Als Basilio sich freiwillig für den Latrinendienst meldet, horchen die Männer um ihn herum überrascht auf. Es ist eindeutig, dass keiner von Ihnen das erwartet hat. Zwei der Soldaten sehen sich an und lächeln, einer rollt - wie er meint, unauffällig - mit den Augen.
Doch nach und nach öffnen sich die Männer bei der gemeinsamen Arbeit. Die Erzählungen des Korakers über die Kargi und den Angriff auf die Karawane fesseln sie, wie kleine Kinder. Immer wieder gibt es reingeworfene Bemerkungen - "
Ich habe mal so einen Kargi gesehen - fast sieben Fuß war der groß und so breit, wie ein Ochse", "
Die haben Augen: rot, orange, gelb; und diese Hauer! Wenn die dich auch noch wütend ansehen, rutscht dir das Herz in den Hodensack, sag' ich dir!"
Eine Bemerkung erregt aber Basilios Aufmerksamkeit ganz besonders. Einer der Soldaten - ein älterer Kämpfer, die schwarzen, kurzen Haare zeigen an den Ansätzen bereits das erste Grau - sticht gerade noch ein Stück Boden aus, als er murmelt: "
Lieber die Ukhtark, als Sildan. So wie ich das verstehe, haben die Grünheute ein Verständnis von Ehre. Sildan ist ein Tier. Die Kommandantin wird sich nie verzeihen, dass sie ihn damals nicht festgesetzt hat."
Auch die anderen Männer scheinen von diesen Worten überrascht, doch keiner traut sich, nachzufragen. Als Basilio nachhakt, hebt der Mann abwährend die Hände: "
Vergiss' es, Koraker. Ich habe eh schon zu viel gesagt."
Dennoch bleibt Lihana Ejdarn weiter das Thema. Basilio spricht über das reine Männerheer in Korak und fragt danach, wie es in Ek'Gakel zugehe. Die Männer grunzen und lachen. Doch schließlich stellt sich heraus, dass da viel Rauch ist, aber wohl nahezu kein Feuer. Es gäbe nur sehr wenige Frauen im Heer, sagen sie, auch wenn es nicht verboten sei. Die meisten hielten sich eben heraus aus der Armee, auch weil die meisten Offiziere nichts von Frauen als Soldaten hielten.
"
Sie sagen, die sind schlecht für die Moral. Würden den Zusammenhalt in der Truppe schwächen", sagt der Ältere - Gustan, wie er sich mittlerweile vorgestellt hat.
"
Also, meine Moral würden sie steigern", sagt einer der jüngeren mit einem schelmischen Lachen. "
Zum Beispiel die Elfe da, die ihr mit habt, Koraker. Die hätte ich gern immer in den Nähe. Und zusammenhalten würde ich mit der auch, wenn du weißt was ich meine."
"
Halt den Mund, Ionu!", fährt ihn der Ältere an. "
So, wie ich die Elfe einschätze, schneidet sie dir alles, womit du dich an ihr festhalten könntest, schneller ab, als du auch nur einen Stiefel ausgezogen hättest."
Vor Lihana Ejdarn haben aber alle Männer gehörigen Respekt. Stark und selbstbewusst sei sie; streng, aber auch gerecht. Sie könne die Männer zwar bestrafen, sei aber nicht unnötig grausam. "
Keiner in der Truppe sieht sie als Frau an", sagt Gustan. "
Sie ist einfach der Kommandant. Deswegen macht auch keiner Blödsinn, obwohl sie ja eigentlich eine hübsche Frau ist."
Basilio muss bei diesen Worten schmunzeln. Es ist immer einsam an der Spitze. Auf eine weibliche Kommandantin eines ganzen Trupps von Männern dürfte das noch einmal mehr zutreffen. War das der Grund dafür, dass Ejdarn Tarqetiks Avancen nicht unterband? Ihm war es so vorgekommen, als hätte die Kommandantin bei ihren gelegentlichen Halten bei der Gruppe auf dem Ritt immer wieder auch einen prüfenden Blick auf den Brandobiner geworfen. Aber wahrscheinlich war das nur die Wirkung der letzten Nacht, so dass er gerade alles um sich herum nur noch durch dieses eine Prisma sehen konnte.
* * *
Der Feldscher der Truppe ist für den Schamanen zunächst eine echte Überraschung. Der Mann hat olivfarbene Haut, ist schwarz wie die Nacht. Kurzes krausiges Haar bedeckt Kopf, Mundpartie und Wangen. Dennoch ist die Erscheinung sehr freundlich und gepflegt. Sanjan hatte schon bei seinem Stamm von den
mustad mehed[1] gehört, die von einer großen Insel im Süden stammen sollten. Später, bei einem seiner Besuche bei Jaresh, sprachen die beiden lange und ausgiebig über dessen Reisen. Svimohzia sei keine Insel, sondern der südliche Kontinent ihrer Welt, erzählte Dorguln ihm damals. Er selbst sei dort nie gewesen, doch die Svimohzer seien großartige Händler und hätten mehrere weit entwickelte Kulturen. Er hätte einige Male mit ihnen Handel getrieben und an den südlichen Ufern von Tellene würden oft svimohzische Handelsschiffe anlegen.
