GULASADO
Jaresh hatte nicht zu viel versprochen. Das Anwesen - Sanjan, Manik und Tarqetik kennen es bereits von ihrem ersten Besuch - ist ein wunderschönes, hölzernes Haus, mit schrägem Dach, zwei vollen Stockwerken, einem dritten als Dachgeschoss und einer weiten Veranda vor der Haupttür. Unweit steht ein Stall für die Pferde, die Gefährten können ihre Reittiere dort anbinden. Schräg dahinter erkennen sie auch das Dampfbad. Velon, der junge Stallbursche kümmert sich um die Pferde, während einige der Feldarbeiter herbeieilen, um die Neuankömmlinge zu begutachten oder zu begrüßen.
Pishu - der Arbeiter, den Sanjan vor dem Bären gerettet und anschließend behandelt hat - zieht seinen Hut und verbeugt sich vor dem Schamanen, doch auch Edgar und Balon sind da und jubeln den Gefährten zu. Plötzlich spürt Sanjan, wie etwas an seinem Ärmel zieht. Als er zur Seite schaut, erkennt er, dass es sich um Kirus handelt. "
Kennst du die Frau da hinten?", fragt ihn den junge Dejy. "
Sie schaut immerzu zu dir. Sie ist sehr hübsch."
Sanjan folgt dem Blick des Jungen und erblickt Siola, die ein Dutzend Schritte hinter den Feldarbeitern auf der Veranda des Hauses steht, an einen der äußeren Terassenpfosten angelehnt. Sie trägt ein einfaches Kleid - dennoch ist unübersehbar, dass sie sich für den Besuch umgezogen hat. Sonst hätte sie wohl Hosen und ein Hemd getragen, womit es sich auf dem Gut einfacher arbeiten lässt. Die Haare - dunkles Kupfer - sind streng nach hinten geführt und zu einem Zopf gebunden. Die blauen Augen mustern Sanjan, ein Lächeln liegt auf den Lippen. Dennoch hat der Schamane das deutliche Gefühl, dass die Freude gezwungen ist, als würde sie eigentlich von einer Trauer gequält werden. Und dieses Gefühl bleibt auch bestehen, als sie ihn zu Begrüßung kurz umarmt und Willkommen heißt.
Schließlich betritt die Gruppe die angenehme Kühle des Hauses. Zwei Hausmädchen begrüßen die Neuankömmlinge - dieselben, die bereits beim ersten Besuch der ursprünglichen Gefährten zugegen waren. Der Eingangsbereich ist eine große Halle, die sich über die ersten zwei Stockwerke nach oben erstreckt. An der Wand entlang geht eine Treppe nach oben, die dann als Balustrade die Halle umrundet. Türen führen von der Balustrade in die Räume im Obergeschoss und eine weitere Treppe an ihrem Ende auf den Dachboden. In der Mitte der großen Halle steht ein an Gewicht und Bedeutung schwerer Eichentisch mit dazu passenden Stühlen. Hier wird allabendlich das Mahl eingenommen und auch Gäste werden hier bewirtet. Kerzenleuchter an den Wänden, sowie ein metallener Kronleuchter an der Decke tauchen den Raum in angenehmes Licht. An der Wand hängen Rehköpfe und auch zwei Ölgemälde.
[1]Auf dem Tisch erkennen die Gefährten ein reichhaltiges Abendbrot, dass aber anscheinend Tradition hat auf dem Gut, denn vieles ist Manik, Sanjan und Tarqetik bekannt - gebratene, saftige Rindersteaks, Ofenkartoffeln, frisches dunkles Brot und einige Platten mit Aufschnitt, Ziegenkäse und Gemüse zieren den schweren Eichentisch. Dazu stehen zwei Krüge auf dem Tisch - der eine ist gefüllt mit 'einem edlen Tropfen aus P'Bapar', wie Jaresh es ausdrückt, der andere mit Apfelsaft. Auch eine Keraffe mit kaltem, frischen Wasser aus dem guteigenen Brunnen steht auf dem Tisch.
