"Wir sind hier alle verloren, Kara, und nahezu freundlos", sagte Harry, der sich bei Arias Vortrag wieder gesetzt hatte. "Daran lässt sich nichts ändern, außer, indem wir einander die Freundschaft halten."
Um seinen Willen in dieser Hinsicht zu beweisen, lenkte er Jurij gegenüber fast widerspruchslos ein. "Ja, du hast recht, Jurij, das war der Plan: unsere Gäste nicht unnötig provozieren oder zu Verzweiflungstaten zwingen. Verschwiegenheit, du wirst es nicht glauben, gehörte daheim zu den grundlegendsten Lebensnotwendigkeiten eines Zauberers und ich war ziemlich gut darin. Mein erster Ausbruch hier hatte dann ja auch mit Krieg zu tun und nicht mit Magie oder Dämonen, aber ja, ich gebe zu, ich bin etwas arg entglitten, spätestens als du mit der Atombombe ankamst, das hat einen Nerv getroffen, aber auch vorher schon diese unsägliche Propaganda, dies Lügengeschreibsel... nein, keine Ausflüchte mehr, das war dumm von mir. Aber die Sache mit dem Drachen, die kannst du mir nicht ankreiden. Woher sollte ich wissen, dass in einer Zauberer-Akademie, die von einem Drachen gegründet wurde, Drachenabkömmlinge wie ich eine Absonderheit darstellen, die der Pöbel beglotzt? Woher ahnen, dass man auf dieser Welt zaubern kann, ohne einen Tropfen magisches Blut zu besitzen? Ja, ich habe etwas zu eifrig losgelegt, weil ich glaubte, es endlich einmal zu dürfen, endlich einmal nicht der Außenseiter, der Sonderling zu sein, der alles was er kann und ist vor den Normalbürgern—Leuten wie dir, die Magie verteufeln oder einfach nicht verstehen oder am liebsten gar nicht wahrhaben wollen—zu verbergen hat.
Und dann habe ich nur diesem Arisai gesagt, dass ich ein Drache bin, und der muss es weitergesagt haben, jedenfalls hatte die Neuigkeit zehn Minuten später offenbar schon die Runde gemacht, denn diese unhöfliche Magistra, die Rillfarsell und mich der Brandstiftung beschuldigte, hat mich gleich so angequatscht, da war also, wie man so schön sagt, die Katze längst aus dem Sack. Aber von Dämonen hab' zumindest ich auf offener Straße noch nicht geredet, da kann ich dir leicht versprechen, es auch weiterhin nicht zu tun.
Aber ganz ehrlich, Jurij, irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass da eigentlich ein ganz anderes Problem zwischen uns steht, das endlich mal auf den Tisch muss—soviel sagt mir deine abstruse Multiversum Theorie. Was, eine Welt mit sieben Milliarden Einwohnern erscheint dir nicht genug Platz für uns beide zu bieten, selbst wenn wir von verschiedenen Kontinenten stammen und unsere Zeit dreißig Jahre auseinander liegt? Berlin—dein Berlin, auf deinem Terra, zu deiner Zeit—war voll von Zauberern. Über hundert davon haben Henry und ich getroffen, Kinder unter zwölf nicht mitgezählt, alle in einem Haus, alles goldene Drachenabkömmlinge, also die 'Guten' aus ihrer Sicht, und ihr viertausendjähriger Urahn lebte auf den obersten beiden Stockwerken, wenn er nicht als Statue in der Bibliothek posierte.
Aber ich will dich gar nicht überzeugen. Schön, wir sind von verschiedenen 'Terras', wenn es dich tröstet. Aber ich"—er deutete zur Bekräftigung mit dem Daumen auf seine Brust—"ich bin ein Zauberer, ein 'natürlicher', wie Arisai es nannte, und nicht zu zaubern wäre gegen meine Natur, das könnte ich gar nicht. Als wollte man von dir verlangen, du müsstest aufhören zu essen, zu trinken, zu atmen! Deshalb bitte ich dich aufrichtig, versuch, dich damit abzufinden, wenn schon nicht anzufreunden. Henry hier, herrje, sein heiligstes Buch befiehlt ihm eigentlich, er solle nicht einen Zauberer am Leben lassen, aber selbst er macht da eine Ausnahme für mich! Und das waren mir eigentlich schon viel zu viel Worte zu einem Thema, das unter uns eigentlich keines sein sollte. Außer, es gibt sonst noch etwas, das dich bekümmert, dann sag es ruhig, lass uns nur alles aus dem Weg schaffen!
Abschließend darf ich noch anmerken, dass es dieser verdammte Andhaka war, der die dümmste Show abgezogen hat. Und ich tät ja gern mit euch zusammen darüber nachgrübeln, was er damit wohl bezwecken wollte. Wozu uns durch diesen heiligen Boden Fähigkeiten geben? Will er uns damit in Versuchung führen? Auseinander treiben? Uns gegen unsere Gäste aufbringen oder sie gegen uns? Sie gegen einander? Ist er am Ende gar ein Verräter an den Seinen? Ich begreife es nicht."
Eine letzte Frage galt Aria. "Was du über die Herkunft der Dämonen sagst, das klingt alles einleuchtend und fast schon bekannt, weil man bei uns auf der Erde in den meisten Religionen ähnliche Vorstellungen hat. Aber wo in Terendol könnte sich noch etwas von diesem Boden befinden? Rubin sagte, die N'kyuash müssten vor langer Zeit nach Kurun gekommen sein: wo sind sie wohl ursprünglich gelandet? Dort würde ich diesen Boden am ehesten vermuten."