Als Basilio und Maru sich einige Schritte vom Rest der Gruppe entfernt haben, fasst die Dariba den Koraker am Handgelenk, bringt ihn so zum Stehen und wendet sich ihm zu. „
Hör zu, Basilio. Du hast um mich geworben und hast ein Anrecht auf eine Antwort von mir.“
[1]Sie fixiert Basilio mit ihren orangenen Pupillen, schaut ihm ganz tief in die Augen.
Wie zwei glühende Kohlestücke, denkt der Koraker und versinkt in der Betrachtung dieses Gesichts, das er so lieb gewonnen hat. Die vollen, langen Wimpern, die glatte Stirn, die kleine Stubsnase, die hohen Wangenknochen, die vollen Lippen und die Andeutung der Haken dahinter. Er sieht eine kleine Träne im Augenwinkel auftauchen und das traurige Lächeln und weiß, wie die Antwort ausfällt, noch bevor Maru zu sprechen beginnt. Sie tut es trotzdem.
„
Meine Antwort ist ‚Nein‘“, murmelt sie. „
Du hast um mich geworben und hast bewiesen, dass du das Herz eines Kriegers hast. Aber noch viel wichtiger war, dass du echtes Mitgefühl und echte Sorge empfunden hast für eine Fremde wie mich und für unseren Stamm. Du hast dir mein Herz verdient und ich wollte es dir geben. Aber das kann ich nicht.“
Sie schaut zur Seite, zu den Heldenfeuern, zu den Männern auf dem Platz, zu Mago. „
Ich bin eine Ukhtark. Das werde ich immer sein. Meine Pflicht und mein Verstand legen fest, dass ich einen aus dem Stamm erwählen soll. Ich hätte dagegen verstoßen, aber die Wahrheit ist: als ich versucht habe, dir mein Herz zu geben, musste ich feststellen, dass jemand anders es sich bereits genommen hat. Ich kann es dir nicht geben, denn es gehört mir nicht mehr.“
Dann verstummt Maru und schaut Basilio nur noch an. Ihre ganze Haltung, ihr Gesichtsausdruck, ihre Augen, die Finger ihrer Rechten, die immer noch seine Linke halten – alles schreit: ‚Es tut mir leid.‘ Doch sie sagt es nicht laut. Und sie sagt auch nicht all das andere, was stimmen, aber in diesem Augenblick den Schmerz nicht lindern würde. Zum Beispiel, dass sie ihm immer dankbar sein wird oder dass sie beide nun für immer befreundet sein werden. All das, womit sich menschliche Frauen rechtfertigen und womit sie trösten, wenn sie einen Kavalier abweisen. Vielleicht ist so etwas nicht Sitte bei den Kargi. Oder Maru hält solche Platitüden für nicht würdig für ihre Beziehung.
[2]Basilios erste Reaktion auf Marus Rede ist ein Riesenschreck. Was, sie hat ihn derart beim Wort genommen? Er hat doch bloß laut vor sich hin geträumt! Sie selbst nannte es gleich Wahnsinn und ihn einen tapferen Tor. Dennoch hat sie seinen Kniefall (und zuvor die wirren Worte) ernsthaft als Antrag aufgefasst. Ha! Sie ist ja fast so schlimm wie Barkas, nimmt alles wörtlich.
Herrje, was wäre bloß geworden, wenn sie 'Ja' gesagt hätte! Wie hätte ich mich aus der Affäre wieder herauswinden sollen? Oder wäre ich doch mit ihr... was... auf und davon? Die meinen im Stich lassen...? Nein, undenkbar das. Aber ach, was hätte mein Herz erst einmal einen Sprung getan, was sinkt es mir statt dessen gerade in die Magengrube..."Ach, meine liebste Maru, ich weiß ja selbst, wie töricht es von mir war. Um zusammen zu sein, hätten du und ich unseren Eid, unsere Pflicht vergessen müssen, hätten die Heimat verlassen und in die Fremde gemusst, um einen Ort zu finden, an dem wir beide in Frieden hätten leben können. Ich weiß nicht einmal, ob es einen solchen auf dieser Welt überhaupt gibt. Aber weiter als bis zu deiner Antwort wollt' ich einfach nicht denken. Wie trunken war ich, seit ich dich traf! Ich hoffe ja sehr, eines Tages erlebst du mich auch einmal bei klarem Kopf!
