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Autor Thema: Das liederliche Spiel  (Gelesen 85218 mal)

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Xū Dǎnshí

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Das liederliche Spiel
« Antwort #150 am: 20.01.2011, 20:23:25 »
Mir scheint, der Kaisersohn sitzt einem kulturellen Solipsismus auf. Als ob der das Kaiserreich die einzige Kultur hervorbrachte... Er konnte dem Drang wiederstehen, den Kopf zu schütteln, stattdessen nahm er noch von dem Tee, bis er sich sicher war, dass Chuang Wang nichts mehr hinzufügen würde. Ich bin mir sicher, dass das Reden des Kaisersohns in sich brüchig ist. Doch ich sollte mir auch bewusst sein, dass - bei aller Sicherheit - ich es sein kann, der im Unrecht ist. Dann fragte ich mich jedoch noch immer, warum das Reich zerbricht. Zu früh, um einen Gegenbeweis zu versuchen. Hm... vielleicht lasse ich ihn noch ein wenig weiter sprechen.

"Bitte lasst die Gan aufstehen. Ich sehe, dass sie Schmerzen haben müssen, und habe Mitgefühl mit ihnen.", sagt Danshi mit Blick auf die Gan, die sich in der knienden Haltung sichtlich erschöpfen mussten. Ungeachtet, ob der Kaisersohn seiner Bitte nachgehen wollte, fuhr er fort: "Wenn ich Euch recht verstanden habe, dann sagt Ihr, dass die Kultur den Menschen Schutz vor der Willkür des schlechten Menschen biete. Sie ist es, die durch Erziehung, Normen und Gesetzen den Starken davor bewahre, den Schwachen zu vernichten. Sie stiftet Ordung, lenkt unser Gespür für die Schönheit der Natur, den Fortschritt und gibt den Menschen zu Essen. Sicherlich wird das Reich von außen bedroht, doch auch von Innen droht Gefahr. Lasst mich bitte ganz naiv sein, wenn ich frage, wie es sein kann, dass der kultivierte Mensch sich selbst bedroht."

Danshi schien sogar selbst ein wenig verwirrt, als er unter Stirnrunzeln nachzudenken schien. Schließlich fügte er noch hinzu: "Verstehe ich Euch auch richtig, dass der Kaiser Souverän und Garant der Kultur sei, während er selbst an sie gebunden ist? Ist es so, dass Ihr die Begriffe Kultur, Gesetz und kaiserliche Herrschaft aus diesem Grund mehr oder weniger gleichbedeutend verwendet?"
« Letzte Änderung: 20.01.2011, 20:25:16 von Xū Dǎnshí »

Sūn Ai

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Das liederliche Spiel
« Antwort #151 am: 20.01.2011, 21:49:20 »
Sūn Ai saß still schweigend da, während die Männer sich unterhielten. Man merkte, das sie den Tee genoss, denn sie trank mehr als 2 Tassen, mehr konnte man aber von ihr nicht feststellen. Wenn sie nicht gerade trank, lächelte sie nur leicht und lauschte gespannt dem Gespräch.
Ständig schien sich ihre Meinung zu ändern. Immer wieder vollzog sie die Punkte der Gesprächspartner nach und dachte zu verstehen was vor sich geht. Sie lernte eindeutig aus dem Gespräch, war sie doch so abgelenkt von ihrem eigenen Tod gewesen, dass sie die wirklichen Ausmaßen ganz vergessen hatte. Das gesamte Reich, die Welt, wie sie sie kannte stand auf dem Spiel. Allerdings mochte das nicht unbedingt etwas schlechtes bedeuten, konnte es aber. Sūn Ai war zutiefst unsicher, wovon sie sich versuchte nichts anmerken zulassen. Sie hatte Angst etwas falsches zu sagen, wo dies doch recht schwer war. Daher verstecke sie es hinter dem Schweigen. Die gesamte Naivität ihres Denken beruhte wahrscheinlich auf ihrem junge Alter und wie wohl alles zur Zeit auf den momentanen Umständen.
Erst das Verhalten des Kaisersohnes gegenüber der Gan Brüder ließ Sūn Ai sich entscheiden und belebte ihre Lippen. Sie konnte es nicht genau zu ordnen, aber trotzdem schien es ihr, wie Machtdemonstration. Zögerlich fing sie an.
Ich kann euch verstehen, dass es euch nah geht, was mit dem Reich Chuang passieren könnte. Aber wie viel liegt euch an euch selbst? Von dem was ihr sagt, liegt vieles zur Zeit an uns. Man will uns für sich gewinnen, aber sind nicht wir das Augenmerk, sondern viel mehr der Mörder? Als Sohn des Kaisers steht auch ihr im Mittelpunkt und wenn dies hier wirklich ein Spiel sein sollte, habt ihr viel mehr Möglichkeiten als wird. Mit ihren Worten wird sie nicht wirklich sicherer, aber trotzdem fährt sie noch fort, weil sie noch auf die Brüder zu sprechen will. "Was ihr sagt zur Kultur, wieder spricht sich in meinem Kopf. Wären die Gan Brüder wirklich so vorbildlich erzogen, wären sie dann wirklich einfach so in diesen Raum hinein geplatzt. Und soll euer Verhalten auch die Kultur darstellen?"
Sie verstummte wieder. Sie mochte es nicht, wie der Kaiserssohn die beiden Brüder niederknien ließ. Zwar hegte sie keine besondere Sympathie für die Brüder, es ging ihr viel mehr um die Unterdrückung.

