Auch wenn es vielleicht schwierig war, Will zu verstehen - zumindest für den Moment wurde er, ebenso wie Arjen, von der Gruppe aufgenommen. Omrah und die kleine Rotznase bereiteten zusammen einen Tee für das Baby vor, das bald nach der Fütterung tatsächlich ruhig wurde und einschlief. Das Mädchen, das Schnüffler nach wie vor nicht von der Seite wich, nahm es in ihren Arm, und Katarina blieb in der Nähe der beiden - für den Fall der Fälle.
Das Artefakt, für das sie hergekommen waren, ebenso wie das zugehörige Buch, hatte Katarina an sich genommen. Vor ihrem Aufbruch aus dem geheimen alten Tempel stöberte sie bereits in dem Buch, und sprach - mehr zu sich selbst als zu jemand bestimmten - darüber. "Die Sprache ist eindeutig drakonisch, aber es wirkt wie ein alter Dialekt davon. Roher, nicht so fein, wie das heutige Drakonisch." Später dann: "Ich denke, ich verstehe es langsam. Entwickle ein Gefühl für die Sprache. Aber ob ich das wirklich glauben soll, was hier steht..." Und schließlich: "Das ist es. Ja, damit können wir das Artefakt anwenden. Das sollte nicht einmal besonders lange dauern."
Dann, endlich, waren sie bereit zum Aufbruch. Katarina verstaute das Buch, die Gruppe sammelte sich vor dem großen Tor, das auf die Straße hinaus führte. Diesmal hatten sie nicht mehr das Glück, dass die Straße frei war: Drei schwankende und humpelnde Orkmänner kamen ihnen entgegen, die Bäuche aufgerissen, so dass ihr Innerstes nach außen hing. Mit der zusätzlichen Unterstützung durch Arjen gelang es Schnüffler und Gelirion aber schnell, die Gefahr zu beseitigen.
Der ursprüngliche Weg war nach ihren letzten Erfahrungen kein geeigneter Rückweg mehr. Was auch immer in den Tunneln hinter ihnen her gewesen war, sie wollten der Kreatur nicht begegnen. Also führte Katarina sie über verschiedene kleine Gassen durch die Stadt, bis sie an einer früheren Bäckerei ankamen. Auch wenn die Außenwände des hölzernen Gebäudes abgebrannt waren, standen die aus grauem Stein gefertigten Regale noch - nur leider ohne Waren darin. Katharina untersuchte die Regale kurz, dann glitt eines davon ein Stück zur Seite - und gab den Weg frei zu einem unterirdischen Tunnel.
Auf die erstaunten Blicke von Arjen und Will reagierte die kleine Rotznase, indem sie erklärte: "Die Tunnel gibt's überall in der Stadt. Wir sind über welche hergekommen. Aber viel ungefährlicher sind die auch nicht immer."
Schnüffler fiel auf, dass das Mädchen allmählich auftaute. Hatte sie bisher vor allem gesprochen, wenn man sie angesprochen hatte (oder wenn sie mal wieder einen Grund fand, Schnüffler gegen das Schienbein zu treten), fing sie an, selbst Initiative zu ergreifen. Bevor sie in den Tunnel in der alten Bäckerei hinabstiegen, konnte er sogar einen kurzen Moment beobachten, wie sie die Gruppe betrachtete - einen nach dem anderen -, und ein vorsichtiges Lächeln in ihrem Gesicht erschien. Das erste Lächeln, dass er bei dem Mädchen bisher beobachtet hatte. Als sie seinen Blick allerdings bemerkte, verschwand es sofort wieder, wie ein gut gehüteter Schatz, den niemand entdecken durfte.
Der Tunnel war kalt und feucht - von irgendwo her blies ein leichter Wind durch den Gang, der nur für die kleineren aus ihrer Gruppe ausreichend hoch war - einige mussten gebückt laufen, um voranzukommen.
Zu ihrem Glück erwies sich der Gang als ungefährlich, keine weiteren Schreckenskreaturen erwarteten sie hier - lediglich ein paar Rückenschmerzen für die größeren Gruppenmitglieder. Schließlich deutete Katarina auf eine an der Seitenmauer angebrachte Leiter. "Unser Ausgang", erklärte sie. Sie führte die Gruppe nach oben, und sie kamen in der Ruine eines alten Wohnhauses heraus. Katarina deutete in eine Richtung. "Fünfzig Meter in diese Richtung, dann sind wir auf dem Platz vor dem Sanatorium."
Weiter führte sie die Gruppe durch die Straßen, doch jetzt, kurz vor ihrem Ziel, kamen sie ins Zögern. Von irgendwo war ein Raunen und Stöhnen zu hören. Sollte hier irgendwo eine Horde unterwegs sein, nachdem sie auf dem gesamten bisherigen Rückweg Glück gehabt hatten? Sie liefen weiter, doch bis jetzt war nichts von den wandelnden Leichen zu sehen.
Bis sie schließlich tatsächlich auf dem Platz herauskamen, das mächtige Gebäude des Sanatoriums keine dreißig Meter von ihnen entfernt.
Vor dem Festungsgraben liefen wankend zahlreiche Gestalten hin und her. Fast hätte man sie für einfache Spaziergänger halten können, die den Weg entlang des Wassers genossen, wären da nicht die eindeutigen Zeichen von Kämpfen, Fäulnis, Verwesung und Tod. Es mussten bereits achtzig, vielleicht neunzig von ihnen sein, verteilt über die ganze Breite des Grabens, soweit sie ihn von hier aus sehen konnten.
Katarina fluchte. Sie sah zu Schnüffler. "Es gibt noch den Weg, den wir in der ersten Nacht reingekommen sind, aber der Wachmann hat darauf bestanden, einen Schrank auf die Bodenplatte im Sanatorium zu stellen. Glaubst du, du kannst ihn hochheben?"
Sie warf einen Blick in die Runde. "Die einzige andere Alternative ist ein Brunnenschacht. Wir kommen damit direkt im Brunnen im Innenhof heraus - müssen aber dann noch irgendwie hoch kommen, wenn uns niemand hört. Außerdem könnte es sein, dass wir ein Stück weit tauchen müssen." Sie sah zu dem Baby in Rotznases Arm, dann zu Gelirion. "Ich weiß nicht, wie weit."