Dans Worte schienen zunächst nicht zu Altena durchzudringen. Die Hellvetikerin schraubte mechanisch eine Schraube der Brustabdeckung nach der anderen auf und warf die befreiten in den unscheinbaren Kasten, aus dem Sie den Schraubenschlüssel eben herausgeholt hatte. Der Blick war geradeaus auf das Metall des Harnischs gerichtet; sie vermied es, dem toten Kameraden noch einmal ins Gesicht zu schauen.
Einige Strähnen des bronzefarbenen Haares hatten sich aus dem strengen Zopf gelöst, hingen unter der Haube hervor, umrahmten das sanfte Gesicht und verdeckten zum Teil den Blick darauf. Zum ersten Mal fiel Dan die Weiblichkeit der Hellvetikerin richtig auf; sie hatte sie gut hinter der zurückaltenden und gestrengten Art versteckt, doch in diesem Augenblick des Trauer war der Schleier angehoben worden.
Ein Paar tiefe Atemzüge gingen in die kalte Luft, dann gesellte sich plötzlich eine dritte Gestalt zu ihnen. Dan sah auf und erblickte einen schlanken Purger; dunkle Augen, dunkle Haut, dunkles Haar, von dem nur einige kinnlange Strähnen der Mütze entkommen waren - und über die Hälfte des Gesichts hinter einem dicken Schal verborgen. Sein Borcisch war von Fehlern durchzogen, doch der Mann sprach wohl trotzdem die richtigen Worte, denn während er auf Altena einredete, hob diese langsam den Kopf und löste den Blick von Darios Brustplatte. Die grünen Augen - ein ungewöhnlicher Kontrast zum dunklen Teint - fixierten den Neuankömmling, der sich als Cesare vorgestellt hatte.
Als dieser endete, blieb es einige Lidschläge lang still. Schließlich nickte Altena Cesare zu. "
Ja", sagte sie leise. Dann wurde die Stimme fester, gefasster, wenn auch nicht spürbar lauter. "
Ja - das wäre gut. Dario soll bei dem Volk von Hellvetika liegen. Es ist unser Auftrag, das Volk zu beschützen. Und das hat er ja wohl getan?"
Sie schaute hinüber zu den anderen, erkannte wie die Leichen der Leperos und die der gefallenen Zivilisten zusammengetragen und getrennt aufgeschichtet wurden. "
Es tut mir Leid, dass nicht alle überlebt haben", sagte sie zu Cesare. "
Aber zumindest haben es einige geschafft. Dario ist also nicht umsonst gestorben."
Plötzlich - als würde sie sich durch einen Geistesblitz an Dans Frage erinnern; vielleicht war dem auch so? - wandte sie den Kopf zum Schrotter. "
Wir haben Funkmasten hier. Ich könnte mit der Komenheit im Anzug die Alpenfestung noch erreichen." Sie hielt kurz inne und ihr Blick verhärtete sich. "
Aber das werde ich nicht tun. Wenn ich den Überfall hier und Darios Tod melde, dann werde ich zurückbeordert und es dauert mindestens drei Wochen bis dieser Vorfall hinreichend aufgeklärt ist und eine neue S- und R-Mission nach Tal entsandt wird. Das ist Zeit, die Sarina und Schilz nicht haben. Und wer weiß, was sich da sonst noch ungestört zusammenbraut. Nein - wir verstecken den Harnisch und gehen nach Tal. Und wenn wir zurückkommen, hole ich Techniker aus der Festung, die Darios Rüstung bergen sollen."
Mit diesen Worten und ohne auf eine Antwort zu warten hob die Hellvetikerin die inzwischen freigeschraubte Brustplatte ab und begann schnell weitere Einzelteile auseinander zu klinken. Sie blickte kurz auf und schaute wieder zu Cesare: "
Das hier muss ich mit dem Mitglied meines Teams tun, tut mir Leid. Aber du hast recht - sobald das gemacht ist, sollten wir Dario zusammen mit euren Toten verbrennen."
* * *
Als Cesare sich davonschlich, schaute Sigmar ihm kurz hinterher. Der Richter verzog den Mund und schüttelte den Kopf. "
Typisch Aasgeier", sagte er. "
Kann nichts zu Ende bringen, was er angefangen hat." Die Replik war wohl an Leon gerichtet - die beiden Männer hatten in dem wild zusammengewürfelten Haufen am ehesten noch miteinander gesprochen - aber Kemwer, Mose und Aeb hörten den Kommentar auch.
Ein Paar Minuten später hatten die Männer das Aufschichten der Leichen beendet. Sigmar nickte dem Spitalier noch einmal zu. "
Ja, Brennmaterial wird nützlich sein. Mal sehen, wie es dann für uns lebende weitergehen wird. Franz war ein verdammter Bastard, aber er kannte sich in der Gegend aus." Er schaute zu Mose und Kemwer, die sich bereits zum Wald aufgemacht hatten und tippte sich an den Hut, als die beiden Männer seinen Blick erwiderten. "
Na also - es gibt also noch Männer, die ohne viel Aufhebens das machen, was zu tun ist", murmelte er. "
Da ist es mir dann auch egal, ob sie zu weltlichen, oder himmlischen Götzen beten."
Bei dem letzten Satz hatte der Protektor den Blick auf den schweigsamen Mann gerichtet, der zuvor noch Kathrins Leiche durchsucht hatte und nun ruhig und etwas abseits stand. "
Oder? Wie siehst du das, Aeb?"
Kemwer und Mose waren derweil beim Wald angelangt - die Zweige und Äste auf dem Boden waren alle völlig durchfeuchtet, so dass Mose recht schnell zu seiner neu erbeuteten Axt greifen musste, um einigermaßen trockenes Holz von den Stämmen zu schlagen. Kemwer dagegen verlegte sich schnell auf das Aufsammeln von Eicheln. Auch wenn es im Land des Löwen keine Nadelhölzer gab, war er schon lang genug bei den Krähen, um zu wissen, dass diese Baumfrucht das beste Brennmaterial war, das man im Winter haben konnte.
Von der Seite sah es belustigend aus, wie fast zwei Meter reinste Muskeln im dunklen Oliv einem Kind gleich im Schnee nach Eicheln suchten, doch man tat eben, was zu tun war.
* * *
Es vergingen nur zwei Stunden
[1], und die beiden Männer hatten genug Brennmaterial gesammelt, um beide Scheiterhaufen herrichten zu können.
Altena und Dan hatten Darios Körper - nun nur noch mit der Unterschicht bekleidet; den Harnisch hatte Altena an insgesamt sieben verschiedenen Stellen im nahegelegenen Wald versteckt und verscharrt, und dabei darauf geachtet, dass Dan sich nichts aneignete - zu den anderen Toten aus der Reisegruppe getragen.
Nun standen die Überlebenden vor den beiden Scheiterhaufen. Der Wind schien wieder stärker zu werden. Er pfiff, drang durch die Umhänge und Mäntel, riss an den Knochen und schmerzte trotz der Stiefel und Handschuhe an Zehen und Fingerkuppen. Auch der Schneefall schien wieder zuzunehmen.
Sigmar schaute zu Leon und nickte dem Spitalier zu. Dann sah er in die Runde und rief laut, um den Wind zu übertönen. "
Also - will jemand noch was sagen? Wenn nicht, dann wird es Zeit für das Petro und eine Fackel, die es mit dem Wind aufnehmen kann."