Alle setzen sich hin und essen. Die Gefährten erzählen von ihren Reisen. Jaresh hört sehr interessiert zu.
[2] Als über die Versammlung im
Muog und die Zusammenarbeit mit den Kargi berichtet wird, nickt er. "
Ich wusste, dass Gul hulad ein weiser Mann ist. Seine Söhne waren noch Heranwachsende - haben 'Bleichgesicht und Kargi' gespielt, als ich das letzte Mal da war. Es freut mich zu hören, dass sie so gute Männer geworden sind."
Auch Siola sitzt mit am Tisch. Nicht nur Sanjan, sondern auch den anderen fällt auf, dass Jareshs Nichte mit den Gedanken woanders zu sein scheint. Auch wenn die junge Frau ihr bestes gibt, eine gute Gastgeberin zu sein und auf jede Frage höflich und mit einem Lächeln antwortet, spricht sie nicht von selbst und führt die Unterhaltungen nur so lange es die Höflichkeit gebietet.
Der Gutsherr ist betrübt, als er von Ragnar hört. Er hofft inständich, dass der aufrechte Fhokki schnell genesen wird. Jaresh ist aber auch sehr beunruhigt, als er hört, was sonst bei den Elfen passiert ist, und wie gekonnt die Räuberbande Dorwida und Kezhdal gegeneinander aufhetzen wollte. Er schüttelt den Kopf. "
Sie müssen einen Auftraggeber haben - aber wer könnte es sein?"
Jemma schnaubt laut und nimmt einen tiefen Schluck Wein - gänzlich ungraziös und doch unglaublich authentisch und daher charmant. "
Pff! Wer wohl? Das wird Sulu sein - unser holder Bürgermeister, die alte Sau."
Jaresh schaut die Halblingsfrau fassunglos an. "
Halt deine spitze Zunge im Zaum, Mädchen. Das ist absurd - ja, Hiram würde von einer Neufestlegung der Grenzen profitieren. Er hat Interessen im Grenzbereich. Aber er ist dem Amt verpflichtet. Ich kenne ihn schon lange. Er würde nie so weit gehen. Er ist ein Schlitzohr, aber nicht gewissenlos. Und für so etwas wäre er nicht mutig genug."
Jemma lehnt sich nach vorne. "
Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Ich denke, deine lange Bekanntschaft mit ihm trübt deinen Blick in dieser Sache, alter Mann. Auf jeden Fall hat er das Motiv, die Mittel und die Gelegenheit. Wenn er es nicht ist, gibt es ein halbes Dutzend anderer Gutsherren, die in Frage kommen würden."
Schweigen legt sich über den Tisch. Die meisten Teller sind schon leer oder mit abgenagten Knochen beladen. Schließlich nickt Jaresh. "
Ja - das stimmt mein Mädchen", sagt er schließlich. "
Aber bevor wir weiter darüber spekulieren, will ich noch etwas anderes erledigen."
Mit diesen Worten verlässt der alte Mann die Halle durch eine Seitentür, um einige Augenblicke später mit einer klirrenden Lederbörse und einem in Tuch beschlagenen Bündel wieder zurückzukommen. Er legt beides vor den Mitgliedern der ursprünglichen Gruppe ab. Die Börse landet zwischen Sanjan und Manik. Das Bündel vor Tarqetik.
"
Fünfzehnhundert p'baparische Löwen", sagt Jaresh. "
Und: sechs Pfund lumerischer Stahl. Wie vereinbart - und ihr habt es euch wahrlich verdient." Der Gutsherr hält kurz inne, dann fährt er fort. "
Ragnar ist nicht dabei heute an diesem Tisch. Dafür hat euch Basilio bei der Mission unterstützt. Meine Vereinbarung habe ich allerdings mit Ragnar, Sanjan, Manik und Tarqetik geschlossen. Ich schlage vor, dass ihr die Belohnung so aufteilt, wie ihr es für gerecht erachtet." Er schaut allen aus der ursprünglichen Gruppe, aber vor allem Sanjan in die Augen. "
Ich habe vertrauen, dass ihr gerecht sein werdet."
[3]