten nicht geahnt, dass ich das Herz Chuangs trug. Und doch hatte ich nicht das Blut. Ich...habe gar mir das Blut besorgt, aber es war nicht mein Blut. Es half nichts...", spuckte er niedergeschlagen aus.
"Chuang lebte weiter, wenn ein Kaiser dieses Amulett an einen Sohn gab. Ich habe diesen...Fortgang...diesen Fluss umgeleitet und es..." Es war, als fiel es ihm schwer, das, was er dachte, auszusprechen.
"Der Tod holte den alten und geliebten Kaiser,
der Mörder war leider nur halb ein Weiser,
war er zwar in der Lage, mit Taten zu lügen,
so konnte er nicht alles und jeden betrügen,
Zwar konnte dieser Schuft sich verdrücken,
sich zwischen viele hängende Hälse bücken,
doch entkam er dem Himmel nicht ganz und gar,
wird sich nun hoffentlich der Gefahr gewahr,
dass er nun sitzt mit jenen, die nur Kleines taten,
und alsbald nun auf ihre Freiheit warten.
So ist es aller Aufgabe gemein,
zu finden das list'ge Schwein.
Doch die Zeit will einem die längsten Beine machen,
der General euren Kopf am Tag des Drachen,
darum flehe ich euch bitterlich,
findet den Mörder nicht nur für mich,
sondern rettet auch euch, die unschuldig sind,
und führt zur Schlachtbank das kranke Rind."Er zitterte.
"Es ist an mich gebunden. Ich kann es nicht weitergeben. Ich will...es...kann nicht.", sagte er unter Schmerzen.
"Ich habe es an mich gebunden, an mein Leben gebunden, damit kein Kaisersohn es...es mir nehmen kann! Seht, als Shǎzi konnte nicht sterben, also band ich es an mein Leben. Solange nicht nicht sterben konnte, konnte ich das Amulett nicht verlieren. Der Garten war mein, so dachte ich, doch war nur der Zugang der meine, der Garten....er entzog sich mir. Er entzieht sich mir. Ich...habe...mein...Reich...zerstör...t"Seine Lippen bebten wieder, Tränen rannen wieder wild über sein Gesicht. Er blickte zwischen allen Denunzianten hin und her und schaffte es doch nicht auch nur einem Blick zu begegnen, bis auf Lu Chiengs.
"Qi hat die Macht, Qi ist der Gläserne Drache, welche die Alben Ouroboros nennen. Er hat unendliche Macht, so scheint es, wenn man nur ein Mensch ist. Er hat viele in Chuang verflucht. Seid er in den Kirsch- und Pfirsichgärten die Uneinigkeit zu strafen schwor, ließ der Augenlose, der stets auf sich selbst schwor, Männer aus Chuang zu Shǎzis werden. Jede Generation hatte ihren Shǎzi, der am Hof diente. Ein Fluch, welches ein Mahnmal für den bevorstehenden Untergang sein sollte. Ein Flucht, der vergessen wurde und ein Hofamt wurde, hinter dem niemand mehr den Untergang erwartete. Nicht einmal ich, als ich vor fünf Jahren ein Shǎzi im Amt wurde, und wohl schon vorher einer war..."Er blickte auf das Shiv in Xū Dǎnshís Hand. Sein Lippen bebten, sein Blick war flehend.