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Autor Thema: Casus Belli  (Gelesen 84864 mal)

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Alfred Nobel

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Casus Belli
« Antwort #210 am: 27.01.2012, 20:04:59 »
Mit einer undefinierten Mischung aus Sorge, Erleichterung und Ärgernis legte Alfred seinem Bruder die Hand auf die Stirn, verzog jedoch keine Miene. Die vollen Haare Emils lagen wirr auf seinem Haupt, und die Haut des jüngeren Schweden brannte auf Alfreds Fingern heißer als der Kanonenofen.

"Niemand wird Dir etwas antun, Emil,", sprach der Chemiker seinem Bruder leise aber bestimmt in ihrer Muttersprache zu. Sein konzentrierter Blick blieb auf dem Gesicht Emils haften. Zwar war Alfred noch immer etwas durch den Wind von der ungeplanten Mittagsruhe und dem plötzlichen Weckruf, doch sein Kopf war klar genug, so dass er mit zusammengezogenen Augenbrauen seinen Bruder ausführlich musterte und sich wunderte. Doktor Kern hatte bewiesen, dass er in seinem mundanen Handwerk wusste was er tat. Doch warum hatte der Chirurg Emil nicht auch metaphysisch behandeln lassen? Es konnte doch nicht sein, dass ein erfahrener Kasernenarzt keinen Zugang zu magischen Heilern oder Heilmitteln hatte, oder sich selbst in ihr bildete. "Vielleicht ist Kern einfach ein Mann der alten Schule," dachte sich Alfred, während seine Hand noch immer auf der Stirn des unruhigen Emils lag. Er würde jedenfalls kein Risiko eingehen, was den Zustand Emils anging.

"Niemand wird Dir auch nur irgendetwas antun, mein Bruder," wiederholte Alfred erneut, und zog sein zerknittertes Jackett aus. Mit flinken Fingergriffen krempelte Alfred seine Hemdärmel hoch, beobachtete aber noch immer Emil. Für einen kurzen Moment blieb er reglos stehen, und legte seinen Kopf schief. Wäre Emil etwas zugestoßen, so hätte er es sich nie verzeihen können. Mit einem glücklichen Lächeln trat Alfred von dem Bett zurück und schritt in die Wohnkabine. Wie in einem Ritual legte der Chemiker Handschuhe und Brille an, eher sich daran machte, die Gläser und Pipetten zu säubern, doch immer sorgte er dafür, dass er Emil aus den Augenwinkeln beobachten konnte.[1]
 1. Alchemie: Alfred braut 1x Lesser Restoration, 1x Remove Disease mit einem Gegenmittel als alchemische Komponente, 1x Cure Moderate Wounds, insgesamt 3 Minuten
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Menthir

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Casus Belli
« Antwort #211 am: 28.01.2012, 21:56:59 »
6. Dezember 1863 - Am Vorabend des Krieges - 21:17 Uhr - Frau Borggrefes Haus, Unter Arrest

Emil blieb ruhig nach dem kurzen Anfall, den er noch im Beisein von Doktorkern und des Soldaten van Widdendorp hatte. Seine Atmung hatte sich weitestgehend beruhigt und er dämmerte wieder vor sich hin, während Alfred sich zurecht fragte, warum man nur die Arbeit eines Feldschers an seinem Bruder durchgeführt hatte. Hatte die Garnison keine anderen Möglichkeiten? Vielleicht gab es einen guten Grund, solch diffiziele Methoden nicht an seinem Bruder zu nutzen. Magie war etwas, welches nie ohne Preis und nie ohne Aufmerksamkeit genutzt wurde. Vielleicht war es eine Sicherheitsvorkehrung, denn Alfred erinnerte sich an solche Vorkehrungen in Kronstadt, wo jedem magiebegabten Soldaten und Arbeiter die Nutzung der Magie untersagt war. Dunkel erinnerte er sich daran, dass die Nutzung von Magie noch über Sekunden bis zu Stunden später festgestellt werden konnte. Man fürchtete sich immer vor feindlichen Agenten in Kronstadt, welche die Verteidigung durchbrechen konnten, wenn sie Wissen über Kronstadt erlangten. Alfred hatte sogar mal von einer Erschießung eines Soldaten gehört, der sich weigerte, auf die lebenserleichternde Magie im soldatischen Alltag zu verzichten. Aber an sowas zu denken, war sicher eher ein Anzeichen von Paranoia, wozu sollte man Emil deswegen einen einfachen Heilzauber vorenthalten? Wahrscheinlicher war, dass sie nach dieser Nacht mit den vielen, vielen Verletzten und Sterbenden keine Ressourcen mehr übrig hatten, um ihre Heilzauber jedem angedeihen zu lassen.

Langsam stieg die Raumtemperatur wieder und mit jedem gewonnen Grad ruhte Emil wieder etwas ruhiger. Das Knistern des Holzes wirkte entspannend und so fühlte Alfred beim Herstellen der Mittelchen die Schwere des Alkohols noch immer in seinen Gliedern. Es war dieses typische Unwohlsein, welches man nach einer durchzechten Nacht hatte. Es ging einem nicht furchtbar schlecht, aber man fühlte sich müde, etwas erschöpft und nicht gerade beschwingt. Alfred musste seinen Willen aufwenden, um konzentriert zu arbeiten, aber es gelang ihm. Die nur leidlich dichten Fenster entpuppten sich eher als Segen, denn die unregelmäßigen, scharfkalten Windzüge hielten den schwedischen Chemiker konzentriert.

Nach wenigen Minuten waren die Mittel fertig und trotz des nun ruhigeren Schlafes, wollte Alfred kein Risiko bezüglich seines kleinen Bruders eingehen. Das Mittelchen gegen die Krankheit gab Alfred seinem Bruder zuerst, um möglichst schnell das Wundfieber zu senken und den beginnenden Wundbrand[1] aufzuhalten. Augenblicklich senkte sich die erhöhte Temperatur Emils, zwar konnte Alfred dabei nicht sagen, welche Art des Wundbrandes es geworden wäre, aber es war klar, dass das dreckige, mit Pocken[2], Algen und Muschelresten versetzte Holz seine Spuren im Körper seines Bruders hinterlassen hatte, dazu noch das Salzwasser. Er tat gut daran, seinem Bruder dieses Mittel einzuflößen. Nachdem das Mittelchen die Krankheit aus dem Körper gespült hatte, verabreichte der Chemiker seinem Bruder das Heilmittel, um die abgestorbenen Gewebeteile verschwinden zu lassen und die Nähte unnötig werden zu lassen. Dazu nahm er das Verbandmaterial vorsichtig ab und entfernte mit dem Verabreichen des Heilmittels die Nähte, damit sie nicht schmerzhaft in das genesende Fleisch einwuchsen. Das Werkzeug, welches der Doktor hinterlassen hatte, war äußerst hilfreich bei dieser Arbeit. Der Schwede konnte richtig zuschauen, wie das Gewebe sich langsam schloss und dann die Hautschichten sich Stück für Stück regenerierten bis nur noch eines fleischigrosane Narbe an die fast zwanzig Zentimeter lange Verletzung erinnerte. Alfred konnte sehen, dass Doktor Kern auch mit beschränkten Mitteln sehr gute Arbeit geleistet hatte. Sein Bruder hätten fast sein Bein verloren, was bei dieser Wunde nicht verwunderlich war. Zum Abschluss verabreichte Alfred die letzte Medizin, welche ein stärkendes Mittel war, welches die Muskelfasern wieder stärkte, den angeschlagenen Knochen stabiliserte und Emil dabei helfen würde, sein Bein alsbald wieder voll belasten zu können. Ohne diese Anwendungen hätte die natürliche Genesung einer solchen Verletzung mindestens zwei bis drei Wochen gedauert, dank der Kenntnisse Alfreds war es eine Frage von wenigen Minuten.

Dennoch durfte sich Alfred keine Illusionen machen. Sein Bruder würde die Nacht schlafen müssen, ehe er wieder bei Kräften war. Sein Körper war von dem Fieber erschöpft gewesen, dann der aufregende Todeskampf, die Operation und der viele Blutverlust durch die Verwundung und die Operation. Wahrscheinlich steckte ihm auch noch der Untergang der Solros in den Knochen. Den Schlaf würde Emil brauchen und sein Körper nahm sich den auch. Emil schlief endlich tief, ruhig und richtig fest. Während Alfred sich zufrieden in den Sessel der alten Borggrefe zurücklehnen konnte und das erste Mal die Sorgen um seinen Bruder von sich schieben konnte, der gar zufrieden zu schnarchen begann, spürte Alfred, wie sich das Vertrauen, graviert in seinen Ring, erwärmte. Die Stimme war deutlich, aber etwas näselnd, als sei die Person erkältet oder hätte zumindest eine laufende Nase. "Herr Nobel, Herr Nobel, hören Sie mich? Himly hier. Hören Sie mich? Wie geht es Ihnen? Sind sie allein?"
 1. Wundbrand
 2. Seepocken
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Alfred Nobel

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Casus Belli
« Antwort #212 am: 29.01.2012, 22:27:01 »
Alfred hatte seinen Kopf auf die Hand gestützt und war in einer grüblerischen Pose versunken, als der Ring warm zu strahlen begann. Mit einer leichten Begeisterung ob der Magie und Funktion des kleinen Gegenstandes streckte der Chemiker die beringte Hand aus und spreizte die Finger. Es war das erste Mal, dass er die Stimme des Chemieprofessors hörte, bisher war ihr Kontakt nur schriftlich gewesen.