Menthir

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Das liederliche Spiel
« Antwort #152 am: 24.01.2011, 12:34:25 »
03.01.1042 - Tag des Affen - Morgen

Der Kaisersohn war scheinbar ein wenig verwundert, dass die schweigsame Frau doch noch in das Gespräch eingriff. Er blickte sie einen Moment an und nickte dann, antwortete jedoch zuerst Xū Dǎnshí. Der Kaisersohn griff zu seinem Guan Dao zu legte es auf den Schoß. Auch wenn die Waffe nicht das Gewicht hatte, welche manche sagenhaften Waffen dieser Gattung haben mochten, war sie eine sehr schwere Waffe, welche bestimmt über vierzige Pfund wog. Die Muskeln Chuang Wangs spannten sich, als er sie mit einer Hand auf seinen Schoß hob. Er zeigte die Klinge, auf welche ein Tiger eingeätzt war, der sich in grünlicher Farbe von der ansonsten silbrig-glänzenden Klinge abhob. "Nur weil die Kultur einen schützenden Schirm über die in ihm lebenden Bewohner hält, heißt es nicht, dass jedweder Schützling sich dieses Schirmes gewahr ist und es heißt auch bei weitem nicht, dass jedweder Schützling diesen Schirm gutheißt. Nur weil die Kultur auch ein entschärfendes Element darstellt, heißt es nicht, dass seine Partizipanten ihre eigenen Träume, Wünsche, Triebe abstellen und völlig gezähmte Katzen werden, welche sich einfach nur in ihr Schicksal fügen. Ich würde es drastischer ausdrücken. Solange die Kultur einen bevorzugt, heißt man sie gut. Sollte man sich selbst als Verlierer dieser Kultur sehen, aus welchen Gründen immer, ob sie nun real oder nur empfunden sind, ob sie nun Teil einer Gruppe oder individuelle Gefühle wiederspiegeln, widerspricht man dieser Kultur einfacher. Manche Wesen vergessen schnell, was ihnen die Kultur bringt. Sie risikieren den Schutz des Schirmes, um individuellen Bedürfnissen nachgehen, die nicht immer mit den Leitbildern der Kultur einhergehen. Oder sie nutzen gar diese Leitbilder, um in subtiler Manier diese Leitbilder zu unterminieren." Der Kaisersohn juckte sich an der Nase und strich dann wieder über den Bart, seine Stimme wurde fast etwas wehmütig. "Hach, was wäre es eine schöne Illusion, wenn man jedem die Vorzüge der Kultur näherbringen könnte. Aber so weit reichen unsere Arme nicht, dass wir jeden vollends überzeugen können. In unserer Tätigkeit als Lehrer und Leiter versagen wir bisweilen und verlassen uns zu sehr auf den Selbsterziehungseffekt der Kultur. Und deswegen wirken wir manchmal hilflos, aber auch genau deswegen gibt es Dinge, wie die Waffe, wie das Gesetz und unsere Leitlinien unserer großen Lehrer, um uns und die Abtrünnigen immer wieder an diese Kultur mit ihren Funktionen und Traditionen zu erinnern."
Er blickte jetzt zu Sūn Ai und band ihre Fragen mit in seine Antwort ein.
"Und deswegen nutzen wir auch Strafen. Würde es keine Restriktionen für unser Handeln geben, dann würden wir keine Kultur haben. So wohl erzogen wir auch immer sein mögen, es gibt die Momente, in denen wir uns über die Kultur zum eigenen Vorteil erheben wollen. Anstatt die wirklichen Probleme unseres Zusammenlebens zu bekämpfen, werden wir Selbstdarsteller, bessere Gaukler. Wahrhaft Edle gibt es zu selten. Das Zusammenleben basiert niemals nur auf freiwilligem Übereinkommen. Auch die Gan sind nicht edel. Sie haben bestimmt einen Befehl in der Tasche und über diesen Befehl begehen sie Insubordination an meiner Person, weil eine andere Person ihnen diese mir gegenüber in Aussicht gestellt hat. Die Gan nutzen diesen Schutz, welcher der Einzelne ihnen gewähren will, weil es ihren Vorlieben entspricht, weil sie mich hassen. Aber die Gesetze des höfischen Lebens befehlen ihnen, und sie merken dies gerade, dass diese höher stehen als die Willkür eines anderen Mannes, sich der gerechten Strafe für ihr Handeln zu beugen."
Chuang Wang lächelte milde zu Sūn Ai und zum Beamten und sprach gleich weiter, wollte einer Gegenfrage zuvorkommen.
"Sicherlich könnte man jetzt denken, dass ich nun diese Gerechtigkeit zur Farce machte, indem ich die Insubordination als alleinigen Grund nähme. Meinen Stolz vorschieben würde, um solch eine Lappalie zu begleichen. Das dürft ihr glauben, wenn ihr wollt, andererseits hat sich wahrscheinlich keiner von euch die Mühe gemacht, die Werkbank überhaupt zu untersuchen. Was wäre, wenn diese Fremden, die sie gebracht haben sollen, Hinweise dort versteckt hätten oder dergleichen? Ich würdet ihrer beraubt werden."

