02.01.1042 - Tag des Gauren - Früher Morgen bis MittagObzwar der Ort der Gefangenschaft nicht das Attribut der absoluten Feuchtigkeit oder gar Schäbigkeit verdient hatte, um als Kerker gelten zu können, mochte man sich als Eingekerkerter fühlen. Zwar gab es nicht, wie es im barbarischen Norden der Fall sein sollte, gemauerte Feldsteinwände, in denen Ketten mit Handfesseln verankert waren, welche eine feste Bindung des Gefangenen mit der Steinwand darstellte und diesem dann dementsprechend noch zusätzliche körperliche Schmerzen verschaffte, welche ihn zusammen mit Feuchtigkeit und Hunger ausmergelten. Doch die Fesseln dieses Ortes waren andere, das Folterinstrument, wenn man in der Gegend der aufrührerischen Elben verbleiben mochte, ein Würgeisen
[1], jedoch nicht materiell manifestiert, sondern eher geistig verankert. Das immer enger werdende Würgeisen war die fortlaufende Zeit, welche bis zur Vollstreckung des Todesurteils immer unaufhaltsamer wurde. Und die Folter wurde verstärkt, denn die Türen in die Freiheit waren nicht einmal abgeschlossen oder stark bewacht, auch wenn auf einen Ausbruchversuch der Tod stand. Noch war es erst der zweite Tag, aber es war vielleicht nur eine Frage der Zeit, bis dass der erste Denunziant die Nerven verlor und eine kopflose Flucht versuchte. Wenn dies wirklich ein Spiel war, wie es Shǎzi zugeschrieben wurde, musste es für den durchtriebenen Wahnsinn stehen, welcher diesem Narrenkönig, als welcher er gerne bezeichnet wurde, gerne zugeschrieben wurde. Perfidität und Perversion, zwei Begriffe, welche stets mit ihm zusammen genannt wurden.
Das Eis zwischen den Gefangenen schien langsam zu schmelzen, die Feuchtigkeit in den Gliedern schien durch Worte ausgetrieben werden zu wollen und zumindest regte das schlechtes Essen zu zaghaften Gesprächen an, doch diese wurden schnell wieder unterbunden von lauten, polternen Schritten, welche die Treppe schnellen Schrittes runterstürmten. Das Klirren eines zerbrechlichen Gegenstandes ertönte und ein erschreckter Aufschrei einer Frau, gutturale Sprache brüllte wütend in einer den Denunzianten fremden Sprache auf. Obzwar Hong dieser Sprache auch nicht mächtig war, kannte er diese Stimme zu gut, sie gehörte Boss, einem Hünen von einem Hobgoblin. Es war bekannt, dass auch Boss ein Eunuch war, aber anhand seiner Stimme war das nicht zu erkennen. Aber auch nur die Wesen, welche Eunuchen nur aus den Bildern und Worten des Volksmundes kannten, glaubten, dass man einen Eunuchen stets an der Stimme erkennen konnte, denn so galt nur, wenn die Eunuchen in Kindesalter kastriert wurden, dass sie eine weiche Stimme behielten, während erwachsene Männer, welche kastriert wurden, Bartwuchs und Stimme behalten konnten, nur in den seltesten Fällen bildete sich sowas zurück. Doch ehe man sich solchen Gedanken zu lange hingeben konnte, wurde die Tür aufgeschmettert, dass sie an die Wand krachte und ein sieben Fuß großes Ungetüm, welches noch etwas gebückt ging und wohl hoch aufgeschossen war und durch schlechte Haltung etwas zusammengeschrumpft schien, betrat den Raum. Das Ungetüm hatte rotbraune Haut und seine Gesichtszüge schienen mehr an eine Fledermaus, denn an einen gewöhnlichen, wenn auch etwas größeren, Hobgoblin zu erinnern
[2]. Man konnte ihn getrost als hässlich bezeichnen, aber das würde ihm sicherlich nichts ausmachen. Seine Stimme erfüllte sofort den Raum, nachdem er die Tür wieder zugeknallt hatte.
"Ah, Lao Hong[3]," bellte er lachend,
"du wolltest mich also sehen. Sehr lustig." Der Hobgoblin, der in voller Rüstung erschienen war und eher an einen Barbaren aus Xian erinnerte, denn an einen Palastdiener des Himmels, sprach nur Hong an und schien die anderen Denunzianten nicht einmal wahrzunehmen. An seinem Gürtel steckten ein langes Menschenschwert, welches in seinen Händen sicherlich eher mickrig aussehen würde, und ein langer Dolch. Mit hinterhältigem Grinsen strich er über einen Totenkopf, der auf seine linke Schulterplatte gestanzt war und bleckte die Zähne.
"So ist das Lao Hong. Jetzt hängen sie dich doch auf. Sie haben für dich was besonderes vor. Sie hängen dich an deinem Arsche auf, sodass dein Oberkörper frei im Gerüst schwingen kann. Dann versuchen sie mit verbunden Augen und mit Keulen bewaffnet nach deinem Kopf und deinem Körper zu schlagen, bis du auseinanderfällst." Der Hobgoblin lachte über seine Aussage herzlich und bewegte sich dabei so heftig, dass er die restliche Suppe umstieß. Er lachte danach sogar noch lauter, als die restliche Brühe vom Teppich aufgesogen wurde, und blickte sich dann doch unter den Gefangenen um.
"Hab gehört, jemand von euch hat Zázhǒng zum Weinen gebracht, wer war das?" Er klang fordernd und wenig erfreut dabei und schien mit einem Mal ungeduldig zu werden.
"Aber Formalitäten und dergleichen beiseite. Ich habe nicht viel Zeit für euch alle, also sagt schon, was ihr von mir wollt." Er schien ernsthaft darüber erstaunt, dass man mit ihm über diesem Fall reden wollte, und auch ein wenig verärgert.