"Ich höre Sie klar und deutlich, Herr Himly," antwortete Alfred, und wie schon in seinem Gespräch mit dem jungen Italiener fühlte er sich albern, als er in die Leere der Wohnkammer sprach. Kurz fühlte er einen unnatürlichen Impuls, den Ring an Ohr oder Mund zu halten, doch es blieb dabei, dass er seine gespreizten Finger nur anstarrte.

"Nein, ich bin glücklicherweise nicht mehr allein. Vor einigen Minuten ist mein Bruder eingetroffen. Er ruht bereits, sein Zustand hat sich wesentlich verbessert. Doch wir können selbstverständlich reden."

Es fiel Alfred schwer, sich zwischen einem geschäftlichen Ton und einem offenen und persönlichen Umgang zu entscheiden. Schließlich hatte der Schwede den Kontakt mit dem Professor ursprünglich aus rein wirtschaftlichen Gründen aufgenommen, doch bei alle dem, was der offenbar einflussreiche Kieler mittlerweile für die Brüder bewegt hatte, erschien Alfred ein distanziertes Wesen ungemein unangemessen.

"Mein Bruder und ich sind Ihnen zutiefst dankbar, Herr Professor", sprach also Alfred sein unverkennbares Anliegen an, und wartete einen Atemzug, um den Worten Nachdruck zu verleihen. "Ich kann nicht einschätzen, wie viel sie bereits für mich und meinen Bruder getan haben, doch allein Ihr Einfluss auf den OWM van Widdendorp, Herrn Ohlendorf und den jungen Nocerino und deren Taten sprechen für sich. In Zeiten wie diesen ist Hilfe und Rat teuer und wertvoll, gleich, ob man Söhne einer wohlhabenden Familie ist. Es gibt nur so viel, das sich für Geld kaufen lässt. Haben Sie Dank, Herr Himly."
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Menthir

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Casus Belli
« Antwort #213 am: 29.01.2012, 23:24:26 »
6. Dezember 1863 - Am Vorabend des Krieges - 21:19 Uhr - Frau Borggrefes Haus, Unter Arrest

"Ach, machen Sie sich darüber keinen Kopf, Herr Nobel. Machen Sie sich darum keine Sorgen. Vielen Norddeutsche sind störrische Typen, die Sie erst lange, lange Zeit aufweichen müssen, ehe Sie sich an ihre Seite begeben und Sie bei Grog[1] und Köm angenehme Zeiten verleben. Oder Sie müssen zusammen was erlebt haben. Erlauben Sie mir, Herr Nobel, davon auszugehen, dass wir einiges zusammen erlebt haben, auch wenn wir gerade das erste Mal sprechen." Carl Himly hatte einen sehr jovialen Unterton in der Stimme. Er schien sich ernsthaft darüber zu freuen, endlich mit Alfred in Kontakt treten zu können. "Wissen Sie. Während ich so auf das Schachbrett vor meiner Nase schaue und an einer kniffeligen Aufgabe des Schachmeisters Adolf Anderssen[2] knoble, dem wohl besten, aktiven Schachspieler der Welt, fällt mir doch immer wieder auf, wie politische Menschen dieses schöne Spiel für allmögliche, fehlerhafte Allegorien auf das Leben anwenden. Und das ärgert mich ernsthaft. Schach kommt zwar von persisch Schah, und heißt damit krude übersetzt König, aber müssen wir ein solches Menschenopfern immer als Leitlinie unserer Allegorien nehmen? Ich sage, Herr Nobel, nein! Nein, nein und wieder nein!" Carl Himly schien empört, ja geradezu brüskiert von diesen Menschen, welche das Schachspiel zu einem Lebensabbild erhoben und dementsprechend echauffierte er sich darüber. Es klang wegen seiner näselnden Stimme bisweilen noch immer jovial. Als empfände Himly eine gewisse Freude darin zu nörgeln oder sich aufzuregen.

"Das ist der Wissenschaft ein furchtbarer Graus, wenn man unsere Erkenntnisse immer den politischen Strömungen unterordnen will, finden Sie nicht auch? Es mag nicht an Ihrem Brief und Ihrem Angebot gelegen haben, sondern Sie werden sonstwie in diesen Strudel geraten sein. Und Sie haben mein herzlichen Mitleid, was diese Maulwurfshaufen im Rasen des Lebens angeht. Ich habe nur Marginales gehört, um ehrlich zu sein. Aber genügend, ja genügend, um empört zu sein! Empört darüber, dass man einen jungen, tüchtigen und begabten Chemiker mit einer guten geschäftlichen Idee für solch...ja, lassen Sie es mich sagen, perverspolitischen Spielchen wie Schach nutzen will. Zu glauben, dass man einen Wissenschaftler...Wir Wissenschaftler, Herr Nobel, das sage ich Ihnen geradeheraus, sind doch keine Bauern und können dementsprechend keine Bauernopfer sein. Wissen Sie, zwei Freunde von mir haben sich in diesen lächerlichen Widerstreit der Nationen, Länder, Könige und diesen ganzen, unwichtigen Firlefanz eingemischt. Sie haben bitter dafür bezahlt und ich möchte nicht sehen, dass ein weiterer, so begabter Kopf, wie Sie es sind, Herr Nobel, wieder einem politischen Manöver untergeordnet oder gar geopfert wird. Das kann mein Herz und das kann mein Geist nicht ertragen!", sprach der sehr offenherzige Mann weiter. Er atmete durch und putzte sich die Nase.
"Verdammter Winter. Aber wie dem auch sei, Herr Nobel. Sie wissen sicherlich, dass ich einstmals auch für politische Interessen eingestanden habe[3]. Vielleicht würde ich es wieder tun, aber dafür müssen die Weichen gestellt sein, die Umstände richtige sein. Sehen Sie, ich bin für Liberalität eingetreten und nicht für verwöhnte Männer, welche Allegorien auf das Leben in einem simplifizierten Brettspiel finden. Und solche Männer bedrohen nun Ihren Namen und Ihre Existenz. Von daher habe ich mich gar nicht darüber informiert, was nun genau der Fall sein soll. Ihr Anliegen erschien mir ehrlich und so behandle ich sie, Herr Nobel, sein Sie sich dessen gewiss. Ich erwarte keine Geständnisse, keine Erklärungen und dergleichen. Ich möchte, dass Sie an meine alma mater kommen und wir uns gemütlich bei einem Grog zusammensetzen, fachsimpeln und eben jenes tun, was den Erdball wirklich am Laufen hält. Freilich nicht die Wissenschaft allein, aber die Wissenschaft und der Austausch von Menschen. Politik und dergleichen, das ist alles wichtig, dass will ich gar nicht verneinen. Aber es ist störend, wenn persönliche Machtideen oder politische Schachspiele da über das Leben entscheiden sollen, wo es gar nicht nötig, erforderlich und schon gar nicht förderlich ist. Und deswegen, genau deswegen, Herr Nobel, habe ich beschlossen, Ihnen zu helfen. Koste es, was es wolle."

