Als Basilio Barkas die Nüsse anbietet, zögert dieser zunächst. Doch schon einen Augenblick später hat der Hunger über die Zurückhaltung gesiegt - es ist wohl das Schmackhafteste, was der Kargi seit seiner Gefangennahme zu sich nehmen durfte. Also greift die breite Pranke des Kriegers mit der grünlich-grauen, ledrigen Haut nach den Hülsenfrüchten.
"Danke", murmelt er zwischen den beiden ersten Nüssen, die im Mund landen. Dann deutet seine freie Hand auf eine der Wachen, während er mit gedämpfter Stimme weiterspricht. "Wechsel ist immer bei Aufgang der Sonne. Sind immer zu dritt. Einer mit rotem Umhang und noch zwei."
Derweil steht Tarqetik zwischen den Stäben und ruft seine Frage zu Daragh, dem Medicus hinüber. Der Blutumhang ist abgelenkt und misst dem keine Bedeutung bei, die beiden anderen Wachen lauschen jedoch auch interessiert. Als Tarqetik zu Ende gesprochen hat, hebt der Medicus den Kopf und schaut zur anderen Zelle hinüber und ruft.
"Dein Freund ist stark. Und er hat das Wohlwollen der Götter. Das Gift wird ihn nicht töten. In einer Woche wird er aufstehen können - falls er so lange überlebt."Danach entbrennt die lebhafte Diskussion zwischen den Gefährten. Basilio, Manik und Ragnar ergründen den Wert abstrakter Konzepte wie Diplomatie, Ehre und Ehrlichkeit, bis der Korkaker sich schließlich seinen Träumen an die Dariba hingibt und die anderen schweigend in ihren Ecken sitzen bleiben.
Der Elf sitzt grimmig in seiner Ecke und verfolgt die Diskussion. Die Männer flüstern - eigentlich dürften bei ihm nur Wortfetzen ankommen - aber haben die Elfen nicht ein besseres Gehör als Menschen? So wie er dasitzt und die an ihn gerichteten Fragen ignoriert, scheint er unheimlich zu sein.
Barkas dagegen lauscht den Worten. Als Tarqetik geendet hat, erwidert auch der Fürstensohn der Kargi mit kratziger Stimme. "
Es stimmt, was du sagst - viele gute Männer sterben ob der Ehre. Aber für die Ukhtark gilt: 'Lieber in Ehre sterben, als ehrlos leben.' Ein Ukhtark ist nichts mehr in dieser Welt, wenn er seine Ehre verloren hat. Verliert er dagegen sein Leben, nicht aber seine Ehre, lebt er in seien Kindern und in der Erinnerung seines Stammes weiter."
Tarqetik fällt ein, dass Jaresh Dorguln auf seinem Gut - war das vor drei oder vier Tagen gewesen? Es kommt einem wie eine Ewigkeit vor, so viel ist schon passiert - ein weiteres Sprichwort der Kargi angesprochen hatte: 'Ich würde lieber ehrenvoll leben, ohne geehrt zu werden, als geehrt zu werden, ohne es zu verdienen.' Ja - das Konzept der Ehre stand eindeutig im Zentrum des kargischen Dogmas.
Aber all dies scheinen müßige Diskussionen zu sein - begonnen vielleicht, ohne es zu wissen, um die Zeit zu verkürzen hinter diesen Gitterstäben. Und so verrinnt die Zeit, während die Gefährten streiten und die Sonne wandert am blätterbehangenen Himmel weiter. Als die Dämmerung sich ankündigt, geht Daragh und wird von Maelis abgelöst, die nun über Ragnar wacht. Eine der Wachen kommt an die Zelle und öffnet das kleine Gitter am Boden, um 6 Schüsseln brauner Brühe hineinzuschieben. Es ist schwer zu sagen, worum es sich dabei handelt, wahrscheinlich um Wasser mit einigen Reststücken von Huhn - mehr Knorpel und Knochen, als Fleisch. Doch die Mägen knurren und der eigene Proviant ist mit den verlorengegangenen Pferden entschwunden, und so essen die Männer, während der Himmel die Sonne gegen die Sterne tauscht und die Nacht über Jaylin hereinbricht.
~ ~ ~
Ist es Zufall, ein Zeichen, ein Klischee? Gerade als die Männer wieder den Gedankenfaden eines Fluchtplans übernehmen, ist der Ruf einer der Wachen zu vernehmen. Es ist elfisch, aber anscheinend kündigen sich wieder Besucher an - zu dieser späten Stunde.
