Bei Abdos lauten Überlegungen, Aris wäre unzufrieden mit dem Volk gewesen und hätte die Shetani daher geschickt, zieht der Paladin überrascht die Brauen zusammen, verkneift sich aber einen Kommentar. Als der Ya'Keheter dann aber fragt, ob Talahan selbst gegen die Dämonen gekämpft habe, nickt dieser mit einem grimmigen Grinsen. Unwillkürlich fährt eine Hand hoch zur Narbe an der Wange, die behandschuhten Finger betasten das Mal. Da beginnt auch schon Aeryn zu sprechen und der Kämpe hält sich zurück, hört ihren Ausführungen ebenso wie denen von Hjalmarr und Freydis zu.
Schließlich meldet aber auch er sich zu Wort: "
Da hörst du es, Südmann. Die Viecher kommen aus den Bergen. Linsberg hat zu leiden, aber die größte Ballung" - Talahan deutet mit der Rechten Richtung Gjolkard-Wall - "
findest du hinter dieser Mauer. Das heißt: noch ein bisschen weiter. Dort liegt das Herzogtum Jongot und dahinter die Berge von Jonmarr. Die ersten Dämonen sind dort aufgetaucht, Jahrzehnte lang kamen sie nirgendwo sonst heraus - nur da. Und auch heute noch ist das ihr aktivstes Gebiet. Der Wall ist die letzte Verteidigungslinie. Wenn Herzogtum Vander und die Clans von Jongot fallen, soll er die Dämonen aufhalten, bis die anderen eine Verteidigung organisieren können."
Der Paladin hält inne, fährt sich wieder mit den Fingern durch den Bart. Dann schaut er zurück. "
Ich habe heute viel von Einigkeit gehört, der es angeblich bedürfe. Ich habe da meine Zweifel, ob das helfen wird. Die Kuijts saßen ein knappes Jahrhundert auf dem Thron von Arteus und hatten ein geeintes Dalaran. Und die Dämonen sind trotzdem immer noch da und ihre Zahl größer, als je zuvor. Ändert natürlich nichts daran, dass Wejt I. ein selten hinterhältiger Bastard ist..."
* * *
Der restliche Weg zum Weihort verläuft ereignislos. Die Pferde tragen ihre Reiter im leichten Gallop über die letzten Meilen und schon bald durchbrechen braune Streifen wie ein Flickenteppich das Grün der Steppe - die ersten gesäten Felder von Mais und Starkweizen, die wie Vorboten die Siedlung hinter der nächsten Biegung ankündigen, kommen in Sicht. Der Urdan-Wald ist so nah, dass einzelne Bäume bereits klar zu erkennen sind und Erlstav
[1], der erste und kleinste Gipfel der Bergkette, wirft seinen Schatten über den Pfad.
Ein kleiner Bach plätschert lautstark seinen steinigen Pfad entlang. Das klare Bergwasser wirft die Sonnenstrahlen im kalten Weiß zurück. Bevor die ersten Hütten des Dorfes in der Ferne auftauchen, deutet Talahan noch einmal nach links auf den Hang des Erlstav. Als die anderen Gefährten seinem Blick folgen, erkennen sie oberhalb der Baumgrenze eine kleine, steinerne Festung, die sich trotzig an die steile Felswand klammert. Die Feste ist weit entfernt und nicht gut zu erkennen - doch sie ist da. "
Sirssudo", erklärt Talahan. "
Die heilige Feste. Angeblich hat dort der Prophet seine Weihe empfangen. Eine kleine Enklave der treusten und gläubigsten Männer soll den Ort bewachen. Seit mehr als einem Jahrhundert ist der Kontakt streng reguliert. Wer das Heiligtum betritt, verlässt es nie wieder."
Einige der Gefährten nicken - kennen die Geschichte aus Erzählungen und Büchern
[2]. Abdo dagegen hört diese zum ersten Mal. Doch bevor jemand nachhaken kan, schälen sich auch schon die ersten Hütten des Weihorts aus den Grün- und Blautönen des Horizonts. Der Paladin richtet seinen Blick wieder nach vorn. "
Da wären wir", murmelt er. "
Seid wachsam. Wir haben keinen einzigen Bauern auf den Feldern angetroffen. Und auch keinen einzigen Hirten - nur zwei unbewachte Herden. Das gefällt mir nicht."
* * *
Auch das Dorf selbst scheint auf den ersten Blick wie ausgestorben. Zwei Dutzend Hütten zu beiden Seiten des Pfades sind schnell passiert. In Dorfmitte schneidet ein weiterer Weg den ersten im rechten Winkel, der Treffpunkt ist ein eingestampfter, staubiger Platz, bekränzt von einem Halbkreis an hölzernen Hütten und Häusern.
Wege gehen in alle vier Himmelsrichtungen und verzweigen sich. Hütten säumen ihre Ränder. In der Mitte des Platzes stehen drei hölzerne Tränken, zu einem Dreieck geformt. Ein brauner Rappen ist unweit an einen Pfahl vor einem der Häuser angebunden. Es wiehert, als es die Neuankömmlinge bemerkt. Ein Geräusch, dass ob der sonstigen Stille gespenstisch laut erscheint. Dann wird es von einem Summen abgelöst. Nein - es ist nicht
ein Summen. Die Gefährten suchen nach der Quelle des Geräuschs und erkennen eine Moskitowolke über dem Kadaver eines weiteren Pferdes am gegenüberliegenden Ende des Platzes.
[3]"
Bei den Neun Höllen" murmelt der Paladin. Unwillkürlich geht seine Rechte hoch und er tippt mit Zeige- und Ringfinger gegen das Zeichen auf seiner Stirn. Die Art, auf die die Gläubigen des Einen Gottes diesen um Schutz ersuchen. Gleich nachdem er die Geste vollendet hat, verzieht der Kämpfer wütend den Mund und lässt den Arm wieder sinken.
Da fällt sein Blick wieder auf eine der Tränken und er fixiert etwas mit den Augen. Auch die Gefährten bemerken es nun. Ein schmächtiger Mann kniet mit dem Rücken zu ihnen vor einer der Tränken, hat sich vornübergebeugt und scheint aus selbiger zu trinken. Die einzige Menschenseele, die die Gruppe bisher ausmachen konnte.
Talahans Pferd wiehert auf, der Kämpe muss es mit einem "
Hoo!" beruhigen. Wind kommt auf, treibt kleine Strohbälle über den Dorfplatz, pfeift in den Baumkuppen. Eine gute Meile entfernt is bereits die Brandung des Großen Meeres zu hören. Der Paladin beruhigt seinen Rappen, lehnt sich nach vorn und ruft: "
Gruß, Bauer! Was ist hier los, dass niemand sich blicken lässt?" Keine Antwort. Der Mann rührt sich nicht.