Mustafa Soran warf der Maschinenintelligenz am hinteren Ende seines Schreibtisches – die ihm schon einige Stunden an Kopfzerbrechen beschert hatte – grüblerische Blicke zu, während er unkonzentriert die letzten Zeilen seines monatlichen Berichts nach Qi verfasste.
Wenige Minuten später hatte er es geschafft. Er steckte vorsichtig die Kappe auf die Feder und legte sie in die Schublade. Seufzend streckte er die Beine aus, machte sich lang und verschränkte die Arme hinter seinem Kopf.
Sein Blick wanderte über das Papier zu dem flachen Gerät mit der verbogenen Metallplatte und den Berg an bunten Kabeln und kleinen Gerätschaften mit denen er bisher erfolglos versucht hatte, an die Geheimnisse der Intelligenz zu kommen. Er überlegte, was er falsch machte, an was er bisher nicht gedachte hatte.
Gleich nachdem er den Bericht auf den Weg gebracht und seinen Adepten über dessen weitere Zukunft in Kenntnis gesetzt hatte, würde er versuchen, dem ollen Stück alter Technik sein Geheimnis zu entlocken. Ihm kam eine Idee. Er würde versuchen ... – das knisternde Flackern der an der Decke befestigten leuchtenden Röhren riß Mustafa aus seiner Gedankenwelt.
„So!“, motivierte er sich und ließ sich auf seinem Stuhl wieder nach vorne fallen. Es gab etwas zu tun, das keinen Aufschub zuließ. Geübt faltete er den Brief zusammen und rief Swil Graska, seinen Assistenten und Adept der Bruderschaft. Fast augenblicklich betrat ein hagerer, etwas kränklich aussehender junger Mann das Labor. Mustafa hatte schon viele Adepten beherbergt, doch dieser hier war ausnahmsweise ein vielversprechender Kandidat. Zu schade, dass er ihn schon jetzt auf Wanderschaft schicken musste. Er hätte seine Hilfe gern noch länger in Anspruch genommen.
„Schick bitte den Brief nach Qi. Das wird einer deiner letzten Dienste für mich sein“, fing Mustafa an. An dem Grinsen in Swils Gesicht konnte man ablesen, dass der Adept wusste, was nun folgte und er sich offensichtlich darauf freute.
„Anschliessend kannst du damit beginnen deine Sachen zu packen. Wie du weisst, ist der Zeitpunkt gekommen, an dem du zu deinem nächsten Lehrer aufbrechen musst. Du wirst schon morgen früh aufbrechen, sonst verpasst du womöglich den
Schwimmenden Markt, der gerade hier vor der Küste weilt. Hör jetzt gut zu, ich werde das nicht wiederholen“, fuhr Mustafa fort.
„Wenn meine Berechnungen und Annahmen stimmen, wird dich der Markt in die Region Seshar bringen, genauer nach Nebalich. Von dort wirst du entweder durch die Kanäle oder über Land nach Veriton reisen. Veriton liegt etwa 300 Kilometer weiter westlich im Landesinneren. Du wirst Veriton daran erkennen, dass es eine Stadt ist, die auf dem Körper eines riesigen Automatons erbaut wurde. Du gelangst über die linke Hand in die Unterstadt und von dort in die Oberstadt. Aber das wirst du selbst sehen.“
„Wenn du Glück hast, triffst du unterwegs auf ein paar Seshar Waldläufer, die dir den Weg zeigen werden.“
Mustafas Ton wurde ermahnend. „Mach auf jeden Fall nicht den Fehler bis nach Ingwald zu reisen. Dort regiert übles Gesindel und Reisende sind dort nicht gern gesehen und werden später meist mit einem Dolch im Rücken aufgefunden... oder mit einer Axt im Schädel... oder einem Speer im Bauch... ich glaube du verstehst.“
„In Veriton wirst du ein paar Tage bei
den Findern bleiben, einer Gruppe ehemaliger Aeon Priester, die sich inzwischen aber hauptsächlich mit Besitzansprüchen in der Gegend beschäftigen, auch wenn sie ab und zu noch Numenera aus dem Inneren des Riesen untersuchen.“
Bei der Erwähnung von neuen Numenera leuchteten die Augen Swils merklich auf.
„Die Finder wissen, dass du kommst und werden dich freundlich aufnehmen. Dir wird es dort gefallen, aber du wirst dort nicht lange bleiben.“
Swil schaute überrascht und setzte an. „Wieso...“
Mustafa schenkte der Unterbrechung keine Beachtung. „Sie werden mit dir ein paar Erkenntnisse teilen und dich dann zum Ziel deiner Reise, nach Everen, einem kleineren Dorf in der Nähe von Veriton, zu deinem neuen Lehrer bringen. Dieser heisst Yrk und behauptet von sich selbst - was im Allgemeinen auch geglaubt wird – dass er nicht von dieser Welt stammt und vor seinesgleichen geflüchtet ist. Seine ungewöhnlich blaue Hautfarbe, sowie sein immenses Wissen über Artefakte und Numenera, machen seine Geschichte glaubwürdig. Aber lass dich nicht täuschen. Er ist so sehr Mensch wie du und ich. Aber das wissen nur wenige und du solltest sein Spiel einfach mitspielen. Du wirst von ihm viel lernen können und Yrk wird – aufgrund seiner kleinen Mär – von den meisten Menschen gemieden. Das heisst, ihr werdet ungestört arbeiten können.“
„Wenn du deine Sachen fertig gepackt hast, kannst du mir noch mit der Maschinenintelligenz helfen. Heute Abend gibt es dein Lieblingsessen, Krebseintopf. Und nun ab.“
Swil, der aufgeregt und ungeduldig von einem auf das andere Bein trat, grinste und nahm den Brief entgegen. "Mache ich. Und Danke! Für Alles!" Eilig lief Swil die Treppen nach oben und wäre fast über seine langen Beine gestolpert.
„Ich werde ihn vermissen“, gestand sich der alte Aeon Priester ein.
Und tatsächlich gelang es den beiden, der alten Maschinenintelligenz ihr Geheimnis zu entlocken.
Nach dem Frühstück brach Swil Graska auf.