Carl räusperte sich noch einmal und näselte weiter, heftig und freudig erregt.
"Der Oberstwachtmeister und ich kennen uns schon lange, Herr Nobel. Genauso der Herr Ohlendorf und ich. Machen Sie sich um jene keine Sorgen. Der Herr Nocerino entgegen..." Himly schwieg einen Moment. "Keine Sorge. Er hört Sie und mich nicht. Ich habe seinen Ring, nachdem er getan hat, was getan werden musste, deaktiviert. Ich werde Sie alsbald, zu Ihrer Sicherheit, in die Christian-Albrechts-Universität bringen lassen. Bereiten Sie sich auf einen baldigen Aufbruch vor. Herr Ohlendorf wird sich um ihre Verlegung kümmern. Und ich hoffe, Sie haben gut geschlafen. Halten Sie, Herr Nobel, bitte die Nacht über die Augen auf. Es ist sehr gut, dass Ihr Bruder bei Ihnen ist. Dann können Sie für ihn auch die Augen offen halten. Ich glaube, dass jene, die Ihre Solros zerstört haben, noch nicht fertig sind." Seine Stimme war vom Jovialen und das Ängstliche gefallen. "Ich bereite Ihnen in der Universität gerade eine Bleibe, aber das wird noch mindestens elf oder zwölf Stunden dauern, ehe ich Sie hierher bringen lassen kann. Solange müssen Sie aushalten. Ich weiß nicht, was passieren wird, aber ich weiß, dass etwas passieren wird, Herr Nobel. Halten Sie, bei Gott, Ihre Augen offen. Ich bitte Sie."
Himly atmete schwer aus. "Gibt es irgendwas, was ich unmittelbar für Sie tun kann?"
 1. Grog
 2. Adolf Anderssen
 3. Gemeint ist seine Beteiligung am Schleswig-Holsteinischen Krieg 1848-1851 bei der Verteidigung Kiels.
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Carl von Lütjenburg

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Casus Belli
« Antwort #214 am: 30.01.2012, 19:14:50 »
Betrübt nahm Carl zur Kenntnis, dass der Anschlag offenbar noch weitere Opfer gefordert hatte. Er war Soldat und sein Weltbild vom Soldatentum geprägt, also konnte er den Tod von Menschen prinzipiell in Kauf nehmen. Aber es herrschte kein Krieg und dennoch ließen so viele ihr Leben. Der junge Leutnant fühlte sich gänzlich fehl am Platze. Der Drill den er selbst durchlaufen hatte und durch den er so viele Rekruten geschickt hatte, war hier nicht von Hilfe. Dies war keine Situation für Soldaten, aber für Diplomaten war sie es wohl nun auch nicht mehr.

Der anfängliche Unwille gegenüber dem Herzog war nun weitgehend gewichen. Durch das Gespräch mit dem Mann konnte Carl diesen nun viel besser verstehen und die ihm zu Teil gewordene Aufgabe den Herzog zu schützen, empfand er nicht mehr nur als bloße Pflicht seinem verstorbenem Freund gegenüber, sondern auch als Privileg.

Während er so in Gedanken war hatte er nur am Rande erfasst, dass sie ihr eisiges Versteck verlassen hatten und nun im Musikzimmer waren. Carl sah sich um, große Lust zu sitzen hatte er nicht, war er doch froh endlich wieder aufrecht und gerade stehen zu können. Und so stellte er sich zwischen Herzog und Fenster, seiner Pflicht und des Braunschweigers finsteren Blick wohl gewahr.

Eigentlich hätte Carl sich gerne über die Drahtzieher des Attentats unterhalten, aber sowohl der eitle Braunschweiger als auch der nicht sehr höfliche Donald Munro schwiegen sich bisher zu Conrads Fragen aus. Also blieb Carl nichts anderes übrig als sich wieder der Politik zuzuwenden.

"Herzog, verstehe ich es recht, dass die preußische Krone durch Graf Guido von Usedom ihr Einverständnis zur Einigkeit Schleswigs und Holsteins gegeben hat?"

Er würde gewiss noch zum Diplomaten, wenn dies so weiterging, aber dennoch hoffte er, dass seine Vermutung richtig war und somit die Grenzen etwas klarer verlaufen würden. Wenn dies alles der Wille des Königs war...

Schwester Hermene

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Casus Belli
« Antwort #215 am: 31.01.2012, 22:21:37 »
Hermene lauschte den Worten des Herzogs aufmerksam. Zunächst, so schien es jedoch, konnte sie kein besonders großes Interesse ob seiner Geschichte vom Versagen seiner Männer aufbringen. Es erschien ihr, als ob der gute Mann versuchte, in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Adlige zu nennen – etwas, mit dem sich die Schwester kaum beeindrucken ließ. Natürlich, so dachte sie, handelte es sich um aufständige Studenten. Sie ließ den anderen anwesenden dieser Rasselbande einen vorwurfsvollen Blick zukommen – für sie steckten sie alle unter einer Decke. Doch ein Teil in ihr war fast der Meinung, Pedersen könnte seine gerechte Strafe erhalten haben, auch wenn sie nicht verstand, was der Student eigentlich mit dem Vertrag anstellen wollte. Nun denn, einerlei.

Was der Herzog danach jedoch zu bedenken gab, erwischte sie auf kaltem Fuß. Sorge war plötzlich in ihr Gesicht geschrieben, und auch die Furche auf ihrer Stirn war wieder deutlich zu sehen. Sie blickte den Friedrich sprachlos an, dann wanderten ihre Augen fast beschämt nach unten. Sie schein nach Worten zu ringen. “Dann wissen Sie zu wenig“, erwiderte sie scharf. “Er existiert, weil der Herr es so will!“, sagte sie, und dies war das Einzige.

Nach einigen Sekunden jedoch blickte sie auf den Braunschweiger, und nun fiel ihr erst wieder ein, warum sie überhaupt hier war. “Doch nun zu einer anderen Angelegenheit. Der Braunschweiger, sofern mein weltfremdes Hirn sich recht entsinnt, hat mich unter einer bestimmten Bedingung hierher nach Emkendorf…gebracht. Mir wurde ein Gegenmittel gegen die schreckliche Krankheit in Aussicht gestellt, die der Attentäter mit seinen schwarzen Fähigkeiten verbreite. Wie steht es hierum? Gibt es ein solches, und wenn ja…was ist es?“, fragt sie, und blickt stierend auf den Braunschweiger.

Menthir

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Casus Belli
« Antwort #216 am: 02.02.2012, 14:25:25 »
6. Dezember 1863 - Am Vorabend des Krieges - 11:44 Uhr - Gut Emkendorf

Der Herzog räusperte sich nur bei den Worten Hermenes, wahrscheinlich auch, weil er eher in einer adelig-deistischen[1] Tradition aufgewachsen  und zudem auch noch Protestant war. Er ließ sich keinen Kommentar abringen, wahrscheinlich sah er eine Diskussion mit Hermene über ihren Glauben oder welche weltlichen Ansätze eine Religion haben musste, nicht als wirklich zielführend an, weshalb er mit einer Handgeste lediglich auf den Braunschweiger wies, der selbst anwesend war und ihm damit übertrug, seine eigenen Versprechen selbst einzulösen. Der Herzog würde sich dabei raushalten, so schien es, und wandte sich lieber den politischen Komponenten und damit Carl von Lütjenburg zu.

"Ganz recht", begann er mit nicht verkennbarem Stolz in der Stimme. Das schien irgendwie der Clou der ganzen Verhandlung gewesen zu sein, weshalb der Herzog gerne darauf einging, "der preußische König hat sich sogar regelmäßig brieflich über den Stand der Verhandlungen erkundigt! Graf von Usedom ist extra nach Abschluss der Verhandlungen mit Italien nach Kiel berufen wurden. Nachdem er derartig viel Erfahrung mit der Risorgimento[2]-Bewegung sammeln konnte, hat der preußische König eingesehen, dass es Kräfte gibt, die schwerlich aufzuhalten sind. Und so ist eine kleine schleswig-holsteinische Vereinigung doch leichter tragbar, ehe dass irgendwelche vergleichbaren Situationen wie die Märzrevolution[3] entstehen mögen, nicht wahr? Deutsche Studenten und Liberale träumen doch noch immer davon, in manchen Ländern hat sich der Geist auch noch in der Verfassung gehalten. Und ich hoffe doch, dass das auch für Schleswig-Holstein gilt, wenn es auch nicht für alle gilt, wie man am Herrn Pedersen erkennen musste."
Der Herzog strich sich durch seinen Bart. "Der Graf von Usedom ist zurückgekehrt nach Italien. Dort warten wichtige Geschäfte auf ihn. Aber er bot sich einfach an, weil er einen Bezug zu den Dänen hat, hat er nach dem Schleswig-Holsteinischen Krieg bereits den Frieden mit Dänemark geschlossen. Seine Hilfe war unbezahlbar." Aber die Freude über die Verhandlungen, die guten Erinnerungen, sie waren schnell wieder vergangen. "Aber das hilft uns leider nichts ohne den Vertrag."

