Ohne groß mit der Wimper zu zucken, besah sich Samuel den Abgang von Crane. Die Worte die er gesprochen hatte, mochten wahr sein, aber Zweifel blieben dennoch. Wenn man sich Crane besah, stimmte es, er sah nicht aus, als habe er in letzter Zeit ein großes Erbe erhalten. Doch die Ringe an seinen Fingern sprachen eine andere Sprache. Grimmig überachte Pierce, das er Ringe in dieser Wertkategorie schon lange veräußert hätte. Was halfen einem Schmuckstücke an den Fingern, wenn man hungerte, oder wie in diesem Fall einer Pfeife mit ordentlichem Tabak nach schmachtete? Nichts. Samuel vermutete eher eine faustdicke Lüge hinter der Geschichte, er konnte sich immerhin nicht Monate verspätet haben und wenn man das Erbe erst einmal hatte, musste man es ja auch zuerst einmal unter die Leute bringen.
Kurz danach, gerade als Samuel ein Gespräch mit Dana beginnen wollte, erschien ein weiterer Mann in der Tür.
“Hätte ich mir denken können. Mehr Erben, als ich Haare auf dem Kopf habe. Vermutlich habe ich ein Goldstück geerbt. Die Anreise hat mich sicherlich mehr gekostet. Verdammt, ich hätte mit meiner Zeit etwas Besseres anfangen können.“ ging es ihm durch den Kopf.
Der Mann, der sich als Viktor Mortis, vorstellte, erwartet verständlicherweise zu erfahren mit wem er es zu tun habe. Er nickte diesem ebenfalls zur Begrüßung zu, nicht darum bemüht um für eine Vorstellung aufzustehen.
"Ein Priester! Darf das denn wahr sein? Es wird immer besser!"
Doch bevor Samuel etwas sagen konnte – mittlerweile leicht gereizt - beendete Dana ihr Frühstück und entschuldigte sich, als sie den Raum verließ. Er blickte ihr merklich länger hinterher, als er es zuvor bei Crane getan hatte. Sein Augenaugenmerk lag dabei eindeutig auf ihrem verlängerten Rücken.
Da er sich aber nun im Warmen befand, spürte er die Kutschenfahrt deutlich in seinen Knochen. Er war müde und goss sich eine Tasse Tee ein, mit der Hoffnung dass dieser ihn aufwecken würde. Doch nicht nur Samuel sah aus, als habe er schon bessere Tage gehabt, auch Viktor schien nicht der Frischste zu sein.
Wiederholt setzte er an um zu antworten, als abermals die Tür aufging. Doch dieser Anblick erfreute ihn nun wieder, da es sich um eine Frau handelte. Um genau zu sein, hatte er endlich die Tochter und vermutliche Haupterbin vor sich stehen. Er erhob sich und begrüßte Kendra Lorrimor, ebenso wie Dana zuvor mit einem Handkuss. Er setzte einen leidenden Gesichtsausdruck auf bevor er sprach.
“Ms. Lorrimor, es ist mir eine Freude Euch kennen zu lernen – wenn auch unter solch tragischen Umständen. Mein Name ist Samuel Pierce. Ihr schicktet mir einen Brief, um mich über das Ableben Eures Vaters zu informieren. Sein Tod schmerzt mich zutiefst. Verzeiht mir meine Verspätung, ich wurde aufgehalten. Mein herzlichstes Beileid.“
Er verneigte sich noch einmal und trat dann einen Schritt zurück.
Er beschloss so freundlich wie möglich zu ihr zu sein, bis er sein Gold in der Tasche hatte um dann wieder zu verschwinden. Die Truppe die sich hier versammelt hatte, schien ein bunt zusammengewürfelter Haufen zu sein. Noch wusste er nicht wie er die Einzelnen einschätzen sollte.
Im Geiste ging er die Personen zügig durch, die bisher in Erscheinung getreten waren, in der Hoffnung es würde nicht noch mehr werden.
Wenn dies alles Freund des Verstorbenen waren, musste er am Ende noch für die Beerdigung aufkommen. Viel Gold konnte ja nicht mehr übrig sein. Nur mit Mühe schaffte er es seinen Gesichtsausdruck neutral zu halten, so dass die Zornesfalte, die so oft auf seiner Stirn erschien, nicht seine Gedanken verraten zu können.
“Ich wurde bereits unterrichtet, dass ich das Begräbnis verpasst habe. Ich bin untröstlich meinen guten, alten Freund auf seinem letzten Wege nicht begleitet haben zu können. Verzeiht mir in diesem Zusammenhang meine Indiskretion, aber Morton hier,“ er deutete mit seiner Hand locker auf den Söldner herüber “sagte, es habe einen schrecklichen Unfall gegeben. Eine Gargolye-Statue habe Petros das Leben gekostet. Wenn ich ehrlich sein darf, Ms. Lorrimor, eine Statue die von alleine auf den Weg zum Erdboden macht, ist mir bisher nicht untergekommen. Dabei sah ich schon die wunderlichsten Sachen. Der Professor war ein guter Freund und dieser Unfall erscheint mir haarsträubend.“
Mit Schrecken erkannte Samuel, dass ihn mal wieder seinen Neugier gepackt hatte. Was war hier wirklich gesehen? War das Erbe so groß, dass andere danach trachteten? Wieder kam ihm in den Sinn, dass auch die Anwesenden eine Horde von Meuchlern sein könnten. Doch diesen Gedanken schob er von sich. Denn sollte es so sein, saß er ohnehin in der Falle.
Hätte er auch die Vogelscheuche Crane niederstrecken können, bei Morton sah die Sache anders aus. Außerdem waren es fünf, sechs, sieben (er hatte aufgehört mitzuzählen) gegen einen.
Also hoffte er, dass es sich bei denen, von ihm vermuteten, Mördern nicht um die hier Anwesenden handelt würde.
Er war sich sicher, dass er es kein Unfall gewesen war und Samuel war davon überzeugt, dass er sich nie irrte.
Abgesehen von seinem Fauxpas mit der Verwechslung von Nefalen einmal abgesehen, diese war aber so unbedeutend, dass er sich nicht mehr damit befasst.