Aber leid tut es mir nicht, das musst du nicht meinen! Weder, dass ich dir meine Gefühle offenbart habe, noch, dass es mich überhaupt so schlimm erwischt hat. Der Schmerz wird irgendwann nachlassen, aber die Gewissheit wird bleiben: so grundverschieden können unsere beiden Völker nicht sein, wenn zwei Herzen so leicht eine Brücke schlagen. So breit kann die Kluft zwischen uns nicht sein!
Aber weißt du, es tut schon gut zu wissen, dass du mir dein Herz nur um eines anderen willen verwehrst. Dem besseren Mann im ehrlichen Zweikampf unterliegen, das ist eine Niederlage, mit der man leben kann! Und ich wünsch' mir ja auch nur das beste für dich. Ich wünsch' mir ja bloß, dass du glücklich wirst! Aber wehe, er macht dich nicht glücklich. Wehe, er weiß nicht, was für einen Schatz er an dir hat! Dann reicht ein Brieflein an mich und ich komm her und verhau ihn, das sag' ich dir." Letzteres meint er halb im Scherz, halb im Ernst, doch dann erinnert er sich gerade noch rechtzeitig, dass es diese Kategorie des Denkens bei den Grünhäuten—also zumindest bei Barkas ist ihm das schon aufgefallen—nicht gibt. Rasch setzt er nach:
"Oder, also, ähm, wenn du sonst einen Kummer hast, meine ich, gib Bescheid, ja?" Und zur Untermalung seiner nächsten Worte drückt er ihre Hand an sein im Galopp dahinjagendes Herz.
"So schnell werd' ich dann zu dir eilen, wenn ich mich daheim nur loseisen kann, das versprech ich dir!"Er lässt die Hand mit der ihren darin wieder sinken. Dann zögert er, und zaudert sichtlich, und doch ist die Neugier am Ende zu groß:
"Sag, darf man denn wissen, wer es ist, dem dein Herz schon vor mir gehörte? Ich sag's auch keinem weiter, wenn du noch nicht willst, dass es jemand weiß."[3]Maru lächelt, als Basilio verspricht, den Kargi bei schlechter Führung für sie zu verhauen. "
Ich danke dir, Basilio. Du bist ein guter Freund", gibt sie zurück. Indem der Koraker dann auch noch ihre Hand an seine Brust drückt, überrumpelt er die Dariba - sie ist anscheinend noch immer nicht an seine großen Gesten gewöhnt. Basilio sieht, wie ihre Wangen wieder violette Farbe annehmen und sie kurz die Augen niederschlägt.
Bei seiner Frage nach dem Glücklichen schaut Maru dann wieder auf. "
Das Ganze ist nicht so einfach, wie es sich anhören mag. Und ich täte ihm unrecht, jetzt seinen Namen zu nennen, bevor er sich entschieden hat. Wenn wir uns das nächste Mal sehen, reden wir wieder darüber, Basilio."
[4]"Tut mir leid, ich wollte nicht drängen...", entgegnet Basilio rasch.
"Du brauchst mir gar nicht davon zu erzählen! Aber ach, wie schwer kann es sein? Liebst du ihn? Liebt er dich? Ist er ein großer Krieger? Ist er ein Ukhtark? Dann ist's doch leicht! Und wenn's dir nicht so erscheint, so vergleich es damit, wie schwer es für uns zwei geworden wär'." So redet Basilio munter daher, denn solange er redet, muss er nicht fühlen. So erklärt sich, dass er in dem Moment, da er aufhört zu reden, da sich seine Finger aus den ihren lösen, dass er also erst jetzt aufkeucht, als hätte ihn ein Schlag getroffen.
Um sein Gesicht vor Maru zu verbergen—dass es feuerrot ist, verrät ihm die Hitze; schmerzverzerrt wähnt er den Ausdruck darauf—sieht er sich um und entdeckt, mit großer Erleichterung, dass Barkas auf sie zusteuert. Basilio schluckt also die letzten Worte, die er Maru noch hätte sagen wollen, hinunter und wendet sich dem Hirogul zu. Doch etwas geht schief. Sein Blick bleibt nur kurz an Barkas hängen, dann schweift er weiter: zu Mago hinüber, noch immer prunkvoll inmitten seiner Mannen zu bewundern, dann zu den anderen Ukhtark ringsum, darunter viele bekannte Gesichter, viele unbekannte. Plötzlich wird ihm schwindelig. Einem aufmerksamen Beobachter mag gar der Schauer auffallen, der ihn überkommt und den er zu verbergen sucht; unübersehbar aber ist sein Schwanken.