Nun hat Sanjan zum ersten Mal selbst einen Svimohzer vor Augen. Der Mann ist ebenfalls jung - ungefähr Sanjans Alter und die beiden verstehen sich gut miteinander. Vielleicht, weil beide Mediziner sind und auf ihre Art Fremde in dieser Gemeinschaft. Im Nu ist auch das milde Gift destilliert und die Männer widmen sich einem erfrischenden Kräutertrank, den der Südländer zubereitet hat.
Obekiki - so hatte er sich vorgestellt - will soeben von seiner Heimat erzählen - als Sanjan ins Zelt der Kommandantin gerufen wird. Der junge Svimohzer neigt nur den Kopf und lächelt: "
Vielleicht lässt es sich ja noch morgen reden, dọkịta. Es hat mich gefreut, dich kennenzulernen."
Auf seinem Weg durch das Lager beobachtet Sanjan die Männer um sich herum. Ungefähr die Hälfte, so schätzt er, haben Dejy-Blut in den Adern. Die meisten haben Ihre Wurzeln entweder vergessen, oder verleugnen diese. Sie kleiden sich wie Städter und tragen das Metall stolz an ihrer Seite. Das ist auch nicht verwunderlich - schließlich sind mehrere Jahrhunderte ins Land gezogen, in denen Brandobiner und Kalamarer alles daran gesetzt haben, die eingeborenen Stämme zu
zivilisieren, wie sie es nannten.
Zu großen Teilen ist es Ihnen gelungen: Viele Dejy sind inzwischen in den urbanen Kulturen von Tellene aufgegangen - Jaresh Dorguln ist das beste Beispiel. Wahrscheinlich haben inzwischen mehr als die Hälfte aller sesshaften Menschen in den Jungen Königreichen auch Dejy-Blut in den Adern. Wo soll man da die Grenze ziehen zwischen den Städtern und den immer noch traditionell und naturverbunden lebenden, sesshaften oder auch umherziehenden Stämmen?
Sanjan sieht auch einige Männer, die kleine Symbole tragen, die auf Ihre Herkunft, oder zumindest auf teilweise Abstammung von den Dejy hindeuten. Ein Amulett aus Knochen am Gürtel, ein kleiner, seitlicher Zopf bis zur Schulter, der unter dem Helm hervorlugt. Wie würden sich solche Männer fühlen, wenn Ihnen plötzlich befohlen werden würde, gegen einen Dejy-Stamm zu ziehen? Jeder Soldat würde den Einsatz gegen die Eingeborenen zumindest hinterfragen, und diese Männer doch noch mehr? Die Spannungen zwischen den
Defohi und den anderen Stämmen in Ek'Gakel und der Führung in Benesato bergen wirklich die Gefahr eines Bürgerkriegs in sich.
* * *
Die Bemerkungen und Vorschläge der Gefährten hört sich Ejdarn aufmerksam an. Die beiden Hauptmänner sind schweigsam, aber ebenfalls konzentriert. Sie nicken mehrmals bei Basilios und Sanjans Worten.
Als auch Sanjan wieder verstummt, ergreift die kommandantin wieder das Wort. "
Das sind gute Einwände. Ich kann mir auch vorstellen, dass der Anblick des Brandobiners den ein oder anderen einschüchtert. Wie sieht es aus, Tarqetik?" Der letzte Satz geht an den Recken, der bis dato stumm gelauscht hat.
"
Wenn Tarqetik sich ebenfalls der Gruppe um Jamir und Sanjan anschließt, dann würden Manik und Flannait bei Basilio bleiben und für die Sabotage am Tor zuständig sein. Geht das so in Ordnung?" Auch auf diese Frage will die Kommandantin nicht sofort eine Antwort, sondern gibt den Gefährten Zeit zum Überlegen, während sie ihre weiteren Vorschläge und Fragen beantwortet.
"
Ich werde dafür sorgen, dass Bosol bei der morgigen Besprechung, wenn wir unser Lager vor der Festung aufschlagen dabei ist. Dann könnt ihr mit ihm noch einmal sprechen und ihn genauer aushorchen. Ich muss sagen, er hat sich bis jetzt kooperativ gezeigt. Vielleicht verdient er sich wirklich die Amnestie.
Das wäre übrigens auch das, was ihr den Sildans Männern versprechen könnt. Ausgenommen Sildan selbst, seine Stellvertreter und Hauptmänner, kann jeder seiner Männer mit einer Amnestie für die bisherigen Verbrechen rechnen, wenn er bei der Öffnung der Tore mithilft und nach der Schlacht die Waffen bei uns niederlegt.
Was das Boot an sich angeht, so haben wir bereits die Balken in mehreren Gruppen zusammengelegt und können es relativ schnell an Ort und Stelle zusammenbauen. Die einzelnen Teile sind auf den Wagen, aber hinter Planen verborgen. Je weniger Leute davon im Vorhinein wissen, desto besser."
Sie schaut noch einmal der Reihe nach in die Gesichter der Anwesenden. "
Gibt es noch Fragen oder Anregungen? Wenn nicht, würde unser Plan weitgehend stehen. Jetzt bleibt nur zu hoffen, dass die Götter dabei mitspielen."
"
Und dass die Kargi wirklich auftauchen, und zwar auf der richtigen Seite, wie versprochen", wirft Hrajr ein.