Nachdem er diese Worte im Raum stehen ließ und sich ein letztes Schälchen Tee einschenken ließ und es sofort ansetzte, um es zu trinken, kam er zurück auf das Thema der Kultur. Den Teil über das Spiel ließ er weg. Sein Blick auf Sūn Ai war deutbar. Er hatte diese Frage in unterschiedlicher Art und Weise mehrfach beantwortet bisher, es war ihm wahrscheinlich zuwider, diese Frage auch ein drittes oder viertes Mal zu beantworten.
"Es ist bezüglich des Kaisers so, dass jede Kultur nicht nur ihre Leitbilder braucht, einen Grund sich mit ihr zu identifizieren. Das kann Gerechtigkeit, es kann Weisheit sein, es können viele andere Punkte sein. Aber vor allem braucht man neben diesen Leitbildern auch jene, welche sie verkörpern. Der Kaiser ist der Vermittler zwischen den Göttern und der sterblichen Welt, er ist unser weltlicher Herr. Wenn dieser der Kultur, welcher er vorsteht, nicht ansatzweise zu folgen bereit ist, werden auch seine Untertanen die Tradition und die Gebote des Zusammenlebens in Frage stellen und ein Teil von ihnen, der sowieso zu Individualismus neigt oder sich ungerecht behandelt fühlt oder gar wird, wird sich gegen die Kultur stellen. Natürlich ist der Kaiser nicht alleine verantwortlich für das Hegen und Pflegen der Kultur, jedoch würde seine Abkehr davon eine enorme Rolle spielen und deswegen sind diese Worte Kultur, Gesetz und kaiserliche Herrschaft zwar nicht gleichbedeutend, aber hier in Chuang stark, wenn nicht gar untrennbar, miteinander verwoben. Und so kommt es, dass der Kaiser ein Interesse daran haben muss, dass er Wahrer der Kultur ist und gleichermaßen sich an sie selbst halten, weil er sonst kein Wahrer sein kann. Er würde seinen eigenen Untergang mit Willkür heraufbeschwören. Die theoretische Möglichkeit, als Alleinherrscher ohne tatsächliche Einschränkung in der Funktion der Machtausübung, alles nach eigenem Gutdünken gestalten zu können, spiegelt nicht die tatsächlichen Möglichkeiten wieder. Selbst ein absoluter Herrscher kann nicht absolut gegen sein Volk regieren, wenn er seine Herrschaft wahren will. Und aus diesen Gründen ist es auch wichtig, dass der nächste Herrscher es zu beherzigen weiß."
Er nickte Xū Dǎnshí zu, um zu zeigen, dass er fertig war mit seinen Ausführungen und trank dann den letzten Schluck aus seiner Teetasse. Die Gan mussten weiterhin in ihrer Position hocken, langsam traten Tränen ihn ihre Augen. Der Kaiser beachtete sie jedoch nicht weiter. "Mako Jinsei, meine Zeit schwindet dahin. Würdet ihr noch eure Kunst zum Besten geben?"
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Hong Gil-dong

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Das liederliche Spiel
« Antwort #153 am: 24.01.2011, 13:06:33 »
Wenig überzeugt lauschte Hong dem Monolog des Kaisersohns. Tatsächlich wird jemand der nur die ihm nützliche Kultur kennt, diese zu schätzen wissen. Doch zeigte nicht gerade Xū Dǎnshí seine Zweifel. Gerade er war auch ein Nutzniesser der Wonnen des Himmlischen Gartens. Wenn man nur den Schein der Monde kennt, zieht man diesen der Dunkelheit vor. Doch nur jemand mit einem Herz aus Eis wird die Monde dem warmen Schein der Sonne vorziehen, wenn er sie kennt.
Die letzten Worte des Kaisersohns bohrten sich in Hongs Erinnerung und brachten eine weitere Frage nach oben. Der nächste Herrscher? Der wievielte wird es sein?[1] "Auch wenn ihr die Kultur zu schätzen wisst, solltet ihr ihre Ablenkung noch eine kurze Antwort aufschieben," wandte Hong sich an Chuang Wang. "In der Nacht besuchte uns ein Shinobi und erzählte uns eine rätselhafte Geschichte. Chuang der Himmlische, Xian von der Erde und Qi der Unscheinbare. Qi neidete Chuang's paradisischer Garten und prophezeite «Chuang, dreiunddreißig deines Geschlechts mögen nach dir herrschen, doch hast du dann Feuer und Wasser nicht befriedet und ihnen nicht auf Dauer trotzen können und die Erde nicht wieder an deine Seite geholt, werde ich deiner Herrschaft ein Ende setzen. Dann soll keiner diesen Garten haben.»" Nur eine kurze Pause gönnte Hong dem Kaisersohn um die zu stark verkürzte Geschichte nachzuvollziehen, bevor er das Rätsel weitergab: "Der wievielte Kaiser ist gestorben? Wer ist Qi?"
 1. 

„Die Reiche Chuang und Xian waren gegründet, aber das Feuer der Welt war nicht erloschen und das tosende Meer hatte sich nicht beruhigt. Qi erschien im Garten des Himmels und erneuerte seine Prophezeiung. «Chuang, dreiunddreißig deines Geschlechts mögen nach dir herrschen, doch hast du dann Feuer und Wasser nicht befriedet und ihnen nicht auf Dauer trotzen können und die Erde nicht wieder an deine Seite geholt, werde ich deiner Herrschaft ein Ende setzen. Dann soll keiner diesen Garten haben. Nimmermehr!»
Qi erkannte, dass Xian auch so uneinsichtig wie ein Berg selbst geworden ist und schenkte auch ihm die Prophezeiung erneut."
Bitterer Tee, mit Wohlwollen dargeboten, schmeckt süßer als Tee, den man mit saurer Miene reicht.

Lu Chieng

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Das liederliche Spiel
« Antwort #154 am: 24.01.2011, 19:53:50 »
Nachdem erneuten langen Monolog des Kaisersohns saß Lu Chieng nur da und starrte auf den Boden. Wer genau auf seine Miene achtete würde vielleicht ein leichtes Zucken seiner Gesichtsmuskeln sehen.

Während die Denunzianten hier in einem Verließ, in Lu Chiengs Meinung, aussichtslosen Situation saßen, redete dieser Mann von Kultur. Genau der Kultur die drauf und dran war sie, wenn schon nicht unschuldig, so doch übertriebener Weise zum Tode zu verurteilen. In seinem Geiste sahe er sich aufstehen und gegen eine Wand schlagen, aber keine seiner Emotionen gelang wirklich an die Oberfläche.

Interessiert würde er der Antwort des Generals auf die Frage Hongs hin lauschen.
"Furchtlosigkeit ist die Tugend der Narren. Sie entsteht nicht aus Mut, sondern aus mangelnder Vorstellungskraft. Der Weise fürchtet sich und lässt sich trotzdem nicht von seinem Weg abbringen. Er wird nur vorsichtig."

