03.01.1042 - Tag des Affen - Morgen
Der Kaisersohn war scheinbar ein wenig verwundert, dass die schweigsame Frau doch noch in das Gespräch eingriff. Er blickte sie einen Moment an und nickte dann, antwortete jedoch zuerst Xū Dǎnshí. Der Kaisersohn griff zu seinem Guan Dao zu legte es auf den Schoß. Auch wenn die Waffe nicht das Gewicht hatte, welche manche sagenhaften Waffen dieser Gattung haben mochten, war sie eine sehr schwere Waffe, welche bestimmt über vierzige Pfund wog. Die Muskeln Chuang Wangs spannten sich, als er sie mit einer Hand auf seinen Schoß hob. Er zeigte die Klinge, auf welche ein Tiger eingeätzt war, der sich in grünlicher Farbe von der ansonsten silbrig-glänzenden Klinge abhob. "Nur weil die Kultur einen schützenden Schirm über die in ihm lebenden Bewohner hält, heißt es nicht, dass jedweder Schützling sich dieses Schirmes gewahr ist und es heißt auch bei weitem nicht, dass jedweder Schützling diesen Schirm gutheißt. Nur weil die Kultur auch ein entschärfendes Element darstellt, heißt es nicht, dass seine Partizipanten ihre eigenen Träume, Wünsche, Triebe abstellen und völlig gezähmte Katzen werden, welche sich einfach nur in ihr Schicksal fügen. Ich würde es drastischer ausdrücken. Solange die Kultur einen bevorzugt, heißt man sie gut. Sollte man sich selbst als Verlierer dieser Kultur sehen, aus welchen Gründen immer, ob sie nun real oder nur empfunden sind, ob sie nun Teil einer Gruppe oder individuelle Gefühle wiederspiegeln, widerspricht man dieser Kultur einfacher. Manche Wesen vergessen schnell, was ihnen die Kultur bringt. Sie risikieren den Schutz des Schirmes, um individuellen Bedürfnissen nachgehen, die nicht immer mit den Leitbildern der Kultur einhergehen. Oder sie nutzen gar diese Leitbilder, um in subtiler Manier diese Leitbilder zu unterminieren." Der Kaisersohn juckte sich an der Nase und strich dann wieder über den Bart, seine Stimme wurde fast etwas wehmütig. "Hach, was wäre es eine schöne Illusion, wenn man jedem die Vorzüge der Kultur näherbringen könnte. Aber so weit reichen unsere Arme nicht, dass wir jeden vollends überzeugen können. In unserer Tätigkeit als Lehrer und Leiter versagen wir bisweilen und verlassen uns zu sehr auf den Selbsterziehungseffekt der Kultur. Und deswegen wirken wir manchmal hilflos, aber auch genau deswegen gibt es Dinge, wie die Waffe, wie das Gesetz und unsere Leitlinien unserer großen Lehrer, um uns und die Abtrünnigen immer wieder an diese Kultur mit ihren Funktionen und Traditionen zu erinnern."
Er blickte jetzt zu Sūn Ai und band ihre Fragen mit in seine Antwort ein.
"Und deswegen nutzen wir auch Strafen. Würde es keine Restriktionen für unser Handeln geben, dann würden wir keine Kultur haben. So wohl erzogen wir auch immer sein mögen, es gibt die Momente, in denen wir uns über die Kultur zum eigenen Vorteil erheben wollen. Anstatt die wirklichen Probleme unseres Zusammenlebens zu bekämpfen, werden wir Selbstdarsteller, bessere Gaukler. Wahrhaft Edle gibt es zu selten. Das Zusammenleben basiert niemals nur auf freiwilligem Übereinkommen. Auch die Gan sind nicht edel. Sie haben bestimmt einen Befehl in der Tasche und über diesen Befehl begehen sie Insubordination an meiner Person, weil eine andere Person ihnen diese mir gegenüber in Aussicht gestellt hat. Die Gan nutzen diesen Schutz, welcher der Einzelne ihnen gewähren will, weil es ihren Vorlieben entspricht, weil sie mich hassen. Aber die Gesetze des höfischen Lebens befehlen ihnen, und sie merken dies gerade, dass diese höher stehen als die Willkür eines anderen Mannes, sich der gerechten Strafe für ihr Handeln zu beugen."