Der Braunschweiger lächelte Hermene an, ein Ausdruck tiefster Süffisanz[4]. "Ihre Augen fallen gleich raus, Schwester.", sagte er ihn hochmütigen Tonfall, während er sich neben dem Kamin an die Wand lehnte und die Arme verschränkte[5]. "Ich habe es Ihnen in Aussicht gestellt und davon werde ich nicht abweichen. Aber ich bin noch nicht davon überzeugt, dass Sie die Worte des Herzogs wirklich verstanden haben. Vielleicht wäre es nur legitim, wenn Sie den Studenten und vielleicht sogar dem Herzog insoweit eine gewisse Loyalität einräumen." Er hob kurz beschwichtigend die Hände, verschränkte diese dann aber wieder. "Sie haben deutlich gemacht, dass nur Gott Ihre uneingeschränkte Loyalität genießt. Aber der Herzog hat Ihnen bereits den Vorschlag gemacht, wie das handzuhaben ist und ich werde Ihn so formulieren, dass auch Sie Weltfremde es verstehen. Der Herzog fordert keine absolute Loyalität von Ihnen. Sie sollen weder für Ihn sterben, noch sollen Sie Ihren Glauben verraten, Schwester. Eine konditionierte Gemeinschaft schwebt ihm vor. Eine Spielart des weit gefassten Begriffs Loyalität[6], welche keine Einbahnstraße ist. Der Herzog respektiert Ihren Glauben und wird Sie nicht zu Taten bringen, welche sich mit Ihrem Glauben schneiden oder beißen, dafür helfen Sie dem Herzog. Er stellt Ihnen sogar in Aussicht, die Aufnahme religiöser Tätigkeiten in Schleswig zu gewähren. Sie müssen mir kein Lippenbekenntnis liefern oder sich mit mir darüber disputieren, Schwester. Es wäre jedoch ein guter Anfang, wenn Sie Ihren neuen Verbündeten vielleicht verraten würden, wofür Sie das Heilmittel brauchen und welcher Gefahr Sie sich im Kampf mit den Attentätern überhaupt ausgesetzt haben." Wieder zuckte das süffisante Lächeln über die Lippen des Braunschweigers. Er hatte begriffen, dass die Situation noch sehr diffizil  war. Die Loyalität der Schwester war trotz der Heilung nicht eindeutig geklärt und das konnte man für die Situation auch nutzen. Die zweite Unsicherheit war Donald Munro, da er auch ein Schotte war und dementsprechend seine Hilfe bei solchen lokalen bis überregionalen Problem sicher keine persönliche Herzensangelegenheit war. Der Braunschweiger wusste, dass er Conrad noch eine Antwort schuldig war. Dennoch blickte er mit demselben süffisanten Lächeln zu Donald, zumal Hermene ungewollt auch Aktien in dieser Angelegenheit erworben hatte.
 1. Deismus
 2. Risorgimento
 3. Deutsche Revolution 1848/49
 4. Süffisanz
 5. 
Motiv erkennen SG 21 (Anzeigen)
 6. Loyalität
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Alfred Nobel

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Casus Belli
« Antwort #217 am: 06.02.2012, 17:23:47 »
Mit jedem Satz, den der Professor sprach, fühlte sich Alfred zunehmend entspannter. Seine beringte Hand ruhte auf der Armlehne des Sessels, während Alfred mit wechselndem Blick zwischen dem eisigen Fenster und dem schlafenden Emil der Stimme in seinem Kopf lauschte. Geduldig und neugierig ließ er Himly sprechen, und lächelte mittlerweile ein wenig, als der Professor endete. Der Wissenschaftler schien nicht müde zu werden, seinem schwedischen Kollegen jegliche nur mögliche Hilfe anzubieten. So vorsichtig Alfred auch sein wollte, so erfüllte ihn dieser freundschaftliche Umgang mit einer frohen Geborgenheit.

"Sie haben schon reichlich für mich getan, Herr Professor," antwortete Alfred daher nur, aber seine Stimme war freundlich, und ging in ein Lachen über. "Ich frage mich, ob ich es mir denn leisten kann, noch weiter in Ihrer Schuld zu stehen.

Aber Sie sprechen wahre Worte. Ich bin ganz Ihrer Meinung. Die Politik der heutigen Zeit widerstrebt dem Interesse der Forschung. Nationale Konflikte bremsen die Räder des Fortschritts. Während der Wohlstand des Einen nur mager steigt, ist der Untergang des Anderen gewiss. Die Politik muss doch einsehen, dass diplomatischer Handel und Investition in eigene und gegenseitige Entwicklung der alleinige Brennstoff für zukünftigen Wohlstand sein kann! Nicht nur der Wohlstand des einen, sondern der Wohlstand aller!
"

Plötzlich war Alfred selbst aufgebracht über seine eigenen Worte. Es war ein hitziges Thema, das die Wissenschaftler angebracht hatten, doch auch eines, das Alfreds Meinung nach zu wenig Gehör fand. Viele Forscher, die Alfred kennen gelernt hatte, teilten sich eine von zwei Gegenseiten. Die einen versteckten sich hinter ihrer weltfremden Neugier und waren nur zufrieden, wenn sie in Ihrer Forschung alleine gelassen werden konnten. Die anderen sahen in ihrer Forschung den Schlüssel zu politischer Macht und Reichtum. Kaum ein Wissenschaftler übernahm die Verantwortung, die ihm unweigerlich zustand.

Tief atmete Alfred ein und strich sich durch das Haar. Er hatte das Gefühl, in Himly einen Kollegen gefunden zu haben, mit dem er seine ideologischen Ansichten teilen konnte. Doch dafür war jetzt nicht der geeignete Zeitpunkt.

"Ich denke, Professor, wir werden noch einiges zu besprechen haben," seufzte Alfred, stand aus seinem Sessel auf und begann, im Zimmer auf und ab zu gehen. "Jedoch alles zu seiner Zeit. Zunächst: Ich werde mich und Emil auf die Reise vorbereiten. Ich bin überrascht, wie es Ihnen gelungen ist, die Behörden zu einer nochmaligen Versetzung zu überzeugen. Ich wäre froh darum, wenn Corporal Röschmann und Obergefreiter Rix die Eskorte übernehmen könnten.

Ich möchte über Herr Nocerini sprechen. Sie sollten wissen, dass er mich heute Mittag dazu nötigte, den Hafen evakuieren zu lassen. Ich habe mir eine undenkbare Geschichte aus den Fingern gesaugt, und ich glaube es ist mir gelungen. Doch der junge Italiener weigerte sich, mich über die Ursachen seiner Forderung zu informieren. Ich denke, Sie sollten davon wissen.

Herr Nocerino sprach zudem von Beweisen, die mich entlasten könnten. Ich weiß nicht, was es damit auf sich hat. Ein Teil davon läge auf der hiesigen Post. Ich werde einen der Soldaten am frühen Morgen danach schicken; es sei denn, Sie raten mir davon ab.
"

Alfred blieb im Gang stehen, die Hände hinter seinem Rücken verschränkt, und dachte darüber nach, welches Thema noch eine dringende Eile hatte. Sein Blick auf das Porträt des alten Fritz in der Schlafkammer. Emil ruhte sanft unter den Augen des alten Königs.

"Um eine Frage möchte ich Sie noch bitten, Herr Himly. Ich weiß Ihre Meinung teuer zu schätzen. Was denken Sie über den Herzog Friedrich?"
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Casus Belli
« Antwort #218 am: 06.02.2012, 23:12:18 »
6. Dezember 1863 - Am Vorabend des Krieges - 11:46 Uhr - Gut Emkendorf

Dann jedoch wischte sich der Braunschweiger sein süffisantes Grinsen aus dem Gesicht und blickte über Schwester Hermene weg, stieß sich an der Wand ab und trat an den elfenbeinfarbenen Flügel, näherte sich damit Donald und dem Haldane. "Wer Baker ist", begann der Mann in soldatischer Kleidung nun ruhig und mit leiser Stimme, "das ist eine wahrlich gute Frage. Weiß man es so genau? Das weiß man nicht so genau, denn wüsste man, wer Baker exakt und mit all seinen Einzelheiten ist, dann wäre ein Mann wie Baker tot. Baker, das ist eine Art vermaledeiter Titel, der in den Kreisen, in denen sich ein Baker aufhält, gebenedeit scheinen mag." Kurz lachte der Schwarzgekleidete leise über seinen Witz mit christlichen Formeln, ehe er weitersprach. Er faltete die Hände zusammen und ließ sie vor dem Bauch hängen. "Baker, John Baker, ist ein Kerl[1], der sich selbst archaisch als Condottiere[2] bezeichnet. Er ist kein Mensch, sondern ein Zwerg. Einer von diesen kleinen, kriegswütigen Clansmännern, deren Volk so zerfallen ist, dass sie nur noch in Kaledonien[3] eine Heimat wissen. So einer ist Baker. Sein wahrer Name ist nicht bekannt, er nennt sich John Baker und wird so genannt."
Der Braunschweiger kniff sich Augen zusammen und rieb sie sich mit der linken Hand. Eine Geste des Überlegens. Entweder überlegte er was er sagen sollte oder wie er es sagen sollte.
"Das Söldnertum ist nicht mehr so gefragt, deshalb fungieren seine Leute als Militärspione. Ein Land kauft sie, schickt sie zum nächsten, um zu wissen, wie ihre Landwehren funktionieren, welche Waffentypen sie einführen und was der Ausbau der Eisenbahnnetze macht. Daher kenn ich ihn. Ich habe im Auftrag Braunschweigs dreimal mit ihm zusammengearbeitet."
Er legte die Hand zurück vor den Bauch, nachdem er sich über die hohe Stirn gestrichen hatte.
"Er ist, was man in Kieler Hafensprache durchaus eine miese Ratte nennt, und so sieht er auch aus. Keine fünf Fuß hoch, ein pockennarbiges Gesicht, blondes, mit Pomade[4] nach hinten gekämmtes Haar, eine riesige Nase dominiert das Gesicht und er riecht wie eine, entschuldigt den Ausdruck, Durchlaucht, orientalische Hure." Er ließ seine negative Darstellung einen Moment wirken, ehe er weitersprach. Vorher machte er noch eine entschuldigende Verbeugung vor dem Herzog, da er so drastische Worte wählte.