Xū Dǎnshí

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Das liederliche Spiel
« Antwort #155 am: 26.01.2011, 18:47:02 »
Während der Ausführungen runzelte der alte Mann die Stirn. Der Kaisersohn schien es sich in vielen Punkten sehr einfach zu machen und in anderer Hinsicht war seine Analyse viel zu verkopft. Eben wollte er zu weiteren Fragen ansetzen, da ergriff Hong das Wort. Danshi beschloss zu schweigen, denn es erschien ihm wichtig, dass das Gespräch sich nicht verzweigte.
« Letzte Änderung: 26.01.2011, 18:57:39 von Menthir »

Menthir

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Das liederliche Spiel
« Antwort #156 am: 27.01.2011, 15:11:50 »
03.01.1042 - Tag des Affen - Morgen

Chuang Wang zog erst eine Augenbraue zweifelnd hoch, doch dann wurde er etwas bleicher, seine Hand begann wieder zu zittern. Dann verfiel er in dasselbe Schweigen, welches Lu Chieng und Xū Dǎnshí begonnen hatten.
Mit einer Handbewegung schickte er die Dienerin raus, bedeutete ihr mit sanften Gesten, dass sie die Sachen zusammenstellen soll. Das Mahl und der Genuss des Tees waren für den Moment eingestellt. Der Kaisersohn sah aus, als würde ihm gleich das Schwalbennest wieder hochkommen. Er schluckte schwer.

"Ein Shinobi war bei euch?", begann der Kaisersohn jetzt. "Das bedeutet, dass Xian etwas damit zu tun haben könnte. Die Shinobi sind die besten Spione, welche Xian in seinen Reihen hat. Gleichwohl kommt mir die Geschichte von Qi dem Unscheinbaren bekannt vor. Und auch in Xian spricht man ehrfurchtsvoll von den wahren Shinobi, welche die Männer eines gewissen Qi sein sollen." Der Kaiser verließ seine disziplinierte Position und mit einer Handbewegung ließ er die Gan aufstehen und schickte sie aus dem Raum. Sie verließen den Raum schweigend, doch humpelnd und mit tränenden Augen, ohne jedoch die Werkbank mitzunehmen. Die Diener hatten derweil auch das Geschirr und die Essensreste zusammengeklaubt und verließ den Raum jetzt ebenfalls. Alleine der Kaisersohn war jetzt im Raum, und die Denunzianten.

Er schwieg eine ganze Weile, erst dann legte er die linke Hand in die rechte Hand und begann nun ganz leise zu sprechen, sodass er kaum zu hören war. "Mit meinem Vater ist der vierunddreißigste Herrscher gestorben. Die Qi werden mit den Ouroboroi[1] identifiziert. Sie verehren Ouroboros an sich, als Zustand nicht als Gott oder ähnliches. Qi[2] wird es auch in unserer Sprache genannt und ist in seiner Bedeutung damit noch etwas weiter zu fassen. Es ist schwer zu erklären. Es klingt nach Phantasterei, aber wer weiß, vielleicht nutzt dies auch ein Höfling als Metapher oder gar Allegorie für sein Handeln?"

Chuang Wang nahm sofort wieder seine diziplinierte Haltung an und gab das erste Mal einen direkten und mit nötigem Ernst ausgedrückten Befehl. "Sagt mir alles, was ihr über diesen Shinobi und dessen Geschichte wisst!"
Sein Interesse schien geweckt oder er sah es zumindest als willkommene Chance an, sich nicht weiter über die Kultur unterhalten zu müssen. Er schien drängen zu wollen. "Beeilt euch, es dauert nicht lang, da wird mein Bruder[3] kommen und den Vorfall mit den Gan klären wollen.[4]"
 1. Ouroboroi und der eigentliche Ouroboros
 2. 七 (Das Schriftzeichen für die Sieben (7 als Zahl))
 3. Chuang Qi
 4. Wahrnehmenwurf
« Letzte Änderung: 27.01.2011, 22:26:25 von Menthir »
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Mako Jinsei

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« Antwort #157 am: 29.01.2011, 19:01:21 »
Mako lauschte interessiert dem Gespräch des Kaisersohns mit seinen Mitgefangenen. Er hatte sich über diese Themen nie groß Gedanken gemacht, als dass er jetzt viel mitreden konnte. Aber das gab ihm die Gelegenheit drei Schalen der köstlichen Suppe zu leeren, ohne sich selbst durch Reden beim Löffeln unterbrechen zu müssen.
Er legte sein Essbesteck erst ab, als Chuang Wang ihn aufforderte aufgrund des Zeitdrucks mit seinem Yueqin-Spiel zu beginnen.
Als das Gespräch sich dem nächtlichen Besucher widmete kam ihm ein passendes Stück in den Sinn, so dass er beschloss beides miteinander zu verbinden.

Er griff nach seinem Instrument, dass nie weit von ihm war, und begann ein Stück zu spielen, dass er vor einiger Zeit komponiert hatte. Die Stimmung der Musik war relativ düster und die Melodie klang geheimnisvoll.
"Ich glaube nicht, dass der nächtliche Besucher ein waschechter "Shinobi" war.", sagte Mako während er spielte. "Ninjas werden zwar oft in Geschichten als schwarz vermummt und maskiert beschrieben, ich denke aber nicht, dass sie tatsächlich in dieser Aufmachung nachts in die Zellen von mutmaßlichen Mördern eindringen.
Wahrscheinlicher ist, dass der vermummte Herr einer der Ouroboroi war, der uns vielleicht auf seine Art helfen wollte. Aber er hat uns mit seiner Geschichte eher verwirrt und noch mehr Fragen aufgeworfen."
"An einem edlen Pferd schätzt man nicht seine Kraft, sondern seinen Charakter." -Konfuzius

Sūn Ai

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Das liederliche Spiel
« Antwort #158 am: 31.01.2011, 00:08:56 »
Sūn Ai wusste das Verhalten des Kaisers nicht einzuschätzen. Wurde sie so behandelt, weil sie eine Frau war? Wurde  Xū Dǎnshí wegen seines Alters bevorzugt? Bildete sie sie sich einfach etwas ein? Die junge Dame wusste es nicht und so blieb es auch. Wo sie am Anfang noch Sympathie für diesen Kaisersohn hegte, war jetzt eine nichts sagende Gleichgültigkeit. Es gab nur 2 Dinge an denen sie nicht zweifelte. Chuang Wang liebte die Kultur und er liebte sich selbst reden hören. Anders konnte sie sich nicht diese sturen langen Monologen erklären, aber bevor sie auch nur etwas erwidern konnte, brachte Mako den nächtlichen Gast zur Rede und so schwieg sie abwarten.