Einige Augenblicke später ist das Rätsel gelöst - es sind die Prinzessin des Stammes, Aisling Adair, und der Hauptmann der Siedlungswache, Liam Shanahan, die da zwischen die beiden Zellen schreiten. Die drei Wachen nehmen sofort Haltung ein.
"Die Prinzessin wünscht, mit den Gefangenen zu sprechen", ruft Shanahan aus. Interessanterweise benutzt erdie Handelssprache. Anscheinend, damit die genannten Gefangenen ihn auch verstehen können.
"Aj, aj, Herr", ruft die jungenhafte Wache - der Blutumhang hatte sie Padraig gerufen - und deutet mit der Hand Richtung der Zelle.
Shanahan nickt.
"Demian", ruft er, und die andere Siedlungswache nimmt Haltung vor dem Hauptmann ein.
"Nutzen Sie die Zeit und machen Sie einen Drei-Meilen-Rundgang. Ich löse Sie so lange als dritter Mann der Wache an den Zellen ab. Beginnen Sie im Norden und seien Sie gründlich. Erstatten Sie dann nach umgehender Rückkehr hier Bericht.""Aj, aj, Herr", bestätigt die Wache und macht sich auf. Derweil versucht Rowan Sullivan wieder die Hauptrolle an sich zu reißen. Er deutet mit der Hand demonstrativ auf die Zelle.
"Hier entlang, meine Prinzessin. Aber, wenn ich es anmerken darf, bitte gehen Sie nicht zu nah an die Gitter - zur Sicherheit."Aisling Adair reagiert lediglich mit einem eisigkalten Blick auf diese Worte und würdigt sie keiner Antwort. Dann treten sie und Shanahan an die Zelle heran. Der Blutumhang und Padraig flankieren sie. Für einen Augenblick herrtscht absolute Stille. Das Uhu einer Eule schneidet durch das Zirpen der Insekten. Irgendwo im Wald raschelt es. Dann beginnt die Prinzessin mit hoher, klarer Stimme zu sprechen.
"Ihr habt meine Kinder gerettet", sagt sie mit einem Blick zu Basilio.
"Und ihr habt Blut dabei vergossen", fügt sie sich zu Ragnar umdrehend hinzu.
"Ihr kamt her, in friedlicher Absicht und ohne eure Waffen zu erheben, um eine Botschaft zu überbringen. Mein Vater hat das anders eingeschätzt. Das bedauere ich." Wieder kehrt Stille ein.
"Ich bin hergekommen, um mich zu bedanken; um mich zu entschuldigen." Dann blickt die Prinzessin zum Blutumhang neben sich und fügt hinzu:
"Und um den Fehler zu korrigieren.""Wie bitte, was mein..." beginnt Rowan Sullivan überrascht zu fragen, doch er kann den Satz nicht beenden. Aisling Adair lässt den Schaft eines Dolches auf den Hinterkopf des Mannes runterfahren und schickt diesen ins Land der Träume - der Blutumhang sackt bewusstlos zusammen.
"Herr!", ruft Padraig und gelt die Hand an den Schaft seines Schwertes, doch Liam Shanahan legt seine Rechte über die der Wache, bevor diese die Klinge aus der Scheide ziehen kann.
"Padraig, Maelis ist derzeit allein mit dem Gefangenen in der anderen Zelle, und die Zellentür steht offen. Das ist ein zu großes Risiko. Ich möchte das Sie hinübergehen und dort die Bewachung des Gefangenen übernehmen. Stellen Sie sich mit dem Rücken zur Gitterwand und mit dem Gesicht zum Gefangenen, damit sie nicht von Bewegungen außerhalb der Zelle ablenkt werden, und verlassen sie Ihren Posten auf keinen Fall, bevor ich Ihnen die Freigabe erteile."Der Wächter schaut seinen Vorgesetzten verdutzt an.
"Aber Herr, der Gefangene ist bewusstlos, er kann nicht aufstehen.""Er könnte jeden Augenblick aufwachen", hält Shanahan dagegen. Dann verhärtet sich sein Gesichtsausdruck und die Stimme wird schneidend.
"Das ist ein Befehl, Soldat!"Padraig zögert noch einen Augenblick. Dann nickt er,
"Aj, Aj, Herr." Mit diesen Worten eilt der Wächter zu der Zelle gegenüber und stellt sich mit dem Rücken zur Gitterwand in dieser auf. Maelis schaut mit großen Augen darauf, was passiert, sagt jedoch kein Wort.
