Ponzio rieb sich seinen Allerwertesten, während er sein Pferd Tebaldo durch die Straßen Macridis führte. Nach drei Monaten, in denen er einmal quer durch den Kontinent gereist war und dabei beinahe täglich von früh bis spät geritten war, freute er sich darauf, nun endlich eine Pause einlegen zu können. Eine Reise, die selbst junge Menschen an ihre Grenzen bringen würde - in seinem Alter war sie eine wahre Qual gewesen, und er zweifelte daran, ob sein Rücken je wieder aufhören würde zu schmerzen. Doch zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte er sich einigermaßen sicher: Bis hierhin würden ihm die Häscher des Kastellan sicherlich nicht gefolgt sein, und der Bart, den er sich seit dieser Zeit hatte stehen lassen, hatte inzwischen eine Länge erreicht, die es jedem schwer machen würde, Ponzio als den falschen Freyr Darkwine aus Trollheim zu identifizieren.
Seine Reise - oder besser gesagt seine Flucht - hatte ihn mehr als 1500 Meilen weit aus dem kalten Norden bis zum Encarthansee geführt, und erst als er Kerse erreicht hatte, eine Stadt, in der er als junger Mann bereits einmal einige Monate verbracht hatte, hatte er begonnen, sich über seine unmittelbare Zukunft nähere Gedanken zu machen. Sicher, lange Tage hatte er im Sattel gesessen und sich Vorhaltungen über die zahlreichen schlechten Entscheidungen gemacht, die er in seinem Leben getroffen hatte und die ihn auf die Bahn geführt hatten, von der er nun wieder auf den rechten Pfad abbiegen wollte. Selbst Semiramis hatte ihm die Gefolgschaft verweigert und ihn verlassen; spätestens das hatte ihm die Augen geöffnet, zu was er geworden war. Doch außer dem Vorhaben, ein besserer Mensch zu werden, waren seine Pläne unklar.
Der Aufenthalt in Kerse jedoch und die Rückkehr an Orte aus seiner Jugend hatten seinen Lebensmut zurückgebracht, wobei die Tatsache, dass Ponzios finanzielle Mittel sich langsam erschöpften, wohl ebenfalls einen Beitrag dazu geleistet hatten, sich das Gesuch der Kirche Erastils etwas genauer anzusehen.
Letztendlich hatte die Aussicht, weit weg von größeren Städten zu wirken und damit von den diversen Versuchungen, denen der Magier in der Vergangenheit immer wieder erlegen war, dazu geführt, dass er sich von den Gottesmännern anheuern ließ und so schließlich hier in Macridi gelandet war. Wie zur Bestätigung tasteten seine Finger nach der Flasche Absinth, die in Tücher eingewickelt in seinem Rucksack ruhte. Warum er sie mit sich trug, wusste er selbst nicht genau. War es als Warnung, sich nicht wieder dem Geist des Alkohols hinzugeben, oder zur Beruhigung, dass er im Notfall doch auf die Reserve zurückgreifen konnte? Er hatte sich geschworen, nie wieder Alkohol anzurühren, doch er war sich bewusst, dass es nicht der erste Schwur dieser Art in seinem Leben war. Bisher hatte er noch jeden davon gebrochen - würde es diesmal wirklich anders ausgehen? Die Arbeit im Namen Erastils zumindest sollte ihm dabei helfen.
Den Erklärungen der Einheimischen folgend ließ er den Stadtkern hinter sich und näherte sich schließlich dem Tempel, der für ein Gotteshaus ungewöhnlich schlicht erschien. Ein junger Mann sah sich die Unterlagen an, die man ihm in Kerse ausgehändigt hatte, und war offenbar zufrieden damit, denn er führte Ponzio in einen Warteraum. Wenig überrascht stellte der Magier fest, dass er der erste war, der sich eingefunden hatte - schließlich war er deutlich vor der vereinbarten Uhrzeit erschienen. Er mochte es nicht, in eine Versammlung hereinzuplatzen, bei der die Teilnehmer sich bereits sozialisiert hatten, und so zog er es vor, möglichst immer zu früh zu solchen Terminen zu kommen.
Nachdem der junge Mann sich entschuldigt hatte, musterte Ponzio die Einrichtung, die passend zum Gebäude eher einfacher Natur war. "Wenn sie schon etwas hinstellen, wird es ja auch erlaubt sein, sich zu bedienen." Er füllte einen Becher mit Wasser, nahm sich eine Holzschale, die er mit Brot und Früchten füllte, und begann im Stehen zu essen - gesessen hatte er wahrlich genug - während er darauf wartete, wen es sonst noch hierher verschlagen würde.