Wie es Anastasia ins Kloster verschlug:In den tiefsten Tiefen der Donnerberge gibt es ein Kloster, das zu dem frommen "Orden vom Eisernen Kreuz" gehört. Dieser Orden ist nicht einer bestimmten Gottheit geweiht, sondern den Prinzipien von Recht und Gerechtigkeit, Ehre und Tapferkeit, Nächstenliebe und Barmherzigkeit, Moral und Gewissen. Sein Ziel ist die Verteidigung von allem, was gut ist: Heimat, Haus und Hof, Ehre, Moral...
Das kleine Kloster in den Donnerbergen nun ist im wesentlichen ein Ausbildungslager. Hier, fernab von den störenden Einflüssen der Zivilisation, die den allzu leicht beeinflussbaren jungen Menschen den Kopf verdrehen könnten, wird die neue Generation Ordensbrüder herangezogen. Und auch eine Ordensschwester.
Eine einzige? Wie kam es dazu?
Nun, eines frühen Morgens wurde auf der Schwelle ein ausgesetztes Neugeborenes gefunden. Das Kind war warm eingepackt in Felle, aber es gab keinerlei Hinweis darauf, wer seine Mutter sein mochte. Das ganze war überaus seltsam. Wie kam das Kind hierher? Das nächste Bergbauerndorf war eine ganze Tagesreise entfernt und es war mitten im Winter, ein sehr kalter, stürmischer Winter noch dazu.
Es wurde lange beraten, was mit ihr—denn es war ein Mädchen—geschehen sollte. Das Ausbildungskloster nahm nämlich eigentlich nur Jungens auf, obwohl der Orden selbst nicht so exklusiv war. Die weiblichen Mitglieder waren jedoch Frauen, die als Erwachsene um Aufnahme baten, die schon als Kämpfer ausgebildet waren und nur eine rechte Bestimmung, ein rechtes Ziel suchten.
Auch hier im Kloster gab es vier Lehrmeisterinnen. Diese waren geschlossen dafür, das Mädchen zu behalten und auszubilden. Göttliche Vorhersehung, nannten sie es. Wie sonst hätte es das Kind hierher verschlagen können? Die acht Lehrmeister dagegen zögerten und zauderten. "Die bringt uns unsere Jungs durcheinander und vom rechten Weg ab", murmelten sie, worauf die Lehrmeisterinnen recht heftig konterten, da sie der langen Diskussion allmählich müde wurden: "Zur Sirene macht ihr sie, kaum das sie geboren ist! So seht ihr uns Frauen also? Dass wir ständig versuchen würden, euch arme Männer vom rechten Weg abzubringen und euch gegeneinander aufzubringen? Schämt euch. Mit der rechten Erziehung kann das nimmer geschehen. Und wenn euch das nicht passt, dann nehmen wir das Kind und gehen fort von hier und ihr kümmert euch um eure Jungs allein."
Da gaben die acht Lehrmeister zunächst grimmig nach, doch wenn man sie einige Monate später reden hörte, dann hätte man glauben können, das sei alles ihre Idee gewesen. Mit seinem freudigen Lächeln hatte das kleine Mädchen alle für sich eingenommen.
Man gab ihr den Namen Anastasia, weil es erhaben klingt, und de Winter, weil gerade Winter war.
Und so wuchs Tasha—so wurde sie bald genannt—in einem Kloster des Ordens vom Eisernen Kreuz auf, wo sie in Kampf und Moral ausgebildet wurde, in Frömmigkeit und Nächstenliebe.
Ausbildung im Kloster:Mit acht fing man an, sie im Kampf, Reiten und Körperertüchtigung auszubilden, zusammen mit sieben Jungen ungefähr gleichen Alters. Am Anfang tat sie sich schwer, aber nach und nach lernte sie, sich gegen die Jungs durchzusetzen und einigermaßen mitzuhalten, auch wenn sie ihnen körperlich und in den meisten Disziplinen des Kampftrainings meilenweit unterlegen blieb.
Ihr bester Freund war von Anfang an ein Junge namens Rowain, ebenfalls Waise, der im Orden aufwuchs und anderthalb Jahre älter war. Das ging so lange gut, bis sie das entsprechende Alter erreicht hatten und er sich in Tasha verliebte, sie in ihm aber immer (nur) noch ihren allerbesten Freund und Vertrauten sah.
Dann war ihre Ausbildung beendet. Einige der Kameraden verließen darauf die Donnerberge, um in einem anderen Kloster des Ordens unterzukommen, doch Rowain und Tasha sowie zwei weitere ihrer alten Kameraden blieben.
Auf Mission für den Orden:Zusammen überstand man diverse Missionen im Auftrag des Ordens und alles hätte wunderbar so weiter gehen können, wenn nicht auf einer dieser Missionen ein neuer Mann in Tashas Leben getreten wäre.
Galant war er, schön wie ein junger Gott, exotisch, redegewandt, unglaublich interessant... Selbst sein Name war Musik: Jeronimo! Auch war er der erste Mann, der sie wie eine Frau und nicht wie einen Trainingspartner oder Kampfkameraden behandelte. Viel zu schnell gab sie sich ihm hin und natürlich brach er ihr das Herz, denn bald—nach nur zwei Monaten voll der heimlichen, aufregenden Liebesnächte—verschwand er wieder aus ihrem Leben.