"Aber man darf ich nicht unterschätzen. Er kommt aus Leeds[5], wurde da von einer Bergbaufamilie großgezogen und adoptiert, den Bakers, daher auch der Name. Musste mit den Kindern immer in den Kohleschächten arbeiten, weil er so schön klein und kräftig war[6]. Aber er war extrem kräftig und fand so ein Weg aus dem tötenden Kohleschacht, trat dann der Royal Navy[7] bei. Dort taucht er auch das erste Mal in den Akten auf, die ich über ihn gelesen habe. Hat erst Kohlen geschleppt und wurde dann irgendwann Gefängniswächter auf einem ausrangierten Hulk[8]. Man hat ihn immer nur auf seine Stärke reduziert, aber auch wenn er aus einem harten Leben ohne Schule kommt, kann man ihm eine Bauernschläue[9] nicht absprechen. Ganz im Gegenteil, hat in den napoleonischen Kriegen[10] und speziell in den Befreiungskriegen[11] so viele Kontakte gesammelt, dass er danach Söldnerführer wurde. Da reißen seine Akten jedoch weitestgehend wieder ab. Baker ist 1816 aus der Navy verschwunden, desertiert offiziell, aber nie strafrechtlich verfolgt wurden.", der Braunschweiger machte einen angestrengten Eindruck, da er die ganzen Fakten erinnern musste. "Seitdem taucht er nur sporadisch auf, arbeitet aber manchmal noch mit alten Navyveteranen zusammen, die ihn auch zu mir geschickt haben, als ich noch für die Navy aktiv war. Die sind jedoch über die Jahre fast alle gestorben und er hat dorthin wenige Kontakte übrig. Deswegen kann ich nur von den Sachen berichten, von denen ich weiß. Seit fast zwanzig Jahren spioniert er hin und wieder deutsche Armeen für die Briten aus mit seinen Leuten. Der Krimkrieg hat ihn wohl fast ruiniert, weil er auf Seite des Zarenreiches gegen die Osmanen kämpfte und verlor. Da habe ich in Braunschweig noch einen Bericht, da die britische Krone ihn für 25.000 Gold freikaufen ließ aus osmanischer Gefangenschaft. Seitdem taucht er in keinem Konflikt mehr auf, hat eine Menge Kunden und Vertrauen verloren. Soweit ich weiß, rekrutiert sich fast 95% seiner Truppe inzwischen aus Schotten, der Rest hat sich anderen angeschlossen oder ist in reguläre Armeen gewechselt."
Der Braunschweiger zuckte mit den Schultern. "Wie ich sagte, schwer zu greifen. Aber ich wette, dass Donald und der Haldane mehr wissen könnten, wenn Baker sie eingestellt hat. Von Donald weiß ich das." Er blickt mit einem süffisanten Lächeln Donald an und nickte ihm zu. "Ich habe durch Glück, als ich mit Schwester Hermene über den Tortionnaire[12] sprechen wollte, den Boten abgefangen und den Brief persönlich an Donald gegeben. Den Inhalt kann ich jedoch nicht wiedergeben. Herr Munro kam in die Kneipe, ehe ich ihn durchleuchten konnte."
Mit einem fast hinterhältig wirkenden Lächeln schob er die Situation vor die Füße des Schotten, während der Herzog alarmiert aufhorchte. "Und was soll das bedeuten?", fragte er entrüstet. "Soll das heißen, dass dieser Baker vielleicht auch..."
Der Braunschweiger hob beschwichtigend die Hand. "Das will ich nicht ausschließen, aber auch nicht zu früh in Form gießen, Durchlaucht. Es kann sein, dass er angeheuert werden sollte mit den anderen, oder dass er andere Aufträge hatte." "Dazu sollte er sich am Besten selbst äußern, aber sofort!", griff der Herzog empört ein. Auf einmal empfand er die Schotten doch als interessant und widmete sich ihnen. War die Gefahr noch nicht gebannt? War Donald eigentlich ein Feind?
 1. Kerl ist gemeint als freier Mann
 2. Condottiere
 3. lateinisch-eingedeutschte Variante für Schottland
 4. Pomade
 5. Leeds
 6. Zur Geschichte der Kinderarbeit in Leeds - Die Grundlage ist ein Bericht eines Robert Bakers, aber auch Charles Dickens hat über das harte, ungemütliche Leeds geschrieben, auch wenn in zeitlicher Relation Baker vor Bakers Bericht in den Minen gearbeitet hat. Dickens Beschäftigung mit dem Thema ist am bekanntesten umfasst in seinem Werk Oliver Twist.
 7. Royal Navy
 8. Prison hulk
 9. Bauernschläue
 10. Koalitionskriege 1792-1815
 11. Befreiungskriege 1813-1815
 12. frz. für Folterknecht
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Menthir

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Casus Belli
« Antwort #219 am: 07.02.2012, 11:48:02 »
6. Dezember 1863 - Am Vorabend des Krieges - 21:22 Uhr - Frau Borggrefes Haus, Unter Arrest

"Ach, Herr Nobel. Sehen Sie, es geht hier nicht um Schuld, Ehre und solche diffizilen Konstrukte, bei denen doch kaum einer im Detail wissen kann, was der Nächste darunter versteht. Laden Sie sich bitte gar nicht erst ein Gefühl von zu viel Schuld auf.", antwortete Carl Himly freundlich, während Alfred draußen den stärker werdenden Schneefall sehen konnte. Die Flocken wurden wieder so dicht, dass man kaum die Hand vor Augen sah, wenn man draußen stand. Nur mit Mühe konnte Alfred jetzt noch die Laterne vor dem Fenster in physischer Form erkennen, nur das Licht brach sich noch bis zu seinem Zimmer. "Aber ja, ich gebe Ihnen sowas von recht! Immer diese Selbstetikettierung der Männer, welche sich auf dem politischen Feld oder auch sonst als Potentaten befeuert von Technologie geben, wie ein Alfred Krupp[1], oder Männer, die in ihrem Elfenbeinturm[2] verkümmern und all ihren Geist vor der Welt verschließen, als sein sie katholische Mönche unter der Führung Benedikt von Nursias[3]!" Carl merkte, dass er sich selbst schon wieder in Rage sprach, weshalb er umgehend auf Alfreds Vorschlag einging.
"Sie haben vollkommen recht. Solche Gespräche sollten wir uns für die Zeit aufbewahren, in denen wir sie haben, um uns endlich wieder mit der Wissenschaft und der Redlichkeit in ihr zu beschäftigen."

Carl Himly nahm sich einen Augenblick, in dem er augenscheinlich etwas trank. Kurz war nur das Knistern des brennenden Holzes im Kanonenofen zu hören und der sanfte Schlaf Emils. Dann setzte der Wind wieder ein und blies frisch durch die Lücken in der Dichtung des Fensters, trug sogar zwei, drei Schneeflocken mit in das Zimmer, welche jedoch sofort wieder den Aggregatzustand wechselten.
"Ich werde versuchen, es zu arrangieren, dass Röschmann und Rix Ihre Überführung übernehmen. Ist es Ihnen recht, wenn ich alle vier auch in der Nähe stationieren lasse, um weiterhin vollen Schutz gewährleisten zu können? Dieser Schutz könnte notwendig sein. Gerade auch in Hinblick auf Nocerino. Der Hafen wurde also Ihretwegen evakuiert? Meine Güte. Das war ein ganz schöner Aufruhr. Ich weiß jedoch nicht, zu welchem Zweck dies geschah, Herr Nobel..." Seine Stimme ging vom Neutralen auf einmal ins Ärgerliche. "Doch! Mir fällt es wie Schuppen von den Augen! Zumindest glaube ich es! Wenn die Sirene alle Soldaten zurück zum Hafen gerufen hat, kann das nur bedeuten, dass Daniele Nocerino von Soldaten verfolgt wurde, nicht wahr? Ich mein..." Himly atmete schwer. "Es war klar, dass dieser Italiener doppeltes Spiel treiben würde! Ich weiß schon, warum ich seinen Ring nur temporär gestaltet habe. Es wird dringend Zeit, dass es ein neuer Morgen wird und Sie ihre Stellung wechseln können, Herr Nobel. Ich glaube, dass Nocerino einige Daten verkauft haben könnte. Ein Glück, dass ich ihn nirgends wirklich eingeweiht habe. Ich hoffe, Sie haben es auch nicht getan, Herr Nobel. Ich hoffe, sie haben es auch nicht getan."