"Ah", murmelt er verwirrt, "aber so weit wollt' ich doch nie... der Plan war doch bloß... eine einzige Entscheidung war's in der Hitze des Gefechts... ein Instinkt... ein winziger Schritt! Einmal mit eigenen Augen sehen... um zu lernen... um selbst beurteilen zu können! Und plötzlich! Plötzlich schaut man sich um und weiß nicht, wie man hierher geraten ist. Plötzlich steht man im Niemandsland, ganz allein zwischen den Fronten! Wie hab' ich das bloß geschafft? War's die Neugier? Das Pflichtbewusstsein? Die Sehnsucht nach einem Körnchen Wahrheit in diesem ausgetrockneten Meer aus Lügen, in dem wir alle leben?" Nach Atem ringend wendet er sich seinen beiden Begleitern zu, scheint diese aber nicht wirklich zu sehen. Sein Blick verliert sich in gedachter Ferne. "Und was jetzt? Schweigen und so tun, als wär' nichts gewesen? Den Kopf einziehen und ignorieren, was ich gelernt habe? Oder kann es was nutzen? Nur wie? Daheim würde es keiner verstehen. Ha, wie auch? Die eigenen Augen sind der einzige Zeuge, dem der Mensch vertraut! Dem Vater kann ich's wohl mit vieler Müh' begreiflich machen. Ja, ach, das will ich hoffen! Dass er's versteht... dass er mir glaubt... dass Kezhdal nicht, mit Herz und Hand, ein Teil von Norga-Krangel ist! Denn wenn er's nicht versteht, wenn er's nicht glauben will... ha, da hätt' ich doch besser die Grube gewählt, die Mago mir angeboten hat!"
[5]"
Ach, was redest du denn da?" Ein kehliges Lachen reißt Basilio aus seinen Gedanken. Es ist Barkas, der ihn mit einem Grinsen anspricht. Ein seltsames Lächeln - grobschlächtig, mit den mächtigen Hauern, vergilbten Zähnen und violetten Lippen. Eines, das ihm eigentlich einen Schauer über den Rücken jagen sollte. Eines, das nun nur noch vertraut aussieht; belustigt und zugleich verhalten, weil der Hirogul anscheinend Marus Aussagen und deren Wirkung vermutet.
Barkas hebt seine mächtige Pranke und legt sie um Basilios Schulter. Der Koraker hat Mühe, auf den Beinen zu bleiben. Wüsste er es nicht besser, würde er die freundschaftliche Geste für einen Ringergriff halten. Mit dem Zeigefinger der anderen deutet der Hirogul auf die umstehenden Ukhtark, dann auf das gesamte Lager und den Lagerplatz der Gakeliten. "
Sieht das für dich nach 'allein zwischen den Fronten' aus? Du hast hier jede Menge Leute um dich und keine Front in Sichtweite!" Basilio erinnert sich - Barkas kann nicht anders, als das Gesagte wortwörtlich zu nehmen. Eine schöne Eigenschaft, wenn man darüber nachdenkt. Von dem Hirogul sind zumindest keine Lügen zu erwarten, auch wenn der Koraker sich in einem Meer aus ebensolchen wähnt.
"
Und wenn du in Magos Grube gelandet wärst", fährt Barkas fort, "
dann wäre ich inzwischen in Stonuthir an der Tafel neben meinem Großonkel und nicht hier an der Seite meines Bruders. Also besser so." Er schaut hinüber zu Maru, die sich einige Schritt entfernt hat und nun schweigend abwechselnd zu den Feuern und dann wieder zu Mago und Flannait blickt. "
Fühlt sich wohl so an, als hätte sie einem die Hauer abgebrochen, was? Ja - so sind sie, unsere Weiber. Keine Sorge - das dürfte besser werden mit der Zeit", murmelt er aufmunternd, aber nicht besonders überzeugend. Dann verfliegt aber das Lächeln. "
Zumindest sagt man das so - ich selbst kann dazu nicht viel sagen."