Und als Tasha sich dann Trost suchend an ihren besten Freund wenden wollte, wurde sie abermals enttäuscht. Zu gekränkt war dieser, um sie trösten zu wollen oder können. Aus dem Leib das Herz hatte Tasha ihm gerissen! (Unwissentlich, übrigens, denn sie hatte sich, trotz seines Geständnisses, einfach nicht vorstellen können, dass er, der mit ihr aufgewachsen war, der wie ihr Bruder war, dass er sie also wirklich auf die Art lieben konnte, wie er behauptete. Das war sicherlich nur eine fixe Idee von ihm, die rasch vorüber gehen würde.)
Und dann war Rowain fort. Auf eine Mission war er gegangen, allein. Eine gefährliche Mission. Warum allein? Sie erfuhr nur: irgendwo sollte er eingeschleust werden, in eine gefährliche Gruppe, eine Verbrecherbande vielleicht oder gar ein böser Kult? Rowain konnte nämlich, anders als seine Kameraden, sich gut verstellen und wunderbar flunkern
[1]. Das ganze war natürlich zum Großteil eine unüberlegte Trotzreaktion von ihm, vor lauter enttäuschter Liebe.
Und plötzlich, als Rowain schon fort war, erkannte Tasha, dass sie einen schrecklichen Fehler gemacht hatte. Was, wenn er umkam? Wenn sie ihn nie wieder sehen würde? Wenn sie ihm nie, nie sagen könnte: Ich habe mich geirrt! Oh, wie sehr ich mich geirrt habe! Dich, dich allein liebe ich!
Wenige Tage später wurde ihr noch auf eine andere Weise bewusst, dass die Liebesnächte mit Jeronimo ein Fehler gewesen waren. Und sieben Monate darauf entband sie von einem Jungen. Sie gab ihn fort. (Sie suchte ein gutes Zuhause für ihn, wo er es viel, viel besser haben würde als bei seiner "gefallenen" Mutter.)
Rowain war noch nicht wieder da und hatte auch nicht von sich hören lassen.
Die neue Mission:Sobald sie sich vom Wochenbett erholt und durch eisernes Training ihre Körperkräfte wiedererlangt hatte, bat Anastasia darum, dass man sie auf eine Mission schicken möge—und diesmal auch allein. Im Koster wollte sie nicht bleiben. Zu sehr hatte sie alle enttäuscht. Sie konnte die Blicke der anderen kaum ertragen in ihrer Scham. Vielleicht würde sie sich, nach Erfüllung der Mission, auch ein neues Kloster zur Heimat erwählen.
Doch bevor sie sich endgültig entschied, wollte sie erst einmal all ihre Tatkraft und all ihr Sinnen auf die Erfüllung ihrer Mission richten. So ihr Vorsatz, mit dessen Umsetzung es dagegen haperte, weil der Gedanke an ihren schrecklichen, ihren dummen Fehler Anastasia einfach nicht losließ.
An Göttern und der Gesellschaft habe sie sich versündigt und auch an ihren Ausbildern, welche sie seinerzeit wider besseren Wissens aufgenommen hatten in der Hoffnung, eine ehrbare Frau und Streiterin für das Gute aus ihr machen zu können—so hatten ihre Lehrmeister ihr vorgehalten. Das sahen ihre Lehrmeisterinnen anders. "Dir selbst hast du geschadet. Mädchen, wir haben dich doch dazu erzogen, deinen Kopf zu benutzen! Dumm ist, wer den Versprechen und Liebesschwüren der Männer traut! Je blumiger, je feuriger sie klingen, desto verlogener sind sie. Vergiss das nie!"
Anastasia selbst aber kümmerte weder, was sie sich selbst, noch was sie "der Gesellschaft" angetan haben mochte. Folterqualen litt sie bei dem Gedanken, wie es Rowain gehen mochte. Das plagt sie: der Gedanke, dass sie das vielleicht nicht wiedergutmachen kann. Und dann die Angst, er könne sterben auf seiner Mission! Oder auch nur vom Glauben abfallen. (Damit hat er sich schon immer ein wenig schwer getan... Was, wenn der Dolchstoß ins Herz, den sie ihm versetzt hatte, ihm nun den letzten Rest gegeben hatte?)
Was ist das überhaupt für eine merkwürdige Mission, wer hat sie ihm aufgetragen? Der Orden? Er hat es ihr nicht verraten, und beim Orden gibt ihr auch niemand Auskunft...
Beauftragt von ihrem Orden machte Anastasia sich also eines Tages (gut ausgerüstet, aber ziemlich abgebrannt) auf den Weg nach Norden, zum Wald von Barradur, auf eine Mission, die sie kaum verstand. Die Lehrmeister hatten von vagen Bedrohungen gesprochen, von Ahnungen, Träumen, Götterstimmen... und einem Orakel, das Anastasia befragen sollen. Und mit Rowains Verschwinden sollte das ganze auch etwas zu tun haben.
Und so kam sie nach einer kurzen, ereignislosen Reise, auf der sie weder Mensch, noch Tier, noch Monster traf—obwohl man sie vor den schrecklichen Gefahren dieses Waldes gewarnt hatte—endlich
beim Orakel von Battice an, das mitten im Wald auf einem Bergplateau lag.