Dana war Kendra dankbar dafür, dass auch sie Ichabod bezüglich des Streits mit Samuel Pierce etwas den Wind aus den Segeln nahm. Es war zudem beruhigend zu hören, dass der Neuankömmling tatsächlich eingeladen worden war, weil er ein Freund und Protegé des Professors gewesen war. Dies bedeutete, dass Samuel sich als nützliche Hilfe herausstellen könnte, wenn er sich denn entschloss zu bleiben. Damit dachte Dana wohl ganz anders als ihr Ehemann.
Aber zumindest zeigte Ichabod sich reumütig, was Kendra betraf – was Dana tatsächlich vorerst wieder milder stimmte. Vorerst, denn ihre Laune verschlechterte sich erneut, während sie seiner Entschuldigung lauschte.
Selbstverständlich war Kendra hier ihre Gastgeberin und nicht sie, doch dass Ichabod die Entscheidung, ob er in Ravengro bleiben würde oder nicht, in Kendras Hände legte, missfiel Dana. Es mochte eine Geste sein, die seine Entschuldigung stützte, doch ging diese auf Danas Kosten. Für sie hörte es sich nach ihrer Überzeugungsarbeit danach an, als sei diese spurlos an Ichabod vorbeigegangen und als würde er Kendra ihr gegenüber den Vorzug geben. Es schmerzte und ärgerte sie, denn nachdem sie das Geplänkel mit ihm genossen hatte, fühlte sie sich nun zum Narren gehalten. Nur wenige Minuten waren vergangen, seitdem er ihr versichert hatte, dass er nicht glücklicher sein könne, weil er an ihrer Seite war, und seitdem er ihr versichert hatte, zu bleiben. Sie hatte versucht, Ichabod um den Finger zu wickeln, jedoch war sie anscheinend stattdessen in seine Falle aus schelmischen Worten, Küssen und Komplimenten getappt. War dies der erwähnte Krieg, den er nach der verlorenen Schlacht weiterführte? Dana wollte nicht, dass er ging, und allein das sollte für ihn bedeutsam sein. Liebe machte blind, so hieß es, und blind hatte sie darauf gehofft und vertraut, dass sich alles wieder fügen und gut werden würde, nun, da Ichabod und sie wieder vereint waren. Doch er machte in der jetzigen Situation nicht den Eindruck als würde er darauf Wert legen. Er machte nicht den Eindruck als sei Danas Meinung zu dem Thema überhaupt von Belang für ihn. Wieder einmal spürte sie, dass die Trennung ihr Gemüt zu einem zerbrechlichen Konstrukt gemacht hatte. Sie hatte sich von der Sehnsucht nach ihm und seinen Liebkosungen übermannen lassen, sodass sie scheinbar zu schnell wieder zu große Nähe zugelassen sowie selbst gewollt und heraufbeschworen hatte. Dana sich am liebsten für ihre Blauäugigkeit und ihre Verwundbarkeit, die sie selbst verursacht hatte, geohrfeigt.
Vermutlich überreagierte sie, doch dass sie Enttäuschung, hinsichtlich Kendra aber auch leichte Eifersucht verspürte, konnte sie nicht verhindern. So war es Betrübtheit und Anspannung, die sie befallen hatten, als Ichabod sich ihr nach Kendras Antwort mit einem fragenden Blick zuwandte. Die Tochter des Professors hatte Ichabod gebeten zu bleiben, dennoch war Dana nicht glücklich darüber, auf diese Weise ihren Willen zu bekommen. Sie war im Vergleich mit der vorherigen Situation nicht wirklich milder gestimmt, wenn auch ihre jetzige schlechte Laune anderer Art war. Dana erwiderte Ichabods Blick nur kurz und schwieg. Sie wollte die Angelegenheit nicht kommentieren, denn sie wollte es vermeiden, Kendras Nerven noch mehr beanspruchen, indem auch sie möglicherweise die Beherrschung verlor. Außerdem ging das, was sich zwischen den Eheleuten Crane abspielte, niemand anderen etwas an.
„Ihr müsst Euch nicht für Eure Gefühle entschuldigen, Kendra“, sagte Dana dann doch, um nicht völlig still daneben zu stehen.
„Wir alle sind angespannt und in Trauer und für Euch muss es am schwersten sein. Ich weiß nicht, wie ich reagieren würde, wenn…“ Sie unterbrach sich. Von einem Unglück zu sprechen, rief es herbei, und nicht nur Kendra hatte vor Kurzem ihren Vater verloren, sondern auch Ichabod seine Eltern. Der Tod Danas Mutter war viele Jahre her, weswegen sie diese Trauer schon überwunden hatte, doch sie wollte sich wirklich nicht ausmalen, wie es ihr zumute sein würde, wenn Pharasma auch noch ihren eigenen Vater zu sich rufen würde. Neben Ichabod war er der wichtigste Mensch in Danas Leben, auch wenn das Verhältnis beiden Männer untereinander nicht das beste war – der in die Jahre und damit auch in die Breite geratene Schurke und Händler hatte Ichabod nie wirklich gemocht.
Gerade auf die Art und Weise, auf die der Professor das Zeitliche gesegnet hatte, musste dessen Tod für Kendra besonders schwer zu ertragen sein. Miss Lorrimor schien noch nicht wirklich wahrhaben zu wollen, dass ihr Vater von Nekromanten – möglicherweise Freunden, von deren Schaffen er nichts geahnt hatte und denen er vertraut hatte – ermordet worden war.
„Wenn es Euch mit uns jedoch zu viel wird, scheut nicht, es zu sagen. Langsam wird es hier unter einem Dach eng mit so vielen Besuchern und wir wollen Eure Gastfreundschaft nicht überanspruchen. Sicherlich werden im Ort noch ein paar Betten frei sein. Vielleicht ist es angesichts der Streitereien, die aufkommen, die beste Lösung, uns einander etwas Abstand zu gönnen.“ Uneigennützig war dieser Vorschlag nicht. Mit dem Gedanken, sich in Ravengro ein Zimmer zu nehmen, hatte Dana bereits am gestrigen Tag gespielt, weil sie sich nach der Anreise und nach den zwei bisherigen, einigermaßen unruhigen Nächten hier nach einem bequemen Bett sehnte. Ob sie sich zudem nach ungestörter Zweisamkeit mit Ichabod sehnte, war sie sich im Moment nicht sicher.
Im Grunde war Dana dankbar dafür, dass Brann auftauchte und sich ungeduldig bezüglich einer erneuten Testamentverlesung zeigte. Wenn sie doppelte Gewissheit hatten, Samuel Pierce vertrauen zu können, denn Kendra hatte ihrerseits immerhin bereits bestätigt, dass sie den Neuankömmling eingeladen hatte, würden sie auch offen über weitere Pläne sprechen können. Das würde Dana vermutlich von den Dingen, die allein sie persönlich beschäftigten, ablenken. Außerdem mussten sie einfach weitere Nachforschungen betreiben, um den Mord am Professor aufzuklären.
„Was meintet Ihr eigentlich mit 'Blut an der Statue'?“, wollte Dana, an Kendra gewandt, noch wissen. „Aber lasst uns dies vielleicht später besprechen, das Testament hat nun erst einmal Vorrang.“