Der Universitätsprofessor mochte sich gerade die Nase kratzen oder in ein Feuer starren, auf jeden Fall dachte er wieder einen Moment nach. "Ja, das Paket existiert. Ich habe es mit der Hilfe von van Widdendorp aufgestöbert. In einer alten Kate im Dorf Elmschenhagen[4] hat van Widdendorp einen Studenten gefunden, der an dem Diebstahl, der Ihnen angelastet werden soll, beteiligt gewesen sein soll. Dort sind Papiere bei, welche die Planung der Studenten umschreiben. Unter anderem eine Auflistung von Möglichkeiten, Sie und Ihren Bruder zu erpressen, um ein Gold und Einfluss zu kommen und um die notwendigen Gerätschaften und die Ausrüstung zu besorgen. Die Papiere sind hoch brisant, weil Sie auch vom Anwerben von Söldner für die dreckige Arbeit sprechen. Otto Ribbeck[5] ist seit Tagen dabei sie auszuwerten, was gar nicht so einfach ist, weil sie in einem grässlichen Latein verfasst sind. Von einem Teil der Papiere wurde eine angebliche Abschrift gemacht, die Ihnen zukommen soll. Sie werden die Papiere brauchen, um Sie zu entlasten, das ist eindeutig. Aber die Originalpapiere sind noch bei Otto, deswegen kennt der Oberstwachtmeister den Inhalt noch nicht, aber Sie ahnen, woher ich meine Zuversicht nehme, dass Sie frei sein werden. Ich habe Nocerino falsche Papiere zukommen lassen, da ich Ihm nicht traute. Lassen Sie diese trotzdem von der Post abholen. Wenn das Paket geöffnet wurde, haben wir einen Beweis, dass Nocerino doppeltes Spiel treibt. Die Originalpapiere wird Otto nach der Übersetzung an Van Widdendorp geben und Sie eine wirkliche Abschrift bekommen oder Sie werden sie empfangen und weitergeben. Zudem stehe ich in Verhandlungen mit Albert Hänel[6], wenn Sie von ihm gehört haben. Er wird Ihre Freilassung beschleunigen, sobald der gute Otto die Übersetzung durchhat."

Der Professor atmete tief durch. Augenscheinlich hatte er an der Kieler Universität viele bekannte Namen auf seiner Seite und was Alfred deutlich werden konnte: Die Professoren und Dozenten waren nicht weniger, sondern eher noch politisch engagiert als viele Studenten. Eine Generation, welche die 48er-Revolution[7] als junge Männer erlebt hatte und die Ideen der Liberalität[8] nicht verloren hatte. Himlys Worte unterstützten oder verstärkten diesen Eindruck. "Der Herzog ist ein guter Mann. Ein anerkannter Mann, der ein Auge für die Wissenschaft, für unseren alten Kampf, für das neue Bestreben zur autonomen Einigung Schleswig-Holsteins als ein Teil des Deutschen Bundes hat. Der deutsche Bund erkennt das an, nur das vermaledeite Preußen, Österreich und Dänemark verwehren sich, verweisen immer auf das Londoner Protokoll[9] und fordern die Ausweisung Friedrichs, seit er sich zum Herzog proklamiert hat und seine realen Erbansprüche geltend gemacht hat. Der Verlust des Herzogs wäre eine Tragödie für Schleswig-Holstein, da Schleswig-Holsteins Zukunft dadurch von Mächten gesteuert wird, die kein reales Interesse an den Menschen und ihren Traditionen hier haben, sondern nur an die geographische Lage, an Macht und an Prestige im internationalen Völkerverbund denken. Der Herzog hat sich einem Kampf gestellt, der...unmöglich scheint. Ich habe sogar gehört, Männer der[10] sein hier. Das riecht danach, als würde man wie '48 den Widerstand versickern lassen und schwächen. Das sind furchtbare Zeiten, in denen wir an Gesetzen glauben wollen, aber von starken Armeen den Willen oktroyiert bekommen."
 1. Alfred Krupp
 2. Elfenbeimturm
 3. Der hl. Benedikt
 4. Elmschenhagen
 5. Otto Ribbeck
 6. Albert Hänel
 7. Märzrevolution
 8. Politischer Liberalismus
 9. Zur Auffrischung: Londoner Protokoll von 1852
 10. Preußischen Geheimpolizei
« Letzte Änderung: 07.02.2012, 14:32:19 von Menthir »
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Alfred Nobel

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Casus Belli
« Antwort #220 am: 07.02.2012, 18:43:34 »
"Ich verstehe," antwortete Alfred, ehe er begann wieder auf und ab zu laufen. Himly war somit ein weiterer Schleswig-Holsteiner, der für den Herzog zu bürgen schien. Im mittaglichen Beisammensitzen hatte Alfred auch schon von Rix und Röschmann sympathisierende Worte für Friedrich gehört. Und die Argumente des Professors waren mehr als real; der Schwede konnte mehr als vorstellen, dass sowohl Dänemark als auch Preußen nur taktisches und konfliktpolitisches Interesse an dem Verbleib der Herzogtümer haben könnte. Wenn Friedrichs Prinzipien tatsächlich der Unabhängigkeit des schleswig-holsteinischen Volkes und nicht persönlicher Machtgier unterlagen...

Im Moment gelang es Alfred nicht, den Gedanken zu Ende zu bringen. Schließlich war er noch immer vom Herzog angeklagt und stand deswegen auf politischer Ebene als Feind der schleswig-holsteinischen Einigung auf dem Papier. Der Schwede entschied, dass er noch ein wenig darüber nachdenken musste, und wechselte das Thema.

"Ich habe Nocerino gegenüber keine Worte erwähnt, die jemandem gefährlich werden konnten. Er klang in der Tat gehetzt, als er mich kontaktierte, als ob ihn jemand verfolgte. Und ich vertraue Ihrem Urteil, Herr Himly, doch es fällt mir schwer, die Rolle des jungen Italieners in dieser Sache einzuordnen."

Innerlich hoffte Alfred, dass Himly von selbst noch einige Worte über den Italiener verlieren würde. Er würde in diesem Moment nicht direkt danach fragen, doch noch immer war er neugierig, was Nocerinos Beisein zu bedeuten hatte.

"Zu meiner Situation: Es ist also Erpressung," fasste Alfred den nächsten Gedanken, und sein Blick wanderte zu Emil. Auch sein Bruder hatte davon gesprochen. Die Miene des Schweden verfinsterte sich. "Doch scheinbar hat etwas oder jemand die Pläne der Erpresser wesentlich durchkreuzt, eine Forderung kam nie bei mir an." Welche Forderungen es auch gewesen sein mochten, so konnte Alfred sich diese nur denken. Emil wusste natürlich mehr. Der Transport des Vertrages, der in Borggrefes Wandtresor ruhte, musste ein wichtiger Bestandteil derer gewesen sein. Vielleicht ging es wirklich nur um Geld. Aber vielleicht wussten sie auch, dass die Familie Nobel auch mehr zu bieten hatte.

"Wir werden sehen. Warten wir Herrn Ribbecks Übersetzung ab. Über den Geleitschutz und die Stationierung der Soldaten bin ich Ihrer Meinung. Ich werde dafür sorgen, dass wir sechs Mann am Morgen bereit sein werden, um abzureisen. Das Paket lasse ich abholen, zudem werde ich selbst Briefe an meinen Vater und die Herren Winkler verfassen - ich habe Ihnen von ihnen geschrieben."

Tief holte Alfred Luft, ehe er das Gespräch von seiner Seite aus beendete. Sein Ausdruck war streng und konzentriert, auch wenn Himly ihn nicht sehen konnte. Den Blick auf die feinen Kristalle am Fenster gerichtet, sprach Alfred weiter.