Chuang Wang lächelte milde zu Sūn Ai und zum Beamten und sprach gleich weiter, wollte einer Gegenfrage zuvorkommen.
"Sicherlich könnte man jetzt denken, dass ich nun diese Gerechtigkeit zur Farce machte, indem ich die Insubordination als alleinigen Grund nähme. Meinen Stolz vorschieben würde, um solch eine Lappalie zu begleichen. Das dürft ihr glauben, wenn ihr wollt, andererseits hat sich wahrscheinlich keiner von euch die Mühe gemacht, die Werkbank überhaupt zu untersuchen. Was wäre, wenn diese Fremden, die sie gebracht haben sollen, Hinweise dort versteckt hätten oder dergleichen? Ich würdet ihrer beraubt werden."
Nachdem er diese Worte im Raum stehen ließ und sich ein letztes Schälchen Tee einschenken ließ und es sofort ansetzte, um es zu trinken, kam er zurück auf das Thema der Kultur. Den Teil über das Spiel ließ er weg. Sein Blick auf Sūn Ai war deutbar. Er hatte diese Frage in unterschiedlicher Art und Weise mehrfach beantwortet bisher, es war ihm wahrscheinlich zuwider, diese Frage auch ein drittes oder viertes Mal zu beantworten.
"Es ist bezüglich des Kaisers so, dass jede Kultur nicht nur ihre Leitbilder braucht, einen Grund sich mit ihr zu identifizieren. Das kann Gerechtigkeit, es kann Weisheit sein, es können viele andere Punkte sein. Aber vor allem braucht man neben diesen Leitbildern auch jene, welche sie verkörpern. Der Kaiser ist der Vermittler zwischen den Göttern und der sterblichen Welt, er ist unser weltlicher Herr. Wenn dieser der Kultur, welcher er vorsteht, nicht ansatzweise zu folgen bereit ist, werden auch seine Untertanen die Tradition und die Gebote des Zusammenlebens in Frage stellen und ein Teil von ihnen, der sowieso zu Individualismus neigt oder sich ungerecht behandelt fühlt oder gar wird, wird sich gegen die Kultur stellen. Natürlich ist der Kaiser nicht alleine verantwortlich für das Hegen und Pflegen der Kultur, jedoch würde seine Abkehr davon eine enorme Rolle spielen und deswegen sind diese Worte Kultur, Gesetz und kaiserliche Herrschaft zwar nicht gleichbedeutend, aber hier in Chuang stark, wenn nicht gar untrennbar, miteinander verwoben. Und so kommt es, dass der Kaiser ein Interesse daran haben muss, dass er Wahrer der Kultur ist und gleichermaßen sich an sie selbst halten, weil er sonst kein Wahrer sein kann. Er würde seinen eigenen Untergang mit Willkür heraufbeschwören. Die theoretische Möglichkeit, als Alleinherrscher ohne tatsächliche Einschränkung in der Funktion der Machtausübung, alles nach eigenem Gutdünken gestalten zu können, spiegelt nicht die tatsächlichen Möglichkeiten wieder. Selbst ein absoluter Herrscher kann nicht absolut gegen sein Volk regieren, wenn er seine Herrschaft wahren will. Und aus diesen Gründen ist es auch wichtig, dass der nächste Herrscher es zu beherzigen weiß."
Er nickte Xū Dǎnshí zu, um zu zeigen, dass er fertig war mit seinen Ausführungen und trank dann den letzten Schluck aus seiner Teetasse. Die Gan mussten weiterhin in ihrer Position hocken, langsam traten Tränen ihn ihre Augen. Der Kaiser beachtete sie jedoch nicht weiter. "Mako Jinsei, meine Zeit schwindet dahin. Würdet ihr noch eure Kunst zum Besten geben?"