Die Neugierde des Kaisersohns überraschte sie nicht, so war ja auch sie gespannt wer dieser Shinobi wirklich war. Viel interessierter vernahm sie allerdings, dass der gestorbene Kaiser schon der vierunddreißigste war und somit waren die dreiunddreißig Generationen vorbei. War der Tot des Kaisers das beschworene Ende Chuangs oder ist die Prophezeiung überfällig und somit hinfällig. Die Lage des Reiches schien sich zu zuspitzen und doch musste Sūn Ai stets an ihr eigenes Leben denken. Immer noch ließ sich rein gar nichts über den Mörder heraus finden, vor allem unter den Denunzianten machte sich niemand verdächtig, obwohl jeder doch etwas mit den Hof zu tun hat oder hatte. Ihr selbst stand eine schwere Anschuldigung gegenüber der sie sich rechtfertigen müsste, selbst wenn sie ihre Unschuld im Kaisermord beweisen könne.
Ruhig und schweigsam lauschte sie dem Yueqin-Spiel und wartete, was Chaung Wang zusagen hatte.
« Letzte Änderung: 05.02.2011, 12:18:17 von Menthir »

Hong Gil-dong

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Das liederliche Spiel
« Antwort #159 am: 03.02.2011, 13:41:03 »
Hong bedeutete seine Zustimmung zu Mako's Meinung mit einem Kopfnicken. Die Tür und die Geräusche dahinter hatte viel stärker seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Der Shinobi benutzte die Türe. Das bedeutet, dass niemand dahinter stand und sie beobachtete, oder dass er ohne weiteres Zugang erhalten hatte. Vom Kaiserhof? Von der Wache?.
"Der Shinobi war bloss ein Maskierter bewaffneter, der sich seinen Worten nach wohl in der Umgebung von Lügnern und Tyrannen fühlt. Die Geschichte ergab wenig sinn. Viel interessante war, wie er unbemerkt die Türe öffnen konnte. Wessen Leute schoben Wache vor zwei Nächten?
Bitterer Tee, mit Wohlwollen dargeboten, schmeckt süßer als Tee, den man mit saurer Miene reicht.

Menthir

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Das liederliche Spiel
« Antwort #160 am: 05.02.2011, 12:35:09 »
03.01.1042 - Tag des Affen - Morgen

Der Kaisersohn begann der Musik zu lauschen und entspannte sich trotz der düsteren Melodie ein wenig. Er sackte kurz ein wenig in eine entspanntere Haltung, doch entschied sich dann dazu, dass er aufstehen sollte. Mit einer für sein Alter erstaunlichen Leichtigkeit stand er auf und nahm in einer flüssigen Bewegung seine schwere Waffe mit auf. Er streckte sich einmal ausgiebig und nickte dann. "Also kein typischer Shinobi eurer Beobachtung nach, sondern vielleicht einer der Ouroboroi.", wiederholte Chuang Wang die Erkenntnisse, die aufgenommen zu haben glaubte.
"Ich weiß nicht, wer Wache hatte, aber ich werde es in Erfahrung bringen. Durchaus werde ich das sogleich tun."
Der Kaisersohn blickte jeden nochmal an und ging dann zur Tür. "Ich werde jetzt gehen müssen, bevor ein falsches Bild entsteht. Ich werde meinen Bruder von euch ablenken, damit ihr ein paar Momente der Verschnaufpause habt." Der Kaisersohn sprach wieder mit freundlicher Stimme und verließ dann den Raum, wobei er darauf achtete, dass er die Tür nicht ganz öffnete, sondern durchschlüpfte.

Dann war der Gast wieder gegangen, aber er hatte den Denunzianten die Werkbank für den Moment erhalten und sicherlich einen bleibenden Eindruck hinterlassen, welcher Art auch immer dieser sein mochte. Draußen hob sich Stimmengewirr an, welches einem Gezänk glich, doch durch die vielen Stimmen kaumzu verstehen war. Irgendwo draußen waren die ergebenen, fast schmerzhaft hohen Stimmen der Ganbrüder zu hören und auch der barbarische Mann mit der Peitsche ließ diese scheinbar irgendwo knallen, dann entfernten sich die Personen immer weiter von den Gefängnistüren.
Ein Moment der Verschnaufpause hatte Chuang Wang nur versprochen, würde sich gleich der nächste Gast durch die Tür schieben? Würde bei einem weiteren Gast in der Stellung eines Chuang Wang gar Xū Dǎnshí sein Freigang, den Boss ihm versprochen hatte, genommen werden?
Noch immer lagen die letzten Nuancen des Geruches der Schwalbennestsuppe in der Luft, der rote Marmor war immer noch kalt und es stand die Erkenntnis, dass bisher an jedem Tag einer der Denunzianten gestorben war. Rosige Aussichten sahen anders an, gerade da die Gäste nicht den Anschein machten, als würden sie es den Denunzianten einfach machen wollen. Das mochte viel Gründe haben, wie deren innere Konkurrenz und des Argwohns untereinander, welche sicherlich auch bei den Denunzianten vorherrschte, gleicherweise konnten es aber auch Unkenntnis und Torheit sein, welche auch den Gästen im Weg stand. Vielleicht war es eine Verschwörung, vielleicht auch eher eine chaotische Situation, die keiner zu durchschauen schien. In der Ferne verhallten die letzten Schritte und Worte der sich entfernenden Gruppe.
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Lu Chieng

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« Antwort #161 am: 08.02.2011, 16:24:47 »
Nachdem des Kaiserssohns Schritte im Gang verklungen waren stand Lu Chieng umständlich auf. Zwar war er es gewohnt längere Zeit zu sitzen, doch in Kombination mit der unbequemen Nacht schien dies nichts wert zu sein. Vorsichtig streckte er seine Glieder.

