Versonnen betrachtet Mirrasshi die verlassenen Gebäude um sich her. Hier lebte schon lange niemand mehr, das ist offensichtlich. Ein wenig ist die Hin enttäuscht über diese Tatsache. Eine bewohnte Stadt hätte das Ende der langen Prüfung bedeutet. Im gleichen Moment erkennt sie aber, dass Enttäuschung immer bedeutet, dass zuvor eine Hoffnung da gewesen sein musste. Hatte sie wirklich gehofft, dass Tezcas Prüfung nun schon vorbei sei? Sogleich schämt sie sich für diesen bisher unbewussten Gedanken und beschließt zu ihren Gefährten zurück zu kehren und ihnen Bericht zu erstatten. Ach sie sollten wissen, dass ein Ende noch nicht in Sicht ist.
Schnell erkennt sie, dass ihre Gefährten ihr anscheinend gefolgt sind. Erst jetzt gibt sie ihre geduckte Haltung auf, die ihr so in Fleisch und Blut über gegangen ist, dass es ihr beinahe leichter fällt, sich zu verstecken als nicht. Es ist ihr zwar nicht Recht, dass sie nicht auf ihre Rückkehr gewartet hatten, denn sie weiß, dass große Leute sich kaum verstecken können, aber da ihnen hier ohnehin keine Gefahr droht, stört sie sich auch nicht daran. Vielleicht haben sie durch ihre Größe schon vorher sehen können, dass hier niemand mehr lebt. Tlacatl betrachtet die Bauwerke mit bewunderndem Blick, während er wie üblich versucht, die gesamte Gruppe im Auge zu behalten, Yaotlchone beäugt die leeren Gemäuer hingegen mit deutlichem Unbehagen, und Xiuhcoatl...
Was die Hin da erblicken muss, lässt sie erstarren. Der Sohn des Tezca hockt nur auf dem Boden, ängstlich zitternd und schwach wie ein Kind. Einige Male blinzelt sie, wie um dieses Bild vor ihren Augen zu vertreiben. Das kann einfach nicht sein. Das darf nicht sein! Er ist der Sohn des Tezca. Er ist nicht schwach. Er war immer der stärkste von ihnen allen. Was kann nur in ihrer Abwesenheit geschehen sein? Ist das wieder ein Prüfung?
Natürlich! Es muss eine neue Prüfung sein. Eine andere Erklärung gibt es nicht. Doch sieht sich die kleine Wildling nun auf ihre wohl schwerste Probe gestellt, denn sie hat nicht die leiseste Vorstellung davon, wie sie sich verhalten soll. Ein Kind würde sie versuchen, zu trösten und in den Arm nehmen, aber Xiuhcoatl ist kein Kind. Ganz im Gegenteil. Sie erinnert sich noch zu gut daran, wie sie vor ihm im Staub gelegen und um ihr Leben gefürchtet hat, oder wie sie ihm das Herz des Riesenskorpions geopfert hat. Das alles machte doch ihn zu dem Stärkeren und sie zu der Schwächeren. Wie soll sie da in der Lage sein, ihm zu helfen?
Schließlich ringt sich Mirrasshi dazu durch, dass irgend etwas zu tun auf jeden Fall besser ist, als nichts zu tun. So geht sie langsam und vorsichtig auf den zusammen gekauerten Jäger zu und versucht einen Blick auf sein Gesicht zu erhaschen als sie neben ihm steht. "Herr...", beginnt sie leise, als sie ihm die Hand auf seine zitternde Schulter legt. Erst jetzt bemerkt sie, wie sehr sie auch selbst zittert. "...geht es euch nicht gut? Kann ich irgend etwas für euch tun?" Echte Besorgnis steht ihr ins Gesicht geschrieben während sie auf eine Antwort des Mannes wartet, zu dem sie bisher nur auf geblickt hatte.