[6]Basilio ist kurz versucht, Barkas zu erklären, was er mit 'zwischen den Fronten' meinte, doch dem Aufwand einer solchen Klarstellung fühlt er sich momentan nicht gewachsen. In einer besinnlicheren Stimmungslage, abends, am Lagerfeuer, wäre es vielleicht möglich, aber wohl kaum jetzt, da der Hirogul noch völlig aufgewühlt und exaltiert nach siegreicher Schlacht und triumphal zelebriertem Heldenfeuer ist.
"Ach, da kann ich noch weniger mitreden", erwidert Basilio statt dessen, sobald er wieder Luft bekommt.
"Ich hab' nicht die geringste Ahnung, wie es sich anfühlt, wenn einem die Hauer abgebrochen werden."Sein Blick folgt der sich entfernenden Maru und landet unabsichtlich, da seine Seite offenbar ihr Ziel ist, auf dem Serogul. Mago, drängt sich Basilio der Gedanke auf, hätte seine gemurmelten Worte gewiss verstanden.
"Brüder können manchmal sehr verschieden sein, nicht wahr?" sinniert er.
Das wäre eine gekonnte Überleitung zu der noch ungeklärten Frage, die zwischen Barkas und ihm in der Luft hängt, wenn Basilio nur selbst die Antwort schon wüsste.
Mit einer Bruderschaft nehme ich Pflichten an. Will ich das? Oder besser gefragt: Darf ich das? Hm. Das hinge wohl sehr davon ab, ob sie daheim das Argument gelten lassen, dass die Ukhtark ja nicht zu Norga-Krangel gehören, sondern eigenständig sind, und es außerdem absurd wäre, jede Grünhaut auf Tellene gleich als Feind zu betrachten."Mein Vater dagegen ist dem deinen sehr ähnlich", verschafft er sich noch ein wenig Bedenkzeit.
"Auch als sein Sohn erwartet mich die volle Härte des Gesetzes für meine Vergehen. Besonders als sein Sohn! Man muss schließlich Vorbild sein. Das kennst du auch, nicht wahr? Dabei habe ich mich wirklich in jeder Situation bemüht, das richtige zu tun, habe mich immer wieder gefragt: wäre ich meinen Männern so ein Vorbild? Ach, aber im Bericht klingt das hinterher alles anders." Und vor Gericht erst, sollte es gar soweit kommen. Verbrüderung mit dem Feind! Ach, da sind wir ja wieder beim Thema. "Aber wenn du deinen Fehler in den Augen des Guls durch deine Taten wiedergutmachen konntest, so will ich mal hoffen, dass es mir beim General auch gelingt. Wünsch' mir Glück dazu, Bruder. Wünsch' mir Glück!"Ach, nun habe ich's ja doch getan. Und wenn ich die Nebelfeuchte, die mir die Sicht trübt, richtig deute, glänzen meine Augen noch dazu vor lauter Rührung!"Sag, drei Dinge wüsst' ich noch gern, um mir den Bericht beim Vater zu erleichtern. Aber nur, wenn du darauf antworten darfst! Also Sildan sagte ja, seine Leuten hätten die Kargi, mit deren Gesichtern sie sich hinterher, ähm, schmückten, abgeschlachtet, sobald diese sich aus ihrem Wald herausgewagt hätten. Weißt du, von welchem Wald er da redet, vom welchem Stamm? Zweitens, einer der Kletterer, als ich herausrief, sie sollten sich beeilen, fluchte ganz fürchterlich 'beim Blinden'. Lamas, also Mravroshkha-Khielshor, nicht wahr: ein Fluch ist er euch, aber kein Gott, den man verehrt? Und drittens, ich würde gern verstehen: Warum ist euer Stamm seinerzeit hier geblieben? Weil ihr euch schon so an dies Land als Heimat gewöhnt hättet, sagtet ihr, aber ist das schon die ganze Antwort? Gab es nicht noch mehr Gründe, warum ihr nicht zurück nach Norga-Krangel gezogen seid? Wenn du nicht antworten darfst, dann weiß ich, du sagst es mir geradeheraus."[7]