"Also versuchen die Tauben von den Blinden antworten zu erhalten." dachte Lu Chieng grimmig. Es schien als wüßte man auch bei Hof nicht weiter und probierte mit Hilfe der Inhaftierten auf des Rätsels Lösung zu kommen. Inzwischen war Lu Chieng fast gänzlich davon überzeugt, dass keiner der Gefangenen etwas mit dem Tod des Kaisers zu tun hatte, auch wenn sie alle nicht ohne Übertretungen des Gesetzes schienen.

Unbeholfen lenkte er seine Schritte in Richtung des Raumes mit den Zubern um sich kurz mit kaltem Wasser sein Gesicht abzuspülen.

"So scheint dies nicht unser letzter höher Besuch zu sein für heute. Ich würde mich fast geehrt fühlen, wenn sie mir nicht einen Mord vorwerfen würden." sagte er zu niemanden bestimmten, als er sich gegen den Türrahmen lehnte.
"Furchtlosigkeit ist die Tugend der Narren. Sie entsteht nicht aus Mut, sondern aus mangelnder Vorstellungskraft. Der Weise fürchtet sich und lässt sich trotzdem nicht von seinem Weg abbringen. Er wird nur vorsichtig."

Xū Dǎnshí

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Das liederliche Spiel
« Antwort #162 am: 08.02.2011, 21:16:35 »
Danshi war ebenfalls aufgestanden und hatte sich die Werkbank angesehen. Er fragte sich, ob sich eines der Werkzeuge als improvisierte Waffe eignen würde. Er hatte mitnichten im Sinn, jemanden anzugreifen oder sich gar den Weg in die Freiheit zu erkämpfen. Wozu auch? Es würde seine bevorstehende Hinrichtung entgültig legitimieren und sein rechtschaffenes Handeln in Verruf bringen. Auch empfand er die Männer nicht als Feinde. Als Gegner? Eher als welche mit anderer Meinung. Jedoch einer, die ich nicht für richtig halte. Sie vielleicht ebenfalls nicht, auch wenn sie es sich nicht bewusst sind. Jedoch erinnerte er sich auch an die Warnung Sunzis: "In Friedenszeiten bereite Dich auf den Krieg vor; doch das wahre Ziel des Krieges ist der Frieden."

Würde er angegriffen, würde er sich verteidigen. In wenigen Tagen würde er hingerichtet. Früh genug...

Nach altehrwürdiger Anschauung beinhaltete jedes Element auch ihren Gegensatz. Was Krieg und Frieden anging, war sich Danshi der Richtigkeit dieses Postulats gewiss. Zu jeder Zeit war sein Leben gelenkt gewesen und Krieg und Frieden. Jetzt zeigte sich wieder das andere: Die Anwesenheit des Shinobis war Zeichen genug, dass auch der Kerker keine Uneinnehmbare Festung war.

Ohne sich umzudrehen, sagte er zu seinen Gefährten: "Ich meine zu ahnen, was Ihr denken mögt: Unter den Blinden sind die Einäugigen die Könige. Der Kaisersohn sagte es: Auf eine bemerkenswerte Art und Weise sind wir mächtig und frei. Doch Freiheit und Macht nutzen nur, wenn sie zu etwas gebraucht werden. Zu jeder Zeit verlangen wir etwas - Essen, Frieden, Familie oder... vielleicht Ideale? Was könnte es sein, dass wir verlangen?"
« Letzte Änderung: 08.02.2011, 21:20:44 von Xū Dǎnshí »

Xū Dǎnshí

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Das liederliche Spiel
« Antwort #163 am: 12.02.2011, 19:30:09 »
Danshis wurde in seiner Fragerei unterbrochen. Du Tür öffnete sich und Boss und zwei weitere Hobgoblin Wachen traten in die Zelle. "Nun gut, Xū Dǎnshí, dann bringen wir Euren kleinen Spaziergang hinter uns. Vecor weiß, was mich geritten hat, Dir dieses Versprechen zu geben, doch ich werde es einhalten.", schimpft der Boss, sichtlich nervös. Es war offensichtlich, dass es ihm unwohl war, doch nie würde er sein Wort brechen. "Ich warne Euch aber jetzt schon: Solltet Ihr irgendetwas krummes versuchen, dann wird es Euch sehr schlecht ergehen, wenn ich Euch wieder in die Finger kriege. Und bis dahin werde ich Eure Zellengenossen leiden lassen. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt, Xū Dǎnshí?"

Danshi nickte und ließ zweimal kurz seine Zunge schnalzen. "Ich werde Eure Güte nicht ausnutzen, Boss. Lasst mich nur eben noch meinen Vertrauten Yu rufen. Er wird sich sicherlich ebenso freuen, den Kerker für einige Zeit verlassen zu können, wie ich es tue.", fügte er erklärend hinzu. Eben wollte er zur Tür, da hielt ihn Boss mit der offenen Hand brüsk auf. "Nicht so schnell. Wir werden Euch die Augen verbinden, bis wir da sind!" Wieder nickte Danshi und ließ sich mit einem braun-grauen Wolltuch die Augen verbinden. Yakwolle, dachte Danshi, als er den Geruch des Tuches einatmete. Dann verließen sie die Zelle und liefen eine ganze Weile durch Gänge, verschiedene Räume und schließlich spürte Danshi den weichen Erdboden unter seinen Füßen und die kühle Winterluft in seinem Gesicht.

Schließlich blieben sie stehen und die Wachen nahmen Danshi das Tuch von den Augen[1]. "So, da sind wir im Pfirsichgarten im Hinterhof zu Shǎzi Haus", erklärte der Boss. "Ich bleibe bei Euch. Seht nach Norden, Osten, Süden, Westen! Überall sind Wachen. Eine Flucht ist unmöglich. Verbringt eine halbe Stunde zwischen den knospenden Bäumen und vielleicht findet Ihr ja auch eines Eurer Leberblümchen. Das ist alles; dann geht es wieder zurück." Ihre Blicke kreuzten sich und Danshi lächelte dem Boss wohlgemutig zu; doch dieser blickte schnell zu seinen Wachen. Es ist auch im Boss eine sehr menschliche Seite, auch wenn er sich seiner nicht gewahr sein will. Vielleicht wird er sie eines Tages entdecken und kultivieren, wie einen kleinen Trieb. Und schließlich erkennen: Wenn unsere Achtsamkeit diejenigen einschließt, die wir lieben, dann blühen wir wie Blumen auf[2] - und welches Geschöpf aus seinem Inneren heraus nicht liebenswert?

