Überall konnte Nicolas sie beobachten, in ihren Häusern, auf den Straßen, auf dem Marktplatz und sogar vor dem fürstlichen Techtelmechtel, auf das er gerade zuging. Die Lämmer gingen nichtsahnend ihrem Alltag nach und wussten garnicht, wer unter ihnen wandelte. In seiner Verkleidung war Nicolas ein einfacher Pilger, dem niemand Beachtung schenkte und das gefiel ihm. Nichtsahnend liefen sie einfach an ihm vorbei und wussten garnicht, das sie geradewegs auf dem Weg zur Schlachtbank waren. Der Alchemist konnte sich ein gehässiges, leises Lachen nicht verkneifen, als seine Gedanken für einen Moment abdrifteten und er sich ihren Untergang vorstellte.
Dieses Gedankenspiel war nur für einige Sekunden präsent, bevor er sich wieder auf das Wichtige konzentrierte und das Gasthaus betrachtete. Es sah nicht besonders aus aber hier würden die Pläne zum Untergang des Dorfes und der Festung geschmiedet werden. Nicolas musste nur ein Mitglied der anderen Gruppe finden. Das ganze Unterfangen - das er sich eigentlich viel schwerer vorgestellt hatte - war aber schon zu Ende, bevor es richtig angefangen hatte. Denn vor dem Gasthaus löste sich in diesem Moment eine Menschenmenge und folgte einem Aasimar-Mädchen. Als die Gruppe an ihm vorbeikam, konnte er seinen Blick kurz über das Mädchen schweifen lassen und erkannte Iomines Puppe. So ein schreckliches Ding konnte nur die Tiefling besitzen und vermutlich würde sie es auch in ihrer veränderten Gestalt nicht von sich geben. Sie würde es behalten, komme was da wolle und deshalb war sich Nicolas auch sicher, das das Mädchen Iomine sein musste.
Trotzdem ließ er sich nicht dazu hinreißen ihr zu folgen, denn das würde nichts bringen. Wieso sie mit den Menschen mitging wusste er nicht aber zumindest sahen sie nicht wütend aus und bedrohten sie auch nicht, weshalb der Alchemist annahm, das sie nicht in Gefahr war und aus freien Stücken der Masse folgte. Den Grund dafür konnte er immernoch von einem der anderen Mitglieder des Knotens erfahren. Wenn Iomine gerade erst gegangen war, konnten Luis, Biriseria und Jegor - von denen Nicolas natürlich noch nicht wusste, das sie tot waren oder eine andere Aufgabe hatten - nicht weit sein. Zur Not würde er hier auf die Rückkehr Iomines warten, falls er die anderen nicht finden sollte. Also betrat Nicolas vorsichtig das Gasthaus, wobei er die Lage ersteinmal kurz und flüchtig sondierte
[1] und sich dann direkt an den Mann wandte, der am Tresen stand.
"Seid gegrüßt! Ich bin seit einigen Tagen unterwegs und suche eine Möglichkeit, diese Nacht meine schmerzenden Knochen etwas auszuruhen, damit ich bald meinen Weg fortsetzen kann. Habt ihr ein Zimmer frei?"Nach dem kurzen Gespräch setzte sich Nicolas in seiner getarnten Gestalt an einen leeren Tisch in einer Ecke des Raumes und betrachtete die Gäste genauer.
[2] Vor allem würde er auf die Stimmen der Männer in dem Raum achten, um eventuell die Stimme Luis oder Jegors wieder zu erkennen, denn soweit Nicolas wusste, wurden diese nicht von der Dornenkrone beeinflusst. Schließlich flüsterte er noch leise ein
"Deceptico Ocularis" und wartete darauf, das etwas passierte oder er ein Mitglied des Knotens wiedererkannte.
Nach einiger Zeit fiel Nicolas tatsächlich jemand auf, der Luis sehr ähnlich sah. Natürlich musste man den Antipaladin gut kennen und ihn öfters gesehen haben aber trotz der Narbe, dem Bart und dem anderen Haarschnitt war es für Nicolas nach einer genaueren Betrachtung nicht zu übersehen. Dieser Mann sah Luis vom Gesicht her so ähnlich, das eine Verwechslung fast ausgeschlossen war. Trotzdem ging Nicolas lieber sicher und betrachtete den Mann noch ein, zwei Minuten länger als nötig um sich ganz sicher zu sein. Er schlenderte zu ihm herüber und beugte sich zu dem frühstückenden Mann hinunter.
Vor Luis stand ein Mann mittleren Alters, der in eine einfache graue Robe gehüllt war. Die braunen Haare trug Nicolas in dieser Verkleidung offen und seine grünen Augen wurden durch ein graublau ersetzt. Er beugte sich zu Luis hinab und sprach ihn leise - aber nicht flüsternd - an,
"Seid gegrüßt und entschuldigt, das ich Euch einfach anspreche aber ich bin nicht umhin gekommen zu bemerken, das mir Euer Gesicht bekannt vorkommt. Habe ich Euch auf meiner Wanderschaft vielleicht schon einmal getroffen?"Nicolas grinste den Mann an. Aus der Nähe gab es wahrlich keinen Zweifel, das dies das Gesicht des Antipaladins war. Er war froh ein weiteres Mitglied des Knotens gefunden zu haben und dazu noch Luis, der neben Ochnar das war, was für Nicolas einem Freund am nächsten kam.