"Eine letzte Bitte habe ich, wenn Sie gestatten. Es geht um die Herren Ribbeck und Hänel. Bitte sorgen Sie für ein gemeinsames Treffen zum Zeitpunkt unserer Ankunft, Sie, die beiden Herren, mein Bruder und ich. Zudem ein Notar Ihres Vertrauens. Halten Sie das für möglich?"
But I have learned to study Nature’s book
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 - A Riddle, 1851

Donald Munro

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Casus Belli
« Antwort #221 am: 08.02.2012, 14:47:21 »
Donald wirkte gefasst, als er die Worte des Braunschweigers hörte, doch war er innerlich aufgewühlt. Wie konnte es sein, dass hier alles schief lief. Er musste an den Verräter in der Organisation denken, doch es konnte doch nicht Baker sein. Wieso hätte er ihn dann warnen sollen?
'Ich muss mich endlich mit dem Rätsel beschäftigen, dass in dem Brief steht', dachte der Schotte. Donald wurde bewußt, dass er ins Zentrum des Interesses gerückt war, eine Position, die ihm garnicht behagte.

"Nun, ich bin hier als Beschützer, nicht als Attentäter. Das könnt ihr glauben oder nicht, es ist mir egal. Nun, Braunschweiger, Eure Leute scheinen gute Arbeit zu liefern, wenn es darum geht, Informationen zu beschaffen. Das meiste jedoch pfeifen sowieso die Spatzen von den Dächern. Jedoch bin ich von einigen Dingen nicht so überzeugt wie Sie."

Er machte eine Pause, um seine Worte zu wählen. "Vielleicht kann ich etwas Licht in die Sache bringen, wenn ich mit meinem Landsmann ungestört reden kann - allein."

Er wendet sich an die anderen. "Ich glaube nicht, dass ich Euer Feind bin, noch dass unsere Interessen in einen Konflikt treten könnten. Aber das müßt ihr entscheiden."
« Letzte Änderung: 08.02.2012, 18:14:46 von Menthir »

Carl von Lütjenburg

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Casus Belli
« Antwort #222 am: 09.02.2012, 19:59:20 »
Carl vernahm die Berichte des Braunschweigers mit Erstaunen. Der Mann, dem Carl nun doch mehr und mehr Respekt zugestehen musste, war unglaublich gut informiert. Anfangs hatte Carl noch angenommen Donald Munro hätte direkt zum Braunschweiger oder vielleicht zur Schwester gehört, aber nun wuchs sein Interesse an dem Schotten genauso wie es auch beim Herzog der Fall war.

Donald war ein Söldner und gehörte zu Baker, einem der wenigen Männer, die dazu im Stande waren, solch ein Attentat, wie es heute geschehen war, durchzuführen. Als Nationalist und Soldat war Carl das Konzept des Söldnertums vollkommen zuwider. Ihm haftete wenig Ehrenhaftes an - Treue, Pflicht und Zuverlässigkeit - diese Tugenden verband man selten mit einem Mann, der seine Loyalität an den Meistbietenden verschacherte. Solange bis jemand mehr bieten würde. Carl war preußischer Soldat und das aus Überzeugung, genauso wie alle seiner Kameraden es auch waren. Es wäre undenkbar zu den Franzosen zu gehen, weil sie einen höheren Sold zahlten. Er schüttelte den Kopf. Erst recht nicht zu den Franzosen.

Hatten ihn die Worte des Braunschweigers erstaunt, so entgeisterten ihn die des Schotten erst recht. War dies Hochmut, Taktik oder Ignoranz? Der Mann schien seine Lage nicht im Ansatz einschätzen zu können oder zu wollen.

"Es ist Ihnen EGAL?", das letzte Wort brüllte Carl schon beinahe. Er machte eine kurze Pause, um seinen Ärger, den die Unbekümmertheit des Schotten in ihm aufkommen lies, wieder in den Griff zu bekommen. Dann fuhr er mit gemäßigterer Stimme fort "Herr Munro, Sie sind einem ernsten Verdacht ausgesetzt. Ein Attentat auf den Herzog von Schleswig und von Holstein hat sich soeben ereignet und es scheint bisher, dass Ihr Arbeitgeber, Herr Munro, darin verwickelt sein könnte. Und alles was Ihnen dazu einfällt ist, dass es ihnen egal sei, wie man über den Anteil Ihrer Taten an alledem befinden wird? Sie glauben nicht, dass sie unser Feind sind? Was bilden Sie sich eigentlich ein, Mann?"

Auch wenn erkannbar war, wie sehr Carl sich im Zaum hielt, war seine Stimme schneidend und anklagend "Es mag sich mit Ihrer Söldnermoral wohl schwerlich vereinbaren lassen, aber dies ist nicht der Zeitpunkt für vage Ungenauigkeiten. Sie sollten sich nun zu einer Seite bekennen und, sofern Sie dazu überhaupt im Stande sein sollten, anschließend Ihre Andeutungen in konstruktive Beiträge zur Sachlage verwandeln."

Carl schlug mit der Faust auf den Flügel neben ihm, um seine Worte zu unterstreichen. Es tat ihm im selben Augenblicke Leid, da es sich dabei nicht um seinen eigenen Flügel handelte. Er lies sich jedoch nichts von seiner Sorge um das Musikinstrument anmerken, sondern sah den Schotten mit kühlem, soldatischen Blick an. Sicherheitshalber verschränkte er seine Arme jedoch nun hinter dem Rücken, während wieder Ruhe in seine Stimme einzukehren schien.

"Und Sie glauben doch nicht im Ernst, dass wir Sie mit Ihrem Landsmann ungestört verhandeln lassen, während Ihre Loyalität in so argem Zweifel steht, Herr Munro. Zuerst müssen Sie uns Gründe liefern, Sie nicht ebenfalls gefangen zu nehmen."

Menthir

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Casus Belli
« Antwort #223 am: 10.02.2012, 13:00:04 »
6. Dezember 1863 - Am Vorabend des Krieges - 21:24 Uhr - Frau Borggrefes Haus, Unter Arrest

"Beschweren Sie sich nicht mit Gedanken an Nocerino, Herr Nobel. Lassen Sie das meine Sorge sein.", sagte der Kieler Chemiker freundlich. "Er ist nur ein notwendiges Übel gewesen, weil die...wie soll ich sagen. Wie schon angedeutet, die PGP ist durchaus zu einigem in der Lage. Da dachte ich, einen Ausländer anzuwerben, würde die Dinge erleichtern. Vielleicht hat es das, vielleicht auch nicht. Aber das ist etwas, was ich eingebrockt habe, nicht Sie, also lassen Sie das bitte auch meine Sorge sein." Himly versuchte Alfred ein paar Sorgen vom Gemüt zu nehmen und sich aufzulasten. "Sie müssen sich erstmal um Ihren Bruder kümmern und sehen, dass Sie durch die Nacht kommen. Über Nocerino sprechen wir gegebenenfalls morgen nochmals."

Himly trank wieder einen Schluck und schien sich selbst durch sein eigenes Zimmer, oder wo auch immer er sein mochte, bewegen. "Erpressung ist etwas furchtbares. Er zerreißt einem das Innerste und doch, auch wenn man um die Methoden weiß, hilft es doch nichts, wenn jemand den Hebel anzusetzen weiß. Dass musste auch so mancher Stoiker erfahren, ja selbst ein Seneca[1] oder ein Mark Aurel. Es gibt Punkte, da bringt das Konzept der Apatheia[2] nichts. Und diesen Hebel mögen sie darin gefunden haben, dass sie vielleicht gar nicht Sie, Herr Nobel, als zu Erpressenden genutzt haben, sondern als Objekt der Erpressung. Aber darüber kann ich keine gesicherte Aussage machen, vielleicht ist auch schlichtweg einfach bei den Erpressern etwas schief gegangen und es hat Sie deswegen nicht erreicht." Himly bewegte sich weiter und dachte augenscheinlich nach.

"Wenn Sie morgen zu uns stoßen, werden wir im Hörsaal sitzen. Dort werden Sie auch die Herren Hänel und Ribbeck treffen. Unauffällig zu sein, dass ist ein guter Anfang und sich zwischen Studenten und Dozenten gleichermaßen zu verschanzen, wird uns für wenige Momente Ruhe verschaffen, ehe Sie Ihre neue Unterkunft betreten werden. Es gibt morgen eine Antrittsvorlesung, die Sie sich vielleicht auch anhören möchten. Der Rahmen ist ideal, um sich auch ungezwungen auszutauschen. Ich kann Ihre Bitte in diesem Rahmen leicht erfüllen, Herr Nobel. Ich wünsche Ihnen jetzt aber eine angenehme und vor allem ruhige Nacht. Passen Sie auf sich auf."