Dann wandte sich Danshi dem Garten zu. Wahrlich!, es war ein prächtiger Garten. Shǎzi hatte viele Pfirsichbäume pflanzen lassen, die bereits zu knospen begonnen hatten, denn Garten aber ansonsten recht wenig gestaltet, so dass es ziemlich natürlich wirkte. Ganz anders als die streng-angeordneten Kare-san-sui[3] des Palasts. Dort drüben wuchs Ginster, dort blühten verschiedene Krokusse. Ein kleines Bächlein floss schon beinahe schüchtern durch den Garten. Dort hinten war eine kleine Brücke, sicherlich eher zur Zierde, als dass sie einen praktischen Zweck hatte. Nahe der Brücke war eine kleine Bank. Danshi machte dem Boss deutlich, dass er sich auf die Bank zu setzen gedachte und dieser nickte.

Danshi setzte sich und schloss die Augen. Mehrmals sog er die kalte, frische Luft ein und atmete sie durch den Mund wieder aus. Dann öffnete er wieder die Augen und blickte mit einem verträumten Lächeln in den Garten. "Wahrlich Boss!, seht Euch diesen Garten an. Keine Schneeflocke fällt jemals an einen falschen Platz. Alles ist genau, wie es sein muss.", sagte er. Der Boss ließ sich nur ein dumpfes 'Hm' vernehmen. Es war offensichtlich, dass er wenig übrig hatte, für Danshis Naturbetrachtung. "Wir Menschen haben keine Klauen, wie die Bären, und keine Reisszähne, wie die Tiger. Wir sind klein im Vergleich zu den Elephanten und zerbrechlich, verglichen mit dem Stierkäfer. Doch wir sind uns unserer Selbst bewusst und können darüber über Vergangenes nachdenken und das Zukünftige in unseren Handlungen berücksichtigen. Wir haben gelernt, unser Handeln auf einander abzustimmen, die Natur zu unserem Zweck zu formen und die Welt in unserem Sinne zu deuten. Ja, wir blicken stolz auf unser Werk und sagen, wir seien in der Blüte unserer Kultur. Es scheint mir fast unglaublich, wenn ich das sage.", sagte Danshi, ohne den Boss anzublicken. "Wir glauben, unser Leben sei so gut, wie nie zuvor - und darum bangen wir, alles zu verlieren. Ja, wir haben eine Kultur erschaffen, die unsere Sinne beschäftigt hält, denn jeder stille Moment offenbart uns die Angst und damit verbunden den Zweifel, ob wir tatsächlich den entgültigen Zweck erreicht haben.", sagte Danshi und dachte einen Moment nach.

"Ich danke Euch aus ganzem Herzen, Boss, dass Ihr mich den Garten betrachtet lasst. Es erinnert mich daran, wie wundervoll und doch vergänglich wir alle sind. Und es lässt mich erkennen, was wir sind und was wir sein könnten. Ja, tatsächlich haben wir uns die ganze Zeit nur etwas vorgemacht. Nie zuvor waren wir so weit von uns entfernt, wie jetzt."

"Welcher Moment unserer Kultur kann so vollkommen sein, wie ein Spaziergang im Wald, das Lachen Eurer Geliebten, die Geburt Eurer Kinder? Und wir besaßen es schon die ganze Zeit und sind uns kaum noch dessen bewusst. Stattdessen passen wir die Menschen mit gewalt in unsere Zivilisationsmuster ein, zerreißen ihre Familien und führen Kriege, alles für unsere Kultur, die schon Risse zeigt."

"Kennt Ihr eine einzige Tierart, die sich versammelt, um Krieg zu führen? Selbst der Steppenlöwe, der König der Tiere, tötet nicht mehr, als er zum Leben braucht. Nie zuvor waren wir so weit von uns entfernt, wie jetzt. Ich bin traurig, wenn ich daran denke. Und ich bin glücklich, wenn ich daran denke, was wir sein könnten."

Dann schwiegen die Männer eine ganze Weile. Boss hatte sich neben Danshi auf die Bank gesetzt. "Wollt Ihr nicht noch die anderen Seiten des Gartens sehen?", fragte er bald, doch vielleicht nur um etwas zu sagen. "Nein, das ist nicht nötig.", antwortete Danshi, "Keine Seite ist besser als eine andere."

Die Zeit verging und als die halbe Stunde vergangen war, stand der Boss auf. "Wir müssen jetzt zurück, alter Mann.", stellte er mit einem sonderbaren Unterton fest. "Ja, ich weiß.", sagte Danshi und sie gingen. Es war nur noch bemerkenswert, dass Danhsi auf dem Rückweg, das Woll-Tuch nicht mehr tragen musste.
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Menthir

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Das liederliche Spiel
« Antwort #164 am: 13.02.2011, 15:13:21 »
03.01.1042 - Tag des Affen - Morgen

Und so blieb Xū Dǎnshís wichtige Frage unbeantwortet, jeder schien mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt und vielleicht hatten die gewichtigen und doch nur im kleinsten Nenner anerkannten Worte doch eine gewisse Wirkung erzielt und zumindest das Grundproblem der mangelnden Zusammenarbeit offengelegt und unterstrichen. Die Töne von Makos Yueqin waren längst verklungen und es hatte selbst dann Stille geherrscht, als der Boss runterkam und Xū Dǎnshí mit sich in die Pfirsichgärten nahm. Andererseits war dies nicht sogar ein gewisser weiterer Bruch? Würden diese Momente der Freiheit für den alten Beamten nicht gar Neid unter den Denunzianten hervorrufen und noch mehr Argwohn wachsen lassen? Welche Möglichkeit der Konspiration hatte der alte Beamten während seiner halben Stunde in der Freiheit? Oder war dies nur die Absicht des Henkers, diese Gedanken zu streuen?

