Verdattert blickt Xiuhcoatl zum schemenhaften Gestalt empor.
Er hat Trommeln, Kürbisrasseln oder Singen erwartet, das die Geister vertreibt.
Stattdessen spricht ihn die Gestalt, die von Tezcas Strahlen verschleiert wird, direkt an.
IHN, nicht die Geister!
Auch die Worte ergeben wenig Sinn.
"Wieso Wolf? Ich bin wie der Puma. Ich jage alleine! Ich brauche kein Rudel!"
Er blinzelt, um die Gestalt genauer zu erkennen. Kurz hebt er seine Schuppen an die Stirn, um Tezcas Leuchten von seinen Augen fernzuhalten.
Und erkennt die Geistfrau, die auf den Stufen über ihm steht.
Xiuhcoatl hat jemand anderen erwartet und so keucht er überrascht auf.
Wieder rasen die Gedanken durch den Kopf des blaßäugigen Pezelaci.
“Was hat das Alles zu bedeuten?“ Langsam steht er auf und schwankt hin und her; die Arme mit Schuppen und Zähnen hängen einfach am Körper herab. Noch immer versteht er nicht.
Er war in die Stadt gekommen und hier hatten ihn die bösen Geister mit dem konfrontiert, gegen das seine Macht nicht wirkte. Sie hatten ihn hilflos gemacht. Hilflos wie die Fliege im Netz der Spinne, umgarnt von der Sicherheit seiner eigenen Überlegenheit.
Torkelnd dreht er sich herum und betrachtet die anderen: die Kindfrau und den Tiergeist, hinter ihnen der beleidigende und der Beilmann wie eine Leibwache. Es scheint ihm, als würden sie ihn angrinsen. Spöttisch, siegessicher! Wieder schwingt sein Kopf hin und her, um eine Fluchtmöglichkeit zu suchen.
Aber er sieht keine!
Noch immer spürt er die unendlich vielen Geister in den scheinbar leeren Öffnungen der Gebäude, die nur darauf warten, ihn bei einer Flucht zu packen und zu zerreißen.
Nein, von hier gibt es kein Entkommen!
Die Geister haben ihn zur Strecke gebracht!
Ein gequältes Stöhnen entspringt seiner Brust, das sich zu einem unartikulierten Schrei steigert.
Langsam hebt er die Arme mit Schuppen und Zähnen, während er sich erneut umdreht und Tezcas Strahlen ihn umspielen. Wie ein Sünder, der um Vergebung bittet, steht er da, zu Tezca aufschauend.
Aber es passiert nichts!
“Wie lange haben sie es schon geplant? Seit meiner Gefangennahme? Seit meiner Verbannung aus dem Dorf? Oder seit meiner Geburt?
Wußtest du davon, Mutter? Hatten die anderen Recht, als sie sagten, ich wäre schon seit meiner Zeugung den Geistern näher als den Lebenden?
Ich dachte, ich wäre wie der Sohn des Tezca, als ich ihn das erste Mal sah und die Macht der Furcht spürte, die er mit sich brachte. Aber ich habe mich getäuscht. Wie vermessen, sich mit dem Sohn eines Gottes zu vergleichen.
Hier wird mir die Strafe zu Teil, die sich Tezca für mich überlegt hat. Anders kann es nicht sein!
Wenig bin ich! Weniger als die Geister. Weniger als jene, die die Geister schon auf ihre Seite gezogen haben, denn die haben ihre Macht schon vorher erkannt. Weniger als ein Jäger und auch noch weniger als die Beute, die er jagt! "
Ihm wird sein Schicksal nun klar. Ein Schicksal, vorgezeichnet durch sein ganzes Leben. Wie hatte er es nicht erkennen können? Zumindest seit die Geister sie in dem Dorf aufgesucht hatten, hätte er es begreifen können.
Und doch klammert sich noch ein wenig seiner Selbst an das Alte.
Mit einem letzten, aufbegehrenden Schrei, geboren aus Qual und Verzweiflung, wirft er Schuppen und Zähen von sich. Xiuhcoatl verläßt diesen Leib mit dem letzten Ton des Schreis. Nun steht er wehrlos da, fast wie bei seiner Geburt.
Er hat die Wahrheit erkannt!
“Ich bin nicht Xiuhcoatl!
Ich bin Nichts!“
Seine Seele ist verloren. Sie gehört den Geistern.
Er selbst ist nun ein Geist!
Die Worte der Geistfrau gehen ihm erneut durch den Kopf.
Ja, er kennt jetzt seinen Platz. Er ist ein Teil des Geisterrudels, der letzte des Rudels.
Erneut fällt er auf die Knie. Auf allen Vieren tapst er auf die Gruppe der andern zu, unterwürfig den Kopf gesenkt.