Derweil beugt sich Liam Shanahan hinunter und nimmt dem bewusstlosen Blutumhang die Zellenschlüssel ab. Er übergibt diese an Aisling Adair. Diese nimmt den Schlüsselbund entgegen und tritt an das Gitter. "
Serogul Mago schickt uns totes Haar und ein glitzerndes Stück Metall zum Zeichen seiner Gunst? Nur Männer können solche Narren sein, so etwas für von Wert zu halten."Die Prinzessin lässt den Schlüssel in die Gittertür gleiten, ohne diesen noch umzudrehen und fährt fort mit bestimmter Stimme fort. Ein herrischer Unterton mischt sich immer mehr ein und zeugt von der Stärke dieser Frau.
"Mein Vater hat nur noch wenige Monde vor sich, bevor die Götter ihn zu sich rufen. Er hat noch genug Hass in sich, um einen Krieg gegen die Kargi zu beginnen, aber er hätte nicht mehr die Kraft dazu, uns in diesem Krieg zum Sieg zu führen. Wenn mein Vater stirbt, werde ich über die Adair herrschen. Und ich will keinen Krieg mit den Kargi. Sagt es den Hulads, wenn ihr nach Kezhdal kommt."Sie dreht den Schlüssel und öffnet die Tür einen Spalt breit.
"Ich lasse euch frei - und zahle damit auch meine Schuld für die Rettung meiner Kinder ab. Euch alle - auch den Kargi. Die Ukhtark sollen es als Zeichen meines guten Willens betrachten. Sie schickten mir nutzlosen Tand - Haare und Schmuck - als könnte es meinen toten Bruder ersetzen. Ich dagegen gebe ihnen im Gegenzug ihren Sohn und Bruder - lebend. Aber sagt ihnen auch: Ich bin nicht wie mein Vater. Er will diesen Krieg, ist aber zu schwach ihn zu führen. Ich will diesen Krieg nicht. Aber wenn es notwendig sein wird, bin ich stark genug, Kezhdal in Schutt und Asche zu legen. Keiner soll denken, der Tod meines Vaters ist eine gute Gelegenheit, Jaylin anzugreifen. Wer es doch versucht, wird im eigenen Blut ertrinken."Damit öffnet sie Tür ganz und deutet mit der Hand nach draußen.
"Und nun geht - schnell, bevor wir entdeckt werden." Ihr Blick wandert noch einmal zu Ragnar in der Nebenzelle.
"Was euren Freund angeht - vertraut mir, wie ich nun euch vertraue. Ich orge dafür, dass ihm nichts passiert."Liam Shanahan räuspert sich.
"Ihr solltet von hier aus nach Südwesten. Etwa eine Meile von hier entfernt stehen eure Pferde bereit. Meine Männer haben 'vergessen', eure Habseligkeiten abzuladen, daher dürften diese noch an den Satteln hängen. Aber ihr müsst euch beeilen. In spätestens einer halben Stunde, wird die Flucht entdeckt und Klingenmeister Nola wird die Verfolgung aufnehmen. Und natürlich auch ich - auch wenn ich woanders suchen werde. Ihr solltet hart reiten, um bis dahin weit genug entfernt zu sein."Dann geht sein Blick Richtung Elrynor, der mit von Überraschung aufgerissenen Augen die Szenerie aus der hinteren Ecke der Zelle verfolgt.
"Für dich steht dort auch ein Pferd bereit, Elrynor. Du gehs't mit diesen Menschen."Als der Elf geschockt die Stirn in Furchen legt und sich nicht rührt, lacht Aisling Adair auf.
"Beeil dich, Elrynor. Du wartest wahrscheinlich auf die Hilfe deines Vaters zur Flucht. Nun - sie steht vor dir. Ich war es, die ihm zugesagt hat, dir zu helfen." Sie lässt die Worte kurz wirken und fährt dann fort:
"Geh mit diesen Menschen und komm nicht mehr zurück. Was glaubst du, wie ich die Flucht erklären werde? Deine Magie wird es sein, die die Prinzessin des Stammes und drei Wachen ausgeschaltet hat, so dass du und die anderen fliehen konnten. In einer Stunde wirst du als Verräter des Stammes gelten. Du kannst nicht mehr zurück."Wieder kehrt Stille ein. Die Stimmung ist so, als hätte eben ein Richter ein hartes Urteil gesprochen.
"Aber das ist immer noch besser, als durch die Klinge von Nola zu sterben", fügt die Prinzessin hinzu.