Akt 1 - Ein wohlverdienter Urlaub...
Denver, den 19.03.2072
Es ist ausnahmsweise ein warmer Fruehlingstag. Denver's sonst so triste Wolkendecke ist aufgerissen und anstatt verschmutzter Regentropfen fallen zur Abwechslung mal Sonnenstrahlen auf die vier Zonen von Ghostwalker's kleinem Reich. Nach der Oeffnung der Grenzen im letzten Herbst und der darauffolgenden Machtdemonstration der Zone Defense Force, die unter neuer Leitung beweisen musste, dass mit den geoeffneten Grenzen nicht gleichzeitig ein Einladung an alle kriminellen Vereinigungen einherging, hat sich die Lage wieder etwas beruhigt und das normale Leben ist wieder in Denver eingekehrt.
Nichtsdestotrotz bluehen die Schatten von Denver wie eh und je. Mafia, Vory, Koshari und diverse andere Unterweltorganisationen kaempfen weiterhin um ihre Vormachtsstellung, Konzerne liegen auf der Lauer um ihren Konkurrenten das Geschaeft zu versauen und selbst der Rat des Drachen persoenlich hat das Ein oder Andere Aergerniss, dass erledigt werden muss. Eine rege Geschaeftswelt, mit bunten Gestalten und gut bezahlten Jobs fuer faehige Runner. Doch auch der beste Runner braucht irgendwann etwas Urlaub, etwas Entspannung von dem harten Alltag in den Schatten, eine Moeglichkeit das hart verdiente Geld auszugeben oder einfach nur Gelegenheit, neue Kontate zu knuepfen...
Schwungvoll wirft Samira den Koffer auf das Bett ihres kleinen Zimmers in dem Motel. Vor nicht einmal 24 Stunden hatte sie hier eingecheckt um etwas Ruhe einkehren zu lassen nach ihrem letzten Job, dochseitdem hat sich nichts geruehrt. Wie es scheint war ihr Eingriff noch nicht aufgeflogen oder besser noch, die Kon-Sicherheit hatte keine Ahnung, wonach sie suchen sollten. Vor einigen Stunden war auch die Bezahlung ihres Auftraggebers eingetroffen, es hielt sie also nichts mehr in Denver. Die Stadt war eine nette Abwechslung, besonders wenn man die interessanten Jobs beachtete, die sich hier in letzter Zeit auftaten, aber das war's auch.
Sie war froh, dass ihr Flugticket schon gebucht ist. In nichtmal zwei Stunden wuerde sie auf dem Heimweg nach Seattle sein. Ihr Schieber hat ihr bereits alle noetigen Daten fuer den Flug zukommen lassen und Samira hofft, dass auch am Flughafen alles glatt laufen wuerde. Der Angestellte am Check-In-Schalter war geschmiert, der Koffer wuerde seinen Weg an Bord des Flugzeuges finden, ohne auch nur jemals einen Scanner aus der Naehe gesehen zu haben. Jedenfalls hoffte sie das, waehrend sie Granaten, Munition, Schusswaffen und alles moegliche an illegalem Kram in ihren Koffer packt. Als das letzte Stueck Equipment verstaut ist schaut sie auf ihr Commlink. Ihr bleiben nicht mehr ganz zwei Stunden, bis zum letzt-moeglichen Check-In.
Die Entscheidung, der Einladung nach Denver zu folgen, war nur so halb von Erfolg gekroent. Einer von Dirty South' ehemaligen Arbeitgebern hatte ihn an die Italiener vermittelt, die faehige Executives, wie sein Ex-`Boss` ihn immer mit einem daemlichen Lachen bezeichnete, gut gebrauchen und bezahlen konnten. Eine Zeitlang hat er auch recht behalten, dass Geld was DS verdient hatte war nicht zu verachten, doch Denver war auch ein gefaehrliches Pflaster fuer ihn, lag es doch mitten in der Grenze zu den CAS. Durch die geoeffneten Grenzen hatte er weniger Probleme, als er noch vor einem Jahr gehabt haette, doch auch so kam es zu einem unguenstigen Zwischenfall zwischen ihm und einem Cop, der sich etwas zu genau interessiert hat. Die Leiche war laengst verschwunden und eine Spur zurueck zu DS war quasi nicht zu finden, doch der Don wollte trotzdem auf Nummer sicher gehen und Dirty einen kleinen Urlaub spendieren, um etwas unterzutauchen. Einer seiner Kontaktmaenner wuerde ihn in einem bekannten
Unterschlupf erwarten und ihn anschliessend unbemerkt an Bord eines Flugzeugs bringen, das ihn erstmal fuer eine Weile aus Denver rausbringen wuerde. So jedenfalls Dirty's spaerliche Informationen.
Daten extrahieren. Eine Kunst, auf die sich Eve unter anderem sehr gut verstand. Nicht die simple Extraktion von Daten aus einem Matrix-Host oder dem Klauen von physischen Plaenen. Sie verstand sich mehr auf die feinere Art der Informationsgewinnung. Das Ausspielen der psychischen Schwaechen ihres Gegenuebers. Ihre besonderen Faehigkeiten waren ihre Werkzeuge und bis jetzt war sie wenigen Zielpersonen begegnet, die ihr frueher oder spaeter nicht doch das verraten haetten, was sie wissen wollte; die letztendlich nicht doch ihrem Charm und ihren Ueberredungs- und Einlullungs-Talenten zum Opfer gefallen waere. Und, so hoffte sie, wuerde es auch diesmal laufen. Der Job war nicht Top bezahlt, aber es sollte auch nur ein kurzer Einsatz werden. Ihr Auftraggeber, ein kleiner Konzern im Mittelfeld seines Geschaeftsbereiches, hatte es auf die Zugangscodes eines der Execs ihrer Konkurrenz abgesehen. Eve war das Werkzeug, diese Codes zu besorgen. Viel Informationen hatte sie noch nicht bekommen, nur, dass der Job heute noch starten wuerde. Anscheinend stand fuer ihre Zielperson eine Geschaeftsreise an. Eine Geschaeftsreise, die Eve nutzen sollte um mit ihm warm zu werden und unbemerkt eine Kopie bestimmter Schluesselcodes anzufertigen, die er immer bei sich trug in Form einer Zugriffs-Karte. Alles in allem ein leichter Job fuer Eve, so war jedenfalls der Plan. Fehlten nur noch naehere Informationen zu ihrer Zielperson, doch die wuerde sie in wenigen Stunden in den Haenden halten, der Treffpunkt mit ihrem Auftraggeber war schon abgemacht.
Sein verschwinden nach Denver lief relativ glatt und bis heute bereut er die Entscheidung, Seattle zu verlassen, nicht. Alle Faeden in
seine alte Vergangenheit hatte er zerschnitten und zwar gruendlich. Jedenfalls war es das, was Faol bis jetzt angenommen hatte. Unglaeubig hatte er die Nachricht eines seiner ehemaligen Kontakt gelesen und seine Gedanken rasten, um zu ueberlegen, wo er einen Fehler gemacht hatte, doch er fand keinen. Sein Kontakt behauptete, dass in den Schatten Interesse an seiner Person aufgekommen war. Irgendwer schien nach ihm zu suchen und wenn es etwas war, was der untergetauchte Runner gebrauchen konnte, dann Bekannte aus seiner Vergangenheit. Vermutlich war es nur ein Schnueffler, der einem seiner alten Jobs im Auftrag des Geschaedigten hinterher recherchierte, doch es Bestand die minimale Chance, dass es etwas ernst zu nehmendes war. Und diese Chance wollte Faol nicht eingehen und sich lieber selbst vergewissern. So hatte er sich ueber Umwege ein Flugticket besorgt und eine Moeglichkeit gefunden, seine Notfall-Einsatz-Ausruestung mit nach Seattle zu kriegen: Scheinbar war das Gehalt eines Kofferpackers zu gering und die Aussicht auf einen Nebenverdienst immer lukrativ. In wenigen Stunden wuerde er also an einem Liefereingang des Flughafens erwartet.