Nachdem auch Esulilde sich geäußert hatte, wurde das Treffen beendet und die Gruppe machte sich zum Aufbruch bereit. Der Streit zwischen Schnüffler und Katarina war keineswegs vorbei, das zeigte die Stimmung zwischen den beiden deutlich. Aber im Moment war dafür keine Zeit. Jeder holte, was er für die Expedition brauchen würde, und schließlich trafen sie sich am großen Tor, das sie nach draußen führen würde.
Die übrigen Überlebenden erwarteten sie dort, um ihnen Erfolg zu wünschen. Ryffa hielt Omrah so fest im Arm, dass sie ihn kaum noch los lassen wollte. Iana verabschiedete sich vor allem von Esulilde, und bat sie, gesund und erfolgreich zurück zu kommen. Radjesha gab jedem aus der Gruppe eine kurze Umarmung, ob derjenige wollte oder nicht.
Schließlich sprach Udeon noch einige Worte.
"Wir haben den Platz draußen beobachtet. Fünf, sechs vereinzelte Tote wandern dort entlang, ziellos. Nur ein oder zwei sind auf eurer Route zum Brunnen. Wenn ihr schnell seid, kommt ihr ohne einen Kampf in den Tunnel. Vielleicht findet ihr auf eurem Weg hilfreiche Ausrüstung. Aber seid vorsichtig mit einfacher Magie. Einige der schwächeren Zauber, mit denen man Untote kontrollieren kann, wirken bei diesen Kreaturen nicht oder zumindest nicht immer. Verlasst euch also nicht zu sehr auf so etwas. Ansonsten bleibt mir nur noch, euch viel Erfolg zu wünschen."Khoon gab Timbar ein Zeichen, der sich auf machte, das Tor zu öffnen und die Brücke herunter zu lassen.
"Wenn das Tor offen ist, müsst ihr sofort raus. Die Toten werden unser Handeln sicher bemerken und versuchen, hereinzukommen. Sobald der Weg frei ist, geht ohne Verzögerung los, damit wir das Tor so schnell wie möglich wieder schließen können."Gerade, als das Tor das erste Knarren von sich gab, spürte Schnüffler eine Berührung an seiner Hand. Die Rotznase hatte seine Hand gegriffen. Erwartungsvoll sah sie ihn an. Sie rechnete damit, ihn zu begleiten, so viel war klar.
Der Halbork schüttelte den Kopf und kniete sich hin. Er erklärte dem Mädchen, dass es viel zu gefährlich war, mitzukommen. Er wollte noch mehr sagen - doch sie ließ einfach seine Hand los, drehte sich um und wollte davon laufen.
Schnüffler reagierte instinktiv. Das Tor war geöffnet. Sie mussten los. Er griff den dünnen Arm des Mädchens, noch bevor sie außer Reichweite war, zog sie zu sich und hob sie auf seinen Arm. Ohne weitere Erklärungen lief er los, verließ das Sanatorium.
"Schnüffler!" rief ihm Gelirion hinterher.
Doch es blieb keine Zeit für Diskussionen. So verließ die kleine Gruppe das geschützte Sanatorium. Einer der Insassen, hoch oben in seiner Zelle, begleitete ihren Abgang mit einem gespenstischen Heulen, das nach wenigen Sekunden in ein hysterisches Kreischen überging. Es war ein Geräusch, das sie in den letzten Tagen immer wieder gehört hatten, doch gerade jetzt machte es die Anspannung noch größer.
Erst draußen wurde Schnüffler wirklich bewusst, was er getan hatte. Er hatte die kleine Rotznase mit nach draußen genommen, auf eine gefährliche Expedition. Die Kleine sah ihn mit großen Augen an.
"Bist du jetzt mein Bruder?" fragte sie. Doch im Moment war keine Zeit, ihr zu antworten.
Die Gefährten sahen sich auf dem Platz um. Sechs wandelnde Tote. Zwei davon so weit entfernt, dass sie längst weg waren, bis die Toten sie erreicht hatten. Zwei waren keine unmittelbare Gefahr, liefen aber zielstrebig auf das Tor und damit auf die Gefährten zu. Sie würden ihnen entkommen, mussten sich aber beeilen. Einer war genau auf ihrem Weg bis zum Brunnen, ein weiterer etwas abseits, hielt aber ebenfalls auf sie zu.
Die Gruppe lief los. Sie verloren keine Zeit, ließen die ersten zwei raunenden Kreaturen hinter sich, die sie mit ausgestreckten Armen und hungrigen Blicken zu verfolgen versuchten. Dann näherten sie sich dem ersten Zombie. Schwankend kam er ihnen entgegen. Die Gefährten liefen in einem kleinen Bogen um ihn herum, vermieden den Kampf und die Gefahr, dass doch etwas unerwartet schief ging. Den zweiten Zombie erledigte Schnüffler mit einem kraftvollen Hieb seiner Axt. Der Weg war frei, und schließlich erreichten sie den Brunnen.
Der Brunnen zeigte die Statue eines sich aufbäumenden Pferdes, aus dessen Maul früher Wasser gesprudelt war. Das Wasser in dem es umgebenden Becken war rot verfärbt. Wie überall auf dem Platz, lagen auch hier die Leichen der Bürger von Aradan, langsam verwesend und verfaulend. An manchen Körpern machten sich bereits die Würmer zu schaffen. Doch schlimmer noch als der Anblick war der durchdringende Gestank des Todes.
Katarina stieg nach einem kurzen Zögern in das blutrote Wasser, und suchte etwas am Kopf des Pferdes. Nach einigen Sekunden schien sie zufrieden, und suchte anschließend am rechten Hinterbein weiter. So ging sie von Stelle zu Stelle, bis sie schließlich ganze sechs Mechanismen aktiviert hatte. Dann stieg sie aus dem Wasser, und drückte auf einen Pflasterstein direkt neben dem Brunnen. Er sackte nach unten, ein deutliches
Klack! ertönte - und eine Fläche von gut einem halben mal einem halben Meter schob sich nach unten und dann zur Seite. Darunter lag eine Treppe, steil und moosbedeckt, die in einen dunklen Tunnel hinab führte.
"Wir sind soweit", erklärte Katarina.
"Und wir sollten uns beeilen", fügte sie mit einem Nicken in die Richtung an, aus der sie kamen. Der Tote, um den sie einen Bogen gemacht hatten, hatte die Zeit genutzt, um sich ihnen zu nähern.
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