Vorher hatte der Verwalter Cai Baos noch die Werkbank angesehen, welche Chuang Wang mit einiger Mühe und eine Bestrafung für die Gan-Brüder den Denunzianten für den Moment erhalten hatte. Und der alte Mann fand viel, aber kaum typische Werkzeuge in der Bank. Die meisten Schubladen waren leer, lediglich einen kleinen Holzhammer, ein Stößel und ein dazugehöriger Mörser, beides aus Bronze, lagen in der untersten Schublade. Ansonsten fand Xū noch weitere fünf oder sechs Meter von diesem Draht und eine qualitativ schlechte Zange in der obersten Schublade. Die Zange lag in dem Draht verborgen, wahrscheinlich hatte Oda sie benutzt, um sich die notwendige Menge an Draht abzuschneiden und sie dann zwischen dem Rest verschwinden lassen. Der kleine Gnom blieb auch in seiner Selbstmordabsicht pedantisch. Xū Dǎnshí wollte sich schon wieder abwenden, weil er die Tür hörte, da sah er, dass auf der Tischplatte mit irgendwas eine kurze Botschaft eingeritzt war. "Factum fieri infectum non potest.[1]"
Dann hatte Guìzishǒu den Beamten auch schon abgeholt.

Wenige Momente später kamen die Ganbrüder wieder in den Raum und trugen wortlos abermals die Werkbank aus dem Raum. Sie verlieren nicht ein Wort, schenkten nicht einen Blick. Lediglich im Schatten hinter der halb offenen Tür ließ sich erahnen, dass eine weitere Person stand und in den Raum blickte. Nur eine schlanke und große Silhouette war zu sehen. Dann drängten sich die Gan mit der Werkbank durch die Tür und schlossen sie hinter sich. Dann war die Werkbank weg, Chuang Wangs Worte haben nicht sehr lange angehalten. Die Ganbrüder kamen wieder. Vielleicht hatte es sein Zwillingsbrüder angeleiert, auf das Entfernen der Werkbank bestanden.

Der Weg, auf dem der alte Beamte zurückgeführt wurde, war relativ kurz, aber Xū Dǎnshí sah in der Ferne die Mauer des Himmels, die verbotene Stadt offenbarte sich ihm in der Ferne und die hohe Mauer warf einen bedrohlichen Schatten auf den Außenrand des Himmels. In diesem Schattenbereich lebten normalerweise die Beamten. Shǎzis Haus war trotz des majestätischen Gartens äußerst bescheiden. An einer krummen, hüfthohen Steinmauer stand ein einfaches Steinhaus[2], welches sich direkt an die hohe Mauer des Himmels schmiegte. Einfache Wäsche hing dort zum Trocknen. Sie betraten dieses Haus, nachdem sie die paar windschiefen Stufen hinaufgestiegen waren und gingen im Vorraum direkt in den Keller. Der Vorraum war ebenso einfach gehalten, schmucklos und klein. Drei Türen führten aus dem Raum, eine weiter in das Haus, eine in den Keller und eine eben in die Freiheit. Die Türen hatten keine Schlösser, so viel fiel dem Beamten auf. Es stand kein Wächter dort, erst als sie die Treppen in den Marmorkeller hinabstiegen, sah er zwei Wachen vor der Tür sitzen. Um das Haus herum hatten auch viele Wachen gestanden, aber innerhalb des eigentlichen Haus merkwürdigerweise keine einzige Wache. Nur direkt vor dem Gefängnis auf einfachen Holzstühlen, saßen zwei Wachen mit Kurzschwert und Flechtrüstung.
Boss öffnete die Tür und deutete Xū Dǎnshí den Raum zu betreten. Der Hobgoblin schwieg, nicht mal ernste oder genervte Worte verlor er. Dann schloss er hinter Xū Dǎnshí wieder die Tür. Der Beamte hatte scheinbar einen bleibenden Eindruck bei dem Hobgoblin hinterlassen.

03.01.1042 - Tag des Affen - Mittag

"Alle Krähen unter dem Himmel sind schwarz." Diese Worte fielen plötzlich nach einiger Zeit der Ruhe vor der Kellertür. Es schien nicht, als seien diese Worte an die Wächter davor gerichtet, sondern an die Denunzianten selbst. "Der Mensch hängt vom Himmel so, wie das Schiff vom Lotsen ab." Die Stimme klang nicht menschlich, dafür war sie zu tief, aber sie war auch nicht guttural. Sie klang so, als würde der Stein selbst sprechen[3]. Wie das Grummeln eines Erdelementars vielleicht? "All diese Weisheiten gelten für alle Bewohner Chuangs, nicht wahr? Sollte dies so sein? Ich weiß solches nicht mit Sicherheit zu beantworten, aber ich habe drei Fragen an euch." Die Stimme knirschte in den Momenten, in der sie nicht sprach, als würde sie Stein zermalmen.
"Die erste Frage: Was muss der Himmel denn sein, damit die eben erwähnten Weisheiten gelten?
Die zweite Frage: Was ist ein Drache?"
Die dritte Frage: Was bin ich?"

Das Knirschen verstummte, kurzzeitig hatte man das Gefühl, als würde das Licht der ewigbrennenden Fackeln gedämmt wäre und als würde der Boden unter der Stimme leicht beben. Gänsehaut stellte sich auf[4]. Die Fragen kamen unvermittelt. War dies der nächste Besuch? Magie?
 1. 
Wer Ecclesial kann, übersetzt sich also folgendes (Anzeigen)
 2. 
 3. Wahrnehmenwurf
 4. 
Willenswurf SG 15 (Anzeigen)
« Letzte Änderung: 13.02.2011, 15:44:27 von Menthir »
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

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