Der Ring an Alfreds Finger erkaltete und der Schwede spürte, dass die Zeit gekommen war, dem Kanonenofen neues Futter in Form von Holz zu geben. Der Schwede kam nicht umher, aus dem Fenster zu schauen, in das wilde, kalte Schneetreiben. Die Sicht war noch immer äußert gering und auch kaum Geräusche drangen an das Ohr des Chemikers. Der ruhige Schlaf seines Bruders war vernehmbar und wenn er ganz genau lauschte, konnte er ein schweres, alkoholgetränktes Schnarchen aus der nächsten Wohnung hören, wo entweder Röschmann oder Rix in der Art einen ganzen Forst versägten. Das ideale Wetter, um sich ungesehen der Wohnung der Borggrefe zu nähern. Zumindest bis zum Haus war man nicht zu entdecken. War es sicher, am Fenster zu sein und die ganze Zeit zu beobachten? Alfred hatte genügend Zeit, über diese Frage nachzudenken, denn müde war er nach dem Schlaf und dem Gespräch im Moment nicht. So beobachtete er, lauschte und achtete auf seinen Bruder, während die Nacht davonlief.

7. Dezember 1863 - Am Morgen des Krieges? - 07:56 Uhr - Frau Borggrefes Haus, Unter Arrest

Alfred schreckte aus dem Sessel hoch. Er fror. Der verdammte Ofen war schon wieder ausgegangen, er musste irgendwann noch ein wenig geschwächt durch den Alkohol und angestrengt durch das monotone Beobachten eingeschlafen sein. Die Sonne kroch langsam die Horizont hinauf, auch wenn sie von den Wolken verborgen war. Es schneite nicht mehr, aber das Dorf schien noch wie gelähmt, nur wenige Menschen schleppten sich über den Platz und kehrten den Schnee vor ihren Häusern weg. Im Hafen war bereits reger Betrieb, es waren Teile der Förde bereits zugefroren. Ausländische Schiffe versuchten noch schnell die Ladung zu löschen und wieder auf offenes Gewässer zu kommen, wenn sie unter terminlichen Druck standen. Andere machte ihre Schiffe und Boote hingegen jetzt richtig winterfest.

Als Alfred sich umdrehte, sah er, dass Emil die Augen geöffnet hatte und an die Decke starrte. Er sah gesünder aus, seine Wangen waren rosig und er betastete die frische Narbe, die noch an die Schwere der Verletzung erinnerte. "Ich...lebe und fühle mich...gut.", stellte er verwundert fest, als er sich Alfreds Blick gewahr wurde. Emil spürte auch, dass keine Naht seine Wunde zusammenhielt. "Wie lange war ich weg?", fragte er mit sichtlicher Verwunderung in der Stimme. Er wusste auch, dass so eine Verletzung schwer war. "Was ist mit der Solros?" Und schlagartig wurde klar, dass Emils Verletzung wirklich stark gewesen war und er die letzten Stunden in Fieber und Schock verbracht hatte, der einen Teil seiner Erinnerung blockte. "Ich erinnere mich an den schwarzen Danebrog, an Kanonenfeuer, irgendwas passierte dann. Ich sah nur noch Blut und To...Wo sind wir?"
An den Bewegungen und am Gesicht von Emil erkannte Alfred, dass Emil schon eine ganze Weile wach lag. Er sah nicht verschlafen aus, er hatte alle Glieder probehalber bewegt und beherrschte die Bewegungen bereits wieder. Nur dass Aufstehen hatte er sich nicht getraut.


 1. Seneca der Jüngere
 2. Apatheia
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Alfred Nobel

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Casus Belli
« Antwort #224 am: 14.02.2012, 17:58:20 »
Mit einem zufriedenen Lächeln blickte Alfred seinen Bruder an und trat zu ihm in das Schlafzimmer.

"Du befindest Dich zu Gast im Haus der Frau Borggrefe im Kieler Stadteil Gaarden. Wir sind in Sicherheit, Emil, im Moment jedenfalls. Du warst verletzt," antwortete Alfred seinem Bruder. Wieder Worte in seiner Muttersprache wechseln zu können fühlte sich gut an, vor allem, da es sein Bruder war, der die Worte hörte. Alfred rieb seine Handflächen aneinander und legte Emil die Finger auf die Stirn. Das Fieber war verschwunden. Tief blickte Alfred seinem Bruder in die Augen, der verwirrte Blick sprach wesentlich dafür, dass es notwendig war, die Erinnerung des jüngeren Nobels wieder aufzufrischen.

"Aber mittlerweile ist es wieder vorbei. Du hast eine Operation von einem Feldarzt hinter Dir, eine Wunde am Bein. Lass sie mich ansehen," Sprach Alfred weiter, und zog mit Emils Einverständnis die Decke von ihm weg. Nachdem Alfred letzte seinem Bruder die Heilmittel verabreicht hatte, hatte er den Verband vorsichtshalber wieder gewechselt. Die Wunde war nicht geeitert und hatte nur den Umständen entsprechend ein wenig weiter geblutet. Doch der größte Schaden war doch behoben.

"Ich bin zwar kein Arzt," begann Alfred wieder, und schenkte seinem Bruder einen neckischen Seitenblick, "aber ich glaube, auch meine Mittelchen haben Ihren Teil dazu beigetragen. Hier, nimm diese hier," sagte der ältere Nobel, griff nach zwei Ampullen in seiner Weste und reichte sie Emil. "Heilmittel[1] und biotischer Thermoregulator[2]. Stell Dich nicht so an! Du hast Blut verloren und Dir ist kalt, sie werden Dir helfen."

Weiterhin glücklich lächelnd nickte Alfred Emil aufmunternd zu und ließ ihn für einen Moment alleine. Vom Sekretär griff sich der Chemiker vier Reagenzgläser des russischen Rezeptes, trat aus der Wohnung und klopfte an die Tür der Soldatenkammer. Ohne sich in ein Gesppräch verwickeln zu lassen übergab er dem wachhabenden Soldaten die Flüssigkeiten, zwei Briefe und ein paar Geldstücke, mit der Bitte, die Post aufzusuchen und Frühstück für die Nobelbrüder und die Soldaten zu besorgen. Außerdem bat er um die neue Ausgabe der Rendsburger Zeitung und ein Exemplar von Hänels Schrift, fügte jedoch hinzu, dass der Soldat sich keine allzu große Mühe machen sollte, wenn er sie nicht auf Anhieb fand. Bevor Alfred wieder zurück in seine Wohnung ging, zeigte er auf die Gläser in der Hand seines Gegenübers. "Gegen Kopfschmerzen," sagte Alfred nur, zog die Augenbrauen hoch und nickte wissend.

Wieder in der Wohnung kniete Alfred vor den Ofen und warf ihn wieder an.

"Es ist der Morgen des siebten Dezember," rief er in die Schlafkabine zu seinem Bruder, "die Solros-Katastrophe fand in der Nacht zum sechsten statt. Du warst vermutlich die meiste Zeit nicht bei Dir. Als wir Dich an Land gebracht haben, haben wir gesprochen, erinnerst Du Dich? Kurz bevor Doktor Kern Dich operiert hat."

Alfred kam zurück in Emils Zimmer, sein Ausdruck war sorgenbelastet, wirkte jedoch keineswegs kraftlos. Auch wenn er eine unerholsame Nacht hinter sich hatte, fühlte sich der ältere der beiden Brüder durch das Wohlsein des jüngeren belebt und entschlossen, die Umstände anzugehen und die Sache hinter sich zu bringen.

"Die Solros liegt auf Grund," fuhr Alfred fort, "Es gab nur wenige Überlebende. Ich kann nur von Glück reden, dass einige waghalsige Studenten ihr Leben riskiert haben, um meinem Flehen nachzukommen, auf See zu stechen."

Kurz sammelte Alfred seine Gedanken, ehe er weitersprach. In kurzen und knappen Sätzen berichtete Alfred seinem Bruder von dem Angriff auf die Solros und seiner Rettung. Er sprach von dem schwarzen Braunschweiger, wie er den Haftbefehl gegenüber den Nobel Brüdern vortrug und Alfred sich weigerte, dem Herzog ausgeliefert zu werden. Alfred berichtete von Ohlendorf und Himly, und ihrer bevorstehenden Reise.

"Ich hoffe Dein Kopf ist mittlerweile wach genug, das alles zu verdauen," stöhnte Alfred, als er zum Schluss kam, "denn unsere Situation ist nicht rosig. Ich vertraue Himly, ich glaube er kann und will uns helfen. Aber dennoch müssen wir vorsichtig sein."

Bedächtig kratzte Alfred sich am Kinn und hob den Blick zum Gemälde an der Wand. Mit einem Seufzen strich sich Alfred die Kleidung glatt und setzte sich neben Emil auf das Bett.

"Du bist dran, Bruder. Was ist mit Dir geschehen?"
 1. Extract: Cure Light Wounds
 2. Potion: Endure Elements
« Letzte Änderung: 16.02.2012, 11:10:52 von Menthir »
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